Beschluss vom 21.07.2023 -
BVerwG 10 BN 1.23ECLI:DE:BVerwG:2023:210723B10BN1.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.07.2023 - 10 BN 1.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:210723B10BN1.23.0]

Beschluss

BVerwG 10 BN 1.23

  • VGH München - 13.05.2022 - AZ: 8 N 19.2038

In der Normenkontrollsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juli 2023
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Löffelbein und Dr. Wöckel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller zu 1. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der - allein beschwerdeführende - Antragsteller zu 1. (im Folgenden: Antragsteller) wendet sich gegen eine Verordnung, die den Gemeingebrauch auf der Isar regelt und u. a. deren Befahren mit kleinen Wasserfahrzeugen nur saisonal und tageszeitlich beschränkt zulässt. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag abgelehnt. Die Verordnung sei durch die landeswasserrechtliche Ermächtigungsgrundlage zur Regelung des Gemeingebrauchs zum Schutz der Natur (Art. 18 Abs. 3 BayWG) gedeckt und beschränke die grundrechtliche Handlungsfreiheit der betroffenen Wassersportler in verhältnismäßiger und gleichheitskonformer Weise. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2 Die dagegen gerichtete, auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

3 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt, also näher ausgeführt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 21. Mai 2021 - 7 B 14.20 - juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

4 1. Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage,
ob landesrechtliche Ermächtigungen für die Wasserrechtsbehörde, die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs einzuschränken oder zu verbieten, um die Tier- und Pflanzenwelt zu schützen - wie hier Art. 18 Abs. 3 BayWG - im Hinblick auf das bundesverfassungsrechtliche Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG verfassungskonform so auszulegen sind, dass sie zur Voraussetzung haben, dass eine abstrakte Gefahr für die geschützten Rechtsgüter "Tier- und Pflanzenwelt" besteht und für die Dauer der angeordneten Verbote andauert,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie zielt auf die Auslegung einer irrevisiblen landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung unter den Anforderungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG. Grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich des revisiblen Rechts legt die Beschwerdebegründung hierzu nicht dar. Sie rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe zur Konkretisierung der von ihm für den Erlass einer Rechtsverordnung zum Schutz der Natur als ausreichend erachteten abstrakten Gefahr für die betroffenen Schutzgüter Maßstäbe angelegt, die außerhalb der nach Art. 2 Abs. 1 GG zulässigen Einschränkungsmöglichkeiten lägen. Insbesondere habe er dem Verordnungsgeber eine weite Einschätzungsprärogative zugestanden und die Abwehr von Beeinträchtigungen oder Störungen der Natur ausreichen lassen, anstatt die Möglichkeit eines Schadenseintritts vorauszusetzen.

5 Mit diesem Vorbringen geht der Antragsteller daran vorbei, dass auch der Verwaltungsgerichtshof für das Vorliegen einer abstrakten Gefahr die nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts verlangt und lediglich auf den Nachweis eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet hat. Abgesehen hiervon führt der Beschwerdevortrag nicht auf eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage der Auslegung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Rüge der unzureichenden Beachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht vermag die Zulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung und Anwendung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung darzulegen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2008 - 6 B 7.08 - Buchholz 451.20 § 12 GewO Nr. 1 Rn. 9, vom 8. Mai 2008 - 6 B 64.07 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 132 Rn. 5 und vom 30. Mai 2017 - 10 BN 4.16 - juris Rn. 8). Das leistet die Beschwerde nicht. Vielmehr beschränkt sich der Antragsteller darauf, die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG durch den Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf den vorliegenden Einzelfall zu kritisieren.

6 2. Die Revision ist auch nicht im Hinblick auf die vom Antragsteller formulierte Frage zuzulassen,
ob es der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung als Norminterpretationsprinzip gebietet, bei der Auslegung einer kompetenzkonform erlassenen Verordnungsermächtigung des Landesrechts wie hier Art. 18 Abs. 3 BayWG nicht nur Bundesverfassungsrecht, sondern auch einfaches Bundesnaturschutzrecht heranzuziehen.

7 Ihre Entscheidungserheblichkeit unterstellt, ließe sie sich nicht über den Einzelfall hinaus in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten. Vielmehr ist höchstrichterlich geklärt, dass der jeweilige normative Bedeutungszusammenhang, der Zweck und der Inhalt einer Einzelregelung darüber entscheiden, ob ein Rechtsbegriff in Übereinstimmung mit einem Begriff in einer anderweitigen Regelung oder abweichend von ihm zu verstehen ist. In einer zwar einheitlichen, aber je nach Sachbereichen differenzierten Rechtsordnung ist eine "Relativität der Rechtsbegriffe" angelegt; durch Auslegung ist zu ermitteln, ob eine Regelung den Wertungen des jeweiligen Rechtsgebiets folgt oder mithilfe entlehnter Begriffe eigenständige Tatbestände bildet (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. August 2015 - 1 BvR 980/15 - NJW 2015, 3641 Rn. 15 und Kammerbeschluss vom 27. Dezember 1991 - 2 BvR 72/90 - NJW 1992, 1219 <1220 f.>).

8 Zudem legt der Antragsteller auch zu dieser von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage nicht dar, inwieweit sich gerade zu dem in ihr genannten revisiblen Recht grundsätzlicher Klärungsbedarf ergibt. Soweit er geklärt wissen möchte, ob sich aus Verfassungsrecht - insbesondere dem Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und den Gesetzgebungskompetenzen der Länder - Grenzen für die Heranziehung einfachen Bundes(naturschutz)rechts bei der Auslegung einer landesrechtlichen Norm ergeben, lässt sich diese Frage im entscheidungserheblichen Umfang mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat den Begriff des Schutzes der Natur in Art. 18 Abs. 3 BayWG mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung im Sinne des naturschutzrechtlichen Begriffs ausgelegt und darunter - wie oben dargelegt - das Unterlassen bzw. die Abwehr von gegenwärtigen oder potenziellen Beeinträchtigungen oder Störungen gegenüber den Schutzgütern Tier- und Pflanzenwelt im Sinne einer abstrakten Gefahr gefasst. Diese Auslegung irrevisiblen Landesrechts unterliegt - in Übereinstimmung mit der oben angeführten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Auslegung einheitlicher Rechtsbegriffe - auch dann keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sie auf ein Begriffsverständnis im einfachen Bundesrecht zurückgreift.

10 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof seine Auslegung der landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage nicht allein auf Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes, sondern selbstständig tragend auf den Charakter einer Rechtsverordnung als abstrakt-generelle Regelung sowie auf die Begriffsbestimmung des Schutzes der Natur im bayerischen Landesnaturschutzrecht gestützt und für letztere auf den entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang der Aufnahme des Begriffs in Art. 18 Abs. 3 BayWG mit dem Bayerischen Naturschutzgesetz verwiesen. Gegen diese selbstständig tragenden Erwägungen macht die Beschwerde keine Zulassungsgründe geltend. Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2020 - 4 BN 53.19 - juris Rn. 15 m. w. N.). Daran fehlt es hier.

11 3. Grundsätzliche Bedeutung kommt auch der weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Frage,
ob es der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung als Norminterpretationsprinzip gebietet, bei der Anwendung des Bundes(naturschutz)rechts, auf das eine Verordnungsermächtigung des Landesrechts wie hier Art. 18 Abs. 3 BayWG verweist, die jeweils einschlägigen spezialgesetzlichen (hier: naturschutzrechtlichen) Anforderungen konsequent anzuwenden,
nicht zu. Abgesehen davon, dass auch sie auf den vorliegenden Einzelfall zugeschnitten ist, war sie für den Verwaltungsgerichtshof nicht entscheidungserheblich und wäre deshalb auch in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Das angegriffene Urteil entnimmt der landesrechtlichen Verordnungsermächtigung des Art. 18 Abs. 3 BayWG keinen Verweis auf bundesnaturschutzrechtliche Anforderungen. Vielmehr lehnt es sich - wie dargestellt - bei der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals an das entsprechende Begriffsverständnis im Landes- und Bundesnaturschutzrecht an, um daran anknüpfend die landeswasserrechtlichen Anforderungen an den Erlass einer Verordnung näher zu bestimmen.

12 4. Entsprechendes gilt für die vom Antragsteller formulierte Frage,
ob es gerechtfertigt ist, der Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs durch Befahren mit kleinen Booten ohne eigene Triebkraft als bloßer "Freizeitbetätigung" als Schutzgut des Art. 2 Abs. 1 GG ein geringeres Gewicht zuzumessen als Ausprägungen der allgemeinen Handlungsfreiheit, die keine Freizeitbetätigungen sind.

13 Sie ist ersichtlich auf den Einzelfall der angegriffenen Verordnungsbestimmungen bezogen und entzieht sich deshalb einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung. Darüber hinaus unterstellt sie dem Verwaltungsgerichtshof eine rechtliche Bewertung, die seinem Urteil nicht zu entnehmen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat die angegriffenen Regelungen der Verordnung als verhältnismäßige Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit Betroffener aus Art. 2 Abs. 1 GG angesehen. Er hat der Erhaltung der in den betreffenden Isarabschnitten vorkommenden schutzbedürftigen Arten grundsätzlich Vorrang vor der Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit beigemessen und ergänzend darauf verwiesen, dass das Bootsfahren als Freizeitbetätigung nicht zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehöre und gesetzlichen Beschränkungen nicht grundsätzlich entzogen sei. Eine generelle geringere Gewichtung von Freizeitbetätigungen gegenüber anderen Aktivitäten lässt sich seinen Ausführungen nicht entnehmen. Zudem legt der Antragsteller auch hinsichtlich dieser von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage keinen über eine reine Rechtsanwendung hinausgehenden Klärungsbedarf dar.

14 5. Schließlich kommt auch der vom Antragsteller aufgeworfenen Rechtsfrage,
ob die Ungleichbehandlung von landseitig Erholungssuchenden und gewässerseitig Erholungssuchenden durch den Erlass einer Beschränkungen und Verbote für Kanufahrer enthaltenden Verordnung nach Art. 18 Abs. 3 BayWG allein damit vor Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden kann, dass die Kanufahrer ihre Freizeitbetätigung auf dem Wasser ausüben, während die landseitig Erholungssuchenden an Land aktiv sind, oder damit, dass die konkrete Ermächtigungsgrundlage nur den Erlass von Verordnungen über die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs ermöglicht, sich also nur an die Nutzergruppen auf dem Wasser richtet,
keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie zielt ebenfalls allein auf die Anwendung der Maßstäbe, die der Verwaltungsgerichtshof der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und dessen entsprechender Anwendung auf exekutive Normsetzungsakte entnommen hat, im konkreten Einzelfall. Weiterer höchstrichterlicher Klärungsbedarf im Hinblick auf diese Maßstabsnorm des revisiblen Rechts lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Soweit der Antragsteller eine Fortentwicklung der Rechtsprechung erstrebt, um verschiedene Regelungsinstrumente auf ihre Gleichheitskonformität zu überprüfen, übersieht er, dass Art. 3 Abs. 1 GG den Verordnungsgeber nach der bereits bestehenden bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lediglich in dem von der jeweiligen gesetzlichen Ermächtigungsnorm abgesteckten Rahmen zur Gleichbehandlung von Gleichem verpflichtet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1985 - 2 BvL 17/83 - BVerfGE 69, 150 <160>).

15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.