Urteil vom 12.11.2020 -
BVerwG 2 C 6.19ECLI:DE:BVerwG:2020:121120U2C6.19.0
Entfernung eines Polizeibeamten aus dem Beamtenverhältnis wegen vorsätzlich unerlaubtem Fernbleiben vom Dienst
Leitsatz:
Ordnet der Dienstherr nach Maßgabe von § 79 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW a.F. (entspricht § 96 Abs. 1 Satz 2 BBG) rechtmäßig an, dass sich der Beamte bei Geltendmachung einer seine Dienstfähigkeit ausschließenden Erkrankung bereits am ersten Tag beim Polizeiarzt (Amtsarzt) melden muss, damit dieser die Dienstunfähigkeit prüft und ggf. bestätigt, ist der Beamte von der Dienstleistungspflicht nur befreit, wenn er dieses Verfahren einhält. Andernfalls bleibt der Beamte dem Dienst bedingt vorsätzlich fern.
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Rechtsquellen
BBG § 96 Abs. 1 BBesG § 9 LBG NRW 1981 § 79 Abs. 1 LDG NRW 2004 § 13 Abs. 2 und 3, § 56 Abs. 1, § 74 -
Instanzenzug
VG Münster - 23.03.2015 - AZ: VG 13 K 2409/14.O
OVG Münster - 17.04.2018 - AZ: OVG 3d A 1047/15.O
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 12.11.2020 - 2 C 6.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:121120U2C6.19.0]
Urteil
BVerwG 2 C 6.19
- VG Münster - 23.03.2015 - AZ: VG 13 K 2409/14.O
- OVG Münster - 17.04.2018 - AZ: OVG 3d A 1047/15.O
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung
und Dollinger sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
für Recht erkannt:
- Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. April 2018 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I
1 Der Beklagte - ein Polizeiobermeister - wendet sich gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
2 Der 1965 geborene Beklagte trat 1981 in den Polizeivollzugsdienst des klagenden Landes ein. Für den Zeitraum Januar 1993 bis Mai 2007 bewilligte der Kläger dem Beklagten mit einer Unterbrechung zwischen Oktober 1995 und Mai 1996 Erziehungsurlaub ohne Dienstbezüge. Den weiteren auf Verlängerung des Erziehungsurlaubs gerichteten Antrag des Beklagten lehnte der Kläger ab. Am 1. Juni 2007 nahm der Beklagte den Dienst wieder auf.
3 Für die Zeit ab dem 17. Juni 2007 legte der Beklagte fortlaufend privatärztliche Bescheinigungen über seine Arbeitsunfähigkeit vor. Gleichzeitig stellte er sich - zumeist auf Aufforderung des Klägers - zwischen dem 11. Juni 2007 und dem 16. August 2007 fünfmal dem Polizeiarzt vor. Dieser hielt den Beklagten jeweils für vollschichtig innendienstfähig. Unter dem 19. Juli 2007 forderte der Kläger den Beklagten auf, den Innendienst auf dem Verkehrskommissariat aufzunehmen, Dienstunfähigkeit ab dem ersten Krankheitstag nachzuweisen und sich zusätzlich ab dem ersten Tag des Fernbleibens bei der Polizeiärztin zu melden. Nachdem der Beklagte dem nicht nachkam und seinen Dienst nicht mehr antrat, hörte der Kläger den Beklagten am 23. August 2007 zur Einstellung der Dienstbezüge an und teilte ihm unter dem 27. August 2007 mit, dass er nach den Feststellungen des polizeiärztlichen Dienstes innendienstfähig sei und zur Vermeidung weiterer Nachteile den Dienst aufnehmen oder sich dem Polizeiarzt vorstellen solle. Mit Bescheid vom 24. September 2007 verfügte der Kläger sodann den Verlust der Bezüge des Beklagten wegen ungenehmigten schuldhaften Fernbleibens vom Dienst. Das dagegen vom Beklagten geführte Vorverfahren blieb ohne Erfolg; anschließend wies das Verwaltungsgericht die gegen den Verlustfeststellungsbescheid erhobene Klage mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 28. September 2010 als unbegründet ab.
4 Im August 2008 enthob der Kläger den Beklagten vorläufig des Dienstes. Im September 2015 hat der Kläger Disziplinarklage mit dem Ziel der Dienstentfernung erhoben. Dem Beklagten ist dabei u.a. zur Last gelegt worden, seit dem 17. August 2007 unerlaubt und unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben zu sein.
5 Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Dienst entfernt. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberverwaltungsgericht unter Begrenzung des Zeitraums des unerlaubten und unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst auf knapp elf Monate mit der Begründung zurückgewiesen, das mehrmonatige grob fahrlässige Fernbleiben eines Beamten vom Dienst sei regelmäßig hinreichend, um ihn aus dem Dienst zu entfernen.
6
Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt der Beklagte,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. April 2018 und des Verwaltungsgerichts Münster vom 23. April 2015 aufzuheben und die Disziplinarklage abzuweisen, hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
7
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
8 Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts verletzt zwar revisibles Landesrecht (§ 79 Abs. 1 LBG NRW i.d.F. vom 1. Mai 1981, GV NRW S. 234, § 96 Abs. 1 BBG, § 127 Nr. 2 BRRG), doch stellt sich die Entscheidung im Ergebnis als richtig dar. Dies führt zur Zurückweisung der Revision (§ 67 LDG NRW vom 16. November 2004, GV NRW S. 624, § 144 Abs. 4 VwGO).
9 Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftig gewordenen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 28. September 2010 über den Verlust der Besoldung infolge des schuldhaften Fernbleibens des Beklagten vom Dienst nach § 9 BBesG für das sachgleiche Disziplinarverfahren nach § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW bindend zugrunde gelegt hat (1.). Dagegen verletzt das Berufungsurteil revisibles Landesrecht, nämlich § 79 Abs. 1 LBG NRW a.F., weil das Berufungsgericht bei der Auslegung der Vorschrift von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist und deshalb hinsichtlich des Fernbleibens vom Dienst zu Unrecht lediglich grobe Fahrlässigkeit angenommen hat, obwohl bedingter Vorsatz vorliegt (2. a und b). Gleichwohl bleibt die Revision des Beklagten erfolglos, weil sich das Berufungsurteil aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig erweist (§ 67 LDG NRW, § 144 Abs. 4 VwGO; 2. c).
10 1. § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW vom 16. November 2004 (GV NRW S. 624) bestimmt u.a., dass die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteils, durch das nach § 9 BBesG über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst entschieden worden ist - hier das rechtskräftig gewordene Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 28. September 2010 - im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Gericht bindend ist. Nach Satz 2 von § 56 Abs. 1 LDG NRW hat das Gericht jedoch die erneute Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, die offenkundig unrichtig sind. Für Letzteres ist vorliegend nichts ersichtlich.
11 Die gesetzliche Bindungswirkung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW dient der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz. Sie soll verhindern, dass zu ein- und demselben Geschehensablauf durch verschiedene Gerichte unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden (BVerwG, Beschlüsse vom 28. August 2017 - 2 B 76.16 - juris Rn. 8 und vom 17. Oktober 2019 - 2 B 79.18 - NVwZ-RR 2020, 749 Rn. 8 m.w.N.; Weiß, GKÖD, Band II, Stand 4/2018, M § 57 BDG Rn. 9).
12 Daher sind die Verwaltungsgerichte nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten "sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2019 - 2 B 74.18 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 65 Rn. 17 f.). Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind (BVerwG, Beschlüsse vom 1. März 2013 - 2 B 78.12 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 20, für den Fall eines Strafurteils, das auf einem inhaltsleeren Formalgeständnis beruht, und vom 11. Februar 2014 - 2 B 37.12 - juris Rn. 38 m.w.N. zu tatsächlichen Feststellungen in einem Strafurteil; VGH München, Beschluss vom 21. August 2006 - 16b D 05.150 - juris Rn. 42 zu den tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftig gewordenen Urteil des Verwaltungsgerichts über den Verlust der Dienstbezüge nach § 9 BBesG; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 57 Rn. 6).
13 Die weiterführende Rechtsprechung des Senats, wonach bestandskräftige Bescheide über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst die - hier nach § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW - vorgesehene Bindungswirkung im sachgleichen Disziplinarverfahren nur dann entfalten, wenn der Beamte hierüber bereits im Verwaltungsverfahren über den Verlust der Besoldung - spätestens im Verlustfeststellungsbescheid selbst - belehrt worden ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 2016 - 2 C 13.15 - BVerwGE 155, 35 Rn. 12), ist hier nicht einschlägig. Sie betrifft allein solche Verlustfeststellungsbescheide nach § 9 BBesG, die - anders als im Fall des Beklagten - nicht in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren umfassend überprüft worden sind (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG).
14 An diesem Maßstab orientiert, hat das Oberverwaltungsgericht bei der Maßstabsbildung und der Anwendung von § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW kein revisibles Recht verletzt. Die insoweit tragende Feststellung des Berufungsgerichts, nach § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW seien die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, durch das nach § 9 BBesG über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst entschieden worden ist, für das sachgleiche Disziplinarverfahren grundsätzlich - d.h. vorbehaltlich offenkundiger Unrichtigkeit - bindend, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Für die vom Beklagten für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 10. Juli 2008 geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen ist eine Beweiserhebung aufgrund der abweichenden und das Disziplinargericht bindenden Feststellungen im rechtskräftig gewordenen Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen - 12 K 3861/07 - zum Verlust der Dienstbezüge des Beklagten im Verfahren nach § 9 BBesG ausgeschlossen. Dass die im Verlustfeststellungsverfahren getroffenen Feststellungen offenkundig unrichtig i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW sind, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die vom Bevollmächtigten des Beklagten - zuletzt mit der Revisionsbegründung - geltend gemachten Verfahrensrügen zu tatrichterlichen Fragen der Sachaufklärung und der Überzeugungsbildung im Hinblick auf die beim Beklagten vorhandenen gesundheitlichen Einschränkungen greifen deshalb sämtlich nicht durch.
15 2. Der Beklagte hat durch sein ungenehmigtes Fernbleiben vom Dienst in der Zeit vom 17. August 2007 bis zum 10. Juli 2008 ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen. Er blieb während dieser annähernd elf Monate dem Dienst ohne Genehmigung und damit unerlaubt fern i.S.v. § 79 Abs. 1 LBG NRW a.F., ohne für diesen Zeitraum Dienstunfähigkeit nachgewiesen zu haben (a). Dadurch ist ihm ein schweres Dienstvergehen vorzuhalten (b), das er bedingt vorsätzlich begangen hat (c).
16 a) Nicht zur Dienstleistung verpflichtet ist der Beamte nach § 79 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW a.F., wenn er dienstunfähig ist (aa) und die Dienstunfähigkeit infolge Krankheit auf Verlangen nachgewiesen hat (bb).
17 aa) Die Dienstfähigkeit ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst. Dienstunfähigkeit liegt vor, wenn der Beamte wegen seines körperlichen oder geistigen Befindens nicht imstande ist, den ihm übertragenen dienstlichen Aufgaben nachzukommen (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2007 - 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 33). Ein typischer Anwendungsfall der Dienstunfähigkeit liegt in der Erkrankung des Beamten, die das Fernbleiben vom Dienst rechtfertigt (BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 2003 - 1 DB 1.03 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 25 S. 38). Der Rechtfertigungsgrund greift auch dann ein, wenn der Beamte sich schuldhaft in einen krankhaften Zustand versetzt hat (BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 1980 - 1 DB 15.80 - BVerwGE 73, 27 <28>). Solange ein Beamter dienstunfähig ist, ist er von der Dienstleistungspflicht befreit, weil er sie nicht erfüllen kann (BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2006 - 1 D 2.05 - juris Rn. 32 m.w.N. und Beschluss vom 31. Juli 2019 - 2 B 56.18 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 70 Rn. 6).
18 Der Beamte muss die Erkrankung spätestens am folgenden Tag anzeigen und auf Verlangen des Dienstherrn durch ärztliches Attest, bei längerer Dauer auch wiederholt, nachweisen. Die medizinische Beurteilung eines Amts- oder Polizeiarztes oder eines vom Amts- oder Polizeiarzt hinzugezogenen Facharztes genießt für die Entscheidung über die aktuelle Dienstfähigkeit (Arbeitsfähigkeit) eines Beamten Vorrang vor der medizinischen Beurteilung eines Privatarztes, wenn beide hinsichtlich desselben Krankheitsbildes inhaltlich voneinander abweichen (BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2006 - 1 D 10.05 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 30 Rn. 36). Dieser Vorrang im Konfliktfall hat seinen Grund in der Neutralität und Unabhängigkeit des Amts- oder Polizeiarztes. Im Gegensatz zu einem Privatarzt, der womöglich bestrebt ist, das Vertrauen des Patienten zu behalten, nimmt der Amtsarzt seine Beurteilung von seiner Aufgabenstellung her unbefangen und unabhängig vor. Er steht Dienstherrn und Beamten gleichermaßen fern (BVerwG, Urteile vom 9. Oktober 2002 - 1 D 3.02 - juris Rn. 22 und vom 12. Oktober 2006 - 1 D 2.05 - juris Rn. 35).
19 Das unerlaubte und schuldhafte Fernbleiben vom Dienst hat zwei Folgen: Zum einen verliert der Beamte für die Zeit des Fernbleibens den Anspruch auf Besoldung (§ 62 Abs. 2 Halbs. 1 LBG NRW), zum anderen kann gegen ihn zusätzlich zum Verlust der Bezüge ein Disziplinarverfahren durchgeführt werden (§ 62 Abs. 2 Halbs. 2 LBG NRW).
20 bb) Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten den für den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils zufolge unter dem 19. Juli 2007 schriftlich aufgegeben, vom ersten Tag des Fernbleibens vom Dienst wegen Krankheit eine ärztliche Bescheinigung als Nachweis der Dienstunfähigkeit vorzulegen und sich zusätzlich ab dem ersten Tag bei der zuständigen Polizeiärztin zu melden, um ein von einem niedergelassenen Arzt ausgestelltes Attest bestätigen zu lassen. Diese gemischt dienstlich-persönliche Weisung, die mangels unmittelbarer Außenwirkung kein Verwaltungsakt, sondern ein Realakt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. März 2019 - 2 VR 5.18 - BVerwGE 165, 65 Rn. 20 zur Untersuchungsanordnung), beinhaltet gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW a.F. (siehe für Bundesbeamte die Parallelregelung in § 96 Abs. 1 Satz 2 BBG) das Verlangen des Dienstherrn, Dienstunfähigkeit infolge Krankheit nachzuweisen. Die Anordnung gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW a.F. konkretisiert in einer solchen Konstellation in entscheidender Weise die Pflichten des Beamten. Kommt er einer solchen - wirksamen - Anordnung nicht nach, kann er dem Dienstherrn Dienstunfähigkeit für diesen Zeitraum seines Fernbleibens vom Dienst nicht entgegenhalten. So liegt der Fall des Beklagten. Dieser ist der ihm ausdrücklich aufgegebenen Nachweispflicht für den Zeitraum ab dem 17. August 2007 bis zum 10. Juli 2008 nicht nachgekommen. Das hat zur Folge, dass er für diesen Zeitraum seines Fernbleibens nicht einwenden kann, er sei dienstunfähig gewesen.
21 b) Das schuldhafte Fernbleiben eines Beamten vom Dienst kann ein schweres Dienstvergehen i.S.d. § 13 Abs. 3 LDG NRW darstellen, das auch die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen kann. Das Gebot, zum Dienst zu erscheinen, ist Grundpflicht jedes Beamten. Diese beamtenrechtliche Grundpflicht fordert von einem Beamten vor allem, sich während der vorgeschriebenen Zeit an dem vorgeschriebenen Ort aufzuhalten und dort die ihm übertragenen dienstlichen Aufgaben wahrzunehmen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 25. September 2003 - 2 C 49.02 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 26 S. 41, vom 11. Oktober 2006 - 1 D 10.05 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 30 Rn. 34 und vom 27. Februar 2014 - 2 C 1.13 - BVerwGE 149, 117 Rn. 22). Wer dem Dienst vorsätzlich unerlaubt fernbleibt, missachtet damit zwangsläufig die Dienstpflichten zum vollen beruflichen Einsatz und zur Befolgung dienstlicher Anordnungen (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 2 C 1.13 - BVerwGE 149, 117 Rn. 22). Nur die pflichtgemäße Dienstleistung der Beamten und anderer Beschäftigter setzt die Verwaltung in die Lage, die ihr gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Das Erfordernis der Dienstleistung und die Bedeutung ihrer Unterlassung sind für jeden leicht zu erkennen. Setzt sich ein Beamter über diese Erkenntnis hinweg, zeigt er ein hohes Maß an Verantwortungslosigkeit. Je länger der Beamte schuldhaft dem Dienst fernbleibt, desto schwerer wiegt die hierin liegende Dienstpflichtverletzung. Nach der Rechtsprechung des Senats führt vorsätzliches unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst regelmäßig zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, wenn es über Monate andauert oder in der Summe einen vergleichbaren Gesamtzeitraum erreicht (BVerwG, Urteile vom 22. April 1991 - 1 D 62.90 - BVerwGE 93, 78 <80 f.>, vom 25. Januar 2007 - 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 42 und vom 27. Januar 2011 - 2 A 5.09 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 17 Rn. 35).
22 Unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst i.S.v. § 79 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW a.F., der § 96 Abs. 1 Satz 1 BBG entspricht, über einen Zeitraum von mehreren Monaten ist danach regelmäßig geeignet, das für das Beamtenverhältnis erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten zu zerstören. Aufgrund der Bedeutung und der leichten Einsehbarkeit der Pflicht, überhaupt zum Dienst zu erscheinen, offenbart das Fernbleiben über einen derart langen Zeitraum ein besonders hohes Maß an Verantwortungslosigkeit und Pflichtvergessenheit. Daher ist in diesen Fällen die Entfernung aus dem Dienst grundsätzlich Ausgangspunkt der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme (BVerwG, Urteile vom 7. November 1990 - 1 D 33.90 - juris Rn. 31 m.w.N., vom 22. April 1991 - 1 D 62.90 - BVerwGE 93, 78 <80 f.> und vom 6. Mai 2003 - 1 D 26.02 - juris Rn. 54 f.; Beschluss vom 31. Juli 2019 - 2 B 56.18 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 70 Rn. 11). Dies gilt beispielsweise auch im Fall des Fernbleibens vom Dienst im Wege der "Selbsthilfe" (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1998 - 1 D 39.96 - juris Rn. 27 und 30 zu einer Fehlzeit von mehr als 15 Wochen).
23 c) Beim Beklagten liegt ein Fall des vorsätzlichen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst vor. Die Verletzung der Dienstleistungspflicht durch das unentschuldigte oder schuldhafte Fernbleiben vom Dienstort ist dem Beamten fahrlässig oder vorsätzlich möglich. Ein Irrtum des Beamten über seine Pflicht zur Dienstleistung entlastet ihn nur, wenn dieser Irrtum unvermeidbar war (BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2009 - 2 B 4.08 - juris Rn. 38 ff., 44).
24 Für den Senat bindend sind nach § 137 Abs. 2 VwGO die in dem angefochtenen Urteil des Berufungsgerichts getroffenen tatsächlichen Feststellungen, soweit sie entscheidungstragend sind. Im Hinblick auf das schuldhafte Fernbleiben vom Dienst im Sinn von § 9 BBesG betreffen solche Feststellungen nur Tatsachen über äußere (objektive) und innere (subjektive) Tatbestandsmerkmale, über die sich Beweis erheben lässt. Demgegenüber sind "rechtliche" Feststellungen das Ergebnis eines Beurteilungsvorgangs (Subsumtion, rechtliche Würdigung), das als solches keine Tatsache darstellt. Auf tatsächlichen Feststellungen aufbauende Beurteilungen oder Würdigungen sind danach selbst keine Feststellungen mehr, die eine Bindungswirkung auslösen können (BVerwG, Urteil vom 11. März 1981 - 1 D 54.80 - DokBer B 1981, 177 = juris Rn. 12 zu § 18 Abs. 1 BDO und Beschluss vom 22. März 2010 - 2 B 6.10 - juris Rn. 4 zu § 15 Abs. 1 HmbDG).
25 So ist etwa die Frage, ob die Minderung der Schuldfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung eine "erhebliche" ist, eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung zu beantworten haben (BVerwG, Beschluss vom 17. Oktober 2019 - 2 B 79.18 - NVwZ-RR 2020, 749 Rn. 10). Dies gilt ebenso für tatrichterliche Feststellungen zu Abstufungen der Grade von Fahrlässigkeit und Vorsatz in Urteilen mit Bindungswirkung i.S.v. § 57 Abs. 1 BDG, § 56 Abs. 1 LDG NRW (vgl. Weiß, GKÖD, Band II, Stand 4/2018, M § 23 BDG Rn. 16 mit weiteren Beispielen und Nachweisen).
26 Fahrlässig handelt ein Beamter in Bezug auf seine Anwesenheitspflicht im Dienst, wenn er darauf vertraut dienstunfähig zu sein, bei zumutbarer Selbsteinschätzung seines gesundheitlichen Zustands aber hätte erkennen müssen, zur - wenn auch eingeschränkten - Dienstausübung in der Lage zu sein (BVerwG, Urteil vom 9. April 2002 - 1 D 17.01 - juris Rn. 57). Ein Beamter, der ungenehmigt keinen Dienst leistet, handelt hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "Dienstfähigkeit" dagegen bedingt vorsätzlich, wenn er ernsthaft für möglich hält, dienstfähig zu sein, und im Hinblick darauf billigend in Kauf nimmt, die Dienstleistungspflicht zu verletzen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2008 - 2 B 1.08 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 5 Rn. 5 und Urteil vom 12. Oktober 2006 - 1 D 2.05 - juris Rn. 41). Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Beamte mit dem von ihm für möglich gehaltenen Erfolg ausdrücklich oder konkludent einverstanden ist, sondern auch dann, wenn er sich mit einem an sich unerwünschten, aber notwendigerweise eintretenden Erfolg um seines erstrebten Zieles willen abfindet (BVerwG, Urteil vom 25. September 2007 - 2 WD 19.06 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 23 Rn. 34).
27 An diesem Maßstab orientiert, hat der Beklagte bei seinem unerlaubten Fernbleiben vom Dienst in der Zeit vom 17. August 2007 bis zum 10. Juli 2008 nicht nur - wie vom Berufungsgericht angenommen - grob fahrlässig, sondern bedingt vorsätzlich gehandelt.
28 Am 19. Juli 2007 hat der Dienstherr dem Beklagten aufgegeben, vom ersten Tag des Fernbleibens vom Dienst wegen Krankheit eine ärztliche Bescheinigung als Nachweis der Dienstunfähigkeit vorzulegen und sich zusätzlich ab dem ersten Tag bei der zuständigen Polizeiärztin zu melden, um ein von niedergelassenen Ärzten ausgestelltes Attest bestätigen zu lassen. Mit dieser Anordnung hat der Dienstherr die Voraussetzungen konkretisiert, unter denen der Beklagte wegen einer Erkrankung von der Dienstleistungspflicht befreit ist. Diese Bedingungen hat der Beklagte nicht eingehalten und ist damit bedingt vorsätzlich dem Dienst ferngeblieben.
29 Diese auf § 79 Abs. 1 LBG NRW a.F. gestützte Anordnung ist aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des Beklagten rechtmäßig. Im Personalgespräch vom 16. Juli 2007 hatte der Beklagte trotz der anderslautenden polizeiärztlichen Feststellungen zur Frage seiner Dienstfähigkeit in dem jeweiligen Zeitraum erklärt, keinen Dienst tun zu wollen, weil er "im Moment genug zu regeln habe" und er sich in die "Behandlung eines Facharztes für psychische Erkrankungen begeben werde". Aufgrund dieser Ankündigung des beklagten Beamten konnte der klagende Dienstherr davon ausgehen, dass eine verlässliche Feststellung der von der Dienstleistungspflicht befreienden Dienstunfähigkeit nur dann gewährleistet ist, wenn nicht lediglich eine privatärztliche Bescheinigung eingereicht, sondern die Dienstunfähigkeit von einem mit den gesundheitlichen Anforderungen des Dienstes vertrauten Polizeiarzt festgestellt wird. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Verlustfeststellungsverfahren nach § 9 BBesG hat er am 22. September 2010 darüber hinaus nach den Feststellungen des in diesem Verfahren rechtskräftig gewordenen Urteils sogar den Eindruck erweckt, die seit Juli 2008 fortdauernde Arbeitsunfähigkeit sei eine Reaktion auf vorausgegangene Maßnahmen des Dienstherrn (Hausdurchsuchung und Verwendung im Innendienst).
30 Der Einwand des Beklagten, er sei von seinem anwaltlichen Bevollmächtigten dahin beraten worden, dass er trotz der an ihn ergangenen Weisung zum jeweiligen Nachweis der Dienstunfähigkeit über den Polizeiarzt aufgrund der vorgelegten ärztlichen AU-Bescheinigungen nicht verpflichtet sei, zum (Innen-)Dienst anzutreten, rechtfertigt keine andere Beurteilung. In Anbetracht der für jeden Beamten leicht erkennbaren Pflicht, zum Dienst zu erscheinen, soweit keine Dienstunfähigkeit nachgewiesen oder andere rechtliche wirksame Hinderungsgründe vorliegen, kann sich kein Beamter insoweit hinter anwaltlichem Rat "verstecken". Von fortbestehender Dienstunfähigkeit konnte der Beklagte aber nach viermaliger polizeiärztlicher Untersuchung mit dem Ergebnis - "vollschichtig innendienstfähig" - sowie der an ihn ergangenen Anordnung vom 19. Juli 2007 aber gerade nicht ausgehen. Im Übrigen hat er diese Anordnung bestandskräftig werden lassen. Gegen den seinen Widerspruch zurückweisenden Bescheid ist er nicht vorgegangen.
31 Andere das Fernbleiben vom Dienst rechtfertigende Hinderungsgründe sind für den Zeitraum vom 17. August 2007 bis zum 1o. Juli 2008 nicht ersichtlich, sodass für einen etwa entgegenstehenden Anwaltsrat kein sachlicher Grund erkennbar ist. Jedenfalls wäre ein Irrtum des Beklagten über die Güte des anwaltlichen Rats angesichts der vierfachen Feststellung der Dienstfähigkeit durch zwei Polizeiärzte im Zeitraum von Juni 2007 bis August 2007 und den entsprechenden Hinweisen des Dienstherrn (Personalgespräch vom 16. Juli 2007 und Hinweisschreiben vom 27. August 2007, mit Aufforderung den Dienst sofort aufzunehmen oder sich abermals dem Polizeiarzt vorzustellen) leicht vermeidbar gewesen.
32 Damit hat der Beklagte den Erfolgseintritt - die Verletzung seiner Pflicht zum Dienst zu erscheinen - mit Wissen und Wollen und damit bedingt vorsätzlich verwirklicht. Seine Weigerung, in der Zeit vom 17. August 2007 bis zum 10. Juli 2008 den Polizeiinnendienst aufzunehmen, war vorsätzlich. Sie stellt ein schweres Dienstvergehen dar.
33 3. Ausgangspunkt für die disziplinare Maßnahmebemessung nach § 13 Abs. 2 LDG NRW ist damit die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Anerkannte Milderungsgründe in der Person des Beklagten hat das Berufungsgericht zutreffend verneint und für eine Maßnahmemilderung aus allgemeinen Milderungsgründen sowie dem Gebot der Verhältnismäßigkeit keine Anhaltspunkte feststellen können. Diese Einschätzung macht sich der Senat zu eigen.
34 4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Da für das Gerichtsverfahren eine Festgebühr erhoben wird (§ 75 LDG NRW i.V.m. dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu diesem Gesetz), bedarf es keiner gerichtlichen Streitwertfestsetzung.