Urteil vom 25.09.2002 -
BVerwG 9 A 10.02ECLI:DE:BVerwG:2002:250902U9A10.02.0
Urteil
BVerwG 9 A 10.02
In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. September 2002
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
H i e n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S t o r o s t , V a l l e n d a r ,
Prof. Dr. R u b e l und Dr. E i c h b e r g e r
für Recht erkannt:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
I
Die Klägerin wendet sich gegen die Planfeststellung für den Neubau der B 101 n (Ortsumgehung Jüterbog).
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Wohnhauses, das östlich unmittelbar an die B 101 (Luckenwalder Straße) angrenzt, die von Norden kommend in den Ortskern von Jüterbog führt, um sich dort und im Süden von Jüterbog mit den Ost-West-Relationen B 102 und B 115 zu verbinden. Die geplante Ortsumgehung Jüterbog beginnt bei der Einmündung der B 102 in die B 101, führt östlich an Jüterbog vorbei, um südlich der Eisenbahnbrücke der Bahnstrecke Jüterbog-Zossen wieder in die B 101 einzumünden. Das Anwesen der Klägerin, an dem die B 101 n östlich in etwa 50 Meter Entfernung vorbeiführt, liegt etwa 150 Meter südlich dieser Einmündung. Etwa 100 Meter südlich des Anwesens wird von der B 101 n eine Querspange in westlicher Richtung abzweigen und die B 101 kreuzen, die als Gemeindestraße zurückgebaut wird. Die Querspange, die an ihren Knotenpunkten (3 und 3 a) mit Lichtzeichenanlagen ausgerüstet wird, soll das östlich gelegene Gewerbegebiet "Luckenwalder Berg" erschließen und den innerörtlichen Verkehr von und nach Jüterbog aufnehmen, der sich auf der alten Trasse bewegt. Nach Norden hin erschließt die alte Trasse das Anwesen der Klägerin und endet in einer Sackgasse.
Die Klägerin erhob zusammen mit ihrem Ehemann im Anhörungsverfahren Einwendungen gegen das Vorhaben.
Insbesondere rügte sie eine höhere Abgasbelastung, die ihre Wohn- und Lebensbedingungen negativ beeinflussen werde.
Im Planfeststellungsbeschluss vom 22. Oktober 2001 wurden zugunsten der Klägerin passiver Lärmschutz und eine Entschädigung für die Lärmbeeinträchtigung des Außenwohnbereichs angeordnet. Darüber hinaus wurde eine "Lärmimmissionsschutzbepflanzung" (Maßnahme M 10 des Landschaftspflegerischen Begleitplans) vorgesehen, die das Anwesen der Klägerin gegenüber der Umgehungsstraße abschirmen soll. Im Übrigen wurden die Einwendungen unter Hinweis auf die Ergebnisse der im Auftrag des Vorhabenträgers durchgeführten Luftschadstoffberechnungen zurückgewiesen. Diese hätten ergeben, dass die zu erwartende Zusatzbelastung im Verhältnis zur Grundbelastung, die sich nicht in einem kritischen Bereich bewege, kaum ins Gewicht fallen werde. Im Übrigen werde die Umgehungsstraße in größerer Entfernung vom Haus vorbeigeführt, so dass die Beeinträchtigungen geringer als ohne den Neubau sein würden. Denn auch ohne den Bau der Umgehungsstraße wäre mit einem Anstieg des Verkehrsaufkommens zu rechnen gewesen.
Die Klägerin hat gegen die Planfeststellung Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Auf der Grundlage der vorliegenden Luftschadstoffberechnungen seien Gesundheitsgefährdungen durch Autoabgase nicht auszuschließen. Die Luftschadstoffberechnungen berücksichtigten nämlich nicht die "Inselsituation", in der sich ihr Anwesen aufgrund der veränderten Verkehrsführung befinden werde. Ebenso wenig erfasse die Prognose mögliche Rückstaus, die im Kreuzungsbereich vor den Lichtzeichenanlagen auftreten könnten. Nicht betrachtet worden sei die Verminderung der Qualität des Bodens, der durch die Einwirkung der Luftschadstoffe eintrete. Insgesamt gesehen leide die planerische Abwägung damit an einem Ermittlungsdefizit. Es hätten ergänzende Untersuchungen angestellt werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss vom 29. Oktober 2001 aufzuheben,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, den Planfeststellungsbeschluss vom 29. Oktober 2001 dahingehend zu ergänzen, dass dem Brandenburgischen Straßenbauamt Wünsdorf aufgegeben wird, nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens im Wege der Planergänzung solche geeigneten Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die erforderlich und geeignet sind, eine Beeinträchtigung des Grundstücks der Klägerin in Bezug auf Luftschadstoffimmissionen zu vermeiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und verweist darauf, eine nachträgliche Luftschadstoffberechnung unter Berücksichtigung der Querspange habe gezeigt, dass diese nur zu einem Bruchteil zu der durch das planfestgestellte Vorhaben verursachten Zusatzbelastung beitrage. Da die Querspange eine erheblich geringere Emissionsquelle als die B 101 n darstelle, habe sich im Rahmen der Planfeststellung eine gesonderte Ermittlung der von der Querspange ausgehenden Zusatzbelastung erübrigt.
Die Klägerin erwidert hierzu, die nunmehr vorgelegten Prognosen seien im Hinblick auf die tatsächliche Zusatzbelastung weiterhin nicht aussagefähig. Zumindest seien die der Prognose zugrunde gelegten Ausgangsdaten nicht nachvollziehbar.
II
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
Die Klägerin kann eine Aufhebung der Planfeststellung (Hauptantrag) oder zumindest eine Planergänzung durch Schutzauflagen nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (Hilfsantrag) nicht verlangen. Ein Verstoß gegen das planungsrechtliche Abwägungsgebot (§ 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG) im Hinblick auf die geltend gemachte Beeinträchtigung der Klägerin durch verkehrsbedingte Luftschadstoffe liegt nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass die Ermittlung und Abschätzung der gesundheitlichen Risiken, die die Planfeststellungsbehörde vorgenommen hat, fehlerbehaftet sind. Insbesondere ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin aufgrund der verkehrsbedingten Luftschadstoffe Gesundheitsgefahren drohen.
Zur Beurteilung der Risiken, die im Nahbereich von Straßen durch Abgasimmissionen auftreten können, bedienen sich die Planungsbehörden eines standardisierten Ermittlungs- und Bewertungsverfahrens, das in dem Merkblatt über Luftverunreinigungen an Straßen, Teil: Straßen ohne oder mit lockerer Randbebauung, Ausgabe 1992, geänderte Fassung 1996 (MLuS-92) beschrieben und 1998 durch ein PC-Berechnungsverfahren ergänzt worden ist (vgl. VkBl. 1992, 503; 1996, 470; 1999, 123). Diese Richtlinien berücksichtigen die vorhandenen Erfahrungen und den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse (EG-Richtlinien, TA Luft usw.) über die Eignung der von Kraftfahrzeugen emittierten Schadstoffe zur Herbeiführung schädlicher Umwelteinwirkungen. Sie enthalten keine Grenzwerte, sondern sollen diejenige Schwelle bezeichnen, bei deren Überschreiten behördliche Schutzmaßnahmen in Betracht zu ziehen sind. Dies geschieht durch die Angabe von "Orientierungswerten" und den ihnen zugehörigen Verfahren zur Immissionssimulation (vgl. Abschn. 1, 3 und 4 MLus-92). Die danach vorzunehmende Risikoabschätzung deckt grundsätzlich in einer dem Abwägungsgebot entsprechenden Weise die Beurteilung der von der Klägerin aufgeworfenen Frage etwaiger Gesundheitsgefahren ab (vgl. Abschn. 6 MLuS-92). In die Risikoabschätzung sind dabei die unterschiedlichen Belastungspfade einbezogen worden, die für die einzelnen Schadstoffe eine Rolle spielen. Mittelbar wird dabei auch berücksichtigt, dass zumindest das Schwermetall Blei (Pb) Einfluss auf die Bodenqualität hat, weil es über den Boden in die Nahrungskette gelangen kann (vgl. Abschn. 6.4 MLuS-92).
Die Klägerin hat nichts dafür vorgetragen, dass die Tauglichkeit der Richtlinien, als Grundlage für eine behördliche Risikoabschätzung zu dienen, durch gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik in Frage gestellt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 1988 - BVerwG 7 B 219.87 - Buchholz 406.25 § 48 BImSchG Nr. 2, S. 1 f. zur TA Luft). Ihre Einwände gegen die Luftschadstoffberechnungen laufen vielmehr darauf hinaus, dass im Rahmen der Planfeststellung eine örtliche Sondersituation nicht berücksichtigt worden sei, die auf ein erhöhtes Risiko hindeute. Außerdem wird teilweise die Zuverlässigkeit der Daten in Zweifel gezogen, die in die Immissionsprognose eingegangen sind. Diese Einwände schlagen jedoch nicht durch.
Entgegen der Ansicht der Klägerin deutet es nicht auf ein nach § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG relevantes Ermittlungsdefizit hin, wenn die Planfeststellungsbehörde darauf verzichtet hat, den voraussichtlichen Einfluss der Querspange auf die Immissionssituation näher zu betrachten. Bei einer Entfernung von etwa 100 Metern vom Einwirkungsort konnte nämlich schon bei überschlägiger Abschätzung erwartet werden, dass von der Querspange kein nennenswerter Immissionsbeitrag ausgehen wird. Die nachträglich im Prozess vorgelegte Luftschadstoffberechnung bestätigt dies. Für die Befürchtung der Klägerin, diese Berechnung basiere auf einer zu niedrig angesetzten durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke (DTV von 9 000 Kfz/24 h), fehlt ein greifbarer Anhaltspunkt. Die genannte Verkehrsstärke ist ein auf Erfahrungswissen basierender Prognosewert, der sich daraus ableiten lässt, dass nach dem "Betriebskonzept" (Anlage zum Erläuterungsbericht) auf der B 101 im fraglichen Bereich insgesamt nur eine DTV von 16 000 Kfz/24 h erwartet wird. Diese Zahl wird nur dann erreicht, wenn die 1995 bei Verkehrszählungen ermittelte Verkehrsmenge (Erläuterungsbericht S. 5) sich bezogen auf das Prognosejahr 2012 nach dem Straßennetzmodell der Landesverkehrsprognose vom Januar 1998 (Erläuterungsbericht S. 16) in etwa verdoppelt. Diese Datenbasis mag - wie die Klägerin rügt - mit Unsicherheiten behaftet sein. Es spricht aus heutiger Sicht aber nichts dafür, dass sich etwaige Prognoseunsicherheiten zum Nachteil der Klägerin auswirken werden. Sollten dennoch deutlich höhere Verkehrsmengen auftreten, so wären daraus folgende nachteilige Wirkungen gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nachträglich zu berücksichtigen.
Auch die Lichtzeichenanlagen an den Knotenpunkten 3 und 3 a haben auf die Immissionssituation keinen Einfluss, der eine Abweichung von den generellen Standards der Richtlinien erforderlich macht. In dem MLuS-Verfahren werden die spezifischen Emissionen für Pkw und Lkw jeweils als Funktionen der Fahrgeschwindigkeit abgeschätzt. Dies lässt nur eine verhältnismäßig grobe Annäherung an die jeweils situationsspezifischen Fahrmuster zu. Insbesondere schlagen sich verstärkte Emissionen des vor Lichtzeichenanlagen stehenden Verkehrs in der Luftschadstoffberechnung nicht gesondert nieder. Ob und wann dies im Einzelfall Anlass für weitergehende Ermittlungen geben mag, kann dahinstehen. Im vorliegenden Fall liegt die errechnete Gesamtbelastung so deutlich unter den "Orientierungswerten" der Richtlinie, dass auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin ins Feld geführten Sondersituation nicht zu erwarten ist, sie könnten erreicht oder gar überschritten werden. Ergänzende Untersuchungen mussten sich der Planfeststellungsbehörde unter diesen Umständen nicht aufdrängen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.