Beschluss vom 19.11.2024 -
BVerwG 4 BN 12.24ECLI:DE:BVerwG:2024:191124B4BN12.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 19.11.2024 - 4 BN 12.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:191124B4BN12.24.0]
Beschluss
BVerwG 4 BN 12.24
- OVG Schleswig - 24.01.2024 - AZ: 5 KN 17/21
In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. November 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Stamm
beschlossen:
- Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein vom 24. Januar 2024 wird zurückgewiesen.
- Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 1. Mit den geltend gemachten Verfahrensrügen dringt die Beschwerde nicht durch.
3 a) Zu Unrecht meint die Beschwerde der Sache nach, der angegriffene Beschluss habe gemäß § 117 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit der Eingangsformel "Im Namen des Volkes" versehen werden müssen. Die Verweisung in § 122 VwGO, die bestimmte Vorschriften über das gerichtliche Verfahren auf Beschlüsse für entsprechend anwendbar erklärt, § 117 VwGO jedoch nicht erwähnt, ist zwar nicht als abschließend zu verstehen. Vielmehr findet § 117 VwGO auf urteilsersetzende Beschlüsse Anwendung, soweit die Vorschrift formale und inhaltliche Anforderungen formuliert, denen auch Beschlüsse ungeachtet des Vereinfachungszwecks aufgrund ihrer Funktion zu entsprechen haben (BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 1999 - 6 C 31.98 - BVerwGE 109, 336 <343>; Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 3 B 34.19 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 54 Rn. 7). Dazu zählt § 117 Abs. 1 Satz 1 VwGO aber nicht, der gerade der besonderen und herausgehobenen Entscheidungsform des Urteils Rechnung trägt (BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2021 - 3 BN 4.21 - juris Rn. 10; siehe Kilian/Hissnauer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 122 Rn. 15).
4 Im Übrigen bliebe eine Verletzung von § 117 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wenn er anwendbar wäre, ohnehin prozessual folgenlos (vgl. statt aller Kuhlmann/Wysk, in: Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 132 Rn. 34 m. w. N.).
5 b) Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, dass die formellen und materiellen Voraussetzungen, unter denen gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO - in Abkehr von der Regel der vorherigen Durchführung einer mündlichen Verhandlung - im Beschlusswege über einen Normenkontrollantrag entschieden werden kann, nicht vorgelegen hätten und folglich ein Gehörsverstoß gegeben sei.
6 § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO macht die Entscheidung durch Beschluss nicht vom Einverständnis der Beteiligten abhängig. Über die Entbehrlichkeit einer mündlichen Verhandlung entscheidet das Normenkontrollgericht nach richterlichem Ermessen. Für die Ermessensausübung kommt es darauf an, ob der Entscheidung ein unstreitiger oder umfassend aufgeklärter Sachverhalt zugrunde liegt und ob die entscheidungserheblichen Rechtsfragen in den Schriftsätzen der Beteiligten ausreichend erörtert worden sind. Das Normenkontrollgericht ist zudem verpflichtet, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mit dem Inhalt, den die Vorschrift in der Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefunden hat, zu beachten (BVerwG, Beschlüsse vom 31. März 2011 - 4 BN 18.10 - juris Rn. 29, vom 30. November 2017 - 6 BN 1.17 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 212 Rn. 15 ff. und vom 23. Juni 2020 - 8 BN 1.20 - NVwZ-RR 2021, 8 Rn. 15).
7 aa) Soweit der Antragsteller eine unzureichende Anhörung vor Erlass des Beschlusses beanstandet, kann dahinstehen, ob weiterhin an der Rechtsprechung festzuhalten ist, wonach es einer Anhörung, die im Unterschied zur Regelung zum Berufungsverfahren in § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, regelhaft nicht bedarf (so insbesondere BVerwG, Beschlüsse vom 8. September 1988 - 4 NB 15.88 - Buchholz 406.11 § 1 BBauG/BauGB Nr. 34 S. 11 und vom 31. März 2011 - 4 BN 18.10 - juris Rn. 30; offengelassen in Beschlüssen vom 8. September 2020 - 4 BN 17.20 - juris Rn. 3 und vom 7. Dezember 2021 - 4 BN 18.21 - BRS Bd. 89 Nr. 172 S. 1040 f.).
8 Nachdem der Antragsteller im Anschluss an eine gerichtliche Verfügung mit Schriftsatz vom 10. November 2023 zur Möglichkeit einer Rechtsverletzung und zur Antragsbefugnis vorgetragen hatte, wurde er nämlich vom Oberverwaltungsgericht mit Schreiben vom 20. November 2023 darauf hingewiesen, dass es eine Entscheidung im Beschlusswege erwäge; zugleich wurde der ins Auge gefasste Zeitpunkt für eine Beschlussfassung genannt und der Antragsgegner wurde gebeten, auf den Antrag, insbesondere zum Problem der Antragsbefugnis, zu erwidern. Vor diesem Hintergrund konnte der Antragsteller weder in der Sache noch vom zeitlichen Ablauf von der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in einer Weise überrascht werden, die auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. September 1988 - 4 NB 15.88 - Buchholz 406.11 § 1 BBauG/BauGB Nr. 34 S. 11). Der Antragsteller hatte aufgrund der gerichtlichen Mitteilung und nach Übersendung des Schriftsatzes des Antragsgegners vom 21. Dezember 2023 die Gelegenheit, nochmals insbesondere zu der vom Oberverwaltungsgericht als entscheidungserheblich benannten Frage der Antragsbefugnis Stellung zu nehmen, deren Beantwortung für die Wahl der Entscheidungsform ausschlaggebend war. Von einem bloß "formularmäßig" und ohne Fallbezug erteilten Hinweis kann entgegen dem Einwand des Antragstellers keine Rede sein. Auch ist unbeachtlich, dass der Antragsteller sich in der Antragsbegründung - einer verbreiteten anwaltlichen Übung entsprechend - weiteres Vorbringen vorbehalten, vor dem Hinweis des Weiteren auf den Fortgang des Verfahrens durch Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gedrängt und der Antragsgegner in der Antragserwiderung auf eine gegebenenfalls noch nachzureichende inhaltliche Erwiderung verwiesen hatte. Gleichwohl war der Antragsteller angesichts der in § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO ermöglichten Verfahrensweise gehalten, sich - falls aus seiner Sicht geboten - durch eine Stellungnahme Gehör zu verschaffen. Wenn er davon abgesehen hat, kann ein solches Versäumnis nicht durch eine Verfahrensrüge kompensiert werden.
9 bb) Das Oberverwaltungsgericht hat von dem ihm eingeräumten Ermessen, über den Antrag im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Es hat insbesondere die Vorgaben aus Art. 6 Abs. 1 EMRK beachtet. Diese Vorschrift hat es zu Recht als anwendbar angesehen, weil mit den Festlegungen für die Windenergienutzung im angegriffenen Regionalplan Inhalt und Schranken des Grundeigentums bestimmt werden; dieses zählt zu den zivilrechtlichen Ansprüchen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK.
10 Eine hiernach grundsätzlich gebotene mündliche Verhandlung ist jedoch dann entbehrlich, wenn der Normenkontrollantrag offensichtlich unzulässig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1999 - 4 CN 9.98 - BVerwGE 110, 203 <215>; siehe auch Beschlüsse vom 12. November 2019 - 6 BN 2.19 - Buchholz 11 Art. 19 Abs. 4 GG Nr. 16 Rn. 8, vom 2. Juni 2021 - 5 BN 1.21 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 223 Rn. 5 und vom 28. Juli 2021 - 3 BN 4.21 - juris Rn. 9).
11 Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass der Normenkontrollantrag wegen unzureichender Darlegungen zur Antragsbefugnis unzulässig war.
12 Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist antragsbefugt, wer geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Für die aus dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot herzuleitende Antragsbefugnis für einen Normenkontrollantrag gegen einen raumordnungsrechtlichen Plan, der die Ausschlusswirkung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 und Satz 3 BauGB enthält, gelten im Grundsatz dieselben Anforderungen wie im Falle eines Normenkontrollantrags gegen einen Bebauungsplan. Der Antragsteller muss demnach hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Regelung des Plans oder deren Anwendung in seinem Recht auf ordnungsgemäße Abwägung seiner Belange verletzt wird. Das setzt voraus, dass er einen eigenen Belang als verletzt benennt, der für die Abwägung überhaupt zu beachten war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2019 - 4 BN 11.19 - juris Rn. 5 m. w. N.). Dies hat das Oberverwaltungsgericht seinen Erwägungen zutreffend zugrunde gelegt. Es hat zum Kreis der von der Ausschlusswirkung nachteilig Betroffenen nicht nur Eigentümer von außerhalb der Eignungsflächen belegenen Grundstücken oder dinglich und obligatorisch Nutzungsberechtigte mit Errichtungs- oder Betriebsabsicht gezählt, sondern auch Vorhabenträger im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 der 9. BImSchV als sogenannte Standortentwickler, die nicht beabsichtigen, die Anlage selbst zu errichten oder zu betreiben (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Urteil vom 5. März 2018 - 12 KN 144/17 - NVwZ-RR 2018, 687 Rn. 28 f., OVG Koblenz, Urteil vom 21. Dezember 2022 - 8 C 11490/21 - juris Rn. 73, OVG Magdeburg, Urteil vom 14. September 2023 - 2 K 123/21 - juris Rn. 56 und OVG Greifswald, Urteil vom 16. Januar 2024 - 3 K 531/19 - juris Rn. 49; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 19. November 2020 - 4 BN 14.20 - ZfBR 2021, 180 Rn. 4 f.). Das Normenkontrollgericht muss sich allerdings von der Ernsthaftigkeit der eine rechtlich beachtliche Betroffenheit begründenden Absichten überzeugen und darf sich nicht mit einer bloßen Formalbehauptung begnügen. Dies setzt substantiierten Sachvortrag durch den Antragsteller voraus, den das Oberverwaltungsgericht zu Recht vermisst hat. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 10. November 2023 waren insoweit unzureichend, weil zu vage. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kann der Antragsteller sein unzureichendes Vorbringen nicht nachbessern.
13 2. Die Grundsatzrüge führt ebenso wenig zur Zulassung der Revision.
14
Der mit der Beschwerde aufgeworfenen Frage,
ob das OVG Schleswig nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung zur Frage der Antragsbefugnis und des Gleichklangs einer Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO und der Antragsbefugnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 der 9. BImSchV hätte entscheiden dürfen,
kommt nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, die der Antragsteller ihr beimisst.
15 Soweit sich die Frage bei wohlwollendem Verständnis zum einen auf die rechtlichen Maßstäbe für die Ermessensausübung im Rahmen des § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO bezieht, ist sie - soweit einer verallgemeinerungsfähigen fallübergreifenden Beantwortung zugänglich - bereits geklärt, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter 1.b) ergibt. Ein weitergehender Klärungsbedarf wird nicht dargelegt.
16 Soweit sie zum anderen die Antragsbefugnis des sogenannten Standortentwicklers betrifft, ist die vom Oberverwaltungsgericht bejahte Frage, ob sich ein Standortentwickler in gleicher Weise wie ein obligatorischer Nutzungsberechtigter, der eine Windenergieanlage betreiben will, auf einen abwägungserheblichen Belang berufen kann, letztlich nicht entscheidungserheblich. Denn es fehlt jedenfalls - als weitere Voraussetzung der Antragsbefugnis - am substantiierten Vortrag, der ein konkretes, vom Standortentwickler ins Auge gefasstes Vorhaben bezeichnet.
17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.