Verfahrensinformation

Die Klägerin war bis zu ihrer Pensionierung Beamtin bei der Deutschen Bundespost bzw. deren Rechtsnachfolgerin. Sie begehrt, bei der Festsetzung ihres Ruhegehalts auch Zeiten zu berücksichtigen, während derer sie vor ihrer Ernennung zur Beamtin als Angestellte der Deutschen Bundespost tätig gewesen war. Die Beklagte hatte dies mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe ihr Angestelltenverhältnis gekündigt, um sich der Kindererziehung zu widmen, und sei erst zehn Jahre später wieder in den Dienst der Bundespost zurückgekehrt. Damit habe sie den Zeitraum überschritten, für den eine Beamtin ohne Dienstbezüge beurlaubt werden konnte. Im Revisionsverfahren wird zu prüfen sein, ob die Angestelltenzeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit angerechnet werden kann oder muss.


Urteil vom 28.01.2004 -
BVerwG 2 C 6.03ECLI:DE:BVerwG:2004:280104U2C6.03.0

Leitsätze:

Vorschriften, die die Anerkennung von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig teils bindend vorschreiben, teils in das Ermessen des Dienstherrn stellen, sind nebeneinander anwendbar. Nur dann, wenn eine Vorschrift zur Anerkennung verpflichtet, ist eine nachmalige Berücksichtigung desselben Zeitraums nach einer Kann-Vorschrift ausgeschlossen.

Die Anerkennung einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit als Ausbildungszeit nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG setzt nicht voraus, dass der Versorgungsempfänger zuvor eine Ausbildung im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG durchlaufen hat.

  • Rechtsquellen
    BeamtVG § 4 Abs. 3, § 10 Satz 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1 Nr. 2

  • OVG Hamburg - 24.01.2003 - AZ: OVG 1 Bf 128/01 -
    Hamburgisches OVG - 24.01.2003 - AZ: OVG 1 Bf 128/01

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 28.01.2004 - 2 C 6.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:280104U2C6.03.0]

Urteil

BVerwG 2 C 6.03

  • OVG Hamburg - 24.01.2003 - AZ: OVG 1 Bf 128/01 -
  • Hamburgisches OVG - 24.01.2003 - AZ: OVG 1 Bf 128/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S i l b e r k u h l und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n , Dr. K u g e l e ,
G r o e p p e r und Dr. B a y e r
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

I


Die Klägerin begehrt eine Erhöhung ihrer Versorgungsbezüge. Nachdem sie im Alter von 17 Jahren die Schule mit der Mittleren Reife abgeschlossen hatte, war sie vom 1. Juli 1959 bis zum 31. Januar 1964 als Angestellte bei der damaligen Deutschen Bundespost tätig. Nach der Geburt ihrer ersten Tochter beendete sie diese Tätigkeit auf eigenen Wunsch, um sich der Erziehung ihrer Tochter zu widmen. Seit dem 15. Februar 1974 war sie wieder als Angestellte bei der Bundespost tätig. In dem zwischen den beiden Beschäftigungsverhältnissen liegenden Zeitraum von zehn Jahren war sie vom 1. April bis zum 8. Mai 1970 im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses nochmals bei der Bundespost angestellt, um an einer Schulung teilzunehmen.
Nach der Prüfung für den mittleren Fernmeldedienst wurde sie am 1. November 1978 in das Beamtenverhältnis des mittleren Dienstes übernommen. Hier war sie bis zum Eintritt in den Vorruhestand am 31. Dezember 1999 für die Deutsche Bundespost und später für deren Rechtsnachfolgerin, die Beklagte, tätig.
Im Jahre 1996 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die erste und die zweite Angestelltentätigkeit würden nach § 10 BeamtVG als ruhegehaltfähige Dienstzeit angerechnet, nicht dagegen die Zeit des Lehrgangs.
In dem Bescheid über die Versorgungsbezüge vom 27. März 2000 wurde lediglich die Zeit des 1974 begonnenen zweiten Angestelltenverhältnisses bis zur Übernahme in das Beamtenverhältnis als ruhegehaltfähig anerkannt.
Auf Antrag der Klägerin hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Zeitraum vom 1. Juli 1959 bis zum 30. Juni 1963 - also vier Jahre - als ruhegehaltfähig anzuerkennen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil geändert und die Beklagte verpflichtet, über die Anerkennung von bis zu vier Jahren der Beschäftigungszeit der Klägerin im Zeitraum vom 1. Juli 1959 bis 31. Januar 1964 nach § 12 BeamtVG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Eine Anerkennung der ersten Angestelltentätigkeit nach § 10 BeamtVG komme nicht in Betracht, weil die Klägerin diese Tätigkeit unterbrochen und die Unterbrechung zu vertreten habe. Auf die anders lautende Vorausberechnung aus dem Jahre 1996 könne sich die Klägerin nicht berufen, weil es sich dabei lediglich um eine nicht bindende Auskunft gehandelt habe. Die Zeit könne jedoch - nach Ermessen - gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG als Ausbildungszeit berücksichtigt werden, nämlich als Zeit einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit, die für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben gewesen sei. Die Anwendung dieser Vorschrift sei weder durch die schärfere Vorschrift des § 10 BeamtVG ausgeschlossen, noch setze sie voraus, dass der Versorgungsempfänger vor der hauptberuflichen Tätigkeit eine vorgeschriebene Ausbildung durchlaufen habe. Nach den im Zeitpunkt der Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis maßgeblichen Vorschriften der Bundespost sei eine mindestens vierjährige praktische hauptberufliche Tätigkeit erforderlich gewesen.
Da die Anrechnung im Ermessen der Beklagten stehe, müsse die Beklagte zunächst selbst über den Antrag der Klägerin entscheiden. Dabei erscheine es nicht als zwingend geboten, bei der Ausübung des Ermessens unberücksichtigt zu lassen, dass der Klägerin bereits mehr als drei Jahre ihrer Vordienstzeit (15. Februar 1974 bis 31. Oktober 1978) über § 10 BeamtVG als ruhegehaltfähige Dienstzeit angerechnet worden seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie beantragt sinngemäß,
das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. Januar 2003, soweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat, und den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 1. März 2001, soweit es der Klage stattgegeben hat, aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, § 12 BeamtVG sei nicht anzuwenden.

II


Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil ist, soweit es angefochten ist, mit revisiblem Recht vereinbar.
Nach § 4 Abs. 3 BeamtVG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322, berichtigt S. 847 und 2033) wird das Ruhegehalt auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG kann die nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres verbrachte Mindestzeit einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit, die für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben ist, als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden.
Der Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass die hier zu prüfende Tätigkeit der Klägerin zumindest teilweise zugleich die Voraussetzungen des § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG erfüllt. Die Vorschriften über die Anerkennung ruhegehaltfähiger Dienstzeiten sind jedenfalls dann nebeneinander anwendbar, wenn die sich aus ihnen ergebenden Rechtsfolgen von unterschiedlichem Gewicht sind, indem sie die rechtsanwendende Verwaltung in unterschiedlichem Grade binden. Dies trifft zu für Vorschriften, nach denen bestimmte Zeiten als ruhegehaltfähig entweder obligatorisch anerkannt werden müssen oder anerkannt werden sollen oder - nach Ermessen - ganz oder teilweise anerkannt werden können. Lediglich dann, wenn eine Zeit nach einer den Dienstherrn bindenden Vorschrift anzuerkennen ist, ist ein Rückgriff auf eine die Anerkennung lediglich ermöglichende Kann-Vorschrift ausgeschlossen, weil ein und dieselbe Zeit nicht mehrfach anerkannt werden darf. § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG macht die Anerkennung unter anderem von der Voraussetzung abhängig, dass der Versorgungsempfänger bis zu seiner Ernennung zum Beamten ohne von ihm zu vertretende Unterbrechung tätig war. Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts war damit eine Anerkennung der in den Jahren 1959 bis 1964 liegenden Angestelltentätigkeit der Klägerin auf der Grundlage dieser Vorschrift ausgeschlossen, so dass § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG als eigenständige Anerkennungsgrundlage weiterhin zur Verfügung stand.
Einer Anerkennung der Tätigkeit der Klägerin nach dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass auch die spätere, ihrer Übernahme in das Beamtenverhältnis unmittelbar vorausgehende Tätigkeit in den Jahren 1974 bis 1978 die materiellen Kriterien des § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG erfüllt. Zum einen hat der Dienstherr jene Zeit bereits nach § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG anerkannt, so dass ihre nochmalige Berücksichtigung nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG ausscheidet. Zum anderen ist dem Gesetz auch von der Systematik her nicht zu entnehmen, dass der Dienstherr bei der Prüfung anerkennungsfähiger Vordienstzeiten vom Zeitpunkt der Übernahme in das Beamtenverhältnis beginnend zeitlich zurückzugehen und demgemäß spätere mit Vorrang vor früheren Zeiträumen zu berücksichtigen hätte. Vielmehr spricht der Wortlaut des § 12 Abs. 1 BeamtVG von Mindestzeiten nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres und legt damit eine bei der Vollendung des siebzehnten Lebensjahres einsetzende, zeitlich aufsteigende Prüfung nahe. Auch der im Gesetz verwandte Begriff der "Mindestzeit" schränkt den der Prüfung unterliegenden Zeitraum nicht auf die der Ernennung unmittelbar vorausgehende oder ihr näher liegende Zeit ein. Vielmehr kann die Mindestzeit auch lange vor Erreichen dieses Zeitpunktes erfüllt sein, wie sich bereits daraus ergibt, dass Mindestzeiten überschritten werden können.
Schließlich verlangt die Anwendung des § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG nicht, dass der Versorgungsempfänger vor Aufnahme einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit eine vorgeschriebene Ausbildung im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG durchlaufen hat. Ausbildung und praktische hauptberufliche Tätigkeit stehen vielmehr gleichwertig nebeneinander. Mit der Vorschrift wollte der Gesetzgeber berücksichtigen, dass die für die spätere Übernahme in das Beamtenverhältnis erforderliche Vorbildung sowohl durch eine vorgeschriebene Ausbildung als auch durch eine praktische hauptberufliche Tätigkeit erworben werden kann. Die für die Anerkennung als ruhegehaltfähig notwendige innere Verbindung zur späteren Übernahme in das Beamtenverhältnis wird hier, ähnlich wie in § 10 BeamtVG, durch die Anforderung hergestellt, dass die Ausbildung und die praktische hauptberufliche Tätigkeit für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben sein müssen.
An diesen Maßstäben gemessen hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler die Anrechnungsfähigkeit der Angestelltentätigkeit der Klägerin in den Jahren 1959 bis 1964 dem Grunde nach bejaht. Zu Recht hat es insbesondere kein Hindernis darin gesehen, dass in die praktische hauptberufliche Tätigkeit der Klägerin auch Ausbildungselemente in der Form teilweise mehrwöchiger Lehrgänge "eingebettet" waren. Dass einer Berufsanfängerin die für die Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlichen praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht nur unmittelbar am Arbeitsplatz, sondern auch in Lehrgängen vermittelt werden, ist im Arbeitsleben nicht unüblich und stellt den Gesamtcharakter der Tätigkeit als einer hauptberuflichen praktischen Tätigkeit nicht in Frage.
Diese Tätigkeit war, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben. Dies ergibt sich aus den im Zeitpunkt der Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis am 1. November 1978 maßgeblichen Laufbahnvorschriften, die der Bundespostminister für den Bereich der Rechtsvorgängerin der Beklagten in rechtlich zulässiger Weise in seiner Amtsblattverfügung Nr. 218/1977 vom 22. März 1977 (Amtsblatt Nr. 38, S. 456) festgelegt hatte. Danach war für die Zulassung von Angestellten zur Prüfung für den mittleren Fernmeldedienst und zur Prüfung für den mittleren Postdienst neben der Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis erforderlich, dass die Angestellten bis zum 31. Oktober 1977 eine anrechnungsfähige Dienstzeit von mindestens vier Jahren im mittleren Fernmeldedienst oder im mittleren Postdienst zurückgelegt hatten. Diese Voraussetzungen, die die Klägerin erfüllte, galten nicht nur für die Zulassung zur Prüfung, sondern, wie sich aus Abschnitt C. der Verfügung ergibt, auch für die Übernahme in das Beamtenverhältnis selbst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.