Beschluss vom 20.09.2012 -
BVerwG 7 B 5.12ECLI:DE:BVerwG:2012:200912B7B5.12.0
Leitsatz:
Für einen Anspruch gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auf Informationszugang nach § 1 Abs. 1 IFG ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Die Sonderzuweisung nach § 48 Abs. 1 und 4 WpÜG erfasst diesen Anspruch nicht.
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Rechtsquellen
GVG § 17 Abs. 2 Satz 1; § 17a Abs. 4 Satz 5 VwGO § 40 Abs. 1 Satz 1 WpÜG § 48 Abs. 1, 4 IFG § 1 Abs. 1 VwVfG § 29 -
Instanzenzug
VG Frankfurt am Main - 24.08.2011 - AZ: VG 7 K 514/11.F
Hessischer VGH - 15.12.2011 - AZ: VGH 6 B 1926/11
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 20.09.2012 - 7 B 5.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:200912B7B5.12.0]
Beschluss
BVerwG 7 B 5.12
- VG Frankfurt am Main - 24.08.2011 - AZ: VG 7 K 514/11.F
- Hessischer VGH - 15.12.2011 - AZ: VGH 6 B 1926/11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. September 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Brandt
beschlossen:
- Die weitere Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I
1 Mit Schreiben vom 1. Oktober 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) Einsicht in die Unterlagen, die der Beklagten über ein von der Deutschen Bank AG an die Aktionäre der Deutschen Postbank AG gerichtetes Übernahmeangebot vorlagen. Mit Bescheid vom 3. Dezember 2010 gab die Beklagte diesem Begehren teilweise statt unter Ablehnung des Antrags im Übrigen. Bereits zuvor hatte der Kläger als außenstehender Aktionär der Postbank AG gegen die Gestattung der Veröffentlichung der freiwilligen Angebotsunterlagen für das Übernahmeangebot Widerspruch erhoben und nach § 29 i.V.m. § 13 Abs. 1 VwVfG die Einsicht in die bei der Beklagten über diesen Vorgang vorhandenen Unterlagen beantragt. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. November 2010 ab. Die gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2011 zurück und führte in der Rechtsbehelfsbelehrung aus, dass gegen die Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheids Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben werden könne. Am 21. Februar 2011 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht erhoben und dort sein Zugangsbegehren nach dem Informationsfreiheitsgesetz weiterverfolgt. Zugleich hat er am selben Tag gegen den gesamten Widerspruchsbescheid Beschwerde zum Oberlandesgericht erhoben. Auf den Antrag der Beklagten, den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht zu verweisen, hat das Verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Er hat die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen.
II
2 Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige weitere Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof haben zu Recht angenommen, dass für den geltend gemachten Anspruch auf Informationszugang nach § 1 IFG der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist.
3 Bei dem Rechtsstreit um diesen Anspruch handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn die streitentscheidende Norm des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG verpflichtet nur Behörden des Bundes als Träger hoheitlicher Gewalt; sie ist folglich dem öffentlichen Recht zuzuordnen (vgl. nur Schoch, IFG, 2009, § 9 Rn. 68, 71). Auch die Beklagte stellt das nicht in Frage. Für die Entscheidung über diesen Anspruch sind demnach gemäß der genannten Vorschrift die Verwaltungsgerichte zuständig; denn es fehlt an einer ausdrücklichen Zuweisung an ein anderes Gericht nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO. Entgegen der Ansicht der Beklagten wird der streitige Anspruch von der abdrängenden Sonderzuweisung in § 48 Abs. 1 und Abs. 4 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes - WpÜG - vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3822), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 46 des Gesetzes vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3044), nicht erfasst.
4 Nach § 48 Abs. 1 WpÜG ist gegen Verfügungen der Beklagten die Beschwerde statthaft; nach § 48 Abs. 4 WpÜG entscheidet über die Beschwerde ausschließlich das für den Sitz der Beklagten in Frankfurt am Main zuständige Oberlandesgericht. Entgegen dem weiten Wortlaut des § 48 Abs. 1 und 4 WpÜG erstreckt sich die Sonderzuweisung nicht umfassend auf alle Verfügungen der Beklagten. Vielmehr bezieht sich § 48 Abs. 1 und 4 WpÜG nur auf solche Verfügungen der Beklagten, die in dem von § 1 WpÜG umschriebenen Anwendungsbereich des Gesetzes, d.h. in Bezug auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, erlassen worden sind. In erster Linie sind das - wie in § 46 Satz 1 WpÜG ausdrücklich verdeutlichend formuliert - Verfügungen, die „nach diesem Gesetz“ ergangen sind (vgl. Wackerbarth/Kresse, in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2011, § 48 WpÜG Rn. 4 f.; Noack/Holzborn, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 48 WpÜG Rn. 3). Dazu kommen hieran anknüpfende - akzessorische - Verfügungen, etwa in der Verwaltungsvollstreckung, sowie gegebenenfalls sonstige Hilfs- und Nebenansprüche (vgl. etwa zum Rechtsweg für Auskunftsverlangen beim Amtshaftungsanspruch BGH, Beschluss vom 22. März 1976 - GSZ 2/75 - BGHZ 67, 81 <91> und Urteil vom 25. September 1980 - III ZR 74/78 - BGHZ 78, 274 <276 ff.>). Hiernach werden Ansprüche nach dem Informationsfreiheitsgesetz von § 48 Abs. 1 und 4 WpÜG nicht erfasst. Denn sie sind insbesondere nicht als bloße Nebenansprüche zu sonstigen Ansprüchen zu verstehen, die sich aus dem WpÜG ergeben. Vielmehr gewährt das Informationsfreiheitsgesetz einen eigenständigen materiellrechtlichen Anspruch auf Informationszugang, der sich insbesondere vom Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren grundlegend unterscheidet (Urteil vom 3. November 2011 - BVerwG 7 C 3.11 - BVerwGE 141, 122 Rn. 17; vgl. auch BSG, Beschluss vom 4. April 2012 - B 12 SF 1/10 R - juris Rn. 10 ff.). Der Gedanke der prozessualen Zweckmäßigkeit und des Sachzusammenhangs, der der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Grunde liegt, kann deswegen das Fehlen einer ausdrücklichen bundesgesetzlichen Sonderzuweisung nicht ersetzen (siehe auch OVG Münster, Beschluss vom 8. Mai 2002 - 21 E 349/02 - NWVBl 2003, 23 <juris Rn. 5>).
5 Eine Erstreckung der Rechtswegzuweisung nach § 48 Abs. 1 und 4 WpÜG auf Ansprüche nach § 1 IFG kommt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht deswegen in Betracht, weil der Kläger zugleich (siehe § 1 Abs. 3 IFG) ein Akteneinsichtsbegehren nach § 29 VwVfG geltend macht.
6 Es spricht zwar viel dafür, dass über dieses dem Verfahren nach dem WpÜG akzessorische Begehren nach § 48 Abs. 1 und 4 WpÜG vom Oberlandesgericht zu entscheiden ist. Hieraus folgt aber nichts für den Rechtsweg hinsichtlich des Informationsanspruchs nach § 1 IFG. Das gilt auch dann, wenn - wie die Beklagte im Gegensatz zum Verwaltungsgerichtshof meint - beide Ansprüche demselben Streitgegenstand zuzuordnen sind. Nach dem sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Streitgegenstand im Allgemeinen als der prozessuale Anspruch durch die erstrebte, im Klageantrag umschriebene Rechtsfolge und den Klagegrund, d.h. den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, gekennzeichnet (stRspr, siehe etwa Urteile vom 31. August 2011 - BVerwG 8 C 15.10 - BVerwGE 140, 290 Rn. 20 = Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 75 und vom 10. Mai 1994 - BVerwG 9 C 501.93 - BVerwGE 96, 24 <25> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 68 S. 2 <3>). Hiervon ausgehend dürfte eine Identität des Streitgegenstandes jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn der Informationszugangsanspruch nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 IFG auf die Gewährung von Akteneinsicht gerichtet ist. Allerdings ist zu erwägen, ob bei einem Verpflichtungsbegehren der Streitgegenstand nicht allein durch die begehrte Rechtsfolge und den Klagegrund bestimmt, sondern durch die gesetzliche Anspruchsgrundlage präzisiert und umgrenzt wird (siehe hierzu Rennert, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 121 Rn. 28 m.N.; vgl. auch Urteil vom 3. März 2011 - BVerwG 7 C 4.10 - BVerwGE 139, 184 Rn. 41 = Buchholz 406.27 § 16 BBergG Nr. 1). Dies bedarf hier jedoch keiner Vertiefung. Denn auch die Identität des Streitgegenstandes verändert nicht die Rechtswegzuweisung als solche. Eine einheitliche Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand wird vielmehr dadurch gewährleistet, dass das Gericht, bei dem ein Verfahren zuerst rechtshängig geworden ist (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG, § 261 Abs. 3 ZPO) nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG rechtswegüberschreitend über sämtliche Anspruchsgrundlagen entscheiden kann (vgl. Rennert, in: Eyermann a.a.O. § 41/§§ 17 - 17b GVG Rn. 18 f. m.w.N.).
7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Anfechtung der Entscheidung über den Rechtsweg löst ein selbstständiges Rechtsmittelverfahren aus, in dem nach den allgemeinen Vorschriften über die Kosten zu befinden ist (Beschluss vom 18. Mai 2010 - BVerwG 1 B 1.10 - BVerwGE 137, 52 Rn. 13 = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 302).