Beschluss vom 12.07.2018 -
BVerwG 1 VR 4.18ECLI:DE:BVerwG:2018:120718B1VR4.18.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 12.07.2018 - 1 VR 4.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:120718B1VR4.18.0]
Beschluss
BVerwG 1 VR 4.18
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juli 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:
- Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz vor dem Bundesverwaltungsgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seinen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
- Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und Rückgängigmachung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung vom 16. Oktober 2017 wird abgelehnt.
- Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Abänderungsverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
1 1. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 und 121 Abs. 1 ZPO).
2 2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
3
a) Dem wörtlich gestellten Antrag,
"festzustellen, dass die Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Antragsgegners vom 16.10.2017 aufschiebende Wirkung hat, sowie die Rückgängigmachung der Vollziehung anzuordnen",
bleibt schon deshalb der Erfolg versagt, weil vorliegend entgegen der Annahme des Antragstellers keine rechtswidrige "faktische Vollziehung" stattgefunden hat. Der Antragsteller ist nicht entgegen einer bestehenden aufschiebenden Wirkung seiner Klage abgeschoben worden, sondern aufgrund einer sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnung (§ 58a Abs. 1 Satz 2 AufenthG) nach Ablehnung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz durch den Senat. Zu diesem Zeitpunkt durfte die Abschiebungsanordnung nach § 58a Abs. 4 Satz 3 AufenthG vollzogen werden. Mit dem Vorbringen, die Einlegung verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe (Verfassungsbeschwerde und Antrag auf einstweilige Anordnung) sei durch zu rasche Abschiebung vereitelt worden, kann der Antragsteller schon deshalb nicht gehört werden, weil er eine - auch noch nach erfolgter Abschiebung mögliche - Verfassungsbeschwerde nicht eingelegt hat. Im Übrigen war der vollständige Beschluss dem früheren Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 23. Januar 2018 zugestellt worden, sodass auch ein Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht vor der am 26. Januar 2018 erfolgten Abschiebung noch hätte gestellt werden können. Dass Eile geboten war, musste dem damaligen Prozessbevollmächtigte bewusst sein angesichts der schriftlichen Ankündigung der Ausländerbehörde, die Abschiebung werde nunmehr früher erfolgen als bisher bekannt geworden, und das Reisegepäck sei bei der JVA Neumünster bis zum 24. Januar 2018 abzugeben.
4 b) Der Antrag ist auch insoweit unbegründet, als der Antragsteller sinngemäß begehrt, unter Abänderung des Beschlusses des Senats vom 16. Januar 2018 nach § 80 Abs. 7 VwGO die aufschiebende Wirkung seiner Klage und nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO die Rückgängigmachung der Vollziehung anzuordnen. Mit der genannten Entscheidung hat der Senat den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Antragsgegners vom 16. Oktober 2017 abgelehnt.
5 aa) Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die in einem Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ergangene Entscheidung richtig ist; es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage eine andere Entscheidung bezüglich der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2017 - 1 VR 6.17 - juris Rn. 3). Dies ist nicht der Fall.
6 Das Vorbringen des Antragstellers zu seiner Behandlung nach der Abschiebung rechtfertigt eine Abänderung der den Eilrechtsschutz versagenden Entscheidung (und Rückgängigmachung der Vollziehung) schon deswegen nicht, weil maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsanordnung in Fällen, in denen der Ausländer - wie hier - in Vollzug der gegen ihn ergangenen Entscheidung bereits abgeschoben worden ist, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Abschiebung ist (BVerwG, Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 14). Gleiches gilt für den Einwand, das Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller sei entgegen der Annahme des Senats nach der Abschiebung (noch) nicht eingestellt worden. Ungeachtet dessen rechtfertigt die Schilderung des Antragstellers über die Vorgänge in der Türkei nach seiner Abschiebung nicht die Annahme einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch türkische staatliche Organe oder Bedienstete.
7 Bei dem Vortrag im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Kriegsdienstverweigerung und einer daraus vermeintlich drohenden politischen Verfolgung handelt es sich nicht um veränderte oder im ursprünglichen vorläufigen Rechtsschutzverfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände. Vielmehr war die Frage, ob der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass eine etwaige Kriegsdienstverweigerung in der Türkei auf einer Gewissensentscheidung beruhte, bereits Gegenstand des Verfahrens 1 VR 12.17 ; der Antragsteller konnte hierzu vortragen und hat dies auch getan.
8 Dasselbe gilt auch für das Vorbringen, der Antragsteller habe entgegen der Annahme des Senats mit der ihm nach islamischem Recht angetrauten Frau M. E. bis zur Abschiebung zusammengelebt und sei der Vater des von ihr geborenen Sohnes, so dass die Abschiebung den grund- und menschenrechtlich gesicherten Schutz von Ehe und Familie verletze (Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK). Ungeachtet dessen begründet eine Berücksichtigung dieses Vortrags und der beigefügten eidesstattlichen Versicherung von Frau M. E. weder eine Unvereinbarkeit der Abschiebungsanordnung mit Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK noch einen (sonstigen) Ermessensfehler. Dass der Antragsteller der leibliche Vater des danach am 15. April 2018 geborenen Kindes ist, ist auch weiterhin nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die bloße Behauptung der Beteiligten genügt insoweit nicht, nachdem der Senat seine gegenteilige Annahme im Beschluss vom 16. Januar 2018 auf eindeutige Äußerungen aus der Telekommunikationsüberwachung gestützt hat, mit denen sich weder die Antragsbegründung noch Frau E. auseinandersetzen. Jedenfalls ist eine Vaterschaftsanerkennung oder gerichtliche Vaterschaftsfeststellung, die die Eigenschaft als Vater im Rechtssinne bei fehlender staatlicher Ehe mit der Mutter erst begründen könnte (vgl. § 1592 BGB), weder vorgetragen noch ersichtlich.
9 Für eine Verletzung des Schutzes der Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG ist ebenfalls nichts ersichtlich. Selbst wenn sich der Antragsteller und Frau E. nicht schon vor der Abschiebung getrennt haben sollten (wie im Beschluss vom 16. Januar 2018 angenommen), unterfällt eine nach islamischem Ritus geschlossene Ehe nicht dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 2017 - 1 VR 5.17 - Buchholz 402.242 § 58a AufenthG Nr. 8 Rn. 51). Nachdem ausweislich der ergänzenden Ermessenserwägungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 7. November 2017 zwischen dem Antragsteller und Frau E. auch jedenfalls keine Haushaltsgemeinschaft bestanden hat, was durch die nunmehr vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Frau E. letztlich eingeräumt worden ist, begegnet es im Ergebnis auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK aller Voraussicht nach keinen durchgreifenden Bedenken, dass der Antragsgegner die durch eine Abschiebung bewirkte Trennung von der (unterstellten) Lebensgefährtin vor dem Hintergrund der vom Antragsteller ausgehenden erheblichen Gefahren als zumutbar erachtet hat.
10 Der ergänzende Vortrag zur (behaupteten) Verfassungswidrigkeit des § 58a AufenthG kann einen Anspruch auf Abänderung der Entscheidung zum vorläufigen Rechtsschutz nicht begründen, weil es sich nicht um veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände handelt. Auch hinsichtlich der eidesstattlichen Versicherung zweier Freunde, mit denen die Gefahrenprognose entkräftet werden soll, ist nichts dafür dargetan, dass diese nicht bereits im Verfahren 1 VR 12.17 hätten erstellt und vorgelegt werden können. Einer abschließenden Prüfung wird all dies im Hauptsacheverfahren 1 A 16.17 zu unterziehen sein.
11 bb) Es besteht schließlich keine Veranlassung, von der gerichtlichen Abänderungsbefugnis nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO Gebrauch zu machen. Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die Entscheidung über einen Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit von Amts wegen nach pflichtgemäßer Ermessensausübung ohne weitere Voraussetzung - also insbesondere ohne veränderte Umstände im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO - ändern, wenn das Gericht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage (besseren Rechtserkenntnis) gekommen ist oder die frühere Interessenabwägung nachträglich als korrekturbedürftig einstuft (Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 80 Rn. 566 ff.). Ein derartiges Korrekturbedürfnis vermag der Senat auch unter Berücksichtigung des Antragsvorbringens nicht zu erkennen.
12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
13 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.