Ver­fah­rens­in­for­ma­ti­on



Die Fra­ge der Recht­mä­ßig­keit des Be­tre­tens und der Durch­su­chung von Flücht­lings­un­ter­künf­ten ist Ge­gen­stand zwei­er Re­vi­si­ons­ver­fah­ren.


Die An­trag­stel­ler in dem Nor­men­kon­troll­ver­fah­ren BVer­wG 1 CN 1.22 wa­ren als Asyl­be­wer­ber nach ih­rer An­kunft im Bun­des­ge­biet zu­nächst in der Lan­deser­st­auf­nah­me­ein­rich­tung (LEA) in Frei­burg un­ter­ge­bracht. Sie wen­den sich un­ter an­de­rem ge­gen Re­ge­lun­gen der bis zum 15. De­zem­ber 2021 gel­ten­den Haus­ord­nung über die Durch­füh­rung von Zu­tritts- und Zim­mer­kon­trol­len durch Mit­ar­bei­ter des Re­gie­rungs­prä­si­di­ums Frei­burg und pri­va­te Dienst­leis­ter. Die An­trag­stel­ler ha­ben ih­re An­trä­ge auch nach ih­rem Aus­zug aus der LEA auf­recht­erhal­ten.


Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Mann­heim hat den An­trag man­gels tief­grei­fen­den Grund­rechts­ein­griffs für un­zu­läs­sig er­klärt, so­weit er ge­gen in der Haus­ord­nung ge­re­gel­te Kon­trol­len am Ein­gang und auf dem Ge­län­de der LEA ge­rich­tet war. So­weit sich der An­trag ge­gen die Be­fug­nis­se zum Be­tre­ten und Kon­trol­lie­ren der Zim­mer der Be­woh­ner rich­te­te, hat der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof den An­trag für zu­läs­sig ge­hal­ten und die Un­wirk­sam­keit der ent­spre­chen­den Re­ge­lun­gen der Haus­ord­nung fest­ge­stellt. We­der die im Flücht­lings­auf­nah­me­ge­setz noch die Haus­ord­nung ent­hal­te­nen Re­ge­lun­gen oder das ge­wohn­heits­recht­lich an­er­kann­te Haus­recht ge­nüg­ten den An­for­de­run­gen für den Ein­griff in das Grund­recht der Woh­nung. Zim­mer in ei­ner Flücht­lings­un­ter­kunft sei­en Wohn­zwe­cken ge­wid­met, so dass im Ge­setz selbst die Be­fug­nis zum Be­tre­ten und der Be­tre­ten­zweck zu re­geln sei­en. Dar­an feh­le es vor­lie­gend.


Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof hat die Re­vi­si­on we­gen grund­sätz­li­cher Be­deu­tung der Fra­ge zu­ge­las­sen, ob das Rechts­schutz­be­dürf­nis des An­trag­stel­lers in Fäl­len wie dem vor­lie­gen­den fort­be­steht. Das be­klag­te Land hat Re­vi­si­on, die Klä­ger An­schluss­re­vi­si­on ein­ge­legt. Sie ver­fol­gen ih­re je­wei­li­gen Be­geh­ren - um­fas­sen­de Recht­mä­ßig­keit der Kon­trol­len (Land), um­fas­sen­de Rechts­wid­rig­keit al­ler Kon­trol­len (An­trag­stel­ler) - wei­ter.


Der Klä­ger in dem Ver­fah­ren BVer­wG 1 C 10.22 wen­det sich ge­gen das Be­tre­ten sei­nes Zim­mers in der Lan­deser­st­auf­nah­me­ein­rich­tung (LEA) in Ell­wan­gen durch den Po­li­zei­voll­zugs­dienst zur Nacht­zeit an­läss­lich sei­ner Ab­schie­bung nach Ita­li­en am 20. Ju­ni 2018. Am 21. De­zem­ber 2018 reis­te der Klä­ger er­neut ins Bun­des­ge­biet ein.


Mit dem Be­geh­ren, die Rechts­wid­rig­keit des Be­tre­tens des von ihm be­wohn­ten LEA-Zim­mers fest­stel­len zu las­sen, ist der Klä­ger erst- und zweit­in­stanz­lich ge­schei­tert. Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Mann­heim hat das Be­tre­ten des Zim­mers als Teil ei­ner spe­zi­al­ge­setz­lich ge­re­gel­ten Maß­nah­me der Ver­wal­tungs­voll­stre­ckung oh­ne vor­he­ri­ge rich­ter­li­che Durch­su­chungs­an­ord­nung für zu­läs­sig er­ach­tet. Bei dem Be­tre­ten ha­be es sich um kei­ne Durch­su­chung ge­han­delt. Das Lan­des­ver­wal­tungs­voll­stre­ckungs­g­e­s­e­tz er­mäch­ti­ge als be­son­de­re ge­setz­li­che Vor­schrift zum Be­tre­ten des Zim­mers auch zur Nacht­zeit durch Po­li­zei­voll­zugs­be­am­te.


Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof hat die Re­vi­si­on we­gen grund­sätz­li­cher Be­deu­tung der Fra­ge zu­ge­las­sen, ob es für die Prü­fung ei­nes Ver­sto­ßes ge­gen den Rich­ter­vor­be­halt aus Art. 13 Abs. 2 GG dar­auf an­kommt, ob die Be­hör­de sub­jek­tiv und ex an­te be­trach­tet ei­ne Durch­su­chung in Be­tracht zieht, oder ob ma­ß­geb­lich ist, ob ob­jek­tiv und ex post be­trach­tet tat­säch­lich ei­ne Durch­su­chung statt­fand. Der Klä­ger ver­folgt sein Be­geh­ren im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren wei­ter.


Pres­se­mit­tei­lung Nr. 48/2023 vom 15.06.2023

Recht­mä­ßig­keit des Be­tre­tens von Räu­men in Flücht­lings­un­ter­künf­ten

Das blo­ße Be­tre­ten des Zim­mers ei­ner Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung für Flücht­lin­ge durch den Po­li­zei­voll­zugs­dienst zum Zweck der Über­stel­lung ei­nes aus­rei­se­pflich­ti­gen Aus­län­ders ist kei­ne Durch­su­chung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 2 GG. Dies hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig heu­te ent­schie­den.


Die An­trag­stel­ler in dem Nor­men­kon­troll­ver­fah­ren BVer­wG 1 CN 1.22 wa­ren als Asyl­be­wer­ber nach ih­rer An­kunft im Bun­des­ge­biet zu­nächst in der Lan­deser­st­auf­nah­me­ein­rich­tung (LEA) in Frei­burg un­ter­ge­bracht. Sie wen­den sich un­ter an­de­rem ge­gen Re­ge­lun­gen der da­mals gel­ten­den Haus­ord­nung über die Durch­füh­rung von Zim­mer­kon­trol­len durch Mit­ar­bei­ter des Re­gie­rungs­prä­si­di­ums Frei­burg und pri­va­te Dienst­leis­ter. Die An­trag­stel­ler ha­ben ih­re An­trä­ge auch nach Ver­las­sen der LEA auf­recht­erhal­ten. Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof hat den An­trag, so­weit er sich ge­gen die Be­fug­nis­se zum Be­tre­ten und Kon­trol­lie­ren der Zim­mer der Be­woh­ner rich­te­te, für zu­läs­sig ge­hal­ten und die Un­wirk­sam­keit der ent­spre­chen­den Re­ge­lun­gen der Haus­ord­nung fest­ge­stellt.


Der Klä­ger in dem Ver­fah­ren BVer­wG 1 C 10.22 wen­det sich ge­gen das Be­tre­ten sei­nes Zim­mers in der LEA in Ell­wan­gen durch den Po­li­zei­voll­zugs­dienst zur Nacht­zeit an­läss­lich sei­ner Über­stel­lung nach Ita­li­en im Ju­ni 2018. Das Be­geh­ren, die Rechts­wid­rig­keit die­ser Maß­nah­me fest­stel­len zu las­sen, ist in den Vor­in­stan­zen er­folg­los ge­blie­ben. Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof hat das Be­tre­ten des Zim­mers als Teil ei­ner spe­zi­al­ge­setz­lich ge­re­gel­ten Maß­nah­me der Ver­wal­tungs­voll­stre­ckung oh­ne vor­he­ri­ge rich­ter­li­che Durch­su­chungs­an­ord­nung für zu­läs­sig er­ach­tet. Bei dem Be­tre­ten ha­be es sich um kei­ne Durch­su­chung ge­han­delt. Das Lan­des­ver­wal­tungs­voll­stre­ckungs­g­e­s­e­tz er­mäch­ti­ge zum Be­tre­ten des Zim­mers durch Po­li­zei­voll­zugs­be­am­te auch zur Nacht­zeit.


Der 1. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts hat im Ver­fah­ren BVer­wG 1 CN 1.22 auf die Re­vi­si­on des be­klag­ten Lan­des das Ur­teil des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs ge­än­dert und den Nor­men­kon­troll­an­trag man­gels Rechts­schutz­be­dürf­nis­ses der nicht mehr in der LEA woh­nen­den An­trag­stel­ler als un­zu­läs­sig ab­ge­lehnt. Im Ver­fah­ren BVer­wG 1 C 10.22 hat der Se­nat die Re­vi­si­on des Klä­gers zu­rück­ge­wie­sen. Bei dem vom Klä­ger be­wohn­ten Zim­mer in der LEA han­del­te es sich um ei­ne Woh­nung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 1 GG. Zu dem nächt­li­chen Be­tre­ten die­ses Zim­mers war der Po­li­zei­voll­zugs­dienst nach § 6 des Lan­des­ver­wal­tungs­voll­stre­ckungs­g­e­s­e­t­z­es be­fugt. Da es nach den tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen der Vor­in­stanz über das blo­ße Be­tre­ten des Zim­mers hin­aus zu kei­ner Durch­su­chungs­hand­lung im Sin­ne ei­nes ziel- und zweck­ge­rich­te­ten Su­chens nach et­was Ver­bor­ge­nem kam, be­durf­te die Maß­nah­me kei­ner vor­he­ri­gen rich­ter­li­chen Durch­su­chungs­an­ord­nung (Art. 13 Abs. 2 GG). Das Be­tre­ten des Zim­mers war des Wei­te­ren zur Ver­hü­tung ei­ner drin­gen­den Ge­fahr für die öf­fent­li­che Si­cher­heit und Ord­nung nach Art. 13 Abs. 7 GG er­for­der­lich, weil es galt, den voll­zieh­bar aus­rei­se­pflich­ti­gen Klä­ger noch am sel­ben Tag nach Ita­li­en zu über­stel­len.


BVer­wG 1 CN 1.22 - Ur­teil vom 15. Ju­ni 2023

Vor­in­stanz:

VGH Mann­heim, VGH 12 S 4089/20 - Ur­teil vom 02. Fe­bru­ar 2023 -

BVer­wG 1 C 10.22 - Ur­teil vom 15. Ju­ni 2023

Vor­in­stan­zen:

VGH Mann­heim, VGH 1 S 1265/21 - Ur­teil vom 28. März 2022 -

VG Stutt­gart, VG 1 K 9602/18 - Ur­teil vom 18. Fe­bru­ar 2021 -


Ur­teil vom 15.06.2023 -
BVer­wG 1 C 10.22ECLI:DE:BVer­wG:2023:150623U1C10.22.0

Woh­nungs­be­tre­tung zwecks Über­stel­lung im Dub­lin III-Ver­fah­ren

Leit­sät­ze:

1. Ein in ei­ner Auf­nah­me­ein­rich­tung (§ 47 Abs. 1 AsylG) dem Aus­län­der zu­ge­wie­se­nes Zim­mer ist in der Re­gel ei­ne Woh­nung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 1 GG.

2. Die Durch­su­chung ei­ner Woh­nung (Art. 13 Abs. 2 GG) er­schöpft sich nicht in de­ren Be­tre­ten, son­dern um­fasst als zwei­tes Ele­ment die Vor­nah­me von Hand­lun­gen in den Räu­men (Be­stä­ti­gung der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung; vgl. BVer­wG, Ur­tei­le vom 6. Sep­tem­ber 1974 - 1 C 17.73 - BVer­w­GE 47, 31 <35 ff.> und vom 25. Au­gust 2004 - 6 C 26.03 - BVer­w­GE 121, 345 <349>).

3. Be­tre­ten be­hörd­li­che Be­diens­te­te ei­ne Woh­nung zum Zwe­cke der Durch­füh­rung ei­ner Über­stel­lung nach Art. 29 VO (EU) Nr. 604/2013, kann dies nach Art. 13 Abs. 7 GG zur Ver­hü­tung drin­gen­der Ge­fah­ren für die öf­fent­li­che Si­cher­heit und Ord­nung ver­fas­sungs­recht­lich zu­läs­sig sein.

  • Rechts­quel­len
  • Zi­tier­vor­schlag

Ur­teil

BVer­wG 1 C 10.22

  • VG Stutt­gart - 18.02.2021 - AZ: 1 K 9602/18
  • VGH Mann­heim - 28.03.2022 - AZ: 1 S 1265/21

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che hat der 1. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 15. Ju­ni 2023
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Kel­ler,
die Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Prof. Dr. Fleuß, Dol­lin­ger
und Böh­mann und die Rich­te­rin am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Fenzl
für Recht er­kannt:

  1. Die Re­vi­si­on des Klä­gers ge­gen das Ur­teil des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs Ba­den-Würt­tem­berg vom 28. März 2022 wird zu­rück­ge­wie­sen.
  2. Der Klä­ger trägt die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens.

Grün­de

I

1 Der nach sei­nen An­ga­ben 1989 ge­bo­re­ne Klä­ger ist Staats­an­ge­hö­ri­ger Ka­me­runs. Er reis­te nach ei­nem Vor­auf­ent­halt in Ita­li­en im De­zem­ber 2017 nach Deutsch­land ein und stell­te ei­nen Asyl­an­trag. Dar­auf­hin wur­de er der vom Be­klag­ten be­trie­be­nen Lan­deser­st­auf­nah­me­ein­rich­tung in ... zu­ge­wie­sen. Das Bun­des­amt für Mi­gra­ti­on und Flücht­lin­ge (Bun­des­amt) lehn­te den Asyl­an­trag des Klä­gers mit Be­scheid vom 14. März 2018 als un­zu­läs­sig ab, stell­te das Nicht­vor­lie­gen von Ab­schie­bungs­ver­bo­ten fest und ord­ne­te die Ab­schie­bung nach Ita­li­en an. Un­ter dem 11. April 2018 teil­te das Bun­des­amt der Lan­deser­st­auf­nah­me­ein­rich­tung mit, Ita­li­en ha­be ei­ner Über­stel­lung des Klä­gers zu­ge­stimmt, die mon­tags bis frei­tags mit ei­ner An­kunfts­zeit zwi­schen 8.00 Uhr und 14.00 Uhr auf dem Luft­weg zu er­fol­gen ha­be.

2 Die Über­stel­lung des Klä­gers wur­de am 20. Ju­ni 2018 durch­ge­führt. Die Maß­nah­me be­gann um 4.00 Uhr mor­gens. Zwei Po­li­zei­voll­zugs­be­am­te be­ga­ben sich zu­nächst zu dem dem Klä­ger zur Mit­nut­zung zu­ge­wie­se­nen Zim­mer in der Ein­rich­tung, wo sich der Klä­ger aber nicht auf­hielt. Die Be­am­ten tra­fen den Klä­ger so­dann in den öf­fent­lich zu­gäng­li­chen Be­rei­chen bei den Sa­ni­tär­an­la­gen an. Sie er­frag­ten sei­nen Na­men und be­glei­te­ten ihn in das Zim­mer. Dort hän­dig­te der Klä­ger den Be­am­ten sei­nen Aus­weis aus und pack­te sei­ne per­sön­li­chen Ge­gen­stän­de. Im Fol­gen­den wur­de der Klä­ger aus der Ein­rich­tung zum Flug­ha­fen ... und dort in das um 10.50 Uhr nach Ita­li­en ab­flie­gen­de Flug­zeug ver­bracht.

3 Mit der Kla­ge hat der Klä­ger die Fest­stel­lung der Rechts­wid­rig­keit meh­re­rer sei­tens des Be­klag­ten ihm ge­gen­über durch­ge­führ­ter Maß­nah­men be­gehrt. Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen, so­weit sie auf Fest­stel­lung der Rechts­wid­rig­keit des Be­tre­tens des Zim­mers am 20. Ju­ni 2018 ge­rich­tet ge­we­sen ist. Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof hat die Be­ru­fung hier­ge­gen zu­rück­ge­wie­sen. Das Be­tre­ten des Zim­mers des Klä­gers sei nach § 6 Abs. 1 und 2 LV­wVG BW oh­ne vor­he­ri­ge rich­ter­li­che An­ord­nung zu­läs­sig ge­we­sen. Das dem Klä­ger zu­ge­wie­se­ne Zim­mer sei ei­ne Woh­nung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 1 GG. Die Po­li­zei­voll­zugs­be­am­ten hät­ten die­ses Zim­mer je­doch nicht durch­sucht. Das Be­tre­ten des Zim­mers ha­be den ge­setz­li­chen und ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen an ei­ne sol­che Maß­nah­me ge­nügt.

4 Zur Be­grün­dung sei­ner vom Ver­wal­tungs­ge­richts­hof zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on macht der Klä­ger gel­tend, das Be­tre­ten des Zim­mers stel­le ei­ne Durch­su­chung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 2 GG dar und sei da­her oh­ne vor­he­ri­ge rich­ter­li­che An­ord­nung nicht zu­läs­sig ge­we­sen. Selbst wenn man ei­ne Durch­su­chung ver­nei­ne, ha­be die Maß­nah­me ge­gen Art. 13 Abs. 1 GG ver­sto­ßen.

5 Der Be­klag­te ver­tei­digt das Be­ru­fungs­ur­teil.

6 Die Ver­tre­te­rin des Bun­des­in­ter­es­ses un­ter­stützt die Rechts­auf­fas­sung des Be­klag­ten.

II

7 Die zu­läs­si­ge Re­vi­si­on ist nicht be­grün­det. Die Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts, die an­ge­grif­fe­ne Maß­nah­me sei recht­mä­ßig ge­we­sen, steht im Er­geb­nis im Ein­klang mit re­vi­si­blem Recht (§ 137 Abs. 1 Vw­GO).

8 1. Dem Be­ru­fungs­ur­teil liegt die Auf­fas­sung zu­grun­de, die sei­tens der Be­diens­te­ten des Be­klag­ten am 20. Ju­ni 2018 durch­ge­führ­ten Maß­nah­men fän­den ih­re Rechts­grund­la­ge in § 6 Abs. 1 Satz 1 des Lan­des­ver­wal­tungs­voll­stre­ckungs­g­e­s­e­t­z­es (LV­wVG BW) vom 12. März 1974 (GBl. 1974, 93) in der seit dem 23. Fe­bru­ar 2017 un­ver­än­der­ten Fas­sung (GBl. S. 99, 100). Da­bei kom­me es nicht dar­auf an, ob sich ei­ne wei­te­re Per­son, der das Zim­mer eben­falls zur Mit­nut­zung zu­ge­wie­sen ge­we­sen sei, in dem Zim­mer auf­ge­hal­ten ha­be. Die Maß­nah­men sei­en auch dann von § 6 Abs. 1 Satz 1 LV­wVG BW ge­deckt, wenn wei­te­re Per­so­nen Mit­be­sitz an dem Zim­mer ge­habt hät­ten, de­ren Ein­wil­li­gung nicht er­for­der­lich ge­we­sen sei. An die­se An­wen­dung und Aus­le­gung des ir­re­vi­si­blen Lan­des­rechts ist das Re­vi­si­ons­ge­richt ge­bun­den (§ 173 Satz 1 Vw­GO i. V. m. § 560 ZPO).

9 2. Oh­ne Ver­stoß ge­gen Bun­des­recht hat das Be­ru­fungs­ge­richt da­bei an­ge­nom­men, dass es sich bei dem Zim­mer, das dem Klä­ger in der Auf­nah­me­ein­rich­tung zu­ge­wie­sen war, um ei­ne Woh­nung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 1 GG han­del­te (a). Die ge­trof­fe­nen Maß­nah­men stell­ten aber kei­ne Durch­su­chung die­ser Woh­nung dar, so­dass ei­ne vor­he­ri­ge rich­ter­li­che An­ord­nung (Art. 13 Abs. 2 GG) nicht er­for­der­lich war (b). Das im Streit ste­hen­de Vor­ge­hen der Be­diens­te­ten des Be­klag­ten war nach Art. 13 Abs. 7 GG ver­fas­sungs­recht­lich zu­läs­sig (c).

10 a) Bei dem von dem Klä­ger am 20. Ju­ni 2018 mit­ge­nutz­ten Zim­mer in der Auf­nah­me­ein­rich­tung ... han­delt es sich um ei­ne Woh­nung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 1 GG.

11 aa) Art. 13 Abs. 1 GG ga­ran­tiert die Un­ver­letz­lich­keit der Woh­nung. Da­mit wird den Ein­zel­nen im Hin­blick auf ih­re Men­schen­wür­de und im In­ter­es­se der frei­en Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit ein ele­men­ta­rer Le­bens­raum ge­währ­leis­tet. In ih­ren Wohn­räu­men ha­ben die Ein­zel­nen das Recht, in Ru­he ge­las­sen zu wer­den. Art. 13 Abs. 1 GG ge­währt ein Ab­wehr­recht zum Schutz der räum­li­chen Pri­vat­sphä­re und soll Stö­run­gen vom pri­va­ten Le­ben fern­hal­ten (BVerfG, Be­schluss vom 9. De­zem­ber 2022 - 1 BvR 1345/21 - ju­ris Rn. 130). Das Grund­recht schützt den räum­lich-ge­gen­ständ­li­chen Be­reich der Pri­vat­sphä­re und ge­währt ei­nen ab­so­lu­ten Schutz des Ver­hal­tens in den Wohn­räu­men, so­weit es sich als in­di­vi­du­el­le Ent­fal­tung im Kern­be­reich pri­va­ter Le­bens­ge­stal­tung dar­stellt. Für die­se be­nö­tigt je­der Mensch ein räum­li­ches Sub­strat, in dem er für sich sein und sich nach selbst­ge­setz­ten Maß­stä­ben frei ent­fal­ten, al­so die Woh­nung bei Be­darf als "letz­tes Re­fu­gi­um" zur Wah­rung sei­ner Men­schen­wür­de nut­zen kann (BVerfG, Be­schluss vom 1. De­zem­ber 2020 - 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12 - BVerf­GE 156, 63 Rn. 228). Der Be­griff der Woh­nung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 1 GG ist da­her weit aus­zu­le­gen (BVer­wG, Ur­teil vom 25. Au­gust 2004 - 6 C 26.03 - BVer­w­GE 121, 345 <348>; vgl. be­reits BVerfG, Be­schluss vom 13. Ok­to­ber 1971 - 1 BvR 280/66 - BVerf­GE 32, 54 <69 ff.>).

12 bb) Wer Trä­ger des Grund­rechts aus Art. 13 Abs. 1 GG ist, ent­schei­det sich nicht nach der Ei­gen­tums­la­ge, son­dern grund­sätz­lich da­nach, wer Nut­zungs­be­rech­tig­ter der im je­wei­li­gen Ein­zel­fall be­trof­fe­nen Woh­nung ist (BVerfG, Kam­mer­be­schluss vom 27. Ju­ni 2018 - 2 BvR 1562/17 - NJW 2018, 2395 Rn. 38 m. w. N.), un­ab­hän­gig da­von, auf wel­chen Rechts­ver­hält­nis­sen die Nut­zung be­ruht (BVerfG, Ur­teil vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99 - BVerf­GE 109, 279 <326>).

13 In die­sem Sin­ne Nut­zungs­be­rech­tig­ter ist bei ei­nem Zim­mer in ei­ner Auf­nah­me­ein­rich­tung der Aus­län­der, dem das Zim­mer zur al­lei­ni­gen Nut­zung oder zur Mit­nut­zung zu­ge­wie­sen wur­de. Er ist nicht nur da­zu ver­pflich­tet, in der Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung zu woh­nen (vgl. § 47 Abs. 1 AsylG), son­dern - wie der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof in An­wen­dung ir­re­vi­si­blen Lan­des­rechts (§ 6 FlüAG BW) er­kannt hat - wäh­rend des für die Dau­er der Erst­auf­nah­me be­stehen­den öf­fent­lich-recht­li­chen Nut­zungs­ver­hält­nis­ses auch be­rech­tigt, die ihm in der Ein­rich­tung zu­ge­wie­se­ne Un­ter­kunft als pri­va­ten Rück­zugs­raum zu wid­men und zu nut­zen. Dem steht, wie der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof zu Recht aus­ge­führt hat, § 47 Abs. 1 AsylG nicht ent­ge­gen. Die Vor­schrift zielt nicht dar­auf, den be­trof­fe­nen Aus­län­der gänz­lich aus dem per­sön­li­chen Schutz­be­reich des Art. 13 Abs. 1 GG aus­zu­schlie­ßen.

14 Dies wi­der­sprä­che auch uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben. Für die Un­ter­brin­gung von Schutz­su­chen­den ist bei der Aus­le­gung des Art. 13 Abs. 1 GG ins­be­son­de­re die Richt­li­nie 2013/33/EU des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Ra­tes vom 26. Ju­ni 2013 zur Fest­le­gung von Nor­men für die Auf­nah­me von Per­so­nen, die in­ter­na­tio­na­len Schutz be­an­tra­gen (ABl. L 180 S. 96, im Fol­gen­den: RL 2013/33/EU) zu be­ach­ten. Die­se Richt­li­nie be­an­sprucht An­wen­dung "in al­len Räum­lich­kei­ten und Ein­rich­tun­gen für die Un­ter­brin­gung von An­trag­stel­lern [auf in­ter­na­tio­na­len Schutz] und so lan­ge, wie sie als An­trag­stel­ler im Ho­heits­ge­biet des Mit­glied­staats blei­ben dür­fen" (Er­wä­gungs­grund 8). Sie be­ruht auf der Über­le­gung, dass "Nor­men für die Auf­nah­me von An­trag­stel­lern fest­ge­legt wer­den [soll­ten], die die­sen ein men­schen­wür­di­ges Le­ben er­mög­li­chen und ver­gleich­ba­re Le­bens­be­din­gun­gen in al­len Mit­glied­staa­ten ge­währ­leis­ten." (Er­wä­gungs­grund 11). Nach Art. 7 Abs. 1 RL 2013/33/EU dür­fen sich An­trag­stel­ler grund­sätz­lich "im Ho­heits­ge­biet des Auf­nah­me­mit­glied­staats oder in ei­nem ih­nen von die­sem Mit­glied­staat zu­ge­wie­se­nen Ge­biet frei be­we­gen. Das zu­ge­wie­se­ne Ge­biet darf die un­ver­äu­ßer­li­che Pri­vat­sphä­re nicht be­ein­träch­ti­gen und muss hin­rei­chen­den Raum da­für bie­ten, dass Ge­währ für ei­ne In­an­spruch­nah­me al­ler Vor­tei­le aus die­ser Richt­li­nie ge­ge­ben ist". Das Uni­ons­recht steht zwar der Ein­rich­tung von "Un­ter­brin­gungs­zen­tren" (vgl. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b RL 2013/33/EU) und auch räum­li­chen Be­schrän­kun­gen nicht ent­ge­gen (vgl. Art. 7 Abs. 2 RL 2013/33/EU: "Be­schluss über den Auf­ent­halts­ort"). Es setzt aber vor­aus, dass dort ein "an­ge­mes­se­ne[r] Le­bens­stan­dard" ge­währ­leis­tet ist (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b RL 2013/33/EU) und dass das "zu­ge­wie­se­ne Ge­biet" – so­lan­ge der Aus­län­der nicht aus­nahms­wei­se in Haft ge­nom­men wur­de – "die un­ver­äu­ßer­li­che Pri­vat­sphä­re nicht be­ein­träch­tig[t]" (vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 RL 2013/33/EU). Mit die­sen uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben, die auch bei der Aus­le­gung des Flücht­lings­auf­nah­me­ge­set­zes zu be­rück­sich­ti­gen sind (vgl. § 1 FlüAG BW; zum Ge­bot, uni­ons­recht­li­chen Vor­schrif­ten vol­le Wirk­sam­keit zu ver­schaf­fen, vgl. Eu­GH, Gro­ße Kam­mer, Ur­teil vom 19. No­vem­ber 2019 - C-624/18 u. a. [ECLI:​EU:​C:​2019:​982] - Rn. 157 ff.), wä­re es nicht zu ver­ein­ba­ren, § 47 Abs. 1 AsylG oder § 6 FlüAG BW da­hin aus­zu­le­gen, dass es Aus­län­dern, die ei­ner Auf­nah­me­ein­rich­tung zu­ge­wie­sen wur­den, von vorn­her­ein un­ter­sagt sei, den ih­nen im Rah­men des öf­fent­lich-recht­lich be­grün­de­ten Nut­zungs­ver­hält­nis­ses zu­ge­wie­se­nen Raum zum Rück­zugs­ort für die Aus­übung ih­rer "un­ver­äu­ßer­li­chen Pri­vat­sphä­re" zu wid­men.

15 cc) Hier­an ge­mes­sen stell­te das dem Klä­ger in der Auf­nah­me­ein­rich­tung ... zur Mit­nut­zung zu­ge­wie­se­ne Zim­mer ei­ne Woh­nung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 1 GG dar. Nach den bin­den­den Fest­stel­lun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs hat der Klä­ger als der für den zu­ge­wie­se­nen Raum Nut­zungs­be­rech­tig­te die­sen aus­drück­lich oder kon­klu­dent zum Rück­zugs­be­reich der pri­va­ten Le­bens­ge­stal­tung in dem Sin­ne ge­macht, dass ihm dort ein ab­grenz­ba­rer ele­men­ta­rer Le­bens­raum und ein Min­dest­maß an per­sön­li­cher Sphä­re zur Ver­fü­gung stand.

16 b) Die mit der Kla­ge an­ge­grif­fe­nen Maß­nah­men stell­ten kei­ne Durch­su­chung (Art. 13 Abs. 2 GG) der Woh­nung des Klä­gers dar und be­durf­ten da­her kei­ner vor­he­ri­gen rich­ter­li­chen An­ord­nung.

17 aa) Ei­ne Durch­su­chung ist das ziel- und zweck­ge­rich­te­te Su­chen staat­li­cher Or­ga­ne nach Per­so­nen oder Sa­chen oder zur Er­mitt­lung ei­nes Sach­ver­halts, um et­was auf­zu­spü­ren, was der In­ha­ber der Woh­nung nicht von sich aus of­fen­le­gen oder her­aus­ge­ben will (BVerfG, Be­schluss vom 9. Ju­ni 2020 - 2 BvE 2/19 - BVerf­GE 154, 354 Rn. 33 m. w. N.). Die Durch­su­chung er­schöpft sich nicht in ei­nem Be­tre­ten der Woh­nung, son­dern um­fasst als zwei­tes Ele­ment die Vor­nah­me von Hand­lun­gen in den Räu­men (BVerfG, Be­schluss vom 16. Ju­ni 1987 - 1 BvR 1202/84 - BVerf­GE 76, 83 <89>). Die ge­setz­lich zu­läs­si­gen Durch­su­chun­gen die­nen als Mit­tel zum Auf­fin­den und Er­grei­fen ei­ner Per­son, zum Auf­fin­den, Si­cher­stel­len oder zur Be­schlag­nah­me ei­ner Sa­che oder zur Ver­fol­gung von Spu­ren. Be­griffs­merk­mal der Durch­su­chung ist so­mit die Su­che nach Per­so­nen oder Sa­chen oder die Er­mitt­lung ei­nes Sach­ver­halts in ei­ner Woh­nung. Ei­ne sol­che Maß­nah­me ist mit dem Be­tre­ten ei­ner Woh­nung durch Trä­ger ho­heit­li­cher Ge­walt nicht not­wen­di­ger­wei­se ver­bun­den. Ei­ne Woh­nung kann auch zur Vor­nah­me an­de­rer Amts­hand­lun­gen be­tre­ten wer­den. So ist bei­spiels­wei­se die Be­sich­ti­gung ei­ner Woh­nung zur Fest­stel­lung, ob der In­ha­ber sei­nen Be­ruf ord­nungs­ge­mäß aus­übt, kei­ne Durch­su­chung der Woh­nung. Kenn­zeich­nend für die Durch­su­chung ist dem­ge­gen­über die Ab­sicht, et­was nicht klar zu­ta­ge Lie­gen­des, viel­leicht Ver­bor­ge­nes auf­zu­de­cken oder ein Ge­heim­nis zu lüf­ten, mit­hin das Aus­for­schen ei­nes für die freie Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit we­sent­li­chen Le­bens­be­reichs, das un­ter Um­stän­den bis in die In­tim­sphä­re des Be­trof­fe­nen drin­gen kann. Dem­ge­mäß macht die beim Be­tre­ten ei­ner Woh­nung un­ver­meid­li­che Kennt­nis­nah­me von Per­so­nen, Sa­chen und Zu­stän­den den Ein­griff in die Woh­nungs­frei­heit noch nicht zu ei­ner Durch­su­chung. Auch die blo­ße Auf­for­de­rung an die sich in ei­ner Woh­nung auf­hal­ten­den Per­so­nen, den Raum zu ver­las­sen, stellt kei­ne Durch­su­chung der Woh­nung dar, weil da­mit die öf­fent­li­che Ge­walt nicht in der für Durch­su­chun­gen ty­pi­schen Wei­se in das pri­va­te Le­ben des Bür­gers und in die räum­li­che Sphä­re, in der es sich ent­fal­tet, ein­dringt (BVer­wG, Ur­tei­le vom 6. Sep­tem­ber 1974 - 1 C 17.73 - BVer­w­GE 47, 31 <35 ff.> und vom 25. Au­gust 2004 - 6 C 26.03 - BVer­w­GE 121, 345 <349>).

18 Nicht zu fol­gen ist der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on, von ei­nem in­so­weit ein­zu­neh­men­den ex-an­te-Stand­punkt aus sei stets al­lein auf den Zweck des Auf­fin­dens ei­ner Per­son ab­zu­stel­len, un­ab­hän­gig da­von, ob auch nur die ge­rings­te Such­hand­lung statt­ge­fun­den hat (vgl. in die­sem Sin­ne OVG Ber­lin-Bran­den­burg, Be­schluss vom 18. März 2021 - OVG 3 M 143/20 u. a. - ju­ris, dort auch zum mit Art. 13 Abs. 2 GG über­ein­stim­men­den Be­griff der Durch­su­chung im Sin­ne von § 58 Abs. 6 Auf­en­thG; OVG Ham­burg, Ur­teil vom 18. Au­gust 2020 - 4 Bf 160/19 - NVwZ-RR 2021, 322). Ein der­ar­ti­ges Ver­ständ­nis eb­ne­te die vom Ver­fas­sungs­ge­ber mit Blick auf die un­ter­schied­li­che Ein­griffs­in­ten­si­tät nach Art. 13 Abs. 2 und 7 GG vor­ge­nom­me­ne Un­ter­schei­dung zwi­schen Be­tre­ten und Durch­su­chen ein. Die­se Dif­fe­ren­zie­rung liegt im Üb­ri­gen auch ein­schlä­gi­gen ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen wie et­wa § 58 Abs. 5 ff. Auf­en­thG und § 6 Abs. 1 Satz 1 LV­wVG BW zu­grun­de.

19 Et­was an­de­res folgt auch nicht dar­aus, dass es im Rah­men der Wahr­neh­mung von Auf­ga­ben der Ver­wal­tungs­voll­stre­ckung je­weils von den Ge­ge­ben­hei­ten des Ein­zel­falls ab­hän­gen kann, ob ei­ne Be­hör­de ei­ne Durch­su­chung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 2 GG durch­füh­ren muss. Wenn die Be­hör­de mit der Durch­füh­rung ei­ner Ab­schie­bung oder ei­ner an­de­ren Voll­stre­ckungs­maß­nah­me be­ginnt, oh­ne zu­vor ei­ne rich­ter­li­che Durch­su­chungs­an­ord­nung be­an­tragt zu ha­ben, geht sie das Ri­si­ko ein, die Maß­nah­me vor Ort ab­bre­chen zu müs­sen, weil es sich als er­for­der­lich er­weist, ei­ne Durch­su­chung durch­füh­ren zu müs­sen.

20 bb) Nach die­sen Maß­stä­ben und auf der Grund­la­ge der bin­den­den tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts ist es in der Nacht des 20. Ju­ni 2018 zu kei­nem Zeit­punkt zu ei­ner Durch­su­chung des dem Klä­ger zur Nut­zung zu­ge­wie­se­nen Zim­mers in der Auf­nah­me­ein­rich­tung Ell­wan­gen ge­kom­men. Dem Blick der Po­li­zei­voll­zugs­be­am­ten in das dem Klä­ger zu­ge­wie­se­ne Zim­mer (ers­ter Hand­lungs­ab­schnitt) fehl­te es am Merk­mal der ziel- und zweck­ge­rich­te­ten Su­che nach Per­so­nen oder Sa­chen, die sich im Ver­bor­ge­nen auf­hal­ten; in­so­weit blieb es bei ei­ner blo­ßen Kennt­nis­nah­me der tat­säch­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten. Der - ver­wirk­lich­te - Zweck des Be­tre­tens des Zim­mers durch die Be­am­ten in Be­glei­tung des Klä­gers (zwei­ter Hand­lungs­ab­schnitt) er­schöpft sich in der dort statt­fin­den­den Ent­ge­gen­nah­me der Iden­ti­täts­pa­pie­re, die sich nach den An­ga­ben des Klä­gers dort be­fin­den soll­ten und die der zu die­sem Zeit­punkt noch ko­ope­ra­ti­ve Klä­ger auf Auf­for­de­rung selbst aus­ge­hän­digt hat. Auch in­so­weit man­gelt es an ei­ner be­hörd­li­chen Such­hand­lung.

21 c) Im Er­geb­nis zu Recht (§ 144 Abs. 4 Vw­GO) hat der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof an­ge­nom­men, dass die mit der Kla­ge an­ge­grif­fe­nen Maß­nah­men ver­fas­sungs­recht­lich zu­läs­sig wa­ren.

22 aa) Die­se be­mes­sen sich al­ler­dings nicht nach den Grund­sät­zen, die für das Be­tre­ten von Be­triebs- und Ge­schäfts­räu­men gel­ten. Der­ar­ti­ge be­hörd­li­che Maß­nah­men stel­len we­gen des hier­bei ver­rin­ger­ten grund­recht­li­chen Schutz­be­dürf­nis­ses kei­ne Ein­grif­fe und Be­schrän­kun­gen im Sin­ne des Art. 13 Abs. 7 GG dar. Die be­zeich­ne­ten Räu­me sind nach ih­rer Zweck­be­stim­mung durch ei­ne grö­ße­re Of­fen­heit nach au­ßen ge­kenn­zeich­net. Sie sind zur Auf­nah­me so­zia­ler Kon­tak­te be­stimmt und da­mit in ge­wis­sem Um­fang aus der pri­va­ten In­tim­sphä­re ent­las­sen. Da dies nach dem Wil­len des In­ha­bers selbst er­folgt, ist das Schutz­be­dürf­nis bei der­ar­ti­gen Räum­lich­kei­ten ge­min­dert (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 13. Ok­to­ber 1971 - 1 BvR 280/66 - BVerf­GE 32, 54 <75 f.> und Ur­teil vom 17. Fe­bru­ar 1998 - 1 BvF 1/91 - BVerf­GE 97, 228 <266>). Bei Zim­mern in ei­ner Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung grei­fen die­se Er­wä­gun­gen nicht ein. Sie stel­len viel­mehr ty­pi­scher­wei­se die ein­zi­ge Mög­lich­keit für die Be­woh­ner dar, ei­ne räum­li­che Pri­vat­sphä­re zu schaf­fen und zu er­hal­ten, und sind da­mit ge­ra­de nicht zur Kon­takt­auf­nah­me nach au­ßen be­stimmt. Bei ih­nen greift viel­mehr der Schutz­zweck des Art. 13 Abs. 1 GG voll durch, dem Ein­zel­nen das Recht zu si­chern, in Ru­he ge­las­sen zu wer­den (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 13. Ok­to­ber 1971 - 1 BvR 280/66 - BVerf­GE 32, 54 <75 f.>).

23 bb) Die Maß­nah­men wa­ren in­des nach Art. 13 Abs. 7 GG zu­läs­sig. Da­nach dür­fen Ein­grif­fe und Be­schrän­kun­gen in das Grund­recht auf Un­ver­letz­lich­keit der Woh­nung un­ter an­de­rem auf­grund ei­nes Ge­set­zes auch zur Ver­hü­tung drin­gen­der Ge­fah­ren für die öf­fent­li­che Si­cher­heit und Ord­nung vor­ge­nom­men wer­den. Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind im Hin­blick auf die an­ge­grif­fe­nen Maß­nah­men er­füllt.

24 Die hier­nach er­for­der­li­che drin­gen­de Ge­fahr be­steht nicht schon bei ei­ner be­vor­ste­hen­den oder dro­hen­den Ge­fahr im po­li­zei­recht­li­chen Sin­ne, aber auch nicht erst bei ei­ner un­mit­tel­bar be­vor­ste­hen­den Ge­fahr. Die drin­gen­de Ge­fahr für die öf­fent­li­che Si­cher­heit und Ord­nung braucht nicht be­reits ein­ge­tre­ten zu sein. Es ge­nügt, dass die Be­schrän­kung des Grund­rechts dem Zweck dient, ei­nen Zu­stand nicht ein­tre­ten zu las­sen, der sei­ner­seits ei­ne drin­gen­de Ge­fahr für die öf­fent­li­che Si­cher­heit und Ord­nung dar­stel­len wür­de. Ei­ne drin­gen­de Ge­fahr im Sin­ne des Art. 13 Abs. 7 GG liegt da­her vor, wenn ei­ne Sach­la­ge oder ein Ver­hal­ten bei un­ge­hin­der­tem Ab­lauf des ob­jek­ti­ven zu er­war­ten­den Ge­sche­hens mit hin­rei­chen­der Wahr­schein­lich­keit ein wich­ti­ges Rechts­gut schä­di­gen wird; da­bei ist mit der öf­fent­li­chen Si­cher­heit und Ord­nung ei­ne gro­ße Band­brei­te von Schutz­gü­tern an­ge­spro­chen. An die Wahr­schein­lich­keit des Scha­dens­ein­tritts sind nach dem Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit um­so ge­rin­ge­re An­for­de­run­gen zu stel­len, je grö­ßer und fol­gen­schwe­rer der mög­li­cher­wei­se ein­tre­ten­de Scha­den ist. Aus dem Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­prin­zip er­gibt sich fer­ner, dass in die Woh­nungs­frei­heit nur ein­ge­grif­fen wer­den darf, wenn und so­weit die Maß­nah­me zur Ge­fah­ren­ab­wehr ge­eig­net und er­for­der­lich ist, und dass im Ein­zel­fall die rechts­staat­li­che Be­deu­tung der Un­ver­letz­lich­keit der Woh­nung mit dem öf­fent­li­chen In­ter­es­se an der Wah­rung von Recht und Ord­nung ab­ge­wo­gen wer­den muss (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 9. De­zem­ber 2022 - 1 BvR 1345/21 - ju­ris Rn. 146 und Ur­teil vom 13. Fe­bru­ar 1964 - 1 BvL 17/61 u. a. - BVerf­GE 17, 232 <251 f.>; BVer­wG, Ur­teil vom 6. Sep­tem­ber 1974 - 1 C 17.73 - BVer­w­GE 47, 31 <40>).

25 cc) Die er­for­der­li­che spe­zi­el­le ge­setz­li­che Er­mäch­ti­gungs­grund­la­ge (vgl. BVerfG, Kam­mer­be­schluss vom 16. März 2018 - 2 BvR 253/18 - NJW 2018, 2185 Rn. 21) ist mit dem Ver­wal­tungs­ge­richts­hof in § 6 Abs. 1 Satz 1 LV­wVG BW zu se­hen. Da­nach ist der Voll­stre­ckungs­be­am­te be­fugt, das Be­sitz­tum des Pflich­ti­gen zu be­tre­ten, so­weit der Zweck der Voll­stre­ckung dies er­for­dert. Die Vor­schrift ge­nügt den ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­stim­mungs­an­for­de­run­gen (vgl. da­zu BVerfG, Be­schluss vom 7. De­zem­ber 2011 - 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10 - BVerf­GE 130, 1 <32>), da sie für das Be­tre­ten der Woh­nung ei­ne Er­for­der­lich­keit nach dem Zweck der Voll­stre­ckung ver­langt. In die­sem Sin­ne er­for­der­lich kann die Maß­nah­me nur sein, wenn die je­wei­li­gen ver­fas­sungs­recht­li­chen Ein­griffs­be­fug­nis­se - hier die Ver­hü­tung drin­gen­der Ge­fah­ren für die öf­fent­li­che Si­cher­heit und Ord­nung im Sin­ne des Art. 13 Abs. 7 GG - ge­ge­ben sind.

26 dd) Nach den Fest­stel­lun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs lag hier ei­ne drin­gen­de Ge­fahr für die öf­fent­li­che Si­cher­heit vor. Oh­ne die an­ge­grif­fe­nen Maß­nah­men wä­re die für den 20. Ju­ni 2018 vor­ge­se­he­ne Über­stel­lung des Klä­gers nach Ita­li­en nicht mög­lich ge­we­sen. De­ren Fehl­schlag hät­te zu ei­ner schwer­wie­gen­den Be­ein­träch­ti­gung meh­re­rer Rechts­gü­ter ge­führt. Er hät­te nicht nur die Durch­füh­rung der nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Auf­en­thG i. V. m. § 34a Abs. 1 AsylG ge­setz­lich ge­bo­te­nen und nicht ins Er­mes­sen des Be­klag­ten ge­stell­ten Ab­schie­bung ver­hin­dert. Viel­mehr be­stand dar­über hin­aus die Ge­fahr, dass der Be­klag­te sei­nen un­mit­tel­bar aus dem Uni­ons­recht fol­gen­den Pflich­ten nach der Ver­ord­nung (EU) Nr. 604/2013 des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Ra­tes vom 26. Ju­ni 2013 zur Fest­le­gung der Kri­te­ri­en und Ver­fah­ren zur Be­stim­mung des Mit­glied­staats, der für die Prü­fung ei­nes von ei­nem Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen oder Staa­ten­lo­sen in ei­nem Mit­glied­staat ge­stell­ten An­trags auf in­ter­na­tio­na­len Schutz zu­stän­dig ist (ABl. L 180 S. 31 - VO (EU) Nr. 604/2013), na­ment­lich de­ren Art. 29, nicht hät­te nach­kom­men kön­nen.

27 Nach dem vier­ten und fünf­ten Er­wä­gungs­grund der Ver­ord­nung (EU) Nr. 604/2013 soll­te das ge­mein­sa­me Eu­ro­päi­sche Asyl­sys­tem ei­ne kla­re und prak­ti­ka­ble For­mel für die Be­stim­mung des für die Prü­fung ei­nes Asyl­an­trags zu­stän­di­gen Mit­glied­staats um­fas­sen. Ei­ne sol­che For­mel soll­te ins­be­son­de­re ei­ne ra­sche Be­stim­mung des zu­stän­di­gen Mit­glied­staats er­mög­li­chen, um den ef­fek­ti­ven Zu­gang zu den Ver­fah­ren zur Ge­wäh­rung des in­ter­na­tio­na­len Schut­zes zu ge­währ­leis­ten und das Ziel ei­ner zü­gi­gen Be­ar­bei­tung der An­trä­ge auf in­ter­na­tio­na­len Schutz nicht zu ge­fähr­den. Die­se uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben sind auch im Rah­men ei­ner Über­stel­lung ge­mäß Art. 29 VO (EU) Nr. 604/2013 von er­heb­li­cher Be­deu­tung: Nach Art. 29 Abs. 1 Un­terabs. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 er­folgt die Über­stel­lung des Be­trof­fe­nen aus dem er­su­chen­den Mit­glied­staat in den zu­stän­di­gen Mit­glied­staat ge­mäß den in­ner­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten des er­su­chen­den Mit­glied­staats, so­bald dies prak­tisch mög­lich ist und spä­tes­tens in­ner­halb ei­ner Frist von sechs Mo­na­ten nach dem in der Vor­schrift nä­her be­stimm­ten Zeit­punkt. Wird die Über­stel­lung nicht in­ner­halb der Frist von sechs Mo­na­ten durch­ge­führt, geht die Zu­stän­dig­keit auf den er­su­chen­den Mit­glied­staat über (Art. 29 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013), oh­ne dies von ir­gend­ei­ner Re­ak­ti­on des zu­stän­di­gen Mit­glied­staats ab­hän­gig zu ma­chen. Die­se Aus­le­gung steht im Ein­klang mit dem im fünf­ten Er­wä­gungs­grund der Ver­ord­nung (EU) Nr. 604/2013 er­wähn­ten Ziel ei­ner zü­gi­gen Be­ar­bei­tung der An­trä­ge auf in­ter­na­tio­na­len Schutz, in­dem sie bei ei­ner ver­zö­ger­ten Durch­füh­rung des Auf­nah­me- oder Wie­der­auf­nah­me­ver­fah­rens ge­währ­leis­tet, dass der An­trag auf in­ter­na­tio­na­len Schutz in dem Mit­glied­staat ge­prüft wird, in dem sich der An­trag­stel­ler auf­hält, da­mit die Prü­fung nicht wei­ter auf­ge­scho­ben wird (Eu­GH, Gro­ße Kam­mer, Ur­teil vom 25. Ok­to­ber 2017 - C-201/16 [ECLI:​EU:​C:​2017:​805], Shiri - Rn. 30 f.).

28 So­weit zu­dem Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge, die ei­nen An­trag auf in­ter­na­tio­na­len Schutz in ei­nem Mit­glied­staat ge­stellt ha­ben, sich ver­an­lasst se­hen könn­ten, sich in an­de­re Mit­glied­staa­ten zu be­ge­ben und so­mit Se­kun­där­mi­gra­ti­on zu be­wir­ken, will die Ver­ord­nung (EU) Nr. 604/2013 dies ge­ra­de ver­hin­dern, in­dem sie ein­heit­li­che Me­cha­nis­men und Kri­te­ri­en für die Be­stim­mung des zu­stän­di­gen Mit­glied­staats ein­führt. Ein zen­tra­ler Grund­satz der Ver­ord­nung (EU) Nr. 604/2013 be­steht über­dies nach ih­rem Art. 3 Abs. 1 dar­in, dass ein An­trag auf in­ter­na­tio­na­len Schutz nur von ei­nem ein­zi­gen Mit­glied­staat ge­prüft wird (vgl. Eu­GH, Gro­ße Kam­mer, Ur­teil vom 2. April 2019 - C-582/17 und C-583/17 [ECLI:​EU:​C:​2019:​280] - Rn. 77 f.).

29 Bei den ge­nann­ten Ziel­set­zun­gen han­delt es sich um Ele­men­te der ge­mein­sa­men Asyl­po­li­tik der Mit­glied­staa­ten und da­mit ei­nes we­sent­li­chen Be­stand­teils des Ziels der Eu­ro­päi­schen Uni­on, schritt­wei­se ei­nen Raum der Frei­heit, der Si­cher­heit und des Rechts auf­zu­bau­en, der al­len of­fen­steht, die we­gen be­son­de­rer Um­stän­de recht­mä­ßig in der Uni­on um Schutz nach­su­chen (vgl. den zwei­ten Er­wä­gungs­grund der Ver­ord­nung (EU) Nr. 604/2013). Da­mit droht bei ei­nem Fehl­schlag ei­ner Über­stel­lung auf der Grund­la­ge von Art. 29 VO (EU) Nr. 604/2013 ei­ne Be­ein­träch­ti­gung er­heb­li­cher Rechts­gü­ter von ho­hem Rang.

30 ee) Die an­ge­grif­fe­nen Maß­nah­men wur­den zur Ver­hü­tung ei­ner drin­gen­den Ge­fahr für die ge­nann­ten Rechts­gü­ter und da­mit für die öf­fent­li­che Si­cher­heit und Ord­nung vor­ge­nom­men. Wä­ren sie un­ter­blie­ben, hät­te dies zum Schei­tern der recht­lich ge­bo­te­nen Auf­ent­halts­be­en­di­gung des Klä­gers und da­mit zu­gleich da­zu ge­führt, dass die Zie­le der Ver­ord­nung (EU) Nr. 604/2013 nicht um­ge­setzt wor­den wä­ren. Ein fort­dau­ern­der Auf­ent­halt des Klä­gers in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hät­te ei­ne zü­gi­ge Be­ar­bei­tung des Schutz­su­chens des Klä­gers im zu­stän­di­gen Mit­glied­staat - Ita­li­en - ge­hin­dert und da­durch der nach der Ver­ord­nung (EU) Nr. 604/2013 zu ver­hin­dern­den Se­kun­där­mi­gra­ti­on Vor­schub ge­leis­tet.

31 ff) Aus den bin­den­den tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs er­gibt sich, dass der Ein­griff in das Woh­nungs­grund­recht ge­eig­net und er­for­der­lich war, um die in­so­weit dro­hen­de Schä­di­gung zu ver­hin­dern. Die Maß­nah­men stell­ten, wie der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof re­vi­si­ons­recht­lich feh­ler­frei und un­ter Her­an­zie­hung des ein­schlä­gi­gen ir­re­vi­si­blen Lan­des­rechts dar­ge­legt hat, zweck­mä­ßi­ge und grund­rechts­scho­nen­de Mit­tel der Ge­fah­ren­ab­wehr dar. Dies gilt an­ge­sichts der sei­tens des ita­lie­ni­schen Staats mit­ge­teil­ten zeit­li­chen und räum­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Auf­nah­me des Klä­gers auch des­we­gen, weil da­mit der uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­be Rech­nung ge­tra­gen wur­de, die Über­stel­lung ge­mäß den in­ner­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten durch­zu­füh­ren, so­bald dies prak­tisch mög­lich ist (Art. 29 Abs. 1 Un­terabs. 1 VO (EU) Nr. 604/2013). Den Fest­stel­lun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs lässt sich nicht ent­neh­men, dass den Be­diens­te­ten des Be­klag­ten ei­ne we­ni­ger stark in die Grund­rechts­po­si­ti­on des Klä­gers ein­grei­fen­de Vor­ge­hens­wei­se zur Ver­fü­gung ge­stan­den hät­te. Die Maß­nah­men er­schöpf­ten sich in ei­nem su­chen­den Blick in das Zim­mer und in des­sen kurz­fris­ti­gem Be­tre­ten im Ein­ver­neh­men mit dem Klä­ger und be­las­te­ten die­sen da­her für sich ge­nom­men nicht über­mä­ßig.

32 Da­mit über­wog das öf­fent­li­che In­ter­es­se an der Wah­rung von Recht und Ord­nung im vor­lie­gen­den Fall das pri­va­te Schutz­in­ter­es­se des Klä­gers. Letz­te­res stand von Be­ginn an un­ter dem Vor­be­halt der Be­en­di­gung des Auf­ent­halts des Klä­gers in der Auf­nah­me­ein­rich­tung und in dem Zim­mer. Die­se Zu­wei­sung war von vorn­her­ein grund­sätz­lich auf Be­fris­tung an­ge­legt, wie sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG er­gibt. Der Klä­ger muss­te nach dem Ver­fah­rens­ver­lauf vor den in Re­de ste­hen­den Maß­nah­men da­mit rech­nen, un­ter Ver­lust sei­ner Nut­zungs­be­rech­ti­gung an dem Zim­mer und da­mit sei­ner Grund­rechts­po­si­ti­on aus Art. 13 Abs. 1 GG nach Ita­li­en über­stellt zu wer­den. Dem stand das hoch­ran­gi­ge öf­fent­li­che In­ter­es­se an der Über­stel­lung ge­gen­über. Die­ses konn­te im vor­lie­gen­den Fall nur mit­tels der an­ge­grif­fe­nen Maß­nah­men, die ei­ne ge­rin­ge Ein­griffs­in­ten­si­tät auf­wei­sen, ver­wirk­licht wer­den.

33 Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 154 Abs. 2 Vw­GO.

Be­schluss vom 30.11.2023 -
BVer­wG 1 C 14.23ECLI:DE:BVer­wG:2023:301123B1C14.23.0

  • Zi­tier­vor­schlag

Be­schluss

BVer­wG 1 C 14.23

  • VG Stutt­gart - 18.02.2021 - AZ: 1 K 9602/18
  • VGH Mann­heim - 28.03.2022 - AZ: 1 S 1265/21

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che hat der 1. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
am 30. No­vem­ber 2023
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Kel­ler,
den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Böh­mann und
die Rich­te­rin am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Fenzl
be­schlos­sen:

  1. Die An­hö­rungs­rü­ge des Klä­gers ge­gen das Ur­teil des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts vom 15. Ju­ni 2023 - BVer­wG 1 C 10.22 - wird zu­rück­ge­wie­sen.
  2. Der Klä­ger trägt die Kos­ten des Rü­ge­ver­fah­rens.

Grün­de

1 Die An­hö­rungs­rü­ge ist ge­mäß § 152a Abs. 2 Vw­GO zu­läs­sig, aber nicht be­grün­det. Der Se­nat hat den An­spruch des Klä­gers auf recht­li­ches Ge­hör in sei­nem Ur­teil vom 15. Ju­ni 2023 - BVer­wG 1 C 10.22 - nicht ver­letzt.

2 Die Ver­fah­rens­ga­ran­tie des recht­li­chen Ge­hörs ge­mäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 Vw­GO, de­ren Ver­let­zung nach § 152a Vw­GO ge­rügt wer­den kann, ver­pflich­tet das Ge­richt, das Vor­brin­gen je­des Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten zur Kennt­nis zu neh­men und in Er­wä­gung zu zie­hen. Das Ge­richt wird da­durch je­doch nicht ver­pflich­tet, dem Vor­brin­gen der Be­tei­lig­ten zu fol­gen. Es muss in sei­ner Ent­schei­dung auch nicht aus­drück­lich und im Ein­zel­nen sämt­li­che von den Be­tei­lig­ten im Lauf des Ver­fah­rens vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen und Rechts­an­sich­ten er­ör­tern. Viel­mehr sind in der Ent­schei­dung nur die­je­ni­gen Grün­de an­zu­ge­ben, die für die rich­ter­li­che Über­zeu­gung lei­tend ge­we­sen sind. Das Ge­richt kann sich auf die Dar­stel­lung und Wür­di­gung der­je­ni­gen recht­li­chen Ge­sichts­punk­te be­schrän­ken, auf die es nach sei­nem Rechts­stand­punkt ent­schei­dungs­er­heb­lich an­kommt. Da­her kann aus dem Um­stand, dass das Ge­richt nicht auf sämt­li­che Be­grün­dungs­ele­men­te des Be­tei­lig­ten­vor­brin­gens ein­ge­gan­gen ist, nur dann ge­schlos­sen wer­den, es ha­be die­sen As­pekt nicht be­rück­sich­tigt, wenn er nach dem Rechts­stand­punkt des Ge­richts ei­ne Fra­ge von zen­tra­ler Be­deu­tung be­trifft (stRspr, vgl. BVer­wG, Be­schluss vom 5. Ja­nu­ar 2023 - 1 B 77.22 - ju­ris Rn. 3 m. w. N.). Ge­mes­sen hier­an zeigt der Klä­ger ei­ne Ver­let­zung sei­nes An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör nicht auf.

3 Der Klä­ger be­an­stan­det, der Se­nat ha­be nicht zur Kennt­nis ge­nom­men, dass das Be­ru­fungs­ge­richt ein­zel­ne Mo­da­li­tä­ten der an­ge­grif­fe­nen Maß­nah­men aus­drück­lich of­fen­ge­las­sen ha­be, und das Vor­brin­gen in der Re­vi­si­ons­be­grün­dung hier­zu über­gan­gen. Dies führt nicht auf ei­ne Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör. Der Se­nat hat sei­ner Ent­schei­dung den Rechts­satz zu­grun­de ge­legt, dass sich ei­ne Durch­su­chung nicht in ei­nem Be­tre­ten der Woh­nung er­schöpft, son­dern als zwei­tes Ele­ment die Vor­nah­me von Hand­lun­gen in Ge­stalt ei­ner Su­che nach Per­so­nen oder die Er­mitt­lung ei­nes Sach­ver­halts er­for­dert (Rn. 17). Auf die vom Be­ru­fungs­ge­richt of­fen­ge­las­se­ne Fra­ge, ob der Be­am­te des Po­li­zei­voll­zugs­diens­tes "ei­nen Schritt in das Zim­mer" des Klä­gers ge­tan und da­bei das Licht oder sei­ne Ta­schen­lam­pe an­ge­schal­tet hat (UA S. 49, 52), kam es da­her nicht an, da al­len­falls ein kurz­fris­ti­ges Be­tre­ten nebst ei­ner Ein­sicht­nah­me, aber kei­ne Such­hand­lung er­folg­te.

4 Der Se­nat hat auch nicht das Vor­brin­gen des Klä­gers zu ei­ner - feh­len­den - Ein­wil­li­gung beim ge­mein­sa­men Be­tre­ten mit den Be­am­ten des Po­li­zei­voll­zugs­diens­tes über­gan­gen. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat ein ko­ope­ra­ti­ves Ver­hal­ten des Klä­gers zu die­sem Zeit­punkt fest­ge­stellt (UA S. 51). Dass der Se­nat hier­aus an­de­re recht­li­che Schlüs­se ge­zo­gen hat als der Klä­ger, be­grün­det kei­ne Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör.

5 So­weit der Klä­ger der Auf­fas­sung ist, der Se­nat ha­be sein Vor­brin­gen zur feh­len­den Ge­fah­ren­la­ge und zur Er­for­der­lich­keit der Woh­nungs­be­tre­tung un­be­rück­sich­tigt ge­las­sen, setzt er le­dig­lich sei­ne Wür­di­gung des Sach­ver­halts an die Stel­le der­je­ni­gen des Se­nats, zeigt aber kei­ne Ver­let­zung des Art. 103 Abs. 1 GG auf. Der Se­nat hat den bin­den­den (§ 137 Abs. 2 Vw­GO) tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts ent­nom­men, dass die an­ge­grif­fe­nen Maß­nah­men des Po­li­zei­voll­zugs­diens­tes an­ge­sichts der zeit­li­chen und räum­li­chen Vor­ga­ben des ita­lie­ni­schen Staa­tes für ei­ne Auf­nah­me des Klä­gers zweck­mä­ßi­ge und grund­rechts­scho­nen­de Mit­tel der Ge­fah­ren­ab­wehr dar­stell­ten (Rn. 31), und ist da­mit der an­der­wei­ti­gen Auf­fas­sung der Re­vi­si­on nicht ge­folgt.

6 Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 154 Abs. 2 Vw­GO.