Verfahrensinformation

Der 1. Wehrdienstsenat verhandelt erst- und letztinstanzlich über die Voraussetzungen für den Aufstieg in die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes.


Die Antragstellerin ist in der Laufbahn der Unteroffiziere des allgemeinen Fachdienstes tätig und als Hauptfeldwebel grundsätzlich berechtigt, sich für den Aufstieg in die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes im Bereich Logistik/Materialbewirtschaftung zu bewerben. Da es dafür mehr Bewerber als offene Stellen gibt, findet jährlich ein Auswahlverfahren statt. Nach den einschlägigen Verwaltungsvorschriften kommt es dabei auf die beiden letzten dienstlichen Beurteilungen im bisherigen Amt, eine Anlassbeurteilung für die Befähigung zur angestrebten Laufbahn und eine positive Potenzialfeststellung an. Die Potenzialfeststellung beruht auf einem psychologischen Test- und Beurteilungsverfahren.


Die Antragstellerin konnte im Auswahljahr 2023 weit überdurchschnittliche Beurteilungen vorlegen, erzielte aber bei der Potenzialfeststellung nur vergleichsweise wenige Punkte. Obwohl sie aufgrund der errechneten Gesamtpunktzahl den 5. Rangplatz erreichte und damit einen von 15 Anwärterdienstposten erlangt hätte, wurde sie nicht zum Aufstieg zugelassen. Denn sie erreichte den für die Potenzialfeststellung vorgeschriebenen Mindestwert nicht.


Die Antragstellerin rügt im gerichtlichen Verfahren eine Verletzung ihres Anspruchs auf Durchführung eines leistungsgerechten Auswahlverfahrens nach Art. 33 Abs. 2 GG. Sie erfülle alle nach dem Soldatengesetz und der Soldatenlaufbahnverordnung erforderlichen Aufstiegsvoraussetzungen. Es widerspreche dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts, wenn das Bestehen der lediglich in einem Verwaltungserlass vorgesehenen Potenzialfeststellung zum Ausschlusskriterium erhoben werde. Das von der Bundeswehr durchgeführte Potenzialfeststellungsverfahren und die Forderung nach einem Mindestwert seien außerdem nicht wissenschaftlich fundiert.


Das Bundesministerium der Verteidigung tritt dem entgegen. Der Dienstherr sei im Rahmen seines personalwirtschaftlichen Gestaltungsspielraums berechtigt, die Anforderungen an die Eignung und Befähigung von Aufstiegskandidaten in Verwaltungserlassen im Einzelnen näher festzulegen. Das psychologische Beurteilungsverfahren der Potenzialfeststellung entspreche wissenschaftlichen Standards. Daher könne das Bestehen dieser Prüfung mit einem Mindestwert als Ausschlusskriterium herangezogen werden.


Das Bundesverwaltungsgericht hat einen Antrag der Soldatin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung abgelehnt (BVerwG, Beschluss vom 29. September 2023 - 1 W-VR 13.23 - Rn. 27).


Pressemitteilung Nr. 51/2024 vom 29.10.2024

Potenzialfeststellung bedarf gesetzlicher Grundlage

Die gegenwärtige Praxis der Bundeswehr, das Personal für den Aufstieg in die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes auch mit Hilfe einer sogenannten Potenzialfeststellung auszuwählen, bedarf einer gesetzlichen Regelung. Das hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts heute entschieden.


Anlass für diese Entscheidung war der Fall einer Berufssoldatin, die sich als Hauptfeldwebel für den Aufstieg in die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes im Bereich Logistik/Materialbewirtschaftung beworben hat. Da es dafür mehr Bewerber als offene Stellen gibt, findet jährlich ein Auswahlverfahren statt. Nach den einschlägigen Verwaltungsvorschriften kommt es dabei auf die beiden letzten dienstlichen Beurteilungen im bisherigen Amt, auf die Aussagen der Personalentwicklungsbewertung zum angestrebten Laufbahnwechsel und auf eine positive Potenzialfeststellung an. Die Potenzialfeststellung beruht auf einem eintägigen psychologischen Test- und Beurteilungsverfahren. Die Antragstellerin konnte im Auswahljahr 2023 weit überdurchschnittliche Beurteilungen vorlegen, verfehlte aber bei der Potenzialfeststellung den in den Verwaltungserlassenen vorgeschriebenen Punktewert und wurde deshalb nicht für den Aufstieg zugelassen.


Der 1. Wehrdienstsenat hat die ablehnenden Bescheide aufgehoben und dem Antrag der Soldatin auf Neubescheidung stattgegeben. Denn die für sie nachteilige Heranziehung der Potenzialfeststellung als Auswahlkriterium für den Laufbahnwechsel ist rechtswidrig, weil es an der dafür erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlt. Öffentliche Ämter müssen nach Art. 33 Abs. 2 GG nach Eignung, Leistung und Befähigung vergeben werden. Es ist zwar nicht sachwidrig, beim Aufstieg in eine Laufbahn mit wesentlich höheren Anforderungen nicht allein auf die dienstlichen Beurteilungen im bisherigen Amt und auf die in der Personalentwicklungsbewertung zum Ausdruck kommende Einschätzung der Vorgesetzten abzustellen. Ein psychologisches Testverfahren, in dem das geistige und charakterliche Potenzial für den Laufbahnaufstieg überprüft wird, kann vom Dienstherrn auch als sinnvolles Personalauswahlinstrument angesehen werden. Der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts verlangt jedoch, dass die für die Bestenauslese bei der Vergabe öffentlicher Ämter nach Art. 33 Abs. 2 GG maßgeblichen Vergleichsinstrumente vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst bestimmt werden. Er darf diese wesentliche Grundentscheidung nicht allein dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. August 2023 - 1 WB 60.22 - BVerwGE 180, 116 Rn. 39 und - 1 WB 64.22 - BVerwGE 180, 140, Rn. 38 ff.).


Ebenso wenig kann die Verwaltung die Bedeutung gesetzlich vorgesehener Auswahlinstrumente durch reine Verwaltungsvorschriften einschränken. Die Potenzialfeststellung ist gesetzlich nicht geregelt. Der 1. Wehrdienstsenat hat ausgeführt, dass sie auch nicht für eine Übergangszeit in den Auswahlverfahren für den Aufstieg zur Offizierin oder zum Offizier des militärfachlichen Dienstes weiter herangezogen werden kann. Dafür besteht keine Notwendigkeit, weil die Bundeswehr von sich aus darauf bereits aus anderen Gründen in einem früheren Auswahljahrgang verzichtet hat. Zudem bestehen für dieses Zulassungsverfahren mit der dienstlichen Beurteilung und der Personalentwicklungsbewertung nunmehr gesetzlich geregelte Auswahlinstrumente (§ 27a Abs. 1 und 3 SG) zur Verfügung, mit deren Hilfe über den Zulassungsanspruch der Soldatin nach Art. 33 Abs. 2 GG entschieden werden kann.


BVerwG 1 WB 36.23 - Beschluss vom 29. Oktober 2024