Beschluss vom 10.07.2006 -
BVerwG 4 BN 19.06ECLI:DE:BVerwG:2006:100706B4BN19.06.0
Beschluss
BVerwG 4 BN 19.06
- Sächsisches OVG - 16.03.2006 - AZ: OVG 1 D 5/03
In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Juli 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
- Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. März 2006 wird zurückgewiesen.
- Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
2 1. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Dass das Oberverwaltungsgericht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen habe, hat die Beschwerde nicht substantiiert dargelegt. Hierfür muss aufgezeigt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26, stRspr). Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe aufklären müssen, ob nicht von vornherein die kleingärtnerische Nutzung der Grundstücke der Antragsteller lediglich als temporär intendiert gewesen sei. Sie legt jedoch weder dar, welche Maßnahmen zur Aufklärung dieses Sachverhaltes das Oberverwaltungsgericht hätte ergreifen sollen, noch warum sich dem Oberverwaltungsgericht hätte aufdrängen sollen, dass die seit 1955 durchgehend ausgeübte Nutzung als Kleingartenanlage ursprünglich nur als eine Zwischenlösung geplant gewesen sein sollte.
3 2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
4 a) Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage, ob es einen Abwägungsfehler im Sinne einer Abwägungsfehleinschätzung darstellt, wenn die Planungsbehörde davon ausgeht, dass trotz bekannter gegenteiliger Planungsabsicht von einer Vorbestimmtheit des Gebietes im Sinne einer Bestandsplanung ausgegangen wird, ist einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Ob eine Bauleitplanung, die - wie hier - möglicherweise vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden hat, jedenfalls aber nicht realisiert wurde, für die Abwägung bei einer im Jahr 1997 erfolgenden Beschlussfassung über einen Bebauungsplan beachtlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.
5 b) Die Frage, ob in laufenden Restitutionsverfahren die Planungsbehörde, die zugleich auch Restitutionsbehörde ist, sich darauf berufen kann, sie habe Eigentümerbelange der restitutionsbegehrenden Antragsteller nicht kennen müssen, bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass Belange, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren, nicht abwägungsbeachtlich sind (vgl. Beschluss vom 9. November 1979 - BVerwG 4 N 1.78 u.a. - BVerwGE 59, 87 <103 f.>; Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <219>; Beschluss vom 25. Januar 2001 - BVerwG 6 BN 2.00 - BRS 64 Nr. 214). Was die planende Stelle nicht „sieht“, und was sie nach den gegebenen Umständen auch nicht zu „sehen“ braucht, kann von ihr bei der Abwägung nicht berücksichtigt werden und braucht auch von ihr nicht berücksichtigt zu werden. Die Bürgerbeteiligung hat nicht zuletzt die Aufgabe, der planenden Stelle Interessenbetroffenheiten sichtbar zu machen. Hat es ein Betroffener - wie hier - unterlassen, seine Betroffenheit im Zuge der Bürgerbeteiligung vorzutragen, dann ist die Betroffenheit abwägungsbeachtlich nur dann, wenn sich der planenden Stelle die Tatsache dieser Betroffenheit aufdrängen musste (Beschluss vom 9. November 1979 a.a.O.). Dass sich der für die Beschlussfassung über den Bebauungsplan zuständige Rat einer Stadt die in einem Restitutionsverfahren gewonnenen Erkenntnisse der Mitarbeiter des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen auch dann nicht zurechnen lassen muss, wenn das Land die nach dem Vermögensgesetz zu erfüllenden Aufgaben der unteren Landesbehörden gemäß § 28 Abs. 2 VermG durch die Stadtverwaltungen der kreisfreien Städte wahrnehmen lässt, versteht sich von selbst.
6 3. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nicht hinreichend bezeichnet. Die Beschwerde zeigt nicht - wie dies erforderlich wäre (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.) - auf, mit welchem die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz die Vorinstanz einem im Urteil vom 13. September 1985 - BVerwG 4 C 64.80 - (BRS 44 Nr. 20) aufgestellten ebensolchen Rechtssatz widersprochen haben sollte.
7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.