Beschluss vom 18.11.2024 -
BVerwG 3 B 5.24ECLI:DE:BVerwG:2024:181124B3B5.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.11.2024 - 3 B 5.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:181124B3B5.24.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 5.24

  • VG Oldenburg - 17.02.2021 - AZ: 7 A 1630/19
  • OVG Lüneburg - 04.12.2023 - AZ: 11 LB 235/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. November 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Sinner
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. Dezember 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 76 405,23 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbescheid des Beklagten.

2 Die Klägerin hielt neben anderen Tieren 17 Hunde. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 6. April 2016 ordnete der Beklagte mehrere Maßnahmen an, um die tierschutzgerechte Haltung der Tiere sicherzustellen. Bei einer Nachkontrolle am 11. April 2017 stellte er abermals tierschutzwidrige Zustände fest und ordnete daraufhin zunächst mündlich und im Anschluss mit bestandskräftigem Bescheid vom 3. Mai 2017 die Duldung der zwangsweisen Wegnahme und der anderweitigen Unterbringung der 17 im Einzelnen aufgelisteten Hunde auf Kosten der Klägerin an. Mit ebenfalls bestandskräftigem Bescheid vom 21. Juli 2017 ordnete der Beklagte unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Duldung der Veräußerung von zwölf der fortgenommenen Hunde an. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 26. März 2019 nahm er die Klägerin auf die Erstattung der Unterbringungs- und Behandlungskosten für die ihr fortgenommenen Hunde für den Zeitraum vom 11. April 2017 bis zum 28. Februar 2019 in Höhe von 76 405,23 € in Anspruch.

3 Das Verwaltungsgericht hat am 28. Februar 2020 einen Erörterungstermin durchgeführt und in der Sitzungsniederschrift ausgeführt, der angegriffene Kostenbescheid vom 26. März 2019 sei ohne Anhörung ergangen. Unter dem 4. Mai 2020 hörte der Beklagte die Klägerin dazu an, dass er beabsichtige, für die Unterbringung und die notwendigen tierärztlichen Behandlungen der Hunde für den Zeitraum vom 11. April 2017 bis zum 28. Februar 2019 einen Betrag von 76 405,23 € geltend zu machen und einen entsprechenden Kostenfestsetzungsbescheid zu erlassen. Mit Urteil vom 17. Februar 2021 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben. Der Bescheid sei eine rechtswidrige Überraschungsentscheidung. Die nachträgliche Anhörung während des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens gehe ins Leere, da die bereits feststehenden kostenauslösenden Fakten der Unterbringung und Behandlung nicht mehr beseitigt werden könnten und die Anhörung keine heilende Wirkung mehr entfalten könne. Der angegriffene Bescheid sei erst rund zwei Jahre nach Beginn der Unterbringungsmaßnahmen ergangen, ohne dass die Klägerin hinsichtlich der fortlaufenden Kosten auch nur einmal "belehrt" worden sei.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat auf die von ihm zugelassene Berufung das Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss nach § 130a VwGO geändert und die Klage abgewiesen. Der Kostenfestsetzungsbescheid sei nicht wegen formeller Mängel aufzuheben. Der Beklagte habe mit dem Schreiben vom 4. Mai 2020 eine gesonderte nachträgliche Anhörung durchgeführt und die Begründung des Bescheids unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgetragenen Gesichtspunkte mit seinem Schreiben vom 3. Juli 2020 ergänzt. Selbst wenn man eine Heilung des Anhörungsfehlers verneinte, sei der Anhörungsmangel unbeachtlich, weil es an der konkreten Möglichkeit einer abweichenden Sachentscheidung fehle. Auf die Frage, ob der Verfahrensfehler rückwirkend oder erst mit Wirkung ex nunc geheilt werden könne, komme es nicht entscheidungserheblich an. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Der Beklagte sei mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin über die konkrete Höhe der anfallenden Kosten vorher zu informieren bzw. zu "belehren". Im Übrigen sei der Klägerin bekannt gewesen, dass für eine längerfristige Unterbringung mehrerer Hunde erhebliche Kosten entstehen würden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen seinen Beschluss nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

5 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von ihr aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

6 Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Dies ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzulegen und setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint und im Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2023 - 3 B 4.22 - juris Rn. 7 m. w. N.).

7 1. Die von der Klägerin sinngemäß als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, wann bei einer nachgeholten Anhörung zur Festsetzung der Kosten für die Unterbringung von Tieren nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG die Kostenpflicht entsteht, ist nicht entscheidungserheblich.

8 Eine gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG erforderliche Anhörung eines Beteiligten kann nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Von einer Bestimmung, dass die nachgeholte Anhörung den Verwaltungsakt von Anfang an rechtmäßig macht, hat der Gesetzgeber abgesehen, da er diese Frage für allenfalls von rechtstheoretischem, nicht aber von praktischem Interesse hielt (vgl. BT-Drs. 7/910 S. 65). In Fällen unterbliebener Anhörung sei den rechtsstaatlichen Erfordernissen Genüge getan, wenn der Betroffene im Verwaltungsverfahren überhaupt angehört werde. Deshalb sei eine fehlerhafte unterlassene Anhörung unbeachtlich, wenn sie - spätestens im Widerspruchsverfahren - nachgeholt werde (vgl. BT-Drs. 7/910 S. 66). Durch Änderungsgesetze vom 12. September 1996 (BGBl. I S. 1354) und vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3322) ist die Möglichkeit der Nachholung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erstreckt worden. Das Berufungsgericht ist nach den für den Senat verbindlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) davon ausgegangen, dass der Beklagte die Anhörung mit Schreiben vom 4. Mai 2020 nachgeholt, er das nachfolgende Vorbringen der Klägerin in Erwägung gezogen und so den Verfahrensmangel geheilt hat (BA S. 13).

9 Ausgehend von diesen Feststellungen ist die Frage, ob die Heilung eines Anhörungsmangels auf den Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsentscheidung zurückwirkt oder nicht, nicht entscheidungserheblich. Der Erfolg der Anfechtungsklage hängt insoweit allein davon ab, ob ein Verwaltungsakt, in Bezug auf den eine erforderliche Anhörung erst während des Verwaltungsprozesses nachgeholt worden ist, wegen des ursprünglichen Anhörungsdefizits aufzuheben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2002 - 4 B 20.02 - Buchholz 316 § 45 VwVfG Nr. 25 S. 3 f. und nachstehend unter 2.).

10 Darüber hinaus scheidet die Zulassung der Revision zur Klärung der aufgeworfenen Frage auch deshalb aus, weil das Oberverwaltungsgericht seine Annahme, der Verstoß gegen das Anhörungserfordernis nach (§ 1 NVwVfG i. V. m.) § 28 Abs. 1 VwVfG führe nicht zur Aufhebung des angegriffenen Bescheids, nicht allein damit begründet hat, der Anhörungsmangel sei gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG geheilt worden, sondern zudem selbstständig tragend darauf gestützt hat, der Verfahrensfehler sei gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich (BA S. 14 f.). Im Fall einer solchen Mehrfachbegründung kommt die Zulassung der Revision nur in Betracht, wenn hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. Juli 2019 - 3 B 15.18 - juris Rn. 10 und vom 7. Dezember 2021 - 3 B 6.21 -‌ juris Rn. 6, jeweils m. w. N.). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Gegen die zweite Begründung, der Anhörungsmangel sei nach § 46 VwVfG unbeachtlich, bringt die Klägerin mit ihrem Beschwerdevorbringen keinen durchgreifenden Zulassungsgrund vor. Sie hält die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für unzutreffend (S. 6 f. der Beschwerdebegründung). Mit dieser einzelfallbezogenen Urteilskritik zeigt sie weder auf, dass und welchen grundsätzlichen Klärungsbedarf im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Rechtssache insoweit aufwerfen könnte, noch legt sie damit einen anderen Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 VwGO dar.

11 2. Die weitere von der Klägerin aufgeworfene Frage, "ob der Kostenbescheid als belastender Verwaltungsakt trotz nachgeholter Anhörung bestehen bleibt oder aufzuheben ist", ist nicht klärungsbedürftig, denn die Antwort ergibt sich eindeutig aus dem Gesetz: Das Unterbleiben einer erforderlichen Anhörung vor Erlass des Verwaltungsaktes ist nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG unbeachtlich, wenn sie bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Zudem kann nach § 46 VwVfG die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das Verwaltungsverfahrensgesetz geht demnach bei Heilung eines Verfahrensfehlers bzw. bei dessen fehlender Ergebnisrelevanz vom Bestand des Verwaltungsaktes aus. Ob der Verfahrensfehler geheilt ist oder ob offensichtlich ist, dass er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, ist eine Frage des Einzelfalles und der grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich.

12 3. Soweit die Klägerin die Annahme des Oberverwaltungsgerichts beanstandet, der angegriffene Kostenfestsetzungsbescheid sei materiell rechtmäßig (BA S. 17 ff.), wirft sie mit ihrem Beschwerdevorbringen keine fallübergreifende Frage des revisiblen Rechts auf. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Annahme darauf gestützt, der Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in den §§ 1, 3, 5 ff., § 13 NVwKostG i. V. m. der Gebührenordnung für die Verwaltung im Bereich des Verbraucherschutzes und des Veterinärwesens. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um Normen irrevisiblen Landesrechts, auf deren Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann (§ 137 Abs. 1 VwGO). Grundsätzlicher Klärungsbedarf lässt sich dem Beschwerdevorbringen auch nicht entnehmen, soweit die Klägerin geltend macht, die Höhe der festgesetzten Unterbringungskosten sei unverhältnismäßig. Die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von irrevisiblem Landesrecht kann die Zulassung der Revision nur dann begründen, wenn die Anwendung und Auslegung des angeführten Bundesrechts ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2020 ‌- 3 B 34.19 - juris Rn. 44 m. w. N.). Die Klägerin legt nicht dar, dass die Rechtssache eine ungeklärte Frage von grundsätzlicher Bedeutung hinsichtlich des bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufwerfen könnte.

13 Schließlich rechtfertigt auch die Frage, "ob die ... Behörde 2 Jahre lang und länger Kosten auflaufen lassen darf, um danach, ohne vorab darüber zu warnen, dem Bürger die Kosten" aufzuerlegen, nicht die Zulassung der Revision. Dass der Beklagte zwei Jahre und länger Kosten für die Unterbringung der Hunde habe auflaufen lassen, ohne dass die Klägerin informiert worden sei, hat das Oberverwaltungsgericht nicht angenommen. Es hat vielmehr festgestellt, die Klägerin sei durch den Bescheid vom 3. Mai 2017 dem Grunde nach darüber informiert gewesen, dass die Hunde auf ihre Kosten untergebracht würden. Dass bei einer längeren Unterbringung von 17, teilweise aufgrund der vorangegangenen Vernachlässigung behandlungsbedürftigen Tieren erhebliche Kosten anfielen, liege auf der Hand. Davon sei auch ihr damaliger Prozessbevollmächtigter ausgegangen, wie seine Ausführungen im Schriftsatz vom 15. Mai 2017 zeigten. Darüber hinaus habe der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 28. Juni 2017 darüber informiert, dass für die anderweitige Unterbringung der Hunde bis zum 15. Juni 2017 - also rund zwei Monate nach ihrer Wegnahme - bereits Kosten in Höhe von 13 607,68 € entstanden seien, die von der Klägerin zu tragen seien. Danach habe sie von der Höhe der festgesetzten Kosten nicht überrascht sein dürfen (BA S. 19 f.). Diese tatrichterliche Würdigung ist für den Senat verbindlich; die Klägerin hat sie nicht mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) angegriffen. Das Oberverwaltungsgericht hat des Weiteren angenommen, für eine Verpflichtung des Beklagten, die Klägerin über die voraussichtlichen Kosten der Unterbringung und Behandlung der Hunde vorher zu informieren, gebe es keine einfachgesetzliche Grundlage (BA S. 20). Die Klägerin zeigt mit ihrem Beschwerdevorbringen nicht auf, welcher fallübergreifende Klärungsbedarf sich hieraus ergeben könnte.

14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.