Beschluss vom 07.03.2002 -
BVerwG 1 DB 5.02ECLI:DE:BVerwG:2002:070302B1DB5.02.0
Beschluss
BVerwG 1 DB 5.02
In dem Verfahren hat der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. März 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r und Dr. H. M ü l l e r
beschlossen:
- Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Bundesdisziplinargerichts, Kammer X - ... -, vom 4. Januar 2002 aufgehoben.
- Der Antrag des Antragstellers vom 6. Dezember 2001 auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 121 Abs. 1 BDO wird zurückgewiesen.
- Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
I
Die Leiterin der Dienststelle ... des Bundeseisenbahnvermögens stellte mit Bescheid vom 15. November 2001 den Verlust der Dienstbezüge des Antragstellers ab dem 25. September 2001 fest, weil er seit diesem Zeitpunkt schuldhaft ungenehmigt dem Dienst fernbleibe. Hiergegen hat der Antragsteller gemäß § 121 Abs. 1 BDO die Entscheidung des Bundesdisziplinargerichts beantragt, über die noch nicht entschieden worden ist. Mit Verfügung vom 30. November 2001 ordnete das Bundeseisenbahnvermögen, Dienststelle ..., gemäß § 121 Abs. 3 BDO i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des Feststellungsbescheids vom 15. November 2001 mit folgender Begründung an:
Aus fiskalischen Gründen besteht ein öffentliches Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Es würde dem öffentlichen Interesse widersprechen, aus öffentlichen Mitteln Beträge zu zahlen, die im Fall der Erfolglosigkeit des gegen die Verlustfeststellung gerichteten Rechtsmittels nicht nur oder nur unter Schwierigkeiten wieder eingebracht werden können, eine Realisierung der Rückzahlung also zumindest gefährdet ist (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 18. September 2001 - BVerwG 1 DB 26.01 -).
Ihr Mandant würde monatlich rd. 3 300 DM netto verdienen. Nach Ihrem Schreiben vom 12. November 2001 bestehen gegenüber Dritten Unterhaltsverpflichtungen in Höhe von monatlich 1 155 DM, so dass noch ein Betrag in Höhe von 2 145 DM verbleibt.
Nach den Darlegungen Ihres Mandanten im "Nachweis der persönlichen und dienstlichen Verhältnisse" vom 12. November 2001 beträgt seine Kaltmiete 625 DM, hinzuzurechnen sind erfahrungsgemäß noch mindestens 250 DM an Nebenkosten, so dass sich die gesamte Mietbelastung auf 875 DM beläuft. Bereits nach Abzug dieses Betrages verbleiben Ihrem Mandanten dann nur noch 1 270 DM monatlich.
Abzuziehen wären hiervon noch weitere Verbindlichkeiten, wie z.B. für Auto, Telefon, Versicherungen usw.
Zu berücksichtigen ist darüber hinaus auch, dass Ihr Mandant ausweislich seiner Ausführungen im vorstehend genannten Nachweis Schulden in Höhe von 1 300 DM hat und über keinerlei sonstiges Vermögen oder anderweitige Einkünfte verfügt.
Vor diesem Hintergrund der finanzielle Lage Ihres Mandanten erscheint die Realisierung einer Rückzahlung von möglicherweise zu viel gezahlten Dienstbezügen mehr als gefährdet.
Der Antragsteller hat gemäß § 121 Abs. 3 BDO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO beantragt, die aufschiebende Wirkung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung wieder herzustellen. Das Bundesdisziplinargericht hat durch Beschluss vom 4. Januar 2002 gemäß § 80 Abs. 8 VwGO die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgehoben. Zur Begründung wird ausgeführt, die Entscheidung des Bundeseisenbahnvermögens vom 30. November 2001 enthalte im Wesentlichen nur abstrakte Erwägungen und benenne keine ausreichenden konkreten Umstände des Einzelfalls. Es fehle an einer auf den Einzelfall bezogenen schlüssigen und substantiierten Darlegung der Gründe, warum gerade im Fall des Antragstellers die Gefahr bestehe, dass möglicherweise zu Unrecht gezahlte Dienstbezüge von ihm nicht erstattet werden könnten. Hinzu komme die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die erkennende Kammer den Verlustfeststellungsbescheid vom 15. November 2001 insgesamt aufheben könnte, weil er den neueren und viel strengeren Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht unter Abkehr seiner bisherigen jahrzehntelangen Rechtsprechung im Beschluss vom 17. September 2001 - BVerwG 1 DB 22.01 - gefordert habe, nicht hinreichend entspreche. Offen gelassen hat das Bundesdisziplinargericht, ob die Verfügung vom 30. November 2001 von Regierungsdirektor K. anstelle der Leiterin der Dienststelle ... des Bundeseisenbahnvermögens habe unterzeichnet werden dürfen.
Gegen den Beschluss des Bundesdisziplinargerichts hat der Antragsgegner rechtzeitig Beschwerde eingelegt und diese wie folgt begründet: Der Sofortvollzug habe durch den für Beamten- und Besoldungsrecht in der Dienststelle ... nach der Geschäftsverteilung allgemein zuständigen Sachgebietsleiter, Regierungsdirektor K., der im übrigen auch zweiter Dienststellenvertreter sei, angeordnet werden dürfen. Es gelte die allgemeine Vorschrift des § 80 VwGO, die den strengeren formellen Anforderungen des Disziplinarrechts nicht unterliege. Im Übrigen verkenne das Bundesdiszipliargericht, dass in der Anordnungsverfügung in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgericht vom 18. September 2001 (a.a.O.) nicht nur Ausführungen allgemeiner Natur enthalten seien, sondern sehr wohl "eine auf den Einzelfall bezogene schlüssige und substantiierte Darlegung der Gründe" für die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgt sei. Die Anordnungsverfügung setze sich eingehend mit der finanziellen Lage des Antragstellers auseinander und lege auch schlüssig dar, dass die Gefahr einer erfolglosen Bezügerückforderung sehr hoch sei.
Der Antragsteller verteidigt den angefochtenen Beschluss. Die Unterzeichnung der Verfügung vom 30. November 2001 durch Regierungsdirektor K. sei unzulässig gewesen. Der Eingriff in die Alimentationspflicht müsse durch den jeweiligen Behördenleiter vorgenommen werden.
II
Die nach § 85 Abs. 5 BDG, § 121 Abs. 5 BDO zulässige Beschwerde (vgl. dazu Beschluss vom 31. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 33.01 -) hat Erfolg. Das Bundesdisziplinargericht hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verlustfeststellungsbescheids vom 15. November 2001 zu Unrecht aufgehoben.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nicht schon deshalb unwirksam, weil sie nicht von der Behördenleiterin als der zuständigen Dienstvorgesetzten, sondern durch den zuständigen Sachgebietsleiter unterzeichnet worden ist. Der Senat hat es in seiner Rechtsprechung abgelehnt, die strengen Formerfordernisse des § 30 Abs. 1 Satz 1, § 33 BDO auf die Verfahren nach § 9 BBesG und § 80 VwGO zu übertragen. Es würde den Dienstbetrieb insbesondere bei personalstarken Behörden erheblich beeinträchtigen, wenn der Dienstvorgesetzte in den gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Fällen seiner Zeichnungspflicht sich nicht vertreten lassen könnte (stRspr; z.B. Beschlüsse vom 13. Juli 1993 - BVerwG 1 DB 14.93 - DokBerB 1993, 315 und vom 7. Dezember 1995 - BVerwG 1 DB 29.94 - m.w.N.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Der Antragsgegner hat entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts das besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung ausreichend dargelegt. Zutreffend zitiert das Bundesdisziplinargericht zwar die im Beschluss des Senats vom 18. September 2001 - BVerwG 1 DB 26.01 - wiedergegebenen Anforderungen an die Begründung des besonderen Interesses gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Das Bundesdisziplinargericht lässt aber dann jegliche Subsumtion vermissen und begnügt sich mit der lapidaren Feststellung, die Begründung des Antragsgegners werde "den hohen Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht ... stellt", (noch) nicht gerecht. Das Gegenteil ist der Fall. Der Antragsgegner hat schlüssig dargelegt, aus welchen Gründen eine Rückzahlung möglicherweise zu viel gezahlter Dienstbezüge durch den Antragsteller gefährdet ist.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist nicht begründet. Bei der nach § 121 Abs. 3 BDO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffenden Ermessensentscheidung ist der Senat nicht auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung beschränkt, sondern hat aufgrund einer eigenständigen Interessenabwägung zu beurteilen, ob und ggf. in welchem Umfang die aufschiebende Wirkung wieder herzustellen ist. Maßstäbe der gerichtlichen Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs gegen den Feststellungsbescheid und das Ergebnis der Abwägung der wechselseitigen Interessen, d.h. des Interesses an der sofortigen Vollziehung der Verlustfeststellung und des Interesses des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung und damit am Erhalt seiner Dienstbezüge (Beschluss vom 20. Mai 1998 - BVerwG 1 DB 13.98 -).
Die Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass dem Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung der Verlustfeststellung der Vorrang einzuräumen ist. Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs gegen den Feststellungsbescheid vom 15. November 2001 sind entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts äußerst gering. Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Bundesdisziplinargerichts, das Bundesverwaltungsgericht habe die Anforderungen an die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge im Beschluss vom 17. September 2001 - BVerwG 1 DB 22.01 - unter Abkehr seiner bisherigen jahrzehntelangen Rechtsprechung geändert. Der Beschluss vom 17. September 2001 entspricht vielmehr der ständigen Senatsrechtsprechung. Danach setzt eine Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge nach § 9 BBesG voraus, dass der volle Beweis über die Dienstfähigkeit des Beamten erbracht ist. Dies ist vorliegend der Fall, obwohl es im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 121 Abs. 3 BDO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO im Allgemeinen lediglich darauf ankommt, ob nach der gebotenen summarischen Prüfung der der Anordnung der sofortigen Vollziehung zugrunde liegende Verlustfeststellungsbescheid offensichtlich rechtmäßig und fehlerfrei ist oder nicht. Die zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids vom 15. November 2001 erforderlichen Beweisgrundlagen, die dem Antragsteller bekannt sind, liegen jedoch bereits vor. Sie sind daher auch umfassend zu würdigen.
Die Dienstfähigkeit des Antragstellers ergibt sich aus dem Gutachten der Universitätsklinik K. - Klinik und Poliklinik für Neurologie und Psychiatrie - vom 2. August 2001. Darin heißt es u.a., bei dem Antragsteller liege aktuell in psychiatrischer Hinsicht keine Erkrankung vor. Aus psychiatrischer Sicht ergäben sich keinerlei Hinweise auf eine Verminderung des aktuellen Leistungsvermögens. Es sei von einem Motivationsdefizit des Antragstellers auszugehen, das jedoch nicht von Krankheitswert sei und aus der Situation verständlich erscheinen möge. Die Frage der Zumutbarkeit einer regelmäßigen dienstlichen Tätigkeit vollschichtig auf dem beschriebenen Arbeitsplatz könne klar bejaht werden. Aus psychiatrischer Sicht lägen keine Störungen vor, welche die vom Antragsteller beschriebene Unfähigkeit der Dienstverrichtung erklärten. Die mangelnde Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Diensttätigkeit sowie einer adäquaten Behandlung der vermeintlichen subjektiv geschilderten "Erkrankung" sei nach Abklingen der reaktiv depressiv-ängstlichen Störung, die zum Zeitpunkt der Erstbegutachtung sicherlich vorgelegen habe, ausschließlich als Folge einer frustrationsintoleranten und regressiven Grundhaltung anzusehen. Diese besitze jedoch keinen Krankheitswert und könne eine Minderung der Berufsfähigkeit nicht begründen. Das Gutachten setzt sich mit den gegenteiligen Auffassungen der den Antragsteller behandelnden Privatärzte auseinander und widerlegt diese. Das Gutachten stimmt mit der Beurteilung durch den Oberbahnarzt Dr. O. überein. Dieser hat das Gutachten in Auftrag gegeben, um mit Blick auf die vorgelegten privat-ärztlichen Atteste eine weitere Beurteilungsgrundlage zu erhalten. Der Oberbahnarzt Dr. O. hat den Antragsteller am 6. September 2001 aufgrund eigener Untersuchung und unter Berücksichtigung des Universitätsgutachtens ab sofort für dienstfähig und vollschichtig einsetzbar befunden. Das gleiche Ergebnis hatte eine weitere Untersuchung des Antragstellers am 1. Oktober 2001. Die Dienstfähigkeit des Antragstellers steht damit fest. Auf die Bescheinigung seiner Privatärzte kann er sich nicht länger berufen. Die neueren Bescheinigungen des Dr. H. vom 26. Januar 2002 und des Dr. U. vom 27. Januar 2002 enthalten keine neuen Gesichtspunkte. Bei dieser Sachlage bedurfte es weder eines erneuten Sachverständigengutachtens noch einer wiederholten Auseinandersetzung mit den Argumenten der Ärzte des Antragstellers. Die diesbezüglichen Ausführungen in dem eingeholten Gutachten der Universitätsklinik sind weiterhin als umfassend anzusehen und haben an ihrer Überzeugungskraft nicht eingebüßt. Dies alles, insbesondere die Unbeachtlichkeit der zuletzt vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, war dem Antragsteller aufgrund entsprechender Hinweise des Antragsgegners, der ihn in diesem Zusammenhang wiederholt zum Dienstantritt aufgefordert hatte, auch bekannt. Wenn er dennoch dem Dienst fernblieb, hat er zumindest fahrlässig gehandelt.
Mit Blick auf die geringen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs gegen den Feststellungsbescheid vom 15. November 2001 ist das berechtigte Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung der Verlustfeststellung begründet. Das Interesse des Antragstellers am Erhalt seiner Dienstbezüge muss dann zurücktreten, wenn - wie hier - eine von ihm zumindest fahrlässig herbeigeführte Dienstsäumnis vorliegt und die etwaige Rückzahlung gleichwohl gezahlter Bezüge konkret gefährdet wäre. Auch das ist hier der Fall. Den Ausführungen des Antragsgegners über die Gefährdung der Rückzahlungsansprüche bezüglich eventuell zu viel gezahlter Dienstbezüge ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegen getreten. Die zugrunde liegenden Berechnungen beruhen vielmehr auf seinen Angaben. Mit ihnen ist die Gefährdung auch inhaltlich nachvollziehbar dargelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.