Verfahrensinformation



Der Beklagte war Beamter im Bundesdienst und wurde mit Erreichen der Altersgrenze im Jahr 2014 pensioniert. Bereits zuvor - im Jahr 2007 - war bei einer Strafverfolgungsbehörde ein anonymer Hinweis eingegangen, dass der Beklagte seit 1996 von mehreren Firmen Sach- und Geldleistungen entgegengenommen habe; daraufhin wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen des Verdachts des besonders schweren Falls der Bestechlichkeit (§ 356 StGB) eingeleitet. Im Jahr 2011 leitete die Klägerin gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren ein, das sich auf Vorwürfe der Jahre 1994/1996 bis 2008 bezog; später dehnte sie das Disziplinarverfahren auf weitere Vorwürfe aus.


Im Jahr 2014 erhob die Klägerin Disziplinarklage. Im Jahr 2018 führte das Verwaltungsgericht eine Beweisaufnahme mit 17 Zeugen durch und erkannte dem Beklagten das Ruhegehalt ab; durch die Annahme im einzelner bezeichneter Sach- und Geldleistungen habe er gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken verstoßen und seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung und zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb des Dienstes verletzt. Im Jahr 2022 wies das Oberverwaltungsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Berufung des Beklagten zurück.


Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2023 die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen; die Revision könne dem Senat Gelegenheit geben zu klären, ob auch im Fall der überlangen Dauer des beamtenrechtlichen Disziplinarverfahrens auf die Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden könne und welche Vorgaben hierzu sich aus dem Unionsrecht oder der Europäischen Menschenrechtskonvention ergäben.


Beschluss vom 31.07.2023 -
BVerwG 2 B 31.22ECLI:DE:BVerwG:2023:310723B2B31.22.0

Beschluss

BVerwG 2 B 31.22

  • VG Lüneburg - 27.06.2018 - AZ: 7 A 3/14
  • OVG Lüneburg - 25.04.2022 - AZ: 6 LD 2/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Juli 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und Dr. Hartung
beschlossen:

  1. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. April 2022 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die zulässige Beschwerde des Beklagten ist begründet. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Sie kann dem Senat Gelegenheit zur Klärung der Frage bieten, ob auch im Fall der überlangen Dauer des beamtenrechtlichen Disziplinarverfahrens auf die Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden kann und welche Vorgaben hierzu sich aus dem Unionsrecht oder der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II S. 1198) ergeben.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 2 C 16.23 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 07.11.2024 -
BVerwG 2 C 16.23ECLI:DE:BVerwG:2024:071124U2C16.23.0

Leitsätze:

1. Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung sind auf den Betrieb oder die Dienststelle bezogen. Sie erstrecken sich nicht auf die Erhebung einer Disziplinarklage gegen einen bereits im Ruhestand befindlichen Beamten.

2. Die unangemessen lange Dauer eines Disziplinarverfahrens hat nur dann Einfluss auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Verfahrensdauer Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hat. Im Übrigen verbleibt es bei der zur Kompensation vorgesehenen Möglichkeit der Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs.

  • Rechtsquellen
    BDG (a. F.) § 13 Abs. 2 Satz 2
    EMRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
    GRC Art. 47 Abs. 2 Satz 1, Art. 51 Abs. 1 Satz 1, Art. 52 Abs. 3 Satz 1
    RL 2000/78/EG Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c
    SGB IX (a. F.) § 95 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1

  • VG Lüneburg - 27.06.2018 - AZ: 7 A 3/14
    OVG Lüneburg - 25.04.2022 - AZ: 6 LD 2/18

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 07.11.2024 - 2 C 16.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:071124U2C16.23.0]

Urteil

BVerwG 2 C 16.23

  • VG Lüneburg - 27.06.2018 - AZ: 7 A 3/14
  • OVG Lüneburg - 25.04.2022 - AZ: 6 LD 2/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hissnauer
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. April 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Rechtsstreit betrifft ein beamtenrechtliches Disziplinarklageverfahren.

2 Der ... geborene Beklagte, bei dem seit April 2008 ein Grad der Behinderung von 50 vom Hundert anerkannt ist, stand zuletzt als Technischer Bundesbahnamtsrat (Besoldungsgruppe A 12 BBesO) im Dienst der Klägerin. Aufgrund des Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze ist er mit Ablauf des Monats Mai 2014 in den Ruhestand getreten. Vor diesem Zeitpunkt war der Beklagte in unterschiedlichen Verwendungen bei der DB AG und der DB Netz AG tätig.

3 Im September 2007 erhielt das Landeskriminalamt ... einen anonymen Hinweis, wonach der Beklagte seit 1996 von unterschiedlichen Firmen diverse Sach- und Geldleistungen entgegengenommen habe. Dies führte zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten und die Geschäftsführer der Firmen K. GmbH & Co. KG, ... Gleis- und Tiefbau GmbH & Co. KG sowie ... Logistik GmbH wegen des Verdachts des besonders schweren Falls der Bestechlichkeit. Im Zuge dieser Ermittlungen kam es ab Dezember 2008 zu mehreren Durchsuchungen, unter anderem in der Wohnung des Beklagten, den Räumlichkeiten der DB Netz AG und den Geschäftsräumen vorgenannter Firmen. Ab dem 5. Dezember 2008 stellte die DB Netz AG den Beklagten unter Ausspruch eines Hausverbots vorübergehend vom Dienst frei.

4 Im Juni 2009 erhielt die Leiterin der Dienststelle Einsicht in die zugehörigen Akten des Ermittlungsverfahrens (Az. ...), nachdem die Dienststelle bereits im Dezember 2008 sowie April 2009 entsprechende Akteneinsichtsgesuche an die Staatsanwaltschaft gerichtet hatte. Erneute Akteneinsichtsgesuche der Dienststelle vom November 2009 und Januar 2010 lehnte die Staatsanwaltschaft mit Hinweis auf die noch umfangreichen, bis voraussichtlich Juni 2010 andauernden Ermittlungen ab.

5 Ab April 2010 übertrug die DB Netz AG unter vorheriger Aufhebung des Hausverbots dem Beklagten eine Tätigkeit am Standort der Produktionsdurchführung ..., wenige Monate später die eines "Bezirksleiters Oberbau ...". Ab September 2010 erhielt er die Anlagenverantwortung in der Produktionsdurchführung ..., Fachlinie ..., im Instandhaltungsbezirk ...

6 Nachdem der Dienststelle seitens der Staatsanwaltschaft auch Einsicht in die Ermittlungsakten in dem (weiteren) gegen den Beklagten geführten Ermittlungsverfahren wegen Vorteilsannahme (Az. ...) gewährt worden war, leitete die Klägerin unter dem 2. Mai 2011 ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein, das sie bis zum Abschluss des Strafverfahrens vorübergehend aussetzte. Mit Verfügung vom 20. Mai 2011 wurde der Beklagte vorläufig des Dienstes enthoben. Nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Beklagten wegen Vorteilsannahme (Az. ...) im November 2011 führte die Klägerin im März 2012 das Disziplinarverfahren fort und dehnte es im Juni 2013 wegen weiterer Vorwürfe aus. Am 3. Dezember 2014 erhob die Klägerin Disziplinarklage.

7 Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten mit Urteil vom Juni 2018 das Ruhegehalt aberkannt. Das Oberverwaltungsgericht hat dessen Berufung nach Beschränkung des Disziplinarverfahrens mit Urteil vom April 2022 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das behördliche Disziplinarverfahren weise keine wesentlichen Mängel auf. Eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor Erhebung der Disziplinarklage sei nicht erforderlich gewesen, weil sich der Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits im Ruhestand befunden habe. Der Beklagte habe ein aus mehreren Pflichtverletzungen bestehendes, einheitlich zu würdigendes innerdienstliches Dienstvergehen begangen. Dieses habe die Entgegennahme von Gehaltszahlungen der Fa. ... Gleis- und Tiefbau GmbH & Co. KG während des Zeitraums 2003 bis 2007 zum Gegenstand gehabt, wobei zwischen Leistung und Gegenleistung - der Durchführung von Schulungen zu Unfallverhütungsvorschriften - ein erhebliches Ungleichgewicht bestanden habe. Außerdem falle ihm zur Last die Nutzung der Firmenfahrzeuge der Fa. ... Gleis- und Tiefbau GmbH & Co. KG während des Zeitraums 1996 bis 15. Februar 2001 sowie im Zeitraum vom 16. März 2001 bis zum 13. März 2007 unter Freihaltung sämtlicher hiermit verbundener Betriebskosten seitens dieser Firma und die Nutzung einer Firmentankkarte. Darüber hinaus sei dem Beklagten vorzuwerfen die Annahme von zwei Fahrrädern im Wert von insgesamt 880 € im Jahr 2004 zulasten der Fa. ... Logistik GmbH sowie die Annahme und Nutzung einer europaweit gültigen Firmentankkarte dieser Firma im Zeitraum 2003 bis 2008, wodurch er geldwerte Vorteile in Höhe von insgesamt 14 553,58 € erlangt habe. Schließlich zähle hierzu die Annahme und Nutzung einer Handy-Sim-Karte der Fa. ... GmbH & Co. KG im Zeitraum November 2004 bis März 2007, wodurch der Beklagte geldwerte Vorteile in Höhe von 2 325,55 € erlangt habe.

8 Der Beklagte habe vorsätzlich und schuldhaft gegen das Verbot der Vorteilsannahme, seine Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung sowie seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verstoßen. Da er - stünde er noch im aktiven Dienst - aufgrund seines Fehlverhaltens aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden müsste, führe das Dienstvergehen bei ihm als Ruhestandsbeamten zur Aberkennung des Ruhegehalts. Der Beklagte habe ein schweres Dienstvergehen begangen. Dem nach der Schwere des Dienstvergehens damit grundsätzlich eröffneten Maßnahmenrahmen bis hin zur Höchstmaßnahme stünden keine Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beklagten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung entgegen, die die Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme rechtfertigten. Anerkannte Milderungsgründe lägen ebenso wenig vor wie sonstige mildernde Umstände. Insbesondere spreche die Weiterbeschäftigung des Beklagten nach Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht für das Fortbestehen eines Restvertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, weil er bereits kurz nach Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes enthoben worden sei. Die Dauer des Disziplinarverfahrens führe nicht dazu, dass von der Höchstmaßnahme abzusehen sei.

9 Der Beklagte trägt zur Begründung der vom Senat zugelassenen Revision im Wesentlichen vor: Auch bei Ruhestandsbeamten müsse vor Abschluss des Disziplinarverfahrens die Schwerbehindertenvertretung angehört werden. Dies sei rechtsfehlerhaft unterblieben. Das Beteiligungserfordernis ergebe sich auch aus Unionsrecht, weil Ziel der Aberkennung des Ruhegehalts die "Entlassung" des Ruhestandsbeamten und die Aberkennung des Arbeitsentgelts in Gestalt des erdienten Ruhegehalts sei. Die Bemessungsentscheidung sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft, insbesondere habe das Berufungsgericht die überlange Dauer des Disziplinarverfahrens nicht maßnahmemildernd berücksichtigt.

10 Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. April 2022 und des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 27. Juni 2018 aufzuheben und die Disziplinarklage abzuweisen.

11 Die Klägerin verteidigt das angegriffene Berufungsurteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12 Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich in Abstimmung mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat an dem Verfahren. Sie trägt vor, der Gesetzgeber habe die Rechtsfolgen einer unangemessen langen Verfahrensdauer in den §§ 198 ff. GVG abschließend geregelt.

II

13 Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht (§ 69 BDG i. V. m. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die unterbliebene Anhörung der Schwerbehindertenvertretung nach Maßgabe des auf den vorliegenden Fall anwendbaren § 95 Abs. 2 Satz 1 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606 - SGB IX a. F.) keinen wesentlichen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens darstellt (1.). Dem Berufungsgericht sind auch in der Sachprüfung keine revisionsrechtlich bedeutsamen Rechtsfehler unterlaufen (2.).

14 1. Ein wesentlicher Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens i. S. d. § 55 des Bundesdisziplinargesetzes (BDG a. F.) i. d. F. der Bekanntmachung vom 9. Juli 2001 (BGBl. I S. 1510) liegt nicht vor. Eine Verpflichtung des Dienstherrn zur Anhörung der Schwerbehindertenvertretung besteht nicht, wenn der schwerbehinderte Beamte bereits vor Erhebung der Disziplinarklage in den Ruhestand eingetreten ist. Eine solche Verpflichtung ergibt sich weder aus innerstaatlichem (a) noch aus Unionsrecht (b).

15 a) Einer Anhörung der Schwerbehindertenvertretung bedurfte es vor Erhebung der Disziplinarklage nicht, weil § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a. F. – ebenso wie der an seine Stelle getretene § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in der aktuell gültigen Fassung vom 9. Juni 2021 (BGBl. I S. 1614) – nur aktive Beamtenverhältnisse erfasst und demnach auf Ruhestandsbeamte nicht anwendbar ist.

16 Nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a. F. hat der Arbeitgeber bzw. Dienstherr (vgl. § 71 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX a. F.) die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Die Norm ist Teil des in § 99 Abs. 1 SGB IX a. F. verankerten Grundsatzes der engen Zusammenarbeit von Arbeitgeber, Schwerbehindertenvertretung und Betriebs- oder Personalrat, um die Teilhabechancen schwerbehinderter Menschen sicherzustellen (vgl. BAG, Beschluss vom 17. August 2010 ‌- 9 ABR 83/09 - juris Rn. 16). Die Schwerbehindertenvertretung soll an der Willensbildung des Arbeitgebers bzw. Dienstherrn mitwirken (vgl. BAG, Urteil vom 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 - juris Rn. 35; Beschluss vom 24. Februar 2021 ‌- 7 ABR 9/20 - juris Rn. 28). Die Pflicht zur Anhörung der Schwerbehindertenvertretung setzt aber voraus, dass deren Aufgabenbereich durch die vom Dienstherrn beabsichtigte Maßnahme berührt wird.

17 Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung bestehen darin, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle zu fördern, ihre Interessen in dem Betrieb oder der Dienststelle zu vertreten und ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a. F.). Sie erstrecken sich nicht auf die Erhebung einer Disziplinarklage gegen einen sich bereits im Ruhestand befindenden Beamten.

18 aa) Dass die Aufzählung in § 95 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 SGB IX eine Betriebs- bzw. Dienststellenbezogenheit nicht aufweist, ist ihrem Charakter als Generalklausel geschuldet (vgl. Pahlen, in: Neumann/​Pahlen/​Greiner/​Winkler/​Westphal/‌Krohne, SGB IX, 15. Aufl. 2024, § 178 Rn. 2a). Die Formulierung kann entgegen der Auffassung des Beklagten nicht dahingehend verstanden werden, dass die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung über das Ende des Beschäftigungs- bzw. des aktiven Beamtenverhältnisses hinausreichten.

19 Aus der vom Beklagten zitierten Rechtsprechung (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 26. September 2018 - 14 MB 1/18 - juris Rn. 5; VGH München, Beschluss vom 21. August 2019 - 16a DS 19.388 - juris Rn. 3) ergibt sich nichts anderes. Gegenstand dieser Entscheidungen waren vorläufige Dienstenthebungen und damit disziplinarische Maßnahmen, die den Beamten noch im aktiven Beamtenverhältnis "treffen" ohne es zu beenden. Denn die vorläufige Dienstenthebung führt nur zum Ruhen der aktiven Dienstleistungspflicht des Betroffenen, der Beamtenstatus mit seinen übrigen Rechten und Pflichten bleibt hingegen unberührt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 2023 - 2 B 39.22 - juris Rn. 14). Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung gelten folglich nur für Maßnahmen, die das aktive Beamtenverhältnis betreffen und sich noch während der aktiven Dienstzeit des Beamten auswirken können (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 19. Juni 1995 - DH 1836/91 - juris Rn. 20 zum wortlautgleichen § 25 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft [Schwerbehindertengesetz - SchwbG] i. d. F. der Bekanntmachung vom 26. August 1986 [BGBl. I S. 1421]).

20 bb) Die Gesetzeshistorie bestätigt dieses Verständnis.

21 Zwar hat sich der Fokus des (vor- wie nachkonstitutionellen) Gesetzgebers in Bezug auf den zu fördernden Personenkreis von den Kriegsbeschädigten (vgl. § 3 des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 6. April 1920, RGBl. 1920, 458 und RT-Drs. I/1750 S. 1781) zum (schwer-)behinderten Menschen i. S. d. § 2 SGB IX über die Jahrzehnte gewandelt und geweitet. Ziel der gesetzgeberischen Bemühungen war jedoch von Beginn an, eine Eingliederung in das Arbeitsleben und eine dauerhafte Beschäftigung zu ermöglichen (vgl. RT-Drs. I/1750 S. 1781, BT-Drs. 1/3430 S. 16, 19, BT-Drs. 10/3138 S. 14). Schon frühzeitig wurde dabei die besondere Schutzbedürftigkeit von schwerbehinderten Menschen bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt (RT-Drs. I/2422 S. 2609); sie kommt aktuell in den §§ 168 f., § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in besonderer Weise zum Ausdruck (vgl. BT-Drs. 18/10523 S. 67).

22 Bei der Umsetzung der gesetzgeberischen Ziele wurde zunächst dem "Vertrauensmann", später der dessen Aufgabe fortführenden Schwerbehindertenvertretung eine stets wachsende Bedeutung zugemessen (vgl. etwa RT-Drs. I/5295 S. 12, BT-Drs. 7/656 S. 2, 21, BT-Drs. 15/1783 S. 10). Das Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis markiert dabei nicht nur den Ausgangspunkt der gesetzgeberischen Betätigung, sondern setzt zugleich Grenzen bei der Anwendung und Reichweite des Gesetzes. Dies gilt gerade auch für den Vertrauensmann (und diesem nachfolgend die Schwerbehindertenvertretung) "als Vertreter der Gruppen- und Einzelinteressen der Schwerbehinderten in Angelegenheiten, die mit der Beschäftigung zusammenhängen" (BT-Drs. 7/656 S. 32).

23 cc) Die Einbettung des § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in das bestehende Normgefüge lässt ein abweichendes Ergebnis ebenfalls nicht zu.

24 Die notwendige Verknüpfung zum Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis manifestiert sich u. a. auch in § 94 SGB IX a. F. (§ 177 SGB IX / vormals § 24 SchwbG), der die Wahlberechtigung (Abs. 2), die Wählbarkeit (Abs. 3 Satz 1) und den Fortbestand des Amtes (Abs. 7 Satz 3 bzw. § 24 Abs. 8 Satz 3 SchwbG) an das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses knüpft. Auch hängt die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung davon ab, dass in der Dienststelle "wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind" (Abs. 1 Satz 1). Schwerbehinderte Personen im Ruhestand lösen die Pflicht zur Einrichtung einer Schwerbehindertenvertretung folglich nicht aus. Zudem sieht § 99 Abs. 1 SGB IX a. F. (§ 182 Abs. 1 SGB IX / vormals § 29 Abs. 1 SchwbG) vor, dass u. a. Arbeitgeber und Schwerbehindertenvertretung zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben in dem Betrieb oder der Dienststelle eng zusammenarbeiten.

25 Überdies setzen sowohl die Beteiligungsrechte der Gleichstellungsbeauftragten (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 62.11 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 19 Rn. 20) als auch des Personalrats (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 6 P 8.01 - BVerwGE 116, 242 Rn. 11 und vom 28. Januar 2015 ‌- 2 B 15.14 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 11 Rn. 10) eine Eingliederung des Beamten in die Dienststelle und demzufolge das Bestehen eines aktiven Beamtenverhältnisses voraus.

26 b) Auch Unionsrecht gebietet eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung bei Ruhestandsbeamten vor Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht. Die Richtlinie des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 S. 16 - RL 2000/78/EG) ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

27 Nach deren Erwägungsgrund 37 ist Ziel der Richtlinie die Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen in der Gemeinschaft bezüglich der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, nach Art. 1 RL 2000/78/EG besteht es in der "Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen (...) Behinderung (...) in Beschäftigung und Beruf". Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG gilt die Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 - 2 C 11.16 - BVerwGE 158, 344 Rn. 31).

28 Die Richtlinie erfasst folglich auch den Zeitpunkt des "Ausscheidens" aus dem Beschäftigungsverhältnis. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union beinhaltet der Begriff "Entlassung" u. a. die einseitige Beendigung jeder in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a RL 2000/78/EG genannten Erwerbstätigkeit. Dies beinhaltet jede vom Arbeitnehmer nicht gewollte, also ohne seine Zustimmung erfolgte Beendigung des Arbeitsvertrags (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Januar 2024 - C-631/22 - juris Rn. 36; s. a. Urteil vom 12. Januar 2023 ‌- C-356/21 - juris Rn. 62).

29 Das (aktive) Beamtenverhältnis endet - soweit hier von Relevanz - nach § 30 Nr. 4 Alt. 1 BBG durch Eintritt in den Ruhestand, vergleichbar einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Erreichen der Regelaltersgrenze (vgl. § 35 SGB VI). Hierzu ist es beim Beklagten mit Ablauf des Mai 2014 und damit vor Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens durch Erhebung der Disziplinarklage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 2009 - 2 AV 3.09 - juris Rn. 3) gekommen. An den Kriterien einer Entlassung i. S. d. Richtlinie fehlt es in diesem Fall. Die Parallele zur Entlassung i. S. d. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a RL 2000/78/EG stellt vielmehr die Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis dar, weil hierbei das Beamtenverhältnis aufgrund aktiven Zutuns des Dienstherrn gegen den Willen des Beamten beendet wird. Letzteres gilt zwar auch für die Aberkennung des Ruhegehalts, eine weitere "Entlassung" scheidet jedoch aus, wenn Dienst- oder Beamtenverhältnis bereits beendet sind.

30 Die maßgebliche Zäsur ist dabei im Übergang vom aktiven in das passive Beamtenverhältnis zu sehen, weil der Beamte hierdurch von seiner Dienstleistungspflicht befreit wird (vgl. zu Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 2 C 10.12 - Buchholz 232.3 § 1 EUrlV Nr. 1 Rn. 12 und vom 19. November 2015 - 2 C 3.15 - Buchholz 232.01 § 44 BeamtStG Nr. 1 Rn. 14; s. a. BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2014 - 2 C 23.13 - BVerwGE 150, 153 Rn. 24 und vom 4. Mai 2017 - 2 C 45.16 - Buchholz 232.01 § 41 BeamtStG Nr. 2 Rn. 11).

31 Demnach lag ab Juni 2014 auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten kein Arbeitsverhältnis mehr vor, dessen wesentliches Merkmal darin besteht, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. EuGH, Urteile vom 3. Mai 2012 - C-337/10 - juris Rn. 23 und vom 19. Juli 2017 ‌- C-143/16 - juris Rn. 19). Die Tatsache, dass Dienstherr und Beamter auch über die Beendigung des aktiven Beamtenverhältnisses hinaus - insoweit anders als Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses - einander verbunden bleiben, darf nicht den Blick dafür verstellen, dass sich der Regelungshorizont der Richtlinie an "Beschäftigung und Beruf" orientiert. Dem steht die vom Beklagten zitierte Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 19. September 2018 - C-312/17 - juris) nicht entgegen. Die dem Kläger des dortigen Verfahrens gewährte Überbrückungsbeihilfe verfolgte - anders als dies bei der Gewährung von Ruhegehalt der Fall ist (vgl. § 4 BeamtVG) – u. a. das Ziel, einen Anreiz zur Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses zu schaffen. Zudem ist die "Entlassung" des Beklagten i. S. d. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a RL 2000/78/EG bereits mit dessen Eintritt in den Ruhestand erfolgt, mit dem die (dauerhafte) Befreiung des Beklagten von der Dienstleistungspflicht einherging.

32 Mangels Anwendbarkeit der RL 2000/78/EG besteht für die vom Beklagten angeregte Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV kein Anlass.

33 2. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht entschieden, dass das Dienstvergehen des Beklagten mit der Aberkennung des Ruhegehalts zu ahnden ist (a). Die Bemessungsentscheidung entspricht den gesetzlichen Vorgaben des § 13 Abs. 1 und 2 BDG a. F. (b). Insbesondere hat das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen revisibles Recht angenommen, dass die überlange Dauer des Disziplinarverfahrens auch bei Ruhestandsbeamten nicht maßnahmemildernd zu berücksichtigen ist (c).

34 a) Das von dem Beklagten vorsätzlich und schuldhaft begangene innerdienstliche Dienstvergehen rechtfertigt nach Art und Schwere die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme. Hiergegen wendet sich auch die Revision nicht.

35 b) Die Bemessungsentscheidung des Berufungsgerichts lässt revisionsrechtlich bedeutsame Rechtsfehler nicht erkennen.

36 Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG a. F. nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten. Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt die Verpflichtung, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt worden ist. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Sicherung der Funktion des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 ff.>, vom 3. Mai 2007 - 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 16 ff., vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - juris Rn. 71 m. w. N., vom 2. Dezember 2021 - 2 A 7.21 - BVerwGE 174, 219 Rn. 46, vom 28. September 2022 - 2 A 17.21 - Buchholz 232.0 § 61 BBG 2009 Nr. 3 Rn. 104 und vom 2. März 2023 ‌- 2 A 19.21 - juris Rn. 42). Demnach ist ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG a. F. aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 BDG a. F.).

37 Bei der Gesamtwürdigung sind die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen nach Maßgabe des § 58 Abs. 1 BDG a. F. zu ermitteln und mit dem ihnen zukommendem Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG a. F. richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG a. F. aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - juris Rn. 72 f. m. w. N., vom 2. Dezember 2021 - 2 A 7.21 -‌ BVerwGE 174, 219 Rn. 47, vom 28. September 2022 - 2 A 17.21 - Buchholz 232.0 § 61 BBG 2009 Nr. 3 Rn. 105 und vom 2. März 2023 - 2 A 19.21 - juris Rn. 43).

38 Das Berufungsgericht hat die dargestellten Grundsätze der Maßnahmebemessung nach § 13 BDG a. F. beachtet (aa). Rechtsfehlerfrei hat es der Weiterbeschäftigung des Beklagten keine maßnahmemildernde Wirkung beigemessen (bb). Ohne Auswirkungen auf die Bemessungsentscheidung bleibt, dass das Berufungsgericht in der "verspäteten" Einleitung des Disziplinarverfahrens keinen eigenständigen Milderungsgrund erkannt hat (cc).

39 aa) Das Berufungsgericht hat sich zwar zunächst begrifflich an der Figur der "Regeleinstufung" orientiert, die vom Senat ausdrücklich aufgegeben worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 C 6.14 - BVerwGE 154, 10 Rn. 19; Beschluss vom 30. März 2022 - 2 B 46.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 55 Rn. 16). An einem beachtlichen Rechtsverstoß fehlt es jedoch, weil das Berufungsgericht im Folgenden auch aufgrund der Umstände des Einzelfalls ein schweres Dienstvergehen angenommen hat, das den disziplinaren Maßnahmerahmen bis zur Höchstmaßnahme eröffnet, der mangels Vorliegen "anerkannter" Entlastungs- und Milderungsgründe oder sonstiger mildernder Umstände von beachtlichem Gewicht auszuschöpfen ist. Das Berufungsgericht ist damit, entgegen der Auffassung des Beklagten, gerade nicht im Sinne eines Automatismus davon ausgegangen, dass bei schweren Dienstvergehen "stets" die disziplinare Höchstmaßnahme zu verhängen ist.

40 bb) Im Rahmen seiner Bemessungsentscheidung hat das Berufungsgericht zudem berücksichtigt, dass sich die Weiterbeschäftigung eines Beamten nach Aufdeckung eines Dienstvergehens grundsätzlich nicht maßnahmemildernd auswirkt. Denn die Entscheidung des Dienstherrn zur Weiterbeschäftigung kann auf Umständen beruhen, die für die vom Gericht zu bestimmende Maßnahme nicht von Bedeutung sind. Insbesondere kann sich der Dienstherr aus finanziellen Gründen für eine Weiterbeschäftigung entschieden haben, weil der Beamte auch während des laufenden Verfahrens weiterhin alimentiert wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. September 2017 - 2 B 6.17 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 45 Rn. 7 m. w. N.). Auch unterliegen die Entscheidung über die Weiterbeschäftigung eines Beamten und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme - insbesondere im Hinblick auf die gerichtliche Disziplinarbefugnis - typischerweise unterschiedlichen Zuständigkeiten.

41 Die Weiterbeschäftigung des Beklagten erfolgte ab April 2010, die Staatsanwaltschaft gewährte der Klägerin jedoch erst im Dezember 2010 Einsicht in die Ermittlungsakte zu dem den Beklagten betreffenden Verfahren ..., das den Vorwurf der unberechtigten Nutzung eines Firmenfahrzeugs nebst Tankkarte zulasten der Fa. ... Gleis- und Tiefbau GmbH & Co KG zum Gegenstand hatte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt die Klägerin zu diesem Zeitpunkt erstmals vollständig Kenntnis von Inhalt und Ausmaß des möglichen Fehlverhaltens des Beklagten.

42 Fehl geht vor diesem Hintergrund der Einwand des Beklagten, das Disziplinarverfahren sei bereits zu einem früheren Zeitpunkt einzuleiten gewesen, weil die Klägerin spätestens 2009 vollständig Kenntnis von dem möglichen Fehlverhalten gehabt habe. Auch musste das Berufungsgericht den Beklagten insoweit nicht vorab auf die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2018 - 5 C 4.17 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 147 Rn. 22; Beschluss vom 27. Juni 2022 - 8 B 40.21 - juris Rn. 3).

43 Der Akteneinsicht im Dezember 2010 schloss sich bereits am 4. Mai 2011 die Einleitung des Disziplinarverfahrens und unter dem 20. Mai 2011 die vorläufige Dienstenthebung des Beklagten an. Damit endete die zuvor in Lauf gesetzte Weiterbeschäftigung. Das Berufungsgericht hat die Weiterbeschäftigung des Beklagten im Zeitraum April 2010 bis Mai 2011 auch nicht unberücksichtigt gelassen, sondern ihr lediglich keine maßnahmemildernde Wirkung beigemessen. Ein atypischer Fall, der bei der Maßnahmebemessung ausnahmsweise mildernd zu berücksichtigen sein könnte, ist nicht gegeben.

44 cc) Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass die verspätete Einleitung eines Disziplinarverfahrens einen eigenständigen Milderungsgrund darstellen kann. Dies wirkt sich im vorliegenden Fall jedoch nicht aus.

45 Verzögert der Dienstvorgesetzte die Einleitung des Disziplinarverfahrens, so kann dies bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme als mildernder Umstand berücksichtigt werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die verzögerte Einleitung für das weitere Fehlverhalten des Beamten ursächlich war (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2018 - 2 C 60.17 - BVerwGE 163, 356 Rn. 21; Beschlüsse vom 18. November 2008 - 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 11 ff., vom 14. Januar 2021 - 2 B 66.20 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 83 Rn. 56 und vom 23. Juni 2022 ‌- 2 B 38.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 56 Rn. 12; s. a. Beschluss vom 10. Januar 2024 - 2 B 16.23 - juris Rn. 10).

46 Hinsichtlich der Frage, ob die Einleitung des Disziplinarverfahrens verspätet erfolgt ist, hat sich das Berufungsgericht nicht abschließend festgelegt. Es hat lediglich ausgeführt, dass "auch der Umstand, dass das Disziplinarverfahren (erst) mit Verfügung vom 2. Mai 2014 (gemeint ist der 2. Mai 2011) eingeleitet worden" sei, nicht dazu führe, dass von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme abgesehen werden müsse. Hieran schließen sich alleine Erwägungen zur Bedeutung der überlangen Dauer des Disziplinarverfahrens an.

47 Dies bewirkt jedoch nicht die Rechtsfehlerhaftigkeit der Bemessungsentscheidung des Berufungsgerichts. Denn der Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens war für das (weitere) Fehlverhalten des Beklagten nicht ursächlich. Aus den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht nur, dass die Klägerin erstmals im Dezember 2010 vollständige Kenntnis von Inhalt und Ausmaß des möglichen Fehlverhaltens des Beklagten hatte, woraufhin sie im Mai 2011 das Disziplinarverfahren eingeleitet hat. Das Berufungsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass der Beklagte (nur) bis ins Jahr 2008 eine Firmentankkarte benutzt hat. Im Revisionsverfahren hat der Beklagte den Zeitpunkt der "Vollendung des Dienstvergehens" mit "spätestens im Februar 2008" angegeben. Ausgehend von dem nach den Feststellungen des Berufungsgerichts maßgeblichen Zeitpunkt Dezember 2010 kam es nicht zu einem weiteren Fehlverhalten des Beklagten. Selbst wenn man zugunsten des Beklagten annähme, dass der Klägerin bereits aufgrund der Durchsuchungen im Dezember 2008 zureichende tatsächliche Anhaltspunkte i. S. d. § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG vorlagen, die sie zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens verpflichteten, änderte dies nichts an der fehlenden Kausalität zwischen der (in diesem Fall) verspäteten Einleitung des Disziplinarverfahrens und dem bereits im Februar, spätestens jedoch Dezember 2008 beendeten Fehlverhalten des Beklagten.

48 c) Die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens rechtfertigt es nicht, von der Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen, wenn diese Maßnahme disziplinarrechtlich geboten ist. Gegenteiliges ergibt sich weder aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - i. d. F. der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II S. 1198 -, <aa>) noch aus Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - GRC - vom 12. Dezember 2007 (ABl. EU 2007 Nr. C 303 S. 1 -, <bb>). Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen führt zu keinem anderen Ergebnis (cc).

49 aa) Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK stellt bei der Aberkennung des Ruhegehalts keinen bemessungsrelevanten Umstand dar.

50 Ist ein Beamter wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens im öffentlichen Dienst untragbar geworden, so kann er nicht deshalb Beamter bleiben, weil das Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. In diesem Fall lässt sich die Anerkennung eines Milderungsgrundes der überlangen Verfahrensdauer nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis vereinbaren. Das von den Beamten durch sein Dienstvergehen zerstörte Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung wiederhergestellt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 44 ff. und vom 17. November 2017 - 2 C 25.17 - BVerwGE 160, 370 Rn. 92 f.; Beschlüsse vom 1. Juni 2012 - 2 B 123.11 -‌ juris Rn. 6, vom 12. Juli 2018 - 2 B 1.18 - Buchholz 235.1 § 38 BDG Nr. 1 Rn. 10, vom 16. August 2021 - 2 B 21.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 53 Rn. 21, vom 23. Juni 2022 - 2 B 38.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 56 Rn. 7 ff. und vom 7. August 2024 - 2 B 10.24 - juris Rn. 11).

51 Nichts anderes folgt aus dem in Disziplinarverfahren anwendbaren (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - Nr. 8453/04, Bayer/​Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 39) Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Danach hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Die Angemessenheit ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens des Beamten, der Vorgehensweise der Behörden und Gerichte sowie der Bedeutung des Verfahrens für den Beamten zu beantworten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2012 - 2 B 123.11 - juris Rn. 9). Ausgehend hiervon kann die Dauer des Disziplinarverfahrens, das im Mai 2011 seinen Anfang genommen hat, trotz der erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen und der Einvernahme einer Vielzahl von Zeugen nicht mehr als angemessen bezeichnet werden.

52 Ungeachtet dessen hat eine unangemessen lange Verfahrensdauer i. S. d. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK jedoch nicht zur Folge, dass dem Betroffenen eine Rechtsstellung eingeräumt werden muss, die im Widerspruch zu dem entscheidungserheblichen innerstaatlichen materiellen Recht steht. Vielmehr kann die unangemessene Verfahrensdauer für den Ausgang des zu lange dauernden Rechtsstreits nur dann zugunsten des Betroffenen berücksichtigt werden, wenn das innerstaatliche Recht dies vorsieht oder zulässt. Ob diese Möglichkeit besteht, ist durch die Auslegung der einschlägigen materiell-rechtlichen Bestimmungen zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. Mai 2012 - 2 B 3.12 - juris Rn. 12, vom 1. Juni 2012 - 2 B 123.11 - juris Rn. 10 und vom 17. Juli 2013 - 2 B 27.12 -‌ juris Rn. 6).

53 Der Bundesgesetzgeber hat die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK wegen unangemessen langer Verfahrensdauer in den §§ 198 ff. GVG eigenständig geregelt. Diese Bestimmungen gelten nach § 173 Satz 2 VwGO, § 3 BDG auch für verwaltungsgerichtliche Verfahren (vgl. Art. 1 und Art. 8 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 <BGBl. I S. 2302>). Der Bundesgesetzgeber hat aber davon abgesehen, einen inhaltlichen Bezug zwischen der unangemessenen Dauer des Verfahrens und den geltend gemachten materiell-rechtlichen Positionen herzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 51, Beschlüsse vom 16. Mai 2012 - 2 B 3.12 - juris Rn. 14, vom 1. Juni 2012 - 2 B 123.11 - juris Rn. 12 und vom 23. Juni 2022 - 2 B 38.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 56 Rn. 7).

54 Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der die Möglichkeit der Geltendmachung einer finanziellen Wiedergutmachung als angemessene Verfahrensgestaltung zur Gewährung einer gerechten Entschädigung anerkannt (vgl. EGMR, Urteile vom 29. Mai 2012 ‌- Nr. 53126/07, Taron/​Deutschland - NVwZ 2013, 47 Rn. 40 und vom 6. Oktober 2016 - Nr. 23280/08 u. a., Moog/​Deutschland - NJW 2017, 3699 Rn. 100) und vor Inkrafttreten der §§ 198 ff. GVG im Übrigen selbst nur eine finanzielle Entschädigung für die immateriellen Schäden aus der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zugesprochen hat (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 ‌- Nr. 8453/04, Bayer/​Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 62).

55 Die auf die Entfernung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis bezogenen Grundsätze und die Beurteilung der Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gelten in gleicher Weise, wenn - wie hier - die angemessene Disziplinarmaßnahme in der Aberkennung des Ruhegehalts besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 62.11 - juris Rn. 59; Beschlüsse vom 1. Juni 2012 ‌- 2 B 123.11 - juris Rn. 8 und vom 23. Juni 2022 - 2 B 38.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 56 Rn. 7, 9; s. a. BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2014 - 2 B 66.14 - juris Rn. 9; BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 - 2 BvR 1912/12 - juris Rn. 6). Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass die aus dem Verfahren herrührenden Belastungen den Ruhestandsbeamten nicht in gleicher Weise und Intensität wie einen aktiven Beamten treffen. Dies folgt zunächst daraus, dass eine Beschränkung der Dienstausübung eines Ruhestandsbeamten nicht mehr stattfinden und damit auch die mit einem Disziplinarverfahren einhergehende Wirkung jedenfalls keine innerdienstlichen Folgen zeitigen kann. Damit ist auch die "stigmatisierende Wirkung" eines laufenden Disziplinarverfahrens im Kollegenkreis begrenzt.

56 Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, von der ständigen Rechtsprechung des Senats abzuweichen. Der Einwand des Beklagten, weder der Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums noch die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung geböten, auf die Aberkennung des Ruhegehalts zu erkennen, weil Ruhestandsbeamte keine Funktion erfüllten und keine hoheitlichen Befugnisse ausübten, geht fehl.

57 Nach § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG a. F. wird dem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen. Dies erfordert eine fiktive Vergleichsbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 62.11 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 19 Rn. 37; VGH München, Urteile vom 21. September 2022 ‌- 16a D 20.885 - juris Rn. 64 und vom 20. März 2024 - 16a D 23.143 - juris Rn. 42; Gansen, in: ders., Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand November 2023, § 13 BDG Rn. 85; s. a. Weiß, in: GKÖD, Stand April 2020, § 13 BDG Rn. 136). Für die Frage der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und der Integrität des Berufsbeamtentums ist aufgrund der vom Gesetzgeber angeordneten Gleichbewertung mithin ohne Belang, dass ein Ruhestandsbeamter von der Dienstverpflichtung befreit ist und eine Beeinträchtigung des Dienstbetriebs folglich ausgeschlossen ist.

58 Sinn und Zweck des § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG a. F. (s. a. § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG) ist es, eine gleichmäßige Sanktionierung für im aktiven Dienst begangene schwere Dienstvergehen sicherzustellen. Denn der disziplinarrechtlich gebotene Verlust der Beamtenrechte wegen eines besonders schweren Dienstvergehens soll nicht davon abhängen, ob sich der Beamte bei rechtskräftigem Abschluss des Straf- oder Disziplinarverfahrens noch im aktiven Dienst befindet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 B 23.13 - juris Rn. 12 f.). Andernfalls wäre ausschlaggebend für die disziplinarische Ahndung eines Dienstvergehens das mehr oder weniger zufällige oder gar gesteuerte Ausscheiden aus dem aktiven Dienst (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1999 - 1 D 34.97 - juris Rn. 16; Beschluss vom 1. März 2012 - 2 B 140.11 - juris Rn. 6 m. w. N.).

59 Demgegenüber hat der Gesetzgeber der Tatsache, dass Ruhestandsbeamte nicht mehr im Dienst als Repräsentanten des Staates oder einer Gemeinde auftreten und keine beamtenrechtlichen Pflichten verletzen können, die die Dienstausübung betreffen, dadurch Rechnung getragen, dass Ruhestandsbeamte nur noch wegen schwerwiegender Verstöße gegen die Rechtsordnung oder gegen im Ruhestand fortwirkende Beamtenpflichten disziplinarisch belangt werden können (vgl. § 77 Abs. 2 BBG, § 47 Abs. 2 BeamtStG, § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG), wenn sie diese im Ruhestand begangen haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 B 23.13 - juris Rn. 14).

60 bb) Die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens stellt auch im Hinblick auf Art. 47 Abs. 2 Satz 1 GRC keinen bemessungsrelevanten Umstand dar, der das Disziplinargericht berechtigt, von der gebotenen Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen.

61 (1) Nach Art. 47 Abs. 2 Satz 1 GRC hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Art. 47 Abs. 2 Satz 1 GRC entspricht Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK (vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. EU 2007 Nr. C 303 S. 30). Hiervon zeugt nicht nur dessen Wortlaut, sondern in gleicher Weise die Verortung in Titel VI "Justizielle Rechte". Zudem bestimmt Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRC, dass die in der Charta enthaltenen Rechte, soweit sie den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Bei der Auslegung von Art. 47 Abs. 2 GRC ist ein Schutzniveau zu gewährleisten, das das in Art. 6 Abs. 1 EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte garantierte Schutzniveau nicht verletzt (vgl. EuGH, Urteile vom 29. Juli 2019 - C-38.18 - juris Rn. 38 und vom 29. März 2022 - C-132/20 - juris Rn. 116).

62 Die Anwendbarkeit des Art. 47 Abs. 2 Satz 1 GRC steht nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC jedoch unter dem Vorbehalt, dass die "Durchführung des Rechts der Union" in Rede steht (vgl. EuGH, Urteile vom 26. Februar 2013 - C-617/10 - ‌juris Rn. 19 ff., vom 14. September 2023 - C-27/22 - juris Rn. 36 und vom 12. September 2024 - C-352/23 - juris Rn. 63; s. a. BVerfG, Urteil vom 24. April 2013 ‌- 1 BvR 1215/07 - BVerfGE 133, 277 <316 Rn. 91>; Beschluss vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - BVerfGE 152, 152 <169 Rn. 43>). Hieran fehlt es jedoch, weil die RL 2000/78/EG auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

63 (2) Unabhängig davon sieht auch der Gerichtshof der Europäischen Union in der Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist keinen Grund für eine Nichtbeachtung materieller Rechtsvorgaben (vgl. EuGH, Urteile vom 16. Juli 2009 - C-385/07 P - juris Rn. 194 und vom 19. Juni 2014 - C-243/12 P - juris Rn. 134). Folge eines Verstoßes gegen die aus Art. 47 Abs. 2 Satz 1 GRC folgende Pflicht zur Entscheidung innerhalb angemessener Frist ist (allein) ein Schadensersatzanspruch, der eigenständig zu verfolgen ist (vgl. EuGH, Urteile vom 26. November 2013 - C-40/12 P - juris Rn. 89 f., vom 2. Oktober 2014 ‌- C-127/13 P - Rn. 64 f., vom 21. Januar 2016 - C-603/13 P - juris Rn. 55 und vom 14. September 2016 - C-519/15 P - juris Rn. 65).

64 Die Überschreitung der angemessenen Dauer des Verfahrens kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hat (vgl. EuGH, Urteile vom 26. November 2013 - C-58/12 P - juris Rn. 73, vom 2. Oktober 2014 - C-127/13 P - juris Rn. 62 und vom 26. Januar 2017 - C-604/13 - juris Rn. 94). Anhaltspunkte hierfür hat der Beklagte mit seinem pauschalen Verweis auf die behauptete und vom Berufungsgericht ausdrücklich offengelassene Demenz eines Zeugen nicht aufgezeigt. Ungeachtet dessen hat das Berufungsgericht bestehende Erinnerungslücken des Zeugen gewürdigt und seine Feststellungen nicht auf dessen Aussage gestützt. Für die streitige Frage, ob dem Beklagten das Firmenfahrzeug und die damit in Zusammenhang stehenden Vergünstigen auf der Grundlage des Arbeitsverhältnisses zur ... Gleis- und Tiefbau GmbH & Co. KG gewährt worden sind, hat es vielmehr ausdrücklich die vom Beklagten vorgetragene Darstellung zugrunde gelegt (UA S. 96), sodass ein Einfluss der Zeugenaussage auf den Ausgang des Rechtsstreits ausgeschlossen ist.

65 cc) Die unterschiedlichen Zwecke von Straf- und Disziplinarrecht schließen eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen zu Fällen unangemessener Verfahrensdauer aus.

66 Während das Strafrecht vom Vergeltungsprinzip mit dem Ziel der individuellen Sühne durch ein Unwerturteil über gemeinschaftswidriges Verhalten und strafrechtliche Sanktionen geprägt ist, verfolgt das Disziplinarverfahren den Zweck, das berufserforderliche Vertrauen in die Beamten und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sicherzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2021 - 2 C 9.21 - BVerwGE 174, 273 Rn. 65; Beschlüsse vom 20. Dezember 2018 - 2 B 33.18 - juris Rn. 6, vom 26. April 2023 - 2 B 41.22 - juris Rn. 15 und vom 9. Januar 2024 - 2 B 34.23 - juris Rn. 13).

67 Hinzukommt, dass die konventionswidrig lange Verfahrensdauer auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keinen selbstständigen Strafmilderungsgrund darstellt und sie sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn als bedeutsamer Umstand ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2023 - 6 StR 517/22 - juris Rn. 9 m. w. N.). Ein Verstoß gegen die Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK wird erst nach der eigentlichen Strafzumessung berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 - juris Rn. 31, 56). Demgegenüber ist ein Beamter, der durch ein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat, für den öffentlichen Dienst untragbar geworden und muss unabhängig von der Verfahrensdauer aus Gründen der Funktionssicherung aus dem Dienst entfernt werden. Da der Umstand, dass sich ein Beamter (zwischenzeitlich) im Ruhestand befindet, keinen Einfluss auf die Bewertung seiner Verfehlungen hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. August 2006 ‌- 2 BvR 1003/05 - juris Rn. 8 f.), kann im Hinblick auf die Aberkennung des Ruhegehalts nichts anderes gelten.

68 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtsgebühren aus dem gesetzlich bestimmten streitwertunabhängigen Gebührenbetrag ergibt (§ 78 Satz 1 BDG i. V. m. Nr. 10 und 30 des Gebührenverzeichnisses der Anlage zu § 78 BDG).