Verfahrensinformation

Vorgriffsstundenregelung in Sachsen-Anhalt


Die Antragsteller - eine verbeamtete Lehrerin und ein angestellter Lehrer - wenden sich gegen die in einer Rechtsverordnung geregelte Verpflichtung für Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt, wöchentlich eine - später auszugleichende - sog. Vorgriffsstunde zu leisten. Sie halten die Verordnung aus einer Reihe von Gründen für rechtswidrig.


Das von den Antragstellern erstinstanzlich angerufene Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt. Der Senat hat auf die Beschwerde der Antragsteller die Revision zur weiteren Klärung der Frage zugelassen, welchen Anforderungen Regelungen zur Verpflichtung von Lehrkräften zur Erbringung zusätzlicher Pflichtstunden ("Vorgriffsstunden") unterliegen.


Pressemitteilung Nr. 63/2025 vom 04.09.2025

Vorgriffsstundenregelung für Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt mangels hinreichender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage unwirksam

§ 4b der Verordnung über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen (ArbZVO-Lehr LSA), der eine Vorgriffsstundenregelung für die Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt enthält, ist von der Ermächtigungsgrundlage in § 63 Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes Sachsen-Anhalt (LBG LSA) nicht gedeckt und daher unwirksam. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Antragsteller – eine verbeamtete Lehrerin und ein angestellter Lehrer – haben sich mit ihren Normenkontrollanträgen gegen die in der Rechtsverordnung geregelte Verpflichtung für Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt gewandt, über fünf Jahre hinweg wöchentlich eine sog. Vorgriffsstunde zu leisten. Die Vorgriffsstunde, die unabhängig von einer etwaigen Teilzeitbeschäftigung angeordnet ist, muss später durch Freizeit oder zeitnah auf Antrag der Lehrkräfte durch eine Ausgleichszahlung ausgeglichen werden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Normenkontrollanträge abgelehnt.


Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Revision der Antragsteller die angegriffene Bestimmung für unwirksam erklärt. Zwar handelt sich bei einer Vorgriffsstunde nur um eine Verlagerung der Arbeitszeit, nicht um ihre Erhöhung oder um Mehrarbeit. Ihre Einführung muss dementsprechend nicht durch Parlamentsgesetz erfolgen. Allerdings fehlt es hier an einer aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlichen und hinreichend bestimmten Verordnungsermächtigung. § 63 Abs. 1 Satz 2 und 3 LBG LSA ermächtigt zwar die Landesregierung, Näheres über die Arbeitszeit der Beamten und insbesondere die Verteilung der Arbeitszeit zu regeln. § 4b ArbZVO-Lehr LSA geht aber insbesondere mit der eingeräumten Möglichkeit einer finanziellen Abgeltung der geleisteten Vorgriffsstunden über diese Ermächtigung hinaus und ist deshalb unwirksam.


Die angegriffene Regelung ist auch inhaltlich rechtswidrig, weil nur ein Ausgleich tatsächlich erteilter Vorgriffsstunden vorgesehen ist. Da die Vorgriffsstunde "echte" Dienstzeit ist, muss auch krankheitsbedingt ausgefallener Dienst berücksichtigt und dem Ausgleichskonto gutgeschrieben oder ausgezahlt werden. Schließlich begegnet die unabhängig vom Umfang der Teilzeitbeschäftigung angeordnete Verpflichtung zur Leistung einer (vollen) zusätzlichen Pflichtstunde im Hinblick auf den "pro-rata-temporis-Grundsatz" unionsrechtlichen Bedenken.


Fußnote:

§ 63 LBG LSA


Arbeitszeit


(1) Die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit beträgt für Beamtinnen und Beamte regelmäßig 40 Stunden. Die Landesregierung wird ermächtigt, durch Verordnung unter Beachtung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299 vom 18. 11. 2003, S. 9) Näheres über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten zu regeln. Dabei soll sie insbesondere Bestimmungen treffen über


1. die abweichende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit für bestimmte Gruppen von Beamtinnen und Beamten,


2. die Möglichkeiten und Grenzen der flexiblen Ausgestaltung der Arbeitszeit,


3. die Verteilung der Arbeitszeit,


(…)


§ 4b Verordnung über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen ArbZVO-Lehr LSA


Zusätzliche wöchentliche Pflichtstunde


(1) Vollzeitbeschäftigte und teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte haben vom 1. April 2023 bis 31. Juli 2028 über die jeweilige Unterrichtsverpflichtung nach § 4 Abs. 1 hinaus wöchentlich an allen Schulformen des Landes zusätzlich eine zusätzliche wöchentliche Pflichtstunde (Vorgriffsstunde) zu erteilen. Die Vorgriffsstunde wird dem Ausgleichskonto nach § 4a zugeführt, solange ein Guthabenaufbau nach § 4a möglich ist.


(2) Auf Antrag kann die Vorgriffsstunde durch monatliche Ausgleichszahlung gemäß § 45a des Landesbesoldungsgesetzes in Verbindung mit der Ausgleichszahlungsverordnung ausgezahlt werden.


(3) Nur tatsächlich erteilte Vorgriffsstunden werden dem Ausgleichskonto gutschrieben oder ausgezahlt. Vorgriffsstunden sind in der Schuljahreseinsatzplanung konkret zu kennzeichnen, erteilte Vorgriffsstunden sind zu erfassen.


(4) Die Verpflichtung zur Erteilung einer Vorgriffsstunde gilt nicht für schwerbehinderte Lehrkräfte mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50 (§ 2 Abs. 2 des Neunten Buches Sozialgsetzbuch), bei Altersermäßigung gemäß § 5 Abs. 1 oder 2, bei begrenzter Dienstfähigkeit nach § 46 des Landesbeamtengesetzes in Verbindung mit § 27 des Beamtenstatusgesetzes oder bei vorübergehend geminderter Dienstfähigkeit nach § 7. Bei Teilzeit aus familiären Gründen gemäß § 65 des Landesbeamtengesetzes oder Familienpflegezeit nach § 65a des Landesbeamtengesetzes ist einem Antrag auf Anpassung des Umfangs der Teilzeitbeschäftigung zum 1. April 2023 stattzugeben.


BVerwG 2 CN 1.24 - Urteil vom 04. September 2025

Vorinstanz:

OVG Magdeburg, OVG 1 K 66/23 - Urteil vom 07. März 2024 -

BVerwG 2 CN 2.24 - Urteil vom 04. September 2025

Vorinstanz:

OVG Magdeburg, OVG 1 K 67/23 - Urteil vom 07. März 2024 -


Beschluss vom 17.12.2024 -
BVerwG 2 BN 1.24ECLI:DE:BVerwG:2024:171224B2BN1.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.12.2024 - 2 BN 1.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:171224B2BN1.24.0]

Beschluss

BVerwG 2 BN 1.24

  • OVG Magdeburg - 07.03.2024 - AZ: 1 K 66/23

In der Normenkontrollsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 17. Dezember 2024 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt über die Nichtzulassung der Revision im Urteil vom 7. März 2024 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstands für das Revisionsverfahren wird vorläufig auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur weiteren Klärung der Frage bieten, welchen Anforderungen Regelungen zur Verpflichtung von Lehrkräften zur Erbringung zusätzlicher Pflichtstunden ("Vorgriffsstunden") unterliegen.

2 Die vorläufige Festsetzung des Werts des Streitgegenstands für das Revisionsverfahren beruht auf § 63 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 2 CN 1.24 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Beschluss vom 17.12.2024 -
BVerwG 2 BN 2.24ECLI:DE:BVerwG:2024:171224B2BN2.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.12.2024 - 2 BN 2.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:171224B2BN2.24.0]

Beschluss

BVerwG 2 BN 2.24

  • OVG Magdeburg - 07.03.2024 - AZ: 1 K 67/23

In der Normenkontrollsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 17. Dezember 2024 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt über die Nichtzulassung der Revision im Urteil vom 7. März 2024 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstands für das Revisionsverfahren wird vorläufig auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur weiteren Klärung der Frage bieten, welchen Anforderungen Regelungen zur Verpflichtung von Lehrkräften zur Erbringung zusätzlicher Pflichtstunden ("Vorgriffsstunden") unterliegen.

2 Die vorläufige Festsetzung des Werts des Streitgegenstands für das Revisionsverfahren beruht auf § 63 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 2 CN 2.24 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.