Pressemitteilung Nr. 38/2005 vom 22.06.2005

Unverbindlichkeit eines Befehls wegen Verstoßes gegen die Gewissensfreiheit eines Bundeswehrsoldaten während des IRAK-Krieges

Ein Major weigerte sich im April 2003, den Befehl seines Vorgesetzten auszuführen, an der weiteren Entwicklung eines militärischen Software-Programms mitzuwirken. Zur Begründung führte er an, er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, Befehle zu befolgen, die geeignet seien, Kriegshandlungen im IRAK zu unterstützen. Dabei machte er geltend, sein Vorgesetzter habe vor Befehlserteilung ihm gegenüber ausdrücklich nicht ausschließen können, dass mit der Arbeit an dem Projekt eine Beteiligung der Bundeswehr an dem von ihm als völkerrechtswidrig angesehenen Krieg gegen den IRAK unterstützt werde. In diesem Zusammenhang kritisierte er, dass Bundeswehrangehörige in Kuweit stationiert würden, deutsche Soldaten an AWACS-Flügen beteiligt seien, US-Liegenschaften in Deutschland bewachten und dass Überflug- und Landerechte für die im IRAK operierenden Streitkräfte der USA gewährt würden. Er hielt dies für verfassungs- und völkerrechtswidrige Unterstützungsleistungen.


Das Truppendienstgericht setzte den Soldaten wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Hauptmanns herab. Hiergegen hat der Soldat Berufung eingelegt und beantragt, ihn freizusprechen. Der Wehrdisziplinaranwalt hat ebenfalls Berufung eingelegt und beantragt, den Soldaten aus dem Dienstverhältnis zu entfernen.


Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig hat den Soldaten freigesprochen, weil dem Soldaten ein Dienstvergehen nicht nachzuweisen war. Ein Verstoß gegen die Gehorsamspflicht (§ 11 Abs. 1 Soldatengesetz) liege nicht vor. Der Senat hat entschieden, dass in der konkreten Lage das Grundrecht der Freiheit des Gewissens nach Art. 4 Abs. 1 GG durch den Befehl nicht verdrängt werde. Dieser sei deshalb für den Soldaten unverbindlich gewesen. Der Soldat habe die Ernsthaftigkeit seiner Gewissensentscheidung glaubhaft dargetan. Im vorliegenden Fall sei die gebotene gewissensentlastende Konfliktlösung durch eine anderweitige Verwendung des Soldaten erfolgt. Der Soldat könne sich auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG ungeachtet dessen berufen, dass er keinen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach Art. 4 Abs. 3 GG gestellt habe. Denn auch Berufssoldaten stünde das Grundrecht der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG zu. Die Streitkräfte seien als Teil der vollziehenden Gewalt ausnahmslos an "Recht und Gesetz" (Art. 20 Abs. 3 GG) und insbesondere an die Grundrechte uneingeschränkt gebunden. Davon könnten sie sich nicht unter Berufung auf Gesichtspunkte der militärischen Zweckmäßigkeit oder Funktionsfähigkeit freistellen.


BVerwG 2 WD 12.04 - Urteil vom 21.06.2005


Urteil vom 21.06.2005 -
BVerwG 2 WD 12.04ECLI:DE:BVerwG:2005:210605U2WD12.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 21.06.2005 - 2 WD 12.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:210605U2WD12.04.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 12.04

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen
Hauptverhandlung am 21. Juni 2005, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberfeldarzt Marchler,
Oberstleutnant Börold
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., ...,
als Verteidiger,
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Unter Zurückweisung der Berufung des Wehrdisziplinaranwalts wird auf die Berufung des Soldaten das Urteil der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 9. Februar 2004 aufgehoben.
  2. Der Soldat wird freigesprochen.
  3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

Der heute 48-jährige Soldat schloss seine Schulausbildung im Juni 1976 mit der allgemeinen Hochschulreife ab und wurde zum 1. Juli 1976 zur Ableistung des Grundwehrdienstes zur 3. /J.bataillon ... nach B. einberufen. Aufgrund seiner Einverständniserklärung vom 20. August 1976 wurde er mit Wirkung vom 1. Januar 1977 unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum Gefreiten OA ernannt. Seine Dienstzeit wurde nach zwischenzeitlichen Festsetzungen auf drei und sieben Jahre am 16. Februar 1982 auf 13 Jahre festgesetzt. Am 14. April 1983 wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen; seine Dienstzeit wird voraussichtlich am 31. Mai 2013 enden. Die Beförderung zum Major erfolgte am 1. März 2000.

Nach der allgemeinen Grundausbildung wurde der Soldat unter Wechsel der Waffengattung zum 1. Oktober 1976 zur 1./F.bataillon (F.Btl) ... nach M. versetzt. Nach verschiedenen Ausbildungsverwendungen in der H.staffel 203, im .Btl ... wurde er zum 1. Oktober 1977 zur 3./F.Btl ... nach R. versetzt. Den vom 10. Januar bis 29. September 1978 besuchten Offizieranwärterlehrgang an der H.schule (H.S) in R. bestand der Soldat mit der Note „befriedigend“.

Zum 2. Oktober 1978 wurde er zur Aufnahme des Studiums der Pädagogik an die Hochschule der Bundeswehr ... versetzt. Nach Zwischenkommandierungen zum Fallschirmspringerlehrgang an die L.schule in A., den der Soldat unfallbedingt vorzeitig beenden musste, zum Lehrgangsbesuch der Schule F. in K. sowie zum Fallschirmsprungdienst in A. beendete er das Studium am 11. Dezember 1981 mit der ... Diplomhauptprüfung und wurde zum 4. Januar 1982 als Flugabwehrraketen- und Zugführeroffizier zur 6./F.regiment (F.Rgt) ... nach M. versetzt.

Den sich anschließenden, vom 20. April bis 1. Oktober 1982 absolvierten Offizierlehrgang - Teil A - an der O.schule in H. bestand der Soldat ... Nach anschließender Ausbildung zum Kommandant Flugabwehrraketenpanzer „Roland“, Teilnahme am Offizierlehrgang - Teil B - unter zwischenzeitlicher Versetzung zur 5./F.Rgt ... schloss der Soldat im Dezember 1983 den S 2-Lehrgang an der Schule N., E., mit „gut“ ab. Nach Versetzung zum 1. Juli 1984 zur 1./F.Rgt 200 in M. als Flugabwehrraketenoffizier und S 2-Offizier durchlief er im Sommer 1984 die Ausbildung zum Jugendoffizier, der sich entsprechende Weiterbildungen in den Folgejahren anschlossen. Der Soldat wurde zum 1. April 1987 unter vorangehender Kommandierung zur H.S nach R. als Flugabwehroffizier und Hörsaalleiter versetzt.

Nach Bestehen des Grundlehrgangs Fortbildungsstufe C an der Führungsakademie der Bundeswehr wurde er zum 1. Juli 1989 zur 2./G.regiment ... nach T. als Flugabwehroffizier und Batteriechef versetzt. Zum 1. April 1991 erfolgte die Versetzung als S 2-Offizier in den Stab der H.brigade ... in D. Von dort wurde er zum 1. Januar 1993 zum Spezialstab ATV der H.S nach R. versetzt; zeitgleich bewarb er sich erfolglos um Übernahme in den Polizeivollzugsdienst des Landes Bayern. Zum 1. Januar 1995 wurde er innerhalb der H.S zur Gruppe Weiterentwicklung versetzt und anschließend, nach Besuch verschiedener Lehrgänge an der F.schule in F. sowie des Stabsdienstlehrgangs an der Führungsakademie der Bundeswehr vom 6. August bis 2. Oktober 1996, zum Datenverarbeitungs-Organisations-Stabsoffizier ausgebildet.

Zum 1. Oktober 1997 wurde er zum H.kommando nach Mö. und in Folge der Verlegung der Dienststelle ab 25. Januar 2000 zum Dienstort K. versetzt, wo er in der Abteilung I Logistik als S 3- und Datenverarbeitungs-Organisations-Stabsoffizier im Bereich der Informationsverarbeitung verwendet wurde.

Seine Versetzung zum S. erfolgte zum 1. Oktober 2002. Dort war der Soldat in der G 6-Abteilung in der Gruppe „DV-Vorhaben Org-Grundlagen Bw“ mit Aufgaben im Rahmen des IT-Projekts SASPF („Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familien“) betraut, bis er am 7./8. April 2003 aufgrund der Vorfälle, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, aus dem Dezernat herausgelöst und mit einer Sonderaufgabe in dem IT-Sektor betraut wurde. Unter vorangehender Kommandierung wurde er zum 1. Oktober 2004 als Datenverarbeitungs-Organisations-, Organisations- und Planungsstabsoffizier zum S.amt in M. versetzt.

In der letzten planmäßigen Beurteilung vom 5. September 2001 wurde er ... beurteilt. ... Unter „herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ heißt es:

„D ...“

Der Soldat ist berechtigt, sowohl das A. ... als auch die S. ... zu tragen.

Disziplinar ist er nicht vorbelastet; er erhielt am 19. Dezember 1986 eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung, weil er mit privatem finanziellen und zeitlichem Aufwand ein die Effizienz und Sicherheit erhöhendes Funksystem für die Kasernenwache entwickelt hatte.

Darüber hinaus hat er im Jahr 1991 eine, im Jahr 2001 drei Anerkennungsurkunden für seine Beteiligung am Vorschlagswesen der Bundeswehr erhalten, seine Verbesserungsvorschläge im Bereich der Datenverarbeitung sind dabei mit jeweils 200 DM, zuletzt 300 DM, prämiert worden.

Der Auszug aus dem Bundeszentralregister weist keine Eintragung auf.

Der Soldat ist ledig. Er erhält ausweislich der vorliegenden Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung Süd Dienstbezüge der Besoldungsgruppe A 13, 10. Dienstaltersstufe, in Höhe von 3.743,17 € brutto und 2.767,63 € netto.

II

III