Beschluss vom 08.12.2005 -
BVerwG 1 B 37.05ECLI:DE:BVerwG:2005:081205B1B37.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.12.2005 - 1 B 37.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:081205B1B37.05.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 37.05

  • Hessischer VGH - 01.12.2004 - AZ: VGH 6 UE 2163/01.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Dezember 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht R i c h t e r und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Dezember 2004 wird verworfen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht in einer Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

2 Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangen die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, der in einem Revisionsverfahren entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen würde, sowie einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher höchstrichterlich noch nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

3 Die Beschwerde selbst bezeichnet keine konkrete Rechtsfrage, die höchstrichterlich geklärt werden soll. Eine derartige Frage lässt sich dem Beschwerdevorbringen auch sonst nicht entnehmen. Der Sache nach geht es der Beschwerde - in der Art einer Revisionsbegründung und unter ausführlichen Hinweisen auf Verfahrensgrundsätze in anderen Gerichtsbarkeiten - darum, dass im Hinblick auf die lange Dauer des Asylfolgeverfahrens der Kläger ein Verstoß insbesondere gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt wird. Die Beschwerde übersieht dabei, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren wie dem der Kläger keine Anwendung findet (vgl. etwa Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG 1 C 15.01 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 58 m.w.N.). Ein Rechtsstreit über die Abschiebung eines Ausländers ist auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht als Streitigkeit in Bezug auf "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen (vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 5. Oktober 2000 - Nr. 39652/98 - Maaouia - InfAuslR 2001, 109 <Leitsatz>; Urteil vom 12. Juli 2001 - Nr. 44759/98 - Ferrazzini - NJW 2002, 3453; Urteil vom 16. September 2004 - Nr. 11103/03 - Ghiban - NVwZ 2005, 1046; vgl. auch Meyer-Ladewig, EMRK, 1. Aufl. 2003, Art. 6 Rn. 9).

4 Soweit die Beschwerde die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG anspricht, macht sie nicht ersichtlich, welche Fragen hierzu in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts noch ungeklärt sind und inwiefern es anlässlich des Entscheidungsfalles weitergehenden oder neuen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf durch das Bundesverfassungsgericht oder das Bundesverwaltungsgericht geben könnte. Soweit die Beschwerde sich am Ende ihrer Begründung pauschal auf andere Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Grundrechtscharta der Europäischen Union bezieht, ist nicht dargetan und auch sonst nicht zu erkennen, welche Rechtsfragen sich in diesem Zusammenhang in einem Revisionsverfahren in entscheidungserheblicher Weise stellen könnten.

5 Auch eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht ordnungsgemäß gerügt. Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat; für die behauptete Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes) gilt Entsprechendes. Das Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 = Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Sie rügt die "mangelhafte Umsetzung der Menschenrechtskonvention sowie der grundgesetzlichen Verfahrensgarantien" und macht hierzu weitere Ausführungen, ohne darzulegen, mit welchem abstrakten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz das Berufungsgericht einem bestimmten Rechtssatz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts widerspräche. Letztlich erschöpft sich die Beschwerde darin, die Entscheidung des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft anzugreifen. Damit kann sie die Zulassung der Revision nicht erreichen.

6 Auch soweit sich die Beschwerde auf die Verfahrensfehler der Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs stützt (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG), entspricht sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

7 Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht hätte nicht in Abwesenheit der erkrankten Klägerin zu 1 verhandeln dürfen. Da ihrem Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung nicht stattgegeben worden sei, sei der Klägerin verwehrt worden, "ihr persönliches zu erwartendes Schicksal in der Türkei nochmals und nach den neueren Erkenntnissen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung" darzulegen. Hierin liege eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Da es im Asylverfahren auf die persönliche Glaubhaftmachung des Asylsuchenden ankomme, genüge es nicht, dass die Prozessbevollmächtigte der Kläger an der Berufungsverhandlung teilgenommen habe. Unabhängig davon, ob es des Nachweises bedarf, dass in der mündlichen Verhandlung der Verlegungsantrag wiederholt wurde - diesen Nachweis können die Kläger nicht führen, da sie es versäumt haben, hinsichtlich der behaupteten Unrichtigkeit einen Antrag auf Berichtigung des Protokolls zu stellen - kann der Beschwerde nicht entnommen werden, dass der Vorwurf der Gehörsverletzung zutreffen könnte.

8 Gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 227 ZPO kann eine Verhandlung (nur) aus erheblichen Gründen vertagt werden. Daraus folgt, dass bei der Ablehnung eines Vertagungsantrages eine Versagung des rechtlichen Gehörs nur dann in Betracht kommt, wenn ein erheblicher Grund im Sinne des § 227 Abs. 1 ZPO vorliegt und dem Gericht auch unterbreitet worden ist (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 13. April 1999 - BVerwG 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist auch im Asylprozess ein erheblicher Grund für eine Vertagung nicht bereits dann - quasi automatisch - anzunehmen, wenn ein anwaltlich vertretener Verfahrensbeteiligter wegen Krankheit oder aus anderen persönlichen Gründen verhindert ist, selbst an der Verhandlung teilzunehmen. Vielmehr ist jeweils nach den Umständen des Falles zu prüfen, ob der Verfahrensbeteiligte ohne Terminsaufhebung bzw. -verlegung in seinen Möglichkeiten beschränkt würde, sich in dem der Sache nach gebotenen Umfang zu äußern; das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird dagegen durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt (vgl. Beschluss vom 31. Mai 1990 - BVerwG 7 CB 31.89 - Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 45).

9 Im Falle der Klägerin zu 1 ist weder der Beschwerdebegründung noch der Niederschrift über die Berufungsverhandlung zu entnehmen, dass das Berufungsgericht von einem erheblichen Grund für eine Vertagung hätte ausgehen müssen. Das persönliche Erscheinen der Kläger war nicht angeordnet worden. Die Sitzungsniederschrift und die Beschwerdebegründung ergeben nicht, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ergänzende Ausführungen zum Verfolgungsschicksal der Klägerin gemacht oder angekündigt hat, die Klägerin habe ergänzende Ausführungen zu machen, die nur sie selbst vorzubringen im Stande sei. Insoweit genügt es nicht, wenn die Beschwerde vorträgt, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hätte "genauer ausführen und persönlich glaubhaft machen können, was ihnen mit der Versagung der Terminsverlegung verwehrt wurde". Es fehlt insoweit die konkrete Darlegung, an welchem Vorbringen die Klägerin dadurch gehindert wurde, dass sie der Verhandlung nicht hat beiwohnen können.

10 Unzureichend ist auch die Rüge, das Berufungsgericht "hätte zu den gestellten Anträgen und insbesondere zu deren Abänderung rechtliches Gehör gewähren müssen". Die Beschwerde setzt sich nicht ansatzweise mit den Erwägungen auseinander, die das Berufungsgericht zur (sachdienlichen) Auslegung der Berufungsanträge bewogen haben (UA S. 14; vgl. § 86 Abs. 3 und § 88 VwGO). Die Beschwerde geht auch nicht darauf ein, was die Kläger vorgetragen hätten, wenn ihnen zur Auslegung der Anträge rechtliches Gehör gewährt worden wäre, und inwiefern dieses Vorbringen geeignet gewesen wäre, eine günstigere Entscheidung des Berufungsgerichts zu erreichen. Der vage und nicht weiter erläuterte Hinweis, das Berufungsgericht habe "ggf. eine Entscheidung über den falschen Sachgegenstand getroffen", genügt den Darlegungsanforderungen an eine Gehörsrüge nicht.

11 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.