Urteil vom 19.01.2017 -
BVerwG 2 C 1.16ECLI:DE:BVerwG:2017:190117U2C1.16.0
Urteil
BVerwG 2 C 1.16
- VG Hannover - 06.11.2014 - AZ: VG 2 A 2443/13
- OVG Lüneburg - 08.12.2015 - AZ: OVG 5 LB 84/15
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden,
Dr. Kenntner, Dollinger und Dr. Günther
für Recht erkannt:
- Die Revisionen der Klägerin gegen die Urteile des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Dezember 2015 - 5 LB 84/15 - und - 5 LB 85/15 - werden zurückgewiesen.
- Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Gründe
I
1 Die 1956 geborene Klägerin stand zuletzt im Amt einer Studienrätin (Besoldungsgruppe A 13) im Schuldienst des Landes Niedersachsen. Sie ist Mutter dreier in den Jahren 1983, 1984 und 1993 geborener Kinder. Mit Ablauf des 31. Juli 2012 wurde sie wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
2 Mit Bescheid vom 25. Juli 2012 setzte die Oberfinanzdirektion (OFD) Niedersachsen als Funktionsvorgängerin des jetzigen Beklagten die Versorgungsbezüge der Klägerin ab dem 1. August 2012 fest. Da das sog. erdiente Ruhegehalt lediglich 868,58 € betrug und somit geringer ausfiel als das sog. amtsbezogene Mindestruhegehalt, wurde ein Ruhegehalt in Höhe der amtsbezogenen Mindestversorgung (1 569,12 €) festgesetzt.
3 Unter dem 7. August 2012 beantragte die Klägerin zusätzlich die vorübergehende Zahlung eines Kindererziehungszuschlags und Kindererziehungsergänzungszuschlags. Dies lehnte die OFD mit zwei Bescheiden vom 9. und 10. Oktober 2012 ab. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin - jeweils betreffend beide Zuschlagsarten - sind erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat in den beiden Berufungsurteilen zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, zusätzlich zu ihrer amtsbezogenen Mindestversorgung vorübergehend den Kindererziehungszuschlag und den Kindererziehungsergänzungszuschlag zu erhalten. Dies verstoße weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) noch gegen das Gebot der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen (Art. 157 AEUV) noch gegen Art. 4 der RL 2006/54/EG (Gleichbehandlungsrichtlinie).
4 Mit ihren Revisionen gegen beide Berufungsurteile rügt die Klägerin Verfahrensmängel sowie einen Verstoß gegen Verfassungs- und Unionsrecht.
5
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Dezember 2015 - 5 LB 84/15 - und - 5 LB 85/15 - und des Verwaltungsgerichts Hannover vom 6. November 2014 - 2 A 2443/13 - und - 2 A 2442/13 - sowie die Bescheide der Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom 9. und 10. Oktober 2012 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13. und 14. Februar 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin zusätzlich zu ihrer Mindestversorgung den Kindererziehungszuschlag und den Kindererziehungsergänzungszuschlag zu zahlen.
6
Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
7 Er verteidigt die angegriffenen Bescheide.
II
8 Die vom Senat zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Revisionen der Klägerin sind unbegründet. Die beiden Berufungsurteile verletzen weder Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) noch sonstiges, für revisibel erklärtes Landesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 127 Nr. 2 BRRG, § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG, Art. 99 Alt. 2 GG). Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, zusätzlich zu ihrer amtsbezogenen Mindestversorgung vorübergehend den Kindererziehungszuschlag und den Kindererziehungsergänzungszuschlag zu erhalten.
9 1. Maßgebliche Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 58 Abs. 5 bis 8 des Niedersächsischen Beamtenversorgungsgesetzes (NBeamtVG) in der zum Zeitpunkt des Eintritts der Klägerin in den Ruhestand geltenden Fassung vom 17. November 2011 (Nds. GVBl. S. 422). Hiernach kann die Klägerin als eine wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzte Versorgungsempfängerin zwar dem Grunde nach vorübergehend Leistungen entsprechend den §§ 58 und 60 NBeamtVG beanspruchen, mithin den Kindererziehungszuschlag (§ 58 Abs. 1 Satz 1 NBeamtVG) und den Kindererziehungsergänzungszuschlag (§ 58 Abs. 5 NBeamtVG). Gemäß § 58 Abs. 8 Satz 2 NBeamtVG erhöhen beide vorgenannten kinderbezogenen Leistungen jedoch nicht das amtsbezogene Mindestruhegehalt gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 NBeamtVG. Da die Klägerin diese Art der Mindestversorgung erhält, ist der Anspruch auf die beiden kinderbezogenen Zuschlagsarten in ihrem Fall ausgeschlossen. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt.
10 2. Der Ausschluss der beiden vorgenannten kinderbezogenen Leistungen bei Beziehern der Mindestversorgung ist sowohl mit Verfassungs- als auch mit Unionsrecht vereinbar. Die genannte Ausschlussregelung verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) oder das besondere Förderungsgebot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG noch gegen das Entgeltgleichheitsgebot des Art. 157 Abs. 1 AEUV noch gegen die Richtlinie 2000/78/EG des Rates der Europäischen Union vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichstellung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 S. 16, sog. Gleichbehandlungsrichtlinie) noch gegen das diese Richtlinie umsetzende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 - AGG - (BGBl. I S. 1897). Dies hat der Senat, bezogen auf die parallele bundesrechtliche Regelung in § 50a Abs. 7 Satz 2 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG), die als Art. 4 Nr. 29 Buchst. b des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160 <232>) mit Wirkung vom 12. Februar 2009 in Kraft getreten ist, bereits entschieden (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2016 - 2 C 17.14 - NVwZ-RR 2016, 971 Rn. 24 ff.). Dieses Urteil ist den Beteiligten bekannt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird darauf Bezug genommen. Für die hier maßgebliche Regelung des niedersächsischen Landesrechts gilt nichts anderes.
11 3. Das Revisionsvorbringen gibt keinen Anlass, diese Rechtserkenntnis in Zweifel zu ziehen:
12 a) Soweit die Revision einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG geltend macht, ist es ihr schon nicht gelungen, zwei Vergleichsgruppen zu bezeichnen und gegenüberzustellen, die die tragende Begründung des o.a. Senatsurteils in Frage stellen könnten, wonach keine Ungleichbehandlung vorliegt. Vielmehr zielt das Klagebegehren darauf, eine nach einem bestimmten Berechnungsmodell ermittelte, von der Erwerbsbiographie des Betroffenen unabhängige (Mindest-) Alimentationsleistung nochmals um eine nach einem gänzlich anderen Berechnungsmodell vorgesehene (nämlich konkrete Lücken in einer Erwerbsbiographie ausgleichende) finanzielle Leistung zu erhöhen, letztlich also eine weitere punktuelle Privilegierung zu erhalten. Das Revisionsvorbringen geht sowohl an der Begründung des o.a. Senatsurteil als auch der des Berufungsurteils vorbei, die beide unterstellen, dass von der Ausschlussregelung überwiegend Frauen betroffen sind. Gleichwohl ist eine unionsrechtswidrige mittelbare Diskriminierung, d.h. eine Benachteiligung der Klägerin, von vornherein ausgeschlossen, weil die ihr zustehende amtsbezogene Mindestversorgung (§ 16 Abs. 3 Satz 1 NBeamtVG) stets höher liegt als ein um kinderbezogene Leistungen (nach § 58 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 NBeamtVG) erhöhtes Ruhegehalt, das ihr aufgrund ihrer zum Zeitpunkt des Eintritts des vorzeitigen Versorgungsfalls erdienten (geringen) ruhegehaltsfähigen Dienstzeiten zustünde.
13 b) Ein von der Revision gesehener Gleichheitsverstoß gegenüber Versorgungsempfängern im Bund und im Land Nordrhein-Westfalen liegt schon deshalb nicht vor, weil der Gleichheitssatz sich nur an denselben (jeweils zuständigen) Normgeber für dessen eigenen Normsetzungsbereich richtet; ein Gleichheitsverstoß kann daher nicht mit unterschiedlichen Regelungen verschiedener Normgeber begründet werden (BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 - 8 C 14.09 - BVerwGE 138, 201 Rn. 53). Im Übrigen betraf die von der Revision in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung des OVG Münster eine andere Fallkonstellation, nämlich die Rechtslage im Bund vor Inkrafttreten der dortigen parallelen Ausschlussnorm des § 50a Abs. 7 Satz 2 BeamtVG im Jahr 2009. Schließlich ist diese Entscheidung des OVG Münster überholt durch die gegenteilige Rechtsauffassung des Senats im Urteil vom 23. Juni 2016.
14 c) Soweit die Revision einen Verstoß gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte rügt, verkennt sie, dass sich die Versorgungsbezüge der Klägerin nach der Rechtslage im Zeitpunkt ihres Eintritts in den Ruhestand richten; zu diesem Zeitpunkt galt bereits die angegriffene Ausschlussregelung des § 58 Abs. 8 Satz 2 NBeamtVG. Sie misst sich auch keine Rückwirkung bei. Der Gesetzgeber darf das Versorgungsrecht grundsätzlich mit Wirkung für die Zukunft ändern, ohne dass dadurch ein schützenswertes Vertrauen der Klägerin verletzt wäre.
15 d) Der von der Revision gesehene Verstoß gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), namentlich gegen Art. 21 Abs. 1 GRC (Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts) und Art. 23 Abs. 1 GRC (Gleichheit von Frauen und Männern), liegt schon deshalb nicht vor, weil der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nicht eröffnet ist. Diese bindet gemäß Art. 51 Abs. 1 GRC (u.a.) die Mitgliedstaaten "ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union". Die Regelung der Alimentation der Beamten ist aber keine Durchführung des Unionsrechts (BVerwG, Urteil vom 9. April 2013 - 2 C 5.12 - Buchholz 11 Art. 143b GG Nr. 8 Rn. 16). Im Übrigen kommt den genannten Bestimmungen der Grundrechtecharta kein weiterreichender Gewährleistungsgehalt zu als den bereits behandelten verfassungs- und unionsrechtlichen Bestimmungen.
16 4. Die von der Revision gerügten Verfahrensmängel liegen ebenfalls nicht vor.
17 a) Der behauptete Gehörsverstoß (§ 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) und ein Verstoß gegen die Aufklärungsplicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) wegen der Ablehnung des klägerischen Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht liegen nicht vor. Beide Rügen sind nach dem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts zu beurteilen. Die beantragte Beweiserhebung zielte auf die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen. Eine solche wird im Berufungsurteil vom Oberverwaltungsgericht unterstellt, aber als gerechtfertigt angesehen. Damit war die beantragte Beweiserhebung i.S.d. in § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens unerheblich und durfte vom Berufungsgericht mit dieser Begründung in dem vorab verkündeten Beschluss (§ 86 Abs. 2 VwGO) als "für die Entscheidung ohne Bedeutung" (Protokoll S. 3 unten) abgelehnt werden.
18 b) Soweit die Revision als weiteren Gehörsverstoß rügt, dass das Berufungsurteil sich nicht mit dem bereits im Berufungsverfahren gerügten Verstoß gegen Art. 21 und 23 GRC befasse, verkennt sie, dass das Berufungsgericht der Anregung der Klägerin, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) einzuholen, mit der Begründung abgelehnt hat, dass es "aus den oben genannten Gründen von der Europarechtskonformität des § 58 Abs. 8 Satz 2 NBeamtVG überzeugt" sei. Damit hat das Berufungsgericht auch das klägerische Vorbringen zu Art. 21 und 23 GRC hinreichend beschieden und unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass es auch keinen Verstoß gegen diese Vorschriften sieht, deren Gewährleistungsgehalt - wie erwähnt - nicht über den der vom Berufungsgericht zuvor ausdrücklich behandelten Vorschriften hinausgeht.
19 5. Auch der Senat sieht aus den Gründen des Senatsurteils vom 23. Juni 2016 keinen Anlass für die von der Klägerin erneut angeregte Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV.
20 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.