Beschluss vom 26.04.2023 -
BVerwG 4 VR 6.22ECLI:DE:BVerwG:2023:260423B4VR6.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.04.2023 - 4 VR 6.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:260423B4VR6.22.0]

Beschluss

BVerwG 4 VR 6.22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. April 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:

  1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der 110-/380-kV-Höchstspannungsfreileitung Wesel-Utfort, Bl. 4214, sowie der 380-kV-Höchstspannungsfreileitung Utfort - Pkt. Hüls-West, Bl. 4208 wird für den Bereich zwischen Mast 32 und Mast 36 der Leitung Bl. 4208 angeordnet.
  2. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu je 1/2.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7 500 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bau einer Höchstspannungsfreileitung.

2 Die Bezirksregierung Düsseldorf stellte mit Beschluss vom 29. September 2022 den Plan für den Neubau der 110-/380-kV-Höchstspannungsfreileitung Wesel - Utfort, Bl. 4214 und der 380-kV-Höchstpannungsfreileitung Utfort - Pkt. Hüls-West, Bl. 4208 fest. Das planfestgestellte Vorhaben umfasst mehrere Abschnitte des in Nr. 14 der Anlage zum Energieleitungsausbaugesetz genannten Vorhabens "Neubau Höchstspannungsleitung Niederrhein - Utfort - Osterath, Nennspannung 380 kV". Eine Teilstrecke ist die Leitung Bl. 4208 zwischen Utfort und Pkt. Hüls-West, für die insgesamt 39 Masten planfestgestellt sind. Die nach Süden verlaufende Leitung erreicht bei Mast 30 das Gebiet der Stadt Krefeld, ab Mast 34 wird sie westlich des Stadtteils Hüls geführt und quert vor Mast 39 die Bundesstraße B 9. Die Masten sollen in diesem Bereich eine Höhe zwischen 65 m (Mast 39) und 80,50 m (Mast 34 und 37) erreichen, die Spannfelder sind zwischen 425 m und 299,10 m lang.

3 Der Antragsteller ist Eigentümer der im Außenbereich gelegenen und einheitlich genutzten Grundstücke Gemarkung H., Flur ..., Flurstücke a und b. An der südlichen Grenze des Flurstücks a steht sein Wohnhaus. Über beide Flurstücke wird bisher die 220-kV-Höchstspannungsfreileitung Osterrath − Wesel/Niederrhein geführt, deren Masten 89 und 90 mit einer Höhe von jeweils 33,70 m etwa 79 m und 170 m vom Wohnhaus entfernt sind. Die planfestgestellte Leitung soll knapp 20 m weiter nördlich und mit entsprechend größerem Abstand zum Wohnhaus des Antragstellers geführt werden. Der zum Wohnhaus nächstgelegene Mast dieser Leitung ist Mast 34, ein 80,50 m hoher Stahlgittermast mit drei Traversen. Er soll in 47 m Entfernung vom Wohnhaus auf dem Grundstück eines Dritten errichtet werden. Das Grundeigentum des Antragstellers wird für den Schutzstreifen der neuen Leitung dinglich in Anspruch genommen.

4 Die Planunterlagen lagen vom 6. November 2019 bis zum 5. Dezember 2019 öffentlich aus. Nach Änderungen des Plans standen die geänderten Planunterlagen vom 9. August 2021 bis zum 8. September 2021 auf der Internetseite der Planfeststellungsbehörde zur allgemeinen Einsicht zur Verfügung. Vorhabenträgerin und Antragsteller standen seit März 2020 mehrfach in Kontakt. Im Anschluss an eine gemeinsame Ortsbesichtigung am 5. April 2022 verlangte der Antragsteller mit Schreiben vom 27. April 2022 von der Planfeststellungsbehörde Änderungen des Vorhabens, unter anderem eine Verlegung von Mast 34. Die Vorhabenträgerin lehnte die Forderung in einer Stellungnahme ab, der Planfeststellungsbeschluss weist das als E 308 erfasste Begehren des Antragstellers zurück (PFB S. 348 ff.).

5 Der Antragsteller hat gegen den Planfeststellungsbeschluss Klage erhoben und begehrt einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich eines Teilstücks der Leitung. Nach seiner Auffassung wird der Planfeststellungsbeschluss einzelnen Schutzgütern aus der Umweltverträglichkeitsprüfung nicht gerecht. Zudem sei eine Verschiebung des Maststandortes im Leitungsverlauf abwägungsfehlerhaft abgelehnt worden, dies gelte sowohl für eine Verschiebung des Maststandortes in nordöstlicher Richtung bis zu einem Wirtschaftsweg - etwa 70 bis 100 m - als auch für eine Verschiebung um 70 m in südöstlicher Richtung über den Flöthbach hinaus.

6 Der Antragsgegner und die Beigeladene treten dem Antrag entgegen und verteidigen den Planfeststellungsbeschluss.

7 Die Beigeladene weist ergänzend auf die Mehrkosten einer Verschiebung hin. Sie macht ferner geltend, ein zum Wohnhaus naher Standort des Mastes biete immissionsschutzrechtliche Vorteile, weil die Leiterseile in der Nähe des Mastes einen größeren Bodenabstand wahrten und daher die Belastung mit elektromagnetischen Feldern abnehme.

II

8 Das Bundesverwaltungsgericht ist als Gericht der Hauptsache nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, § 1 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Nr. 14 der Anlage zum EnLAG für die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zuständig.

9 Der zulässige Antrag ist begründet. Der Senat ordnet die aufschiebende Wirkung in dem begehrten Umfang an. Das Interesse des Antragstellers, von den Auswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses einstweilen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, überwiegt das durch die in § 43a Abs. 1 Satz 1 EnWG gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit betonte öffentliche Interesse und das private Interesse der Beigeladenen an der Vollziehung dieses Teils des Planfeststellungsbeschlusses. Nach einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erscheint der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig, weil der Antragsgegner eine Verschiebung von Mast 34 abwägungsfehlerhaft abgelehnt hat.

10 1. Der Senat ist auf die Prüfung der binnen der Begründungsfrist des § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG vorgetragenen Gründe beschränkt (BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2021 - 4 VR 6.20 - juris Rn. 6), vertiefender Vortrag bleibt nach Fristablauf aber zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2022 - 4 A 13.20 - ZNER 2022, 639 Rn. 12). Der Senat berücksichtigt daher auch das Vorbringen des Antragstellers aus den Schriftsätzen vom 13. Januar 2023 und 5. Februar 2023, das sich im Rahmen des innerhalb der Begründungsfrist abgesteckten Prozessstoffes hält. Konkretisierungen oder mögliche geringfügige Abweichungen ändern daran nichts.

11 Ohne Bedeutung für die gerichtliche Prüfung ist, ob einzelne oder alle Einwendungen des Antragstellers verwaltungsverfahrensrechtlich ausgeschlossen waren, nachdem er sich im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht beteiligt hatte. Nach § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG NRW i. V. m. § 43 Abs. 4 EnWG sind zwar mit Ablauf der Einwendungsfrist alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Die Vorschrift gilt allerdings nur im Verwaltungsverfahren. Denn § 73 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwVfG findet nach § 7 Abs. 4 und 6, § 4 Abs. 3 Satz 1 UmwRG i. V. m. § 61 Nr. 1 VwGO keine Anwendung im Rechtsbehelfsverfahren einer natürlichen Person gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG. Eine solche Entscheidung ist (u. a.) ein Planfeststellungsbeschluss für ein Vorhaben, das einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf. § 7 Abs. 4 UmwRG erfasst auch die mit § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG des Bundes inhaltsgleichen Regelungen des Landesrechts (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2017 - 4 C 6.16 - BVerwGE 161, 99 Rn. 12). Der Antragsteller kann damit Einwendungen im Prozess erheben, die verwaltungsverfahrensrechtlich einer Präklusion unterlagen. Ob die Einwendungen Schutzgüter nach § 2 Abs. 1 UVPG betreffen oder sonst einen Umweltbezug haben, spielt keine Rolle (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. März 2017 - 7 C 17.15 - Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 51 Rn. 22 und vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 17; Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 7 UmwRG Rn. 6).

12 2. Die Einwendungen des Antragstellers in Bezug auf die Raumordnung, den Natur- und Landschaftsschutz sowie den Bodenschutz lassen keinen Rechtsfehler des Planfeststellungsbeschlusses erkennen.

13 a) Einen Verstoß gegen das Raumordnungsrecht zeigt der Antrag nicht auf.

14 Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ROG sind bei Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Maßnahmen von Personen des Privatrechts, die der Planfeststellung bedürfen, die Ziele der Raumordnung zu beachten. Dieser Vorschrift ist genügt. Allerdings sind nach Ziel 8.2-4 des Landesentwicklungsplans NRW neue Höchstspannungsfreileitungen auf neuen Trassen mit einer Nennspannung von 220 kV und mehr, die nicht unmittelbar neben einer bestehenden Hoch- oder Höchstspannung errichtet werden, unter anderem so zu planen, dass ein Abstand von 200 m zu Wohngebäuden eingehalten wird, die im Außenbereich im Sinne des § 35 BauGB liegen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Ziels der Raumordnung liegen indes nicht vor, weil für die planfestgestellte Leitung die prägende Streckenführung grundsätzlich beibehalten wird und damit im Sinne des Landesentwicklungsplans eine vorhandene Trasse genutzt wird (vgl. die Erläuterung zu Grundsatz 8.2.-1 des LEP NRW).

15 b) Einen Verstoß gegen naturschutzrechtliche Vorschriften legt der Antragsteller nicht dar.

16 Mast 34 wird im Naturschutzgebiet Orbroich (KR-007) errichtet. Der Planfeststellungsbeschluss erteilt insoweit aber von den Verboten des § 23 Abs. 2 BNatSchG sowie der jeweiligen Landschaftspläne aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG eine Ausnahme. Dass die Erteilung dieser Ausnahme rechtswidrig sein könnte, zeigt der Antragsteller nicht substantiiert auf. Insbesondere setzt er sich nicht mit den Darlegungen der Vorhabenträgerin in Anlage 13, Teil D, Anhang 3 S. 66 ff. der Antragsunterlagen auseinander (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. April 2017 - 4 A 16.16 - Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 2 Rn. 37 und vom 3. November 2020 - 9 A 7.19 - BVerwGE 170, 138 Rn. 14 ff.). Diese äußern sich umfassend zu den Schutzzwecken des Naturschutzgebietes, den Verbotstatbeständen und den Anforderungen an eine Befreiung.

17 Die Ausführungen erscheinen auch nicht geeignet, einen Fehler bei der Standortwahl darzulegen. Der Verweis auf eine Lage inmitten oder am Rande eines Naturschutzgebietes genügt insoweit nicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - sich alle denkbaren Standorte bezogen auf das etwa 100 ha große Naturschutzgebiet in einer Randlage befinden. Dass bei Nutzung eines bisherigen Standortes die gleichen Zuwegungen für Auf- und Abbau genutzt werden könnten, mag zutreffen, legt aber keinen beachtlichen Fehler bei der Standortwahl dar. Denn die Flächen werden, mit Ausnahme des Maststandorts selbst, nach dem Bau der Leitung wieder in den Ursprungszustand versetzt (Antragsunterlagen, Anlage 13, Teil D, Anhang 3 S. 67).

18 Der Standort von Mast 34 beeinträchtigt das Landschaftsschutzgebiet Orbroich (LSG-4604-001) nicht, weil er außerhalb des Gebiets liegt (Antragsunterlagen, Anlage 13, Teil B, Anlage B2, Blatt 09).

19 c) Der Antragsteller zeigt keinen Rechtsfehler bei der Behandlung des Schutzgutes Boden auf.

20 Der Planfeststellungsbeschluss erkennt, dass der Mast 34 der Bl. 4208 auf einem aus naturschutzfachlichen Sicht wertvollen Boden − Anmoorgley - errichtet wird (PFB S. 135), während sich an den Standorten der benachbarten Masten 33 und 35 weniger wertvoller Gley befindet (Antragsunterlagen, Anlage 13, Teil B, Anlage B5, Blatt 09). Dass dieser Umstand zu einem Verstoß der Planfeststellung gegen zwingendes Recht führen könnte, ist nicht ersichtlich. Angesichts des Umfangs und der Bedeutung der Bodeninanspruchnahme (vgl. PFB S. 135 f.) ist auch nicht erkennbar, dass die Planfeststellungsbehörde in einer Abwägung diesen Unterschieden weiter als geschehen nachzugehen hatte.

21 d) Eine Verletzung der immissionsschutzrechtlichen Vorschriften zum Schutz vor Immissionen elektromagnetischer Felder oder vor Geräuschen macht der Antragsteller nicht geltend. Die Vorschriften sind im Übrigen aus den im Planfeststellungsbeschluss ausgeführten Gründen (PFB S. 211 ff., S. 226 ff.) gewahrt. Hierauf nimmt der Senat Bezug (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).

22 3. Der Planfeststellungsbeschluss ist zu Lasten des Antragstellers abwägungsfehlerhaft.

23 Nach § 43 Abs. 3 EnWG sind bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Das Abwägungsgebot verlangt, dass - erstens - eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass - zweitens - in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass - drittens - weder die Bedeutung der öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Februar 1975 - 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <63 f.> und vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 283 Rn. 73). Auch die Auswahl unter verschiedenen Trassenvarianten ist abgesehen von rechtlich zwingenden Vorgaben eine fachplanerische Abwägungsentscheidung. Bei der Auswahl zwischen verschiedenen Trassenvarianten ist die Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit erst überschritten, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen, oder wenn der Planungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 - BVerwGE 107, 1 <11> und vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - a. a. O. Rn. 82). Dieser Maßstab gilt auch für die Platzierung einzelner Masten einer Höchstspannungsfreileitung.

24 a) Ob dem Antragsgegner ein Abwägungsausfall vorzuwerfen ist, lässt der Senat offen.

25 Der Planfeststellungsbeschluss übernimmt in indirekter Rede, sonst aber im Wortlaut die Stellungnahme der Vorhabenträgerin zu den Forderungen des Antragstellers. Dieses Vorgehen ist wegen der gebotenen verfahrensrechtlichen Distanz der Planfeststellungsbehörde zum Vorhabenträger (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 2009 - 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 24) und ihrer Verpflichtung zu Unparteilichkeit (BVerwG, Urteil vom 24. November 2011 - 9 A 23.10 - BVerwGE 141, 171 Rn. 20) unglücklich, lässt aber nicht auf einen Abwägungsausfall schließen. Denn es ist nicht Aufgabe der Planfeststellungsbehörde, die planerischen Erwägungen des Vorhabenträgers durch abweichende eigene Überlegungen zu ersetzen. Sie kontrolliert insoweit nur, ob die von ihm getroffene Entscheidung rechtmäßig ist. Sie ist darüber hinaus verpflichtet, bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials alle ernsthaft in Betracht kommenden Alternativen zu berücksichtigen und mit der ihnen zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Alternativen berührten öffentlichen und privaten Belange einzustellen, und darf auch bisher noch nicht berücksichtigten abwägungsrelevanten Gesichtspunkten Rechnung tragen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 168 und vom 29. Juni 2017 - 3 A 1.16 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 77 Rn. 131). Die Behörde kann daher eine Abwägungsentscheidung auch in der Weise treffen, das sie sich die Überlegungen des Vorhabenträgers zu eigen macht.

26 Dennoch bestehen Zweifel, ob der Antragsgegner eine Verschiebung des Maststandortes bei unverändertem Trassenverlauf abgewogen hat. Der Planfeststellungsbeschluss schließt sich den Überlegungen der Vorhabenträgerin mit dem Hinweis an, die "geforderte Umgehung" führe zu "neuen Betroffenheiten", die wegen der Vorbelastung des Antragstellers schwerer wögen (PFB S. 350). Diese Formulierungen legen nahe, dass der Planfeststellungsbehörde die Möglichkeit einer Verschiebung des Maststandortes nicht vor Augen stand. Denn eine Verschiebung wäre keine Umgehung und würde auf Grundstücke treffen, die in gleicher Weise wie dasjenige des Antragstellers vorbelastet sind.

27 b) Jedenfalls aber können die Erwägungen, welche die Vorhabenträgerin und in ihrer Folge der Planfeststellungsbeschluss gegen eine Verschiebung des Mastes 34 ins Feld führen, die Abwägungsentscheidung nicht tragen.

28 aa) Der Antragsteller ist durch den Standort in abwägungserheblichen eigenen Belangen betroffen.

29 Allerdings wirkt der Mast 34 auf das Wohngebäude des Antragstellers nicht erdrückend (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 88 und vom 12. November 2020 - 4 A 13.18 - juris Rn. 61). Zwar können Masten einer Freileitung, auch lichtdurchlässige Gittermasten, in Extremfällen für Wohngebäude eine solche Wirkung entfalten, wenn das benachbarte Grundstück und die auf ihm errichteten Gebäude ihre Eigenständigkeit und Charakteristik verlieren (BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2021 - 4 A 14.19 - BVerwGE 173, 132 Rn. 69). Ein solcher Extremfall liegt nicht vor, weil das Wohngebäude trotz der Höhe und Nähe des Mastes seine Eigenständigkeit behält.

30 Die Nähe eines Mastes zu einer Wohnbebauung kann aber auch als bedrängende Wirkung abwägungserheblich sein, wenn eine erdrückende Wirkung nicht eintritt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 90 und vom 27. Juli 2021 - 4 A 14.19 - BVerwGE 173, 132 Rn. 77 f.). Wann ein solcher Belang abwägungserheblich ist oder als geringfügig außer Betracht bleiben kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn jedenfalls ist die Annäherung eines 80 m hohen Mastes auf weniger als 50 m an ein Wohnhaus abwägungserheblich.

31 Dieser Belang verliert durch die Vorbelastung des Grundstücks nur in geringem Umfang an Gewicht. Allerdings hat der Ausbau des Netzes unter Nutzung vorhandener Trassenräume grundsätzlich Vorrang vor dem Neubau auf neuen Trassen (BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2021 - 4 A 14.19 - BVerwGE 173, 132 Rn. 60 m. w. N. und Beschluss vom 22. März 2023 - 4 VR 4.22 - Rn. 50). Dies betrifft den Trassenverlauf. Für die hier bedrängende Wirkung einer Leitung kommt es indes auf die jeweiligen Masten als prägende Bauwerke an (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 89 und vom 12. November 2020 - 4 A 13.18 - juris Rn. 61). Insoweit mag der Antragsteller damit rechnen müssen, dass es bei einem Ersatzbau auf gleicher Trasse zu Veränderungen einzelner Maststandorte kommt. In dieser Hinsicht ist sein Grundstück aber nicht stärker vorbelastet als die Grundstücke im weiteren Trassenverlauf. Eine darüber hinausgehende Vorbelastung entfalten auch die Masten 89 und 90 der vorhandenen Leitung nicht, weil sie weder nach Höhe noch nach ihrem Standort mit dem planfestgestellten Mast 34 vergleichbar sind.

32 bb) Die Überlegungen des Planfeststellungsbeschlusses (PFB S. 348 ff.) rechtfertigen es nicht, den Belang des Antragstellers zu überwinden.

33 Die Erwägungen bringen teils allein das Interesse der Vorhabenträgerin zum Ausdruck, an ihrer ursprünglichen Planung festzuhalten. Sie können dem Antragsteller nicht als abwägungserheblicher Belang entgegengehalten werden. Dass veränderte Spannfelder Anpassungen der Leitungsschutzstreifen, der Masthöhen und der privatrechtlichen Betroffenheiten auslösen können, trifft zu, zeigt aber nicht auf, dass diese Anpassungen sich negativ auf diese Belange auswirken. Ebenso führt auf keinen abwägungserheblichen Belang, dass die Beigeladene mit einem Grundeigentümer und dessen Pächter bereits eine privatrechtliche Vereinbarung zum Standort von Mast 34 geschlossen hat. Diese, vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses geschlossene Vereinbarung ist nicht geeignet, die Abwägungsentscheidung zu steuern.

34 Weitere Ausführungen zeigen abwägungserhebliche Belange auf, lassen aber deren konkretes Gewicht nicht ausreichend erkennen. So erscheint das Ziel einer gleichmäßigen Spannfeldverteilung nachvollziehbar, es hat aber in der Planung nur untergeordnete Bedeutung. Die Spannfelder zwischen Mast 33 und 34 sowie zwischen Mast 34 und 35 sind mit knapp 400 m gleich groß. Schon die benachbarten Spannfelder sind mit 335,7 m und 299,10 m erheblich kleiner. Im weiteren Verlauf der Trasse treten noch größere Abweichungen auf. Das größte Spannfeld ist fast 500 m lang, die kleinsten Spannfelder überbrücken weniger als 250 m. Das Ziel gleichmäßig großer Spannfelder im Trassenverlauf verfolgt die Vorhabenträgerin damit offenbar nur sehr nachrangig.

35 Abwägungserheblich ist das Ziel, größere Spannfeldlängen zu vermeiden, weil ansonsten breitere Schutzstreifen, höhere Masten und größere Fundamentabmessungen erforderlich werden. Welches Gewicht dieser Belang hat, ist mangels Quantifizierung indes nicht ersichtlich. Die Ausführungen lassen auch nicht erkennen, warum die bei einer Verschiebung eines Maststandortes im Trassenverlauf zugleich folgenden Verkürzungen von anderen Spannfeldern nicht zu gegenteiligen und damit günstigeren Folgen führen. Der weitere Hinweis, es sei "gegebenenfalls" die Mastausteilung angrenzender Masten anzupassen, ist unsubstantiiert.

36 Das Ziel, den Mast 34 im Randbereich der landwirtschaftlichen Nutzung zu errichten, ist abwägungserheblich. Es ist aber nicht ersichtlich, warum die vom Antragsteller geforderte Verschiebung des Mastes nicht in vergleichbarer Weise auf die Belange der Landwirtschaft Rücksicht nehmen könnte.

37 c) Nach § 43 Abs. 4 EnWG i. V. m. § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG NRW sind Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen Belange nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss sind. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

38 Der Fehler ist offensichtlich. Denn offensichtlich ist alles, was zur äußeren Seite des Abwägungsvorgangs derart gehört, dass es auf objektiv erfassbaren Sachumständen beruht, also Fehler und Irrtümer, die zum Beispiel die Zusammenstellung und Aufbereitung des Abwägungsmaterials, die Erkenntnis und Einstellung aller wesentlichen Belange in die Abwägung oder die Gewichtung der Belange betreffen und die sich - wie hier - aus den Aufstellungsvorgängen, der Planbegründung oder sonstigen Unterlagen ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 104).

39 Der Fehler ist auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen. Daran fehlt es nur, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit fehlt, dass die Planungsentscheidung ohne den Fehler anders, also für den jeweiligen Betroffenen günstiger ausgefallen wäre. Die Annahme, dass bei Vermeidung des Abwägungsfehlers keine andere Abwägungsentscheidung ergangen wäre, ist aber nur gerechtfertigt, solange konkrete Anhaltspunkte dafür nachweisbar sind, dass die Planfeststellungsbehörde gleichwohl dieselbe Entscheidung getroffen hätte (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. Dezember 2015 - 1 BvR 685/12 - NVwZ 2016, 524 Rn. 23 und BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 105). Solche Anhaltspunkte fehlen.

40 d) Der Senat lässt den Mangel der Abwägung nicht außer Acht nach § 80c Abs. 2 Satz 1 VwGO, eingeführt durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich vom 14. März 2023 (BGBl. I Nr. 71).

41 Allerdings gilt nach § 80c Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der § 80c Abs. 2 VwGO, weil es sich um ein Verfahren nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO handelt.

42 Nach § 80c Abs. 2 Satz 1 VwGO kann das Gericht einen Mangel des angefochtenen Verwaltungsaktes außer Acht lassen, wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben sein wird. Ein solcher Mangel kann nach § 80c Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VwGO ein Mangel bei der Abwägung im Rahmen der Planfeststellung sein. Der Wortlaut der Vorschrift deutet an, dass für die Prognose des Gerichts allein die Fehlerbehebung und damit die Durchführung eines fehlerfreien Abwägungsvorgangs in den Blick zu nehmen ist. Dies reicht indes nicht aus. Um der Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes gerecht zu werden, muss die Prognose über die Behebung eines Mangels im Abwägungsvorgang die Erwartung einschließen, die Behörde werde bei einer Heilung des Fehlers im Ergebnis an der Entscheidung festhalten. Denn die jeweilige Infrastrukturmaßnahme wird nur beschleunigt, wenn - nach dem Maßstab der Offensichtlichkeit - bereits abzusehen ist, dass nach fehlerfreier Durchführung des Abwägungsvorgangs das Abwägungsergebnis bestätigt wird.

43 Der Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses lässt eine solche Prognose nach dem zu § 43 Abs. 4 EnWG i. V. m. § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG NRW Gesagten nicht zu. Eine solche Prognose erscheint auch auf der Grundlage des weiteren Vorbringens nicht gerechtfertigt. Die Beigeladene hat im gerichtlichen Verfahren die Kosten einer Verschiebung des Mastes 34 abgeschätzt. Sie prognostiziert für zwei von drei Varianten Kosten von 95 000 € bei einer Verschiebung nach Südwesten und 186 000 € bei einer Verschiebung nach Nordosten. Solche Kosten einer Leitung dürfen in einer Abwägung berücksichtigt werden, auch wenn sie einen privaten Vorhabenträger belasten, vorausgesetzt, ihnen liegen Kostenschätzungen mit prognostischem Gehalt zugrunde (BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 101 m. w. N.). Die Höhe der Mehrkosten rechtfertigt aber nicht die hinreichend sichere Annahme, die Planfeststellungsbehörde werde am Standort von Mast 34 festhalten; sie zeigt vielmehr indiziell, dass der technische und sonstige Anpassungsbedarf sich in einem gewissen Rahmen hält (vgl. dagegen BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2017 - 4 A 18.16 - Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 7 Rn. 37).

44 Das Ergebnis des Abwägungsvorgangs wird auch nicht durch die immissionsschutzrechtlichen Vorteile des Standortes von Mast 34 vorgezeichnet. Allerdings vermindern sich die Immissionen durch elektromagnetische Felder, wenn der Mast in der Nähe eines Wohnhauses errichtet und die Leiterseile daher einen höheren Bodenabstand wahren. Eine solche Verminderung kann auch abwägungserheblich sein, wenn - wie hier - die Grenzwerte der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) gewahrt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 38 und vom 12. Juli 2022 - 4 A 10.20 - juris Rn. 44 f.). Diese Verminderung hat aber erkennbar kein ausreichendes Gewicht, um den Nachteil der bedrängenden Wirkung aufzuwiegen. Dem Senat ist im Übrigen kein Vorhaben bekannt, in dem besonders wohnortnahe Standorte von Masten unter Hinweis auf einen solchen Vorteil gerechtfertigt worden wären.

45 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 159 Satz 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.