Beschluss vom 29.04.2004 -
BVerwG 7 B 85.03ECLI:DE:BVerwG:2004:290404B7B85.03.0
Beschluss
BVerwG 7 B 85.03
- VG Dresden - 20.05.2003 - AZ: VG 13 K 3493/99
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:
- Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 20. Mai 2003 wird aufgehoben.
- Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
- Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 200 000 € festgesetzt.
Die Kläger wenden sich gegen die vermögensrechtliche Rückübertragung des Grundstücks M.-H.-Straße 31 in Bautzen an die Beigeladene. Der frühere jüdische Eigentümer hatte das Grundstück am 30. Dezember 1936 an den Rechtsvorgänger der Kläger veräußert. Der Landkreis Bautzen übertrug das Grundstück mit Bescheid vom 4. Dezember 1998 an die Beigeladene zurück. Die nach erfolglosem Widerspruch hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Zwar kommt der Rechtssache nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Es liegt jedoch ein Verfahrensfehler vor, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Die Kläger möchten geklärt wissen, ob das Fehlen einer ausreichenden finanziellen Erstattungsregelung für die von ihnen nach dem 2. Oktober 1990 vorgenommenen Investitionen mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG zur Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG führt. Sie berufen sich darauf, dass sie im Vertrauen auf die Mitteilung des Landkreises Bautzen vom 24. Februar 1992, dass "bis zum heutigen Tag kein vermögensrechtlicher Anspruch registriert" worden sei, umfangreiche Modernisierungs- und Sanierungsarbeiten an dem auf dem Grundstück befindlichen Gebäude vorgenommen hätten, für die weder nach dem Vermögensgesetz noch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ein Anspruch auf einen hinreichenden Ausgleich bestehe. Die aufgeworfene Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision; sie würde sich in dem Revisionsverfahren nicht stellen.
Die Kläger wenden sich gegen Regelungen über die Erstattung der nach dem 3. Oktober 1990 vorgenommenen Investitionen in das Grundstück. Etwaige Erstattungsansprüche der Kläger sind jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens; sie sind vielmehr im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen (vgl. Urteil vom 28. Juli 1994 - BVerwG 7 C 60.93 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 8 S. 15 <18> zum schuldrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen den Verfügungsberechtigten). Dementsprechend hat auch das Verwaltungsgericht keine Feststellungen zu den vorgenommenen Investitionen getroffen.
Die Kläger begründen die Verknüpfung mit der Rückübertragungsregelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG damit, dass ein ausreichender finanzieller Ausgleich für nach dem 2. Oktober 1990 vorgenommene Investitionen Voraussetzung für eine den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG genügende Regelung über die Rückerstattung des Grundstückseigentums sei. Dies kann nicht überzeugen. Die Regelung über die Erstattung von Kosten für Maßnahmen, die nach dem 2. Oktober 1990 vorgenommen worden sind (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 4 VermG; zur Auslegung dieser Vorschrift über den Wortlaut hinaus vgl. BGHZ 137, 183 <188>; Landel, VIZ 1999, 71 <72 f.>), stellt keinen finanziellen Ausgleich für die auf der Grundlage des Vermögensgesetzes vorgenommene Rückübertragung des Eigentums an den Berechtigten dar. Vielmehr handelt es sich um eine besondere gesetzliche Regelung der Rechte und Pflichten von Verfügungsberechtigten und Berechtigten unter der Geltung des Vermögensgesetzes nach dem 2. Oktober 1990, also eines Rechtsverhältnisses, das nach dem Verständnis des Bundesgerichtshofs jedenfalls ab Stellung des Restitutionsantrags Züge einer gesetzlichen Treuhand aufweist (BGHZ 137, 183 <186>). Die Ausgestaltung dieses Rechtsverhältnisses hat der Gesetzgeber einerseits mit Blick darauf vorgenommen, dass nicht durch Maßnahmen des Verfügungsberechtigten nach dem 2. Oktober 1990 der Restitutionsanspruch - z.B. durch einen hohen Erstattungsanspruch oder langfristige Verbindlichkeiten - beeinträchtigt werden soll (vgl. Urteil vom 28. Juli 1994 - BVerwG 7 C 60.93 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 8 S. 17 f.; BGHZ 136, 57 <61> zur Unterlassungsverpflichtung). Andererseits sollte der Verfügungsberechtigte, wie sich aus § 3 Abs. 3 Sätze 2, 3, 5 und 6 VermG ergibt, auch bestimmte investive Maßnahmen vornehmen können, die der Erhaltung von Gebäuden und damit auch dem öffentlichen Interesse am wirtschaftlichen Aufbau im Gebiet der ehemaligen DDR dienen. Diese Regelungszwecke belegen, dass die Erstattungsregelung des § 3 Abs. 3 Satz 4 VermG nicht als Ausgleich für die Rückübertragung des Eigentums verstanden werden kann. Ob § 3 Abs. 3 Satz 4 VermG den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, ist danach nicht in diesem Verfahren zu klären.
2. Ferner möchten die Kläger geklärt wissen, ob die Beigeladene (JCC) in Anbetracht des ausdrücklich, zumindest aber konkludent erklärten Willens der jüdischen Alteigentümer, auf die Geltendmachung von Rückübertragungsansprüchen zu verzichten, Berechtigte i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG geworden ist. Sie zielen damit auf eine Klärung der Frage, ob es für § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG allein auf das formelle Kriterium der unterlassenen Antragstellung ankommt oder ob darüber hinaus "noch ein materielles Interesse an der Wiedergutmachung" zu fordern ist. Auch diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG gilt in Ansehung der Ansprüche nach dem Vermögensgesetz die Beigeladene als Rechtsnachfolgerin, soweit Ansprüche von jüdischen Berechtigten i.S. des § 1 Abs. 6 VermG oder deren Rechtsnachfolgern nicht geltend gemacht werden. Der Senat hat mit Urteil vom 23. Oktober 2003 - BVerwG 7 C 64.02 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 22) entschieden, dass es für die Fiktion der Rechtsnachfolge der Beigeladenen nicht darauf ankommt, aus welchen Gründen die Antragstellung unterblieben ist. Nach der Gesetzesformulierung und dem Regelungszweck ist allein maßgeblich, ob eine anderweitige Anmeldung des früheren jüdischen Eigentümers oder der Erben vorliegt. Ist dies nicht der Fall, so ist mit Ablauf der Ausschlussfrist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG deren Anspruch erloschen und ausschließlich die Beigeladene anspruchsberechtigt, wenn sie den Anspruch rechtzeitig angemeldet hat (vgl. Beschluss vom 27. Juli 1999 - BVerwG 7 B 134.99 - Buchholz 428 § 30 a VermG Nr. 11). Entgegen der Auffassung der Kläger beschränkt sich § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG nicht auf die Fälle des "erbenlosen Vermögens", in denen die jüdischen Geschädigten zu einer Anmeldung nicht in der Lage waren. Hiergegen sprechen auch die Erläuterungen der Bundesregierung, die den Fall des "unbeanspruchten Vermögens" neben dem Fall anführen, dass keine Erben vorhanden sind und deshalb eine Anmeldung nicht vorgenommen werden konnte (BTDrucks 11/7831, S. 4). Dass ein Berechtigter oder der Rechtsnachfolger eines Berechtigten, der während der Ausschlussfrist keine Anmeldung vorgenommen hat, nicht durch spätere Verzichtserklärungen den Anspruch der Beigeladenen zum Wegfall bringen kann, zeigt auch ein Vergleich mit den Regelung der Erstattungsgesetze der Alliierten. Nach Art. 11 Abs. 2 US-REG erwarb die Nachfolgeorganisation aufgrund ihrer Anmeldung die Rechtsstellung des Berechtigten. Eine Ausnahme sah Art. 11 Abs. 3 US-REG lediglich für den Fall vor, dass der Berechtigte innerhalb der Anmeldefrist "schriftlich und ausdrücklich gegenüber dem Rückerstattungspflichtigen, der zuständigen Rückerstattungsbehörde oder dem Zentralamt auf seinen Rückerstattungsanspruch verzichtet hat". Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG bestehen nicht.
3. Die Beschwerde ist jedoch insoweit begründet, als die Kläger rügen, dass das Verwaltungsgericht dem von ihnen in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Vernehmung des Zeugen Herbert R. nicht nachgegangen sei. Wie die Kläger in der Beschwerdebegründung darlegen, haben sie die Vernehmung des Zeugen dazu beantragt, dass die Veräußerung des Grundstücks freiwillig vorgenommen worden sei und nicht auf Gründen der Verfolgung beruht habe. Mit der Vernehmung des Zeugen sollte der Nachweis erbracht werden, dass das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen wäre (Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO). Bei Veräußerungen, welche - wie hier - in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8. Mai 1945 vorgenommen worden sind, bedarf es zur Widerlegung der Vermutung der Verfolgungsbedingtheit des Verkaufs des Nachweises, dass außer den in Art. 3 Abs. 2 REAO bezeichneten Voraussetzungen das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre oder der Erwerber in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg den Schutz der Vermögensinteressen des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers wahrgenommen hat.
Das Verwaltungsgericht hat seine Auffassung, dass die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO nicht erfüllt seien, im Wesentlichen auf die von den Klägern in das Verfahren eingeführten Briefe des Zeugen Herbert R. gestützt. Zwar bestimmt im Verwaltungsprozess gemäß § 86 Abs. 1 VwGO das Gericht der Tatsacheninstanz den Umfang der Beweisaufnahme und die Art der Beweismittel nach seinem Ermessen. Die in Betracht kommenden Beweismittel sind grundsätzlich einander gleichwertig; eine dem § 250 StPO entsprechende Vorschrift fehlt im Verwaltungsprozess. Das Gericht hat demgemäß die Wahl, welcher Beweismittel es sich zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bedienen will. Dem Gericht ist es deshalb grundsätzlich nicht verwehrt, in beigezogenen Akten enthaltene schriftliche Zeugenaussagen oder schriftliche Erklärungen des Zeugen im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten (vgl. Beschluss vom 18. Juli 1997 - BVerwG 5 B 156.96 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 281 m.w.N.; Beschluss vom 13. September 1988 - BVerwG 1 B 22.88 - Buchholz 402.24 § 24 AuslG Nr. 12 S. 16 f.). Die Befugnis, den Inhalt beigezogener Akten oder schriftliche Erklärungen eines Zeugen im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten, findet allerdings dann ihre Grenze, wenn ein Beteiligter eine weitere Beweiserhebung, etwa die Vernehmung des Zeugen, ausdrücklich beantragt hat oder sich sonst dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste (vgl. Beschlüsse vom 18. Juli 1997 und vom 13. September 1988 a.a.O.).
Einen solchen Antrag haben die Kläger nach ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung gestellt; das Sitzungsprotokoll ist nach einem Vermerk in der Gerichtsakte "nicht auffindbar". Unabhängig davon musste sich dem Verwaltungsgericht eine Vernehmung des Zeugen auch ohne Beweisantrag der Kläger aufdrängen. Der Zeuge kann über die Gründe für die Veräußerung aus eigener Anschauung oder jedenfalls aufgrund der Gespräche mit den Eltern berichten; sein Vater hat das Grundstück im Jahr 1936 veräußert. Er hat in einem Schreiben an die Klägerin zu 1 vom 29. Juli 2002 zwar Umstände angeführt, die für eine Mitursächlichkeit der Herrschaft des Nationalsozialismus für den Abschluss des Kaufvertrages sprechen können (zum Ausschluss der Widerlegung der Vermutung schon bei Mitursächlichkeit der Herrschaft des Nationalsozialismus vgl. Urteil vom 24. Januar 2002 - BVerwG 8 C 12.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 14 S. 69 f.; Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 8 C 10.03 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 23). Andererseits hat er sowohl in diesem Schreiben als auch in früheren schriftlichen Erklärungen, die die Kläger ebenfalls in das Verfahren eingeführt haben, stets erklärt, dass die Veräußerung nicht verfolgungsbedingt gewesen sei, also auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus zustande gekommen wäre. Angesichts dieses Widerspruchs bestand für das Verwaltungsgericht Anlass zur Vernehmung des Zeugen über die näheren Umstände und Gründe der Veräußerung. Der Notwendigkeit der Zeugenvernehmung kann auch nicht mit dem Hinweis begegnet werden, dass der Zeuge sich offenbar in einem Irrtum über die rechtlichen Voraussetzungen für die Widerlegung der Vermutung der Verfolgungsbedingtheit befunden habe, wie die Beigeladene ausgeführt hat. Vielmehr ist es gerade Zweck einer Zeugenvernehmung, solche Widersprüche unmittelbar durch den Zeugen aufklären zu lassen.
Dagegen bestand keine Notwendigkeit zur Vernehmung des Zeugen zur Frage eines Verzichts auf die Durchsetzung von Wiedergutmachungsansprüchen. Hierauf kommt es nach den Ausführungen zu § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG nicht an. Auch das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass ein (nachträglicher) Verzicht des Rechtsnachfolgers des Berechtigten keinen Einfluss auf die Rechtsstellung der Beigeladenen hat.
Der Senat nimmt den festgestellten Verfahrensmangel zum Anlass, das angegriffene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.