Urteil vom 26.09.2024 -
BVerwG 1 C 11.23ECLI:DE:BVerwG:2024:260924U1C11.23.0
Verhältnis des § 36a AufenthG zu § 25 Abs. 5 AufenthG
Leitsätze:
1. Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 2 RL 2011/95/EU vermitteln Familienmitgliedern eines subsidiär Schutzberechtigten keinen unmittelbaren Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Wahrung des Familienverbands im Bundesgebiet (im Anschluss an BVerwG, Urteile vom 17. November 2020 - 1 C 8.19 -, vom 25. November 2021 - 1 C 4.21 - und vom 15. November 2023 - 1 C 7.22 -).
2. § 36a AufenthG regelt den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten grundsätzlich abschließend und sperrt einen Rückgriff auf § 25 Abs. 5 AufenthG, wenn sich die rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise allein auf bereits vor der Einreise bestehende familiäre Bindungen zu dem subsidiär Schutzberechtigten stützt.
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Rechtsquellen
RL 2011/95/EU Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 2 GG Art. 6 EMRK Art. 8 AufenthG § 25 Abs. 5, § 30 Abs. 1 und 4, § 32 Abs. 1 und 4, § 36a AsylG § 26 -
Instanzenzug
VG Neustadt a. d. Weinstraße - 11.11.2021 - AZ: 2 K 11/21.NW
OVG Koblenz - 16.05.2023 - AZ: 7 A 10650/22.OVG
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 26.09.2024 - 1 C 11.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:260924U1C11.23.0]
Urteil
BVerwG 1 C 11.23
- VG Neustadt a. d. Weinstraße - 11.11.2021 - AZ: 2 K 11/21.NW
- OVG Koblenz - 16.05.2023 - AZ: 7 A 10650/22.OVG
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß, Dollinger und
Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
für Recht erkannt:
- Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Mai 2023 wird zurückgewiesen.
- Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
1 Die Kläger sind syrische Staatsangehörige und begehren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
2 Die Kläger, denen in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war, reisten im März 2019 in das Bundesgebiet ein. Nach bestandskräftiger Ablehnung ihrer Asylanträge als unzulässig beantragten sie beim Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Hinweis darauf, dass die Klägerin zu 1 die Zweitfrau und die Kläger zu 2 bis 4 die Kinder eines im Bundesgebiet als subsidiär schutzberechtigt anerkannten und mit seiner ersten Ehefrau und weiteren sechs Kindern zusammenlebenden syrischen Staatsangehörigen seien.
3 Mit Verfügungen vom 27. Februar 2020 lehnte der Beklagte die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG ab, da eine schützenswerte Verbindung zwischen den Klägern und dem subsidiär Schutzberechtigten nicht nachgewiesen worden sei. Die hiergegen eingelegten Widersprüche wurden zurückgewiesen.
4 Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren insoweit eingestellt, als der Beklagte die gegenüber den Klägern verfügten Abschiebungsandrohungen in der mündlichen Verhandlung aufgehoben hat und der Rechtsstreit diesbezüglich übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
5 Mit Urteil vom 16. Mai 2023 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Den Klägern stehe kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Die § 30 Abs. 1, § 32 Abs. 1 und 4 AufenthG erfassten nicht den Ehegatten- und Kindernachzug zu einem subsidiär Schutzberechtigten. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36a AufenthG scheitere mit Blick auf die bestandskräftig abgelehnten Asylanträge bereits an der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Den Klägern sei es verwehrt, sich auf § 25 Abs. 5 AufenthG zu berufen, da § 36a AufenthG den der Sache nach begehrten Familiennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten unter Berücksichtigung humanitärer Gründe spezialgesetzlich abschließend regele. Die Sperrwirkung des § 36a AufenthG im Verhältnis zu § 25 Abs. 5 AufenthG stehe im Einklang mit den Schutzwirkungen der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie mit den europarechtlichen Vorgaben. Bei illegaler Einreise und anschließender Asylantragstellung müssten sich die Familienangehörigen grundsätzlich auf das diesbezügliche Regelungsregime, insbesondere die Regelungen zum Familienasyl und internationalen Schutz für Familienangehörige verweisen lassen und bei Nichtvorliegen eines entsprechenden Anspruchs ihr Bleibebegehren durch Beantragung einer Duldung weiterverfolgen. Vom grundsätzlich bestehenden Ausschluss des § 25 Abs. 5 AufenthG im Anwendungsbereich des § 36a AufenthG sei im Einzelfall dann eine Ausnahme angezeigt, wenn die das Spezialitätsverhältnis rechtfertigenden Umstände sich nachträglich derart verändert hätten, dass dieses durch die neuerlichen Verhältnisse gleichsam überlagert werde.
6 Mit ihrer Revision rügen die Kläger eine Verletzung der Art. 23 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 2 RL 2011/95/EU sowie von § 25 Abs. 5 AufenthG, Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Als Familienangehörigen eines subsidiär Schutzberechtigten stehe ihnen ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unmittelbar aus der Anerkennungsrichtlinie zu. Ein Spezialitätsverhältnis zwischen § 25 Abs. 5 AufenthG und § 36a AufenthG sei nicht ersichtlich. Die Vorschriften befänden sich in unterschiedlichen Abschnitten des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes und dienten unterschiedlichen Aufenthaltszwecken. Es gehe nicht um Familiennachzug, sondern um die Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Trennung der Kläger vom Kindsvater.
7 Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
8 Die Vertreterin des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Auffassung des Beklagten und des Berufungsgerichts.
II
9 Die zulässige Revision der Kläger ist unbegründet. Im Einklang mit Bundesrecht hat das Berufungsgericht einen Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verneint. Ein solcher Anspruch folgt weder unmittelbar aus Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 2 RL 2011/95/EU (1.) noch aus den §§ 27 ff. AufenthG (2.) oder aus § 25 Abs. 5 AufenthG (3.).
10 1. Den Klägern ist es verwehrt, sich unmittelbar auf Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu berufen (1.1). Unabhängig davon erfüllen die Kläger auch nicht deren tatbestandliche Voraussetzungen (1.2).
11 1.1 Eine Richtlinie ist nach Art. 288 Abs. 3 AEUV für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich; sie überlässt den nationalen Gesetzgebern jedoch die Wahl der Form und der Mittel. Richtlinien sind daher grundsätzlich nicht auf unmittelbare Anwendbarkeit angelegt und bedürfen der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber. Der Einzelne kann sich aber in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat (stRspr, vgl. nur EuGH, Urteil vom 8. März 2022 - C-205/20 [ECLI:EU:C:2022:168], NE - Rn. 17 m. w. N.).
12 An dieser letzten Voraussetzung fehlt es hier. Der deutsche Gesetzgeber hat Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 2 RL 2011/95/EU vollständig und überschießend in nationales Recht umgesetzt. Dem diente die Neufassung des § 26 AsylG durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474, vgl. auch BT-Drs. 17/13063 S. 21). Zusätzlich zu den im nationalen Recht bewährten Schutzformen des Familienasyls und des Familienflüchtlingsschutzes wurde ein gemeinsamer Status bei subsidiär Geschützten und ihren Familienangehörigen eingeführt. Dies sollte die Rechtsanwendung erleichtern und auch der Tatsache Rechnung tragen, dass bei Familienangehörigen häufig eine vergleichbare Bedrohungslage wie bei dem Stammberechtigten vorliegt (BT-Drs. 17/13063 S. 21). § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i. V. m. Abs. 1 bis 3 AsylG zielte darauf ab, den Familienangehörigen eines Schutzberechtigten zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Familieneinheit und der Wahrung des Minderjährigenschutzes die gleichen Rechte wie dem Stammberechtigten zu vermitteln. Zur Erreichung dieses Ziels beschritt der Gesetzgeber nicht den Weg einer rein aufenthalts- und sozialrechtlichen Umsetzung; stattdessen entschied er sich nicht zuletzt im Interesse einer Verfahrensvereinfachung für eine unionsrechtlich überschießende asylrechtliche Umsetzung der Vorgaben des Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU (BT-Drs. 17/13063 S. 21; BVerwG, Urteile vom 17. November 2020 - 1 C 8.19 - BVerwGE 170, 326 Rn. 26, vom 25. November 2021 - 1 C 4.21 - BVerwGE 174, 177 Rn. 26 f. und vom 15. November 2023 - 1 C 7.22 - ZAR 2024, 210 Rn. 13; zur Zulässigkeit einer solchen überschießenden Umsetzung EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2018 - C-652/16 [ECLI:EU:C:2018:801], Ahmedbekova u. a. - Rn. 74 und vom 9. November 2021 - C-91/20 [ECLI:EU:C:2021:898] - Rn. 36 ff.).
13 Dabei entspricht es der Intention des Gesetzgebers, hinsichtlich des Kreises der Begünstigten einer Erstreckung des internationalen Flüchtlingsschutzes, aber auch hinsichtlich der schutzberechtigten Bezugsperson an die in Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU normierten Vorgaben anzuknüpfen (BT-Drs. 17/13063 S. 21). Dies folgt auch aus der Absicht, dadurch die Gebote des Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU im nationalen Recht vollständig zu erfüllen (BVerwG, Urteile vom 17. November 2020 - 1 C 8.19 - BVerwGE 170, 326 Rn. 27, vom 25. November 2021 - 1 C 4.21 - BVerwGE 174, 177 Rn. 26 f. und vom 15. November 2023 - 1 C 7.22 - ZAR 2024, 210 Rn. 13).
14 Auch die Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hindert nicht die Zuerkennung des von einem schutzberechtigten Familienangehörigen abgeleiteten internationalen Familienschutzes; § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG findet in Fällen des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i. V. m. Abs. 1 bis 3 AsylG keine Anwendung (BVerwG, Urteil vom 17. November 2020 - 1 C 8.19 - BVerwGE 170, 326 Rn. 17 ff.; zum Recht auf Gewährung der in den Art. 24 bis 35 RL 2011/95/EU genannten Leistungen an einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag auf internationalen Schutz unzulässig ist, weil ihm in einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist: EuGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - C-483/20 [ECLI:EU:C:2022:103] - Rn. 41).
15 Etwas Anderes folgt auch nicht daraus, dass den Klägern internationaler Familienschutz nach § 26 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 und 2 AsylG möglicherweise zu Unrecht versagt worden ist. Denn die Kläger haben den ablehnenden Asylbescheid bestandskräftig werden lassen und können sich nunmehr nicht gleichsam ersatzweise unmittelbar auf Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 2 RL 2011/95/EU berufen. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob sich die Klägerin zu 1 - die Wirksamkeit dieser Ehe unterstellt - als Zweitfrau, die zudem bereits im Herkunftsland von dem subsidiär Schutzberechtigten räumlich getrennt gelebt hat, überhaupt auf § 26 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 AsylG hätte berufen können (str., verneinend: VG Oldenburg, Urteil vom 19. Oktober 2011 - 3 A 2625/10 - juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. Mai 2023 - OVG 3 B 24/22 - FamRZ 2023, 1461 <1463 f.>, wenn bereits eine Ehefrau Familienflüchtlingsschutz erhalten hat; bejahend: VG Berlin, Urteil vom 6. Juli 2020 - 4 K 769.16 A - juris Rn. 23 ff.; VG Hamburg, Urteil vom 23. September 2021 - 16 A 7138/17 - juris Rn. 32). § 26 AsylG knüpft, wie bereits ausgeführt, auch hinsichtlich des Kreises der Begünstigten an die in Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU normierten Vorgaben an mit der Folge, dass der Ehebegriff des § 26 Abs. 1 AsylG ggf. im Lichte dieser Norm auszulegen und eine fehlende Umsetzung auch insoweit nicht zu besorgen wäre.
16 1.2 Unabhängig davon erfüllen die Kläger nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 2 RL 2011/95/EU, da sie nicht Familienangehörige im Sinne des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU sind.
17 Gemäß Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann. Nach Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU ist die Gewährung der in den Art. 24 ff. RL 2011/95/EU genannten Leistungen, darunter die hier streitgegenständliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts nach Art. 24 Abs. 2 RL 2011/95/EU, an drei Voraussetzungen gebunden, die sich erstens auf die Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinne des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU, zweitens auf den Umstand, dass für diesen Angehörigen selbst die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes nicht erfüllt sind und drittens auf die Vereinbarkeit mit der persönlichen Rechtsstellung des betreffenden Familienangehörigen beziehen (EuGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - C-483/20 - Rn. 39). Familienangehörige im Sinne des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU sind die dort aufgeführten Mitglieder der Familie der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat.
18 Ohne dass es auf die übrigen Voraussetzungen, vor allem auf den Bestand der Familie im Herkunftsland und die Frage, ob die Klägerin zu 1 als Zweitfrau Art. 2 Buchst. j Spiegelstrich 1 RL 2011/95/EU unterfällt, noch ankommt, haben sich die Kläger jedenfalls nicht im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz des als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Kindsvaters im Bundesgebiet aufgehalten. Nach den für den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Kläger erst im März 2019 nach Deutschland eingereist, während dem Kindsvater bereits im Januar 2019 subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist. Zwar schließen getrennte Migrationswege es nicht aus, dass die in Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU genannten Mitglieder der Familie als Familienangehörige im Sinne dieser Norm angesehen werden können. Voraussetzung ist aber, dass sich das jeweilige Familienmitglied im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufgehalten hat, bevor über den Antrag auf internationalen Schutz des späteren Stammberechtigten entschieden worden ist (EuGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - C-483/20 - Rn. 40).
19 2. Mit Bundesrecht vereinbar ist die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, den Klägern stehe kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus den §§ 27 ff. AufenthG zu.
20 § 30 Abs. 1 AufenthG für den Ehegattennachzug und § 32 Abs. 1 und 4 AufenthG für den Kindernachzug sind nicht einschlägig, da der Familiennachzug zu einem subsidiär Schutzberechtigten mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG von diesen Vorschriften ausdrücklich nicht erfasst bzw. ausgenommen ist (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. c, d und e und § 32 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Abs. 4 Satz 3 AufenthG). Für die Klägerin zu 1 schließt zudem § 30 Abs. 4 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus, da der subsidiär Schutzberechtigte mit seiner ersten Ehefrau im Bundesgebiet zusammenlebt.
21 Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass wegen der bestandskräftig als unzulässig abgelehnten Asylanträge die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Satz 3 AufenthG greift und sich die Kläger infolgedessen auch nicht auf § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berufen können, der allein einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung vermittelt (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 48). Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Dies gilt nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG lediglich im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht. Dabei bezeichnet der Begriff des Anspruchs allein den gesetzlichen Anspruch, mithin einen strikten Rechtsanspruch, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das bedeutet, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat. Hierfür genügt weder eine Soll- noch eine Ermessensvorschrift, selbst wenn im Einzelfall ein atypischer Fall vorliegt oder das Ermessen "auf Null" reduziert ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteile vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 - BVerwGE 162, 349 Rn. 27 m. w. N. und vom 26. Mai 2020 - 1 C 12.19 - BVerwGE 168, 159 Rn. 52 m. w. N.). Im Übrigen steht § 36a Abs. 1 Satz 3 AufenthG der Annahme nicht nur eines individuellen Rechtsanspruchs auf Familiennachzug (BT-Drs. 19/2438 S. 2, 16, 21 f. und 23) nach dieser Norm entgegen, sondern soll auch ein "intendiertes Ermessen" oder eine Ermessensreduzierung auf Null ausschließen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 48 m. w. N.).
22 3. Ohne Bundesrechtsverstoß geht das Oberverwaltungsgericht schließlich davon aus, dass es den Klägern verwehrt sei, sich hinsichtlich der begehrten Titelerteilung auf § 25 Abs. 5 AufenthG zu berufen. Die dem zugrunde liegende Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, § 36a AufenthG regele den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten grundsätzlich abschließend und sperre einen Rückgriff auf den in Abschnitt 5 des Kapitels 2 geregelten § 25 Abs. 5 AufenthG jedenfalls dann, wenn sich die rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise allein auf bereits vor der Einreise bestehende familiäre Bindungen zum subsidiär Schutzberechtigten stütze, steht mit Bundesrecht in Einklang.
23 3.1 Bereits aus dem Wortlaut des § 36a AufenthG ergeben sich Anhaltspunkte für eine solche grundsätzliche Sperrwirkung dieser Vorschrift gegenüber § 25 Abs. 5 AufenthG. So lässt § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Familiennachzug zum subsidiär Geschützten die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft nicht genügen, sondern verlangt als weitere tatbestandliche Voraussetzung das Vorliegen humanitärer Gründe, die als Regelbeispiele - nicht abschließend (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 - 1 C 31.21 - juris Rn. 12) – in seinem Absatz 2 geregelt sind und die unter anderem in dem Schutz von Ehe und Familie wurzeln. Durch die in der Norm selbst vorgenommene Verschränkung humanitärer und auf die Herstellung der Familieneinheit bezogener Aspekte (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 47) konkurriert § 36a AufenthG mit den Vorschriften in Abschnitt 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes, die den Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen regeln. Dies spricht dafür, dass § 36a AufenthG jedenfalls dann in einem Spezialitätsverhältnis zu § 25 Abs. 5 AufenthG steht, wenn die rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise auf die gleichen Gründe wie bei § 36a AufenthG, nämlich auf bereits vor Einreise bestehende familiäre Belange, gestützt wird.
24 Für das vorstehende Verständnis streiten auch gesetzessystematische Erwägungen: So bleiben nach der ausdrücklichen Regelung in § 36a Abs. 1 Satz 4 AufenthG neben § 36a Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG lediglich die §§ 22, 23 AufenthG und damit nur zwei Vorschriften aus dem Abschnitt 5 des Kapitels 2 unberührt. Auch enthält § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG eine Kontingentierung, nach der monatlich 1 000 nationale Visa für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 36a Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG erteilt werden können. Hinsichtlich der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen sieht § 36a AufenthG teilweise strengere Regelungen im Vergleich nicht nur zu § 25 Abs. 5 AufenthG, sondern auch zu den §§ 27 ff. AufenthG vor. Denn nach § 36a Abs. 5 AufenthG gilt § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden kann, und anders als bei § 25 Abs. 5 AufenthG, bei dem nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abgesehen werden kann, nicht. Zudem ist die Frist des § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG nicht anwendbar, da humanitäre Gründe nicht an eine Frist gebunden werden können (BT-Drs. 19/2438 S. 25). Des Weiteren hat der Gesetzgeber für die Umsetzung dieser Regelung ein aufwendiges und kostenintensives Kontingentverfahren unter Einbeziehung auch des Bundesverwaltungsamtes (BT-Drs. 19/2438 S. 5) neu geschaffen. In der Gesetzesbegründung wird sowohl für den Ehegattennachzug als auch für den Elternnachzug und den Nachzug minderjähriger lediger Kinder zum subsidiär Schutzberechtigten betont, dass allein oder ausschließlich § 36a AufenthG maßgeblich ist (BT-Drs. 19/2438 S. 20 zu Nr. 3 Buchst. a, b, c sowie S. 21 zu Nr. 4 Buchst. b und Nr. 5; vgl. auch BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 50 und vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - NVwZ-RR 2021, 777 Rn. 40). Lediglich aus dringenden humanitären Gründen kann darüber hinaus im Einzelfall auch Angehörigen der Kernfamilie subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 1 AufenthG erteilt werden, wenn die Aufnahme sich aufgrund des Gebotes der Menschlichkeit aufdrängt und die Situation ein Eingreifen zwingend erforderlich macht oder bei Bundes- oder Landesprogrammen gemäß § 23 AufenthG (BT-Drs. 19/2438 S. 22).
25 Dem steht nicht entgegen, dass § 36a AufenthG und auch die §§ 22, 23 AufenthG den Zuzug von Familienangehörigen aus dem Ausland regeln, während § 25 Abs. 5 AufenthG einen bestehenden Aufenthalt in Deutschland und eine vollziehbare Ausreisepflicht voraussetzt. Denn dies ändert nichts daran, dass mit § 36a AufenthG eine eigene komplexe Regelung mit einem neu entwickelten Verfahren und einer monatlichen Kontingentierung geschaffen worden ist, die familiäre und humanitäre Belange der Kernfamilienangehörigen zum subsidiär Schutzberechtigten unter den dort geregelten Voraussetzungen und in Härtefällen ergänzend über die §§ 22, 23 AufenthG berücksichtigt (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 - 1 C 8.21 - BVerwGE 177, 226 Rn. 21). Vom Inland aus besteht für Familienmitglieder von international Schutzberechtigten zudem nach § 26 AsylG die Möglichkeit, über die Gewährung internationalen Familienschutzes eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG zu erlangen. Dieser gesetzgeberischen Gesamtkonzeption liefe es zuwider, über eine Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 i. V. m. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG einen weiteren Weg der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise, gestützt allein auf bereits vor Einreise bestehende familiäre Bindungen zu einem subsidiär Schutzberechtigten, zu eröffnen, bei dem durch unerlaubte Einreise ohne Visum und auch unabhängig von einer Asylantragstellung unter den dort geregelten erleichterten Voraussetzungen die in § 36a AufenthG normierten Anforderungen und das monatliche Kontingent umgangen werden können.
26 Ebenso wenig würde es dem vorstehenden Normverständnis widerstreiten, wenn § 25 Abs. 5 AufenthG einem Familienangehörigen eines Ausländers ein Aufenthaltsrecht zu vermitteln vermöchte, der im Hinblick auf die zu seinen Gunsten erfolgte Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ist. Gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf die Aufenthaltserlaubnis dem Ehegatten und dem minderjährigen Kind eines Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt, nur aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland erteilt werden. Ob und unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK die Legalisierung des Aufenthaltsrechts des Familienangehörigen ermöglichen oder gar gebieten, bedarf vorliegend keiner abschließenden Erörterung, da der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Schaffung von § 36a AufenthG deutlich gemacht hat, die Wahrung der Familieneinheit mit subsidiär Schutzberechtigten ausländerrechtlich durch ein Kontingentverfahren abschließend zu regeln.
27 Dieses Verständnis wird durch Sinn und Zweck des § 36a AufenthG untermauert. Die Vorschrift legt den Rahmen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten aus humanitären Gründen fest, um dem völker-, europa- und grundrechtlich gebotenen Schutz von Ehe und Familie in einen Interessenausgleich mit dem öffentlichen Interesse an der Steuerung der Zuwanderung zu bringen und im Zuge einer Gesamtabwägung, die auch Raum für den Einzelfall lässt, zu berücksichtigen (BT-Drs. 19/2438 S. 2 f.). Gleichzeitig wird durch die in § 36a AufenthG geregelten spezifischen Anforderungen sowie das monatliche Kontingent von 1 000 Visa das gesetzgeberische Ziel deutlich, einer Überforderung der Aufnahme- und Integrationssysteme von Staat und Gesellschaft vorzubeugen (BT-Drs. 19/2438 S. 3) und die Zusammenführung von Familienangehörigen subsidiär Schutzberechtigter - jenseits des Familienasyls - aufenthaltsrechtlich zu kontrollieren und zu begrenzen.
28 Schließlich wird diese Auslegung auch durch die Entstehungsgeschichte des § 36a AufenthG gestützt, die maßgeblich durch die Gewährung subsidiären Schutzes in den Jahren 2016 und 2017 in mehr als 250 000 Fällen geprägt ist (BT-Drs. 19/2438 S. 1, 6, 22). Während mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes der Familiennachzug für Familienangehörige subsidiär Schutzberechtigter im Gegensatz zum Familiennachzug zu Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention nur aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland erlaubt war (§ 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG a. F.), galt nur für kurze Zeit, nämlich durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eine Gleichstellung von subsidiär Schutzberechtigten mit Flüchtlingen beim Familiennachzug. Denn mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 wurde der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten (zunächst) für die Dauer von zwei Jahren bis zum 16. März 2018 im Interesse der Aufnahme- und Integrationssysteme in Staat und Gesellschaft (BT-Drs. 18/7538 S. 1) nicht gewährt. Durch das Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten vom 8. März 2018 (BGBl. I S. 342) ist die Aussetzung des Familiennachzugs bis 31. Juli 2018 verlängert, zugleich aber der gesetzgeberische Wille deutlich gemacht worden, ab 1. August 2018 einen geordneten und gestaffelten Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nur aus humanitären Gründen zu eröffnen (BT-Drs. 19/439 S. 4). Mit dem Familiennachzugsneuregelungsgesetz vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147) ist der Gesetzgeber diesem Auftrag unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass die Belastung der staatlichen und gesellschaftlichen Aufnahme- und Integrationssysteme fortbestehe, nachgekommen. Monatlich solle 1 000 Familienangehörigen von subsidiär Schutzberechtigten aus humanitären Gründen die legale Einreise in das Bundesgebiet ermöglicht werden, um so auch das legitime staatliche Interesse an einem gesteuerten und geordneten Zuzug von Ausländern zu berücksichtigen (BT-Drs. 19/2438 S. 2, 22).
29 3.2 Verfassungs- und Völkerrecht sowie Europarecht führen zu keinem anderen Ergebnis.
30 3.2.1 Der Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG wird vom Grundsatz der Einehe geprägt (BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959 - 1 BvR 205/58 u. a. - BVerfGE 10, 59 <66 f.>; Beschlüsse vom 7. Oktober 1970 - 1 BvR 409/67 - BVerfGE 29, 166 <176> und vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 - BVerfGE 31, 58 <69>; zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2018 - 1 C 15.17 - BVerwGE 162, 153 Rn. 22 ff., 60 ff.). Damit ergibt sich aus ihm - jedenfalls im Regelfall - kein Gebot, eine durch "Zuheirat" entstandene ausländische Mehrehe im Wege der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Einwanderungszwecken zu fördern, also die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die vom Leitbild des Art. 6 Abs. 1 GG gerade abweichende Lebensform im Bundesgebiet verwirklicht werden kann. Kinder aus einer solchen Ehe werden indessen als eheliche Kinder betrachtet und genießen jedenfalls Familienschutz aus Art. 6 Abs. 1 GG (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2018 - 1 C 15.17 - BVerwGE 162, 153 Rn. 60 ff.).
31 Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK vermitteln einen unmittelbaren Anspruch auf Familienzusammenführung (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <396 ff.>; Kammerbeschlüsse vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 - FamRZ 2006, 187 <188> m. w. N., vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 45 ff. m. w. N., vom 2. November 2023 - 2 BvR 441/23 - FamRZ 2024, 239 Rn. 19 ff. und vom 17. April 2024 - 2 BvR 244/24 - InfAuslR 2024, 364 Rn. 20 ff.; EGMR, Urteile vom 19. Februar 1996 - Nr. 23218/94, Gül/Schweiz - Rn. 38 und vom 31. Januar 2006 - Nr. 50435/99, Rodrigues da Silva und Hoogkamer/Niederlande - Rn. 39; EGMR <GK>, Urteile vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10, Jeunesse/Niederlande - Rn. 107 und vom 9. Juli 2021 - Nr. 6697/18, M.A./Dänemark - Rn. 131 ff., 142 ff., 161 ff.; BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 22 ff. und vom 8. Dezember 2022 - 1 C 8.21 - BVerwGE 177, 226 Rn. 20).
32 Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Allerdings sind bei Entscheidungen über Aufenthaltsrechte die familiären Bindungen angemessen zu berücksichtigen. Entscheidend ist dabei die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, die zunächst und zuvörderst in einer Beistands- und Erziehungsgemeinschaft zum Ausdruck kommt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 - FamRZ 2006, 187 <188>). Erforderlich ist eine Einzelfallbetrachtung, bei der die familiären Bindungen, aber auch sonstige Umstände wie die Trennungsdauer und die Möglichkeit der Herstellung der Familieneinheit nur im Bundesgebiet, abzuwägen sind (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 <348>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 <1208>, vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 45 und vom 2. November 2023 - 2 BvR 441/23 - FamRZ 2024, 239 Rn. 19 ff.; EGMR <GK>, Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10, Jeunesse/Niederlande - Rn. 106).
33 Die Belange der Bundesrepublik Deutschland überwiegen das durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützte private Interesse eines Ausländers und seines Kindes an der Aufrechterhaltung der zwischen ihnen bestehenden Lebensgemeinschaft nicht ohne Weiteres schon deshalb, weil der Ausländer vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat, wenn durch das nachträgliche Entstehen der von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG grundsätzlich geschützten Lebensgemeinschaft eine neue Situation eingetreten ist (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 45 m. w. N. und vom 2. November 2023 - 2 BvR 441/23 - FamRZ 2024, 239 Rn. 20 m. w. N.). Berühren aufenthaltsrechtliche Entscheidungen den Umgang mit einem Kind, ist im Rahmen der Abwägung maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 48 m. w. N.). Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. November 2023 - 2 BvR 441/23 - FamRZ 2024, 239 Rn. 23 m. w. N.). Sind Minderjährige betroffen, sind im Rahmen des dann einschlägigen Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) u. a. das Alter der betroffenen Kinder und die Abhängigkeit von ihren Eltern bei der Entscheidung in die Abwägung einzustellen. Auch aus einer Zusammenschau des Art. 3 KRK mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 KRK folgt allerdings kein Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kinder- und Elternnachzug und auch das Kindeswohl hat keinen unbedingten Vorrang (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 - 1 C 8.21 - BVerwGE 177, 226 Rn. 20 m. w. N.).
34 Der Gesetzgeber hat für Familienangehörige von subsidiär Schutzberechtigten zur Berücksichtigung ihrer familiären Bindungen ausreichende Möglichkeiten zur Erteilung von Aufenthaltstiteln geschaffen, die verfassungs- und völkerrechtlichen Anforderungen genügen. Die in § 36a AufenthG vorgesehene Beschränkung des Familiennachzugs auf einen Ermessensanspruch im Rahmen einer Kontingentierung steht im Einklang mit Verfassungs- und Völkerrecht. Die hohe Anzahl der in den zurückliegenden Jahren im Bundesgebiet Schutzsuchenden und die ebenfalls hohe Zuerkennungsquote durften dem Gesetzgeber Veranlassung geben, den Nachzug von Angehörigen der Kernfamilie zu subsidiär Schutzberechtigten so zu bemessen, dass deren Integration gelingen kann und die Aufnahmesysteme der staatlichen Institutionen deren Aufnahme und Integration bewältigen können, und in der Konsequenz auch bestimmten Familienangehörigen den Nachzug zu verwehren (BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 23, 27 und vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - NVwZ-RR 2021, 777 Rn. 20 ff., 24). Den in die Einzelfallbetrachtung einzustellenden familiären Belangen kann im Rahmen der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 Satz 1 AufenthG ausreichend Rechnung getragen werden. Damit lassen sich mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie Art. 7 und 24 GRC nicht zu vereinbarende Familientrennungen in besonderen Einzelfällen über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären Gründen gemäß § 22 AufenthG vermeiden (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 - 1 C 8.21 - BVerwGE 177, 226 Rn. 21 m. w. N.). Vom Inland aus haben Familienangehörige eines subsidiär Schutzberechtigten über die Gewährung internationalen Familienschutzes nach § 26 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 bis 3 AsylG zur Wahrung des Familienverbandes zudem einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG. Damit hat der Gesetzgeber die wesentlichen Fallgestaltungen erfasst und ihnen über die Gewährung von Aufenthaltsrechten Rechnung getragen. Eines ergänzenden Rückgriffs auf § 25 Abs. 5 AufenthG bedarf es grundsätzlich nicht.
35 Das Berufungsgericht geht ohne Bundesrechtsverstoß davon aus, dass, wenn eine neue Situation durch nachträglich im Bundesgebiet veränderte Umstände eingetreten ist, die von den in Rede stehenden Vorschriften nicht erfasst sein konnte, über § 25 Abs. 5 AufenthG die Möglichkeit eröffnet ist, unter den dort genannten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis wegen rechtlicher Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Ausreise (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192 Rn. 17) zu erlangen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der bloße Zeitablauf allerdings kein solcher eine neue Situation begründender Umstand, auf den eine Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 AufenthG gestützt werden kann. Denn anders als beim Familiennachzug vom Ausland aus sind bei einem (geduldeten) Aufenthalt der Familie im Bundesgebiet keine Trennungszeiten zu besorgen, die nach Ablauf einer bestimmten Wartefrist überwunden werden müssen. Sonstige hier entscheidungserhebliche nachträgliche Veränderungen lassen sich den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entnehmen.
36 Für diejenigen Fallkonstellationen, die von den vorgenannten Regelungen nicht erfasst werden, sieht das Gesetz - eine nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK schützenswerte familiäre Bindung, die einer auch nur vorübergehenden Trennung der sich im Inland aufhaltenden Familienmitglieder entgegensteht, unterstellt - die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung vor.
37 Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich eine Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 AufenthG und hierauf gestützte Titelerteilung nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - (NVwZ 2022, 406) entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht zeigt darin vielmehr diejenigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe und Anforderungen auf, die bei einer aus Art. 6 GG resultierenden rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise oder Abschiebung, insbesondere mit Blick auf eine Zumutbarkeit einer auch nur vorübergehenden Trennung von Familienmitgliedern, sowohl im Rahmen einer Duldungserteilung als auch bei einer Titelerteilung nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu prüfen sind (BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 62). Es stellt im Übrigen maßgeblich auf nachträglich im Bundesgebiet veränderte Umstände ab, die nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier nicht vorgelegen haben. Soweit die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Bescheid des Bundesamtes vom 10. April 2024 an die im Bundesgebiet geborene Tochter der Klägerin zu 1 einen solchen nachträglichen Umstand darstellen kann, ist dies im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigen. Bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz maßgeblich. Lediglich Rechtsänderungen, die danach eintreten, sind vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Tatsachengericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2015 - 1 C 31.14 - BVerwGE 153, 353 Rn. 9 und vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 - BVerwGE 163, 1 Rn. 11 m. w. N.).
38 Dem Verweis auf die Möglichkeit einer Duldungserteilung steht schließlich nicht entgegen, dass die Duldung jedenfalls typischerweise nur vorübergehender Natur und kein ersatzweise gewährtes Aufenthaltsrecht ist (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 - 1 C 9.95 - BVerwGE 105, 35 <43>). Denn beim subsidiären Schutz ist der Aufenthalt im Aufnahmestaat eher temporärer Natur, weil er auf einen vorübergehenden, auf die Dauer des Erfordernisses der Gewährung subsidiären Schutzes begrenzten Zeitraum angelegt ist, und unterliegt eine dauerhafte Integration in die Gesellschaft mithin strengeren Voraussetzungen (BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 23, 27 und vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - NVwZ-RR 2021, 777 Rn. 20 ff., 24 m. w. N.). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit §§ 25a, 25b, 16g, 19d und § 104c AufenthG Regelungen geschaffen, um von einer Duldung in einen Aufenthaltstitel zu wechseln.
39 3.2.2 Auch das Unionsrecht gebietet nicht die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Wie bereits zuvor ausgeführt, folgt ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht unmittelbar aus Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 2 RL 2011/95/EU. Auf die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251 S. 12) können sich die Kläger nicht berufen, da diese auf den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nicht anwendbar ist (EuGH, Urteile vom 7. November 2018 - C-380/17 [ECLI:EU:C:2018:877] - Rn. 33 und vom 13. März 2019 - C-635/17 [ECLI:EU:C:2019:192], E. - Rn. 33 f.; BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 27 und vom 8. Dezember 2022 - 1 C 8.21 - BVerwGE 177, 226 Rn. 13).
40 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.