Be­schluss vom 06.01.2025 -
BVer­wG 6 AV 3.24ECLI:DE:BVer­wG:2025:060125B6A­V3.24.0

Kom­pe­tenz­kon­flikt zwi­schen Ver­wal­tungs- und Amts­ge­richt

Leit­satz:

Hat ein Ver­wal­tungs­ge­richt den zu ihm be­schrit­te­nen Rechts­weg rechts­kräf­tig für un­zu­läs­sig er­klärt und den Rechts­streit an ein Ge­richt der or­dent­li­chen Ge­richts­bar­keit ver­wie­sen, ist die­ses ge­mäß § 17a Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG an die Ver­wei­sung le­dig­lich hin­sicht­lich der Be­stim­mung des Rechts­wegs der or­dent­li­chen Ge­richts­bar­keit in der je­wei­li­gen Funk­ti­on (hier: Straf­ge­richts­bar­keit) ge­bun­den. In­ner­halb die­ser Ge­richts­bar­keit bleibt ei­ne Wei­ter­ver­wei­sung oder Ab­ga­be mög­lich.

  • Rechts­quel­len
  • Zi­tier­vor­schlag

Be­schluss

BVer­wG 6 AV 3.24

  • VG Düs­sel­dorf - 28.11.2024 - AZ: 18 L 2216/24

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che hat der 6. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
am 6. Ja­nu­ar 2025
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Prof. Dr. Kraft und die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Stei­ner und Dr. Gamp
be­schlos­sen:

Als zu­stän­di­ges Ge­richt für die Ent­schei­dung über den An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung wird das Amts­ge­richt Ra­tin­gen be­stimmt.

Grün­de

I

1 Der An­trag­stel­ler er­hob beim Ver­wal­tungs­ge­richt Düs­sel­dorf Kla­ge we­gen der An­ord­nung ei­ner er­ken­nungs­dienst­li­chen Be­hand­lung. Dar­über hin­aus be­an­trag­te er im We­ge der einst­wei­li­gen An­ord­nung die Ver­pflich­tung des An­trags­geg­ners, sein ein­ge­zo­ge­nes pri­va­tes Mo­bil­te­le­fon un­ver­züg­lich oh­ne wei­te­re Be­weis­er­he­bun­gen wie das Durch­su­chen von Ord­nern, Chats, Bil­dern etc. frei­zu­ge­ben.

2 Der An­trags­geg­ner teil­te da­zu mit, der An­trag­stel­ler ha­be trotz Un­ter­sa­gung bei ei­nem Po­li­zei­ein­satz an­läss­lich ei­nes Nach­bar­schafts­streits mit sei­nem Mo­bil­te­le­fon Vi­deo­auf­nah­men der ein­ge­setz­ten Po­li­zei­be­am­ten ge­macht. Fern­münd­lich hät­ten so­wohl der zu­stän­di­ge Staats­an­walt als auch der Er­mitt­lungs­rich­ter ei­ne Be­schlag­nah­me des Mo­bil­te­le­fons im Rah­men ei­nes Straf­ver­fah­rens auf der Grund­la­ge der §§ 201, 201a StGB be­für­wor­tet. Dem­zu­fol­ge sei die Be­schlag­nah­me nicht im We­ge der Ge­fah­ren­ab­wehr, son­dern als Maß­nah­me im Rah­men ei­nes Straf­ver­fah­rens durch­ge­führt wor­den.

3 Mit Be­schluss vom 6. Sep­tem­ber 2024 er­klär­te das Ver­wal­tungs­ge­richt Düs­sel­dorf nach An­hö­rung der Be­tei­lig­ten den zu ihm be­schrit­te­nen Rechts­weg für un­zu­läs­sig und ver­wies den Rechts­streit an das Amts­ge­richt Ra­tin­gen. Im vor­lie­gen­den Fall sei die Po­li­zei zum Zwe­cke der Straf­ver­fol­gung (re­pres­siv) tä­tig ge­wor­den und ha­be des­halb funk­tio­nal als Jus­tiz­be­hör­de im Sin­ne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG ge­han­delt, so dass die or­dent­li­chen Ge­rich­te zu­stän­dig sei­en. Der Be­schluss ist rechts­kräf­tig.

4 Das Amts­ge­richt Ra­tin­gen lehn­te mit Be­schluss vom 11. Ok­to­ber 2024 die Über­nah­me des Ver­fah­rens ab. Die Ver­wei­sung sei will­kür­lich und des­halb nicht bin­dend. Ge­mäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO kön­ne der Be­trof­fe­ne im Fal­le ei­ner Be­schlag­nah­me je­der­zeit ei­ne ge­richt­li­che Ent­schei­dung be­an­tra­gen, für die sich die Zu­stän­dig­keit ge­mäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO nach § 162 StPO be­stim­me. Des­halb sei der Er­mitt­lungs­rich­ter bei dem Ge­richt zu­stän­dig, in des­sen Be­zirk die Staats­an­walt­schaft ih­ren Sitz ha­be, mit­hin beim Amts­ge­richt Düs­sel­dorf. Da das Ver­wal­tungs­ge­richt die­se Zu­stän­dig­keits­vor­schrift über­gan­gen ha­be, sei die Ver­wei­sung man­gels recht­li­cher Grund­la­ge nicht bin­dend.

5 Trotz des ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Hin­wei­ses, der rechts­kräf­ti­ge Ver­wei­sungs­be­schluss sei (nur) hin­sicht­lich der Zu­stän­dig­keit der Straf­ge­rich­te in­ner­halb der or­dent­li­chen Ge­richts­bar­keit bin­dend, hat das Amts­ge­richt wei­ter­hin ei­ne Über­nah­me des Ver­fah­rens ab­ge­lehnt. Dar­auf­hin hat das Ver­wal­tungs­ge­richt mit Be­schluss vom 28. No­vem­ber 2024 das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt zur Be­stim­mung des zu­stän­di­gen Ge­richts an­ge­ru­fen.

II

6 1. Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt ist zur Ent­schei­dung des ne­ga­ti­ven Kom­pe­tenz­kon­flikts zwi­schen dem Ver­wal­tungs­ge­richt Düs­sel­dorf und dem Amts­ge­richt Ra­tin­gen be­ru­fen. Die Ent­schei­dung er­geht oh­ne münd­li­che Ver­hand­lung (§ 53 Abs. 3 Satz 2 Vw­GO).

7 Ge­mäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 Vw­GO wird ein ne­ga­ti­ver Kom­pe­tenz­kon­flikt zwi­schen Ge­rich­ten der Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit von dem Ge­richt ent­schie­den, das den be­tei­lig­ten Ge­rich­ten über­ge­ord­net ist. Zwar ist die­se Vor­schrift auf den Kom­pe­tenz­kon­flikt zwi­schen ei­nem Ver­wal­tungs­ge­richt und ei­nem Amts­ge­richt we­der un­mit­tel­bar an­wend­bar noch gibt es für ei­nen sol­chen Fall an an­de­rer Stel­le ei­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung. Die­se Re­ge­lungs­lü­cke ist aber - im Ein­klang mit der Recht­spre­chung an­de­rer obers­ter Ge­richts­hö­fe des Bun­des - in der Wei­se zu schlie­ßen, dass das­je­ni­ge obers­te Bun­des­ge­richt den ne­ga­ti­ven Kom­pe­tenz­kon­flikt zwi­schen den Ge­rich­ten ver­schie­de­ner Ge­richts­zwei­ge ent­schei­det, das ei­nem der be­tei­lig­ten Ge­rich­te über­ge­ord­net ist und zu­erst an­ge­gan­gen wird (BVer­wG, Be­schluss vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112; BGH, Be­schluss vom 26. Ju­li 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001, 3631 <3632>). Denn ob­wohl ein nach § 17a GVG er­gan­ge­ner und un­an­fecht­bar ge­wor­de­ner Be­schluss, mit dem ein Ge­richt den be­strit­te­nen Rechts­weg für un­zu­läs­sig er­klärt und den Rechts­streit an ein an­de­res Ge­richt ver­wie­sen hat, nach dem Ge­setz kei­ner wei­te­ren Über­prü­fung un­ter­liegt, ist ei­ne Zu­stän­dig­keits­be­stim­mung in Ana­lo­gie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 Vw­GO im In­ter­es­se ei­ner funk­tio­nie­ren­den Rechts­pfle­ge und der Rechts­si­cher­heit ge­bo­ten, wenn es in ei­nem Ver­fah­ren zu Zwei­feln über die Bin­dungs­wir­kung der Ver­wei­sung kommt und des­halb kei­nes der in Fra­ge kom­men­den Ge­rich­te be­reit ist, die Sa­che zu be­ar­bei­ten (vgl. BGH, Be­schluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13 - MDR 2013, 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Ei­ne sol­che Si­tua­ti­on ist vor­lie­gend ge­ge­ben.

8 2. Für die Ent­schei­dung über das von dem An­trag­stel­ler gel­tend ge­mach­te Be­geh­ren, im We­ge der einst­wei­li­gen An­ord­nung sein be­schlag­nahm­tes Mo­bil­te­le­fon oh­ne wei­te­re Be­weis­er­he­bun­gen wie­der­zu­er­lan­gen, ist das Amts­ge­richt Ra­tin­gen als Straf­ge­richt durch die ge­mäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bin­den­de Ver­wei­sung des Rechts­streits im Be­schluss des Ver­wal­tungs­ge­richts Düs­sel­dorf vom 6. Sep­tem­ber 2024 zu­stän­dig ge­wor­den. So­weit der Aus­spruch des Ver­wei­sungs­be­schlus­ses von Ge­set­zes we­gen Bin­dungs­wir­kung be­an­sprucht, liegt kein Grund für ei­ne Durch­bre­chung vor.

9 a. Ge­mäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Ver­wei­sungs­be­schluss für das Ge­richt, an das der Rechts­streit ver­wie­sen wor­den ist, hin­sicht­lich des Rechts­wegs bin­dend. Der Be­schluss des Ver­wal­tungs­ge­richts Düs­sel­dorf vom 6. Sep­tem­ber 2024 ist un­an­fecht­bar ge­wor­den. Die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG an­ge­ord­ne­te Bin­dungs­wir­kung tritt auch bei ei­nem feh­ler­haf­ten Ver­wei­sungs­be­schluss ein, et­wa wenn der Rechts­weg zu dem ver­wei­sen­den Ge­richt ent­ge­gen des­sen Rechts­auf­fas­sung ge­ge­ben war (BVer­wG, Be­schluss vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buch­holz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4).

10 b. Mit Rück­sicht auf die in § 17a GVG er­öff­ne­te Mög­lich­keit, ei­nen Ver­wei­sungs­be­schluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vor­ge­se­he­nen In­stan­zen­zug über­prü­fen zu las­sen, kann die ge­setz­lich an­ge­ord­ne­te Bin­dungs­wir­kung ei­nes un­an­fecht­ba­ren Ver­wei­sungs­be­schlus­ses al­len­falls bei ex­tre­men Rechts­ver­stö­ßen durch­bro­chen wer­den. Das ist nur dann der Fall, wenn sich der bin­den­de Aus­spruch der Ver­wei­sung bei der Aus­le­gung und An­wen­dung der Zu­stän­dig­keits­nor­men so weit von dem die­se be­herr­schen­den ver­fas­sungs­recht­li­chen Grund­satz des ge­setz­li­chen Rich­ters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ent­fernt hat, dass er schlecht­hin nicht mehr zu recht­fer­ti­gen ist (vgl. BVerfG, Be­schlüs­se vom 30. Ju­ni 1970 - 2 BvR 48/70 - BVerf­GE 29, 45 <48 f.> und vom 23. Ju­ni 1981 - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - BVerf­GE 58, 1 <45> und Kam­mer­be­schluss vom 26. Au­gust 1991 - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 <361>). Hier­von kann aus­ge­gan­gen wer­den, wenn die Ent­schei­dung bei ver­stän­di­ger Wür­di­gung nicht mehr ver­ständ­lich er­scheint und of­fen­sicht­lich un­halt­bar ist (BVer­wG, Be­schlüs­se vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buch­holz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4, vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112 Rn. 10 und vom 16. Ju­ni 2021 - 6 AV 1 und 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 Rn. 10; vgl. auch BGH, Be­schlüs­se vom 8. Ju­li 2003 - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990 <2991>, vom 9. De­zem­ber 2010 - Xa ARZ 283/10 - MDR 2011, 253 <254> und vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11 - NJW-RR 2011, 1497 Rn. 9).

11 c. Im vor­lie­gen­den Fall be­an­sprucht der Ver­wei­sungs­be­schluss des Ver­wal­tungs­ge­richts Düs­sel­dorf vom 6. Sep­tem­ber 2024 Bin­dungs­wir­kung al­ler­dings nur in­so­weit, als der Rechts­weg zu den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten un­zu­läs­sig ist und die or­dent­li­chen Ge­rich­te in ih­rer Funk­ti­on als Straf­ge­rich­te zu­stän­dig sind. In­so­weit be­geg­net der Be­schluss kei­nen Be­den­ken. Das Amts­ge­richt Ra­tin­gen hat ver­kannt, dass es an die Ver­wei­sung ge­mäß § 17a Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG le­dig­lich hin­sicht­lich der Be­stim­mung des Rechts­wegs der or­dent­li­chen Ge­richts­bar­keit in der Va­ri­an­te der Straf­ge­richts­bar­keit ge­bun­den ist. In­ner­halb die­ser Ge­richts­bar­keit be­wir­ken die ge­nann­ten Vor­schrif­ten des Ge­richts­ver­fas­sungs­ge­set­zes hin­sicht­lich der sach­li­chen und ört­li­chen Zu­stän­dig­keit kei­ne Bin­dungs­wir­kung; an ei­ner Wei­ter­ver­wei­sung oder Ab­ga­be an den Er­mitt­lungs­rich­ter ist das Amts­ge­richt durch die Ver­wei­sung nicht ge­hin­dert (BGH, Be­schluss vom 16. Ok­to­ber 2020 - 1 ARs 3/20 - NStZ-RR 2021, 52 <53 ff.> mit Hin­weis auf BT-Drs. 11/7030 S. 37; vgl. auch BVer­wG, Be­schluss vom 15. Ju­li 2010 - 3 AV 1.10 - Buch­holz 310 § 53a Vw­GO Nr. 1 Rn. 6).