Beschluss vom 06.01.2020 -
BVerwG 1 AV 7.19ECLI:DE:BVerwG:2020:060120B1AV7.19.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 06.01.2020 - 1 AV 7.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:060120B1AV7.19.0]
Beschluss
BVerwG 1 AV 7.19
- VG Freiburg - 12.12.2019 - AZ: VG A 13 K 4642/19
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Januar 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß
beschlossen:
Das Verwaltungsgericht Freiburg wird als zuständiges Gericht bestimmt.
Gründe
I
1 Das Verwaltungsgericht Freiburg hat mit Beschluss vom 12. Dezember 2019 das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts angerufen. Für den Antrag des in Griechenland aufhältigen Antragstellers zu 1, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Ersuchen der Hellenischen Republik (Griechenland) auf Übernahme seines Asylverfahrens stattzugeben und bei seiner Überstellung zu der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Antragstellerin zu 2 mitzuwirken, sei das Verwaltungsgericht Ansbach gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO zuständig. Für den entsprechenden Antrag der Antragstellerin zu 2, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG verfüge und ihren Wohnsitz bzw. ständigen Aufenthalt in Vöhrigen und damit seinem Gerichtsbezirk habe, sei das Verwaltungsgericht Freiburg gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO zuständig. Da die Annahme einer Streitgenossenschaft nicht fernliegend sei, bedürfe es einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO.
II
2 1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 VwGO als nächsthöheres Gericht zuständig, weil Gerichtsstände verschiedener Länder in Betracht kommen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Juli 1962 - 7 ER 420.62 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 2 S. 2, vom 20. Januar 1978 - 7 ER 401.77 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 11 S. 6 und vom 29. Mai 2017 - 3 AV 3.16 - juris Rn. 5).
3 a) Für den Antrag des Antragstellers zu 1 ist das Verwaltungsgericht Ansbach als das Gericht der Hauptsache (§ 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO) gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 3 Satz 2, 3 und Nr. 5 VwGO örtlich zuständig. Nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich - auch für die vorliegend begehrte Mitwirkung des Bundesamtes im sogenannten Dublin-Verfahren - nach § 52 Nr. 3 VwGO und - soweit auch danach keine örtliche Zuständigkeit bestimmt werden kann - nach der Auffangregelung in § 52 Nr. 5 VwGO.
4 Bei den von den Antragstellern begehrten Handlungen der Antragsgegnerin, die sich nach den Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO - richten, handelt es sich um "Streitigkeiten nach dem Asylgesetz" (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 5). Der mit der Schaffung von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO verfolgte Zweck einer asylrechtlichen Zuständigkeitsdezentralisierung zur Entlastung des Verwaltungsgerichts Ansbach und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in München (BT-Drs. 8/1836 S. 4, 8/1935 S. 5 sowie 8/1936 S. 5 f.), ohne dabei unterschiedliche Verfahrensabschnitte unterschiedlichen Gerichten zuzuweisen (BT-Drs. 9/875 S. 27), streitet für eine weite Auslegung dieser Bestimmung. Maßgeblich ist, ob das Asylanerkennungsverfahren im weiteren Sinne betroffen ist (BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1984 - 9 A 1.84 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 11 S. 2 f.). Die Abgabe von Erklärungen in einem Überstellungsverfahren ist genauso wie die Überstellung selbst zwar nicht im Asylgesetz, sondern in der Dublin III-VO geregelt. Das unionsrechtliche Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats und eine daran anknüpfende Überstellung stehen als denknotwendige Vorstufe aber in einem engen Zusammenhang mit dem im Asylgesetz geregelten Asylanerkennungsverfahren. Zudem enthält das Asylgesetz eine Verordnungsermächtigung zur (innerstaatlichen) Bestimmung der zuständigen Behörden in Dublin-Verfahren (§ 88 Abs. 1 AsylG). Nach der hiernach erlassenen Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) u.a. auch für Entscheidungen über Auf- und Wiederaufnahmeersuchen anderer Mitgliedstaaten zuständig (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Nr. 2 AsylZBV).
5 Da der in Griechenland aufhältige Antragsteller zu 1 (derzeit) seinen Aufenthalt nicht nach den Vorschriften des deutschen Asylgesetzes zu nehmen hat (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO) und im Bundesgebiet auch nicht über einen Wohnsitz verfügt (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), kommt für die örtliche Zuständigkeit wegen der Rechtsfolgenverweisung in § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwGO hier nur die Auffangregelung in § 52 Nr. 5 VwGO in Betracht. Danach ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, ist auf den Sitz der Behörde abzustellen, die gehandelt hat oder handeln soll (BVerwG, Urteil vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183 <188> und Beschluss vom 9. März 2000 - 1 AV 2.00 - juris Rn. 2). Dies ist hier das Bundesamt, das seinen Sitz in Nürnberg und damit im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Ansbach hat (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 6).
6 b) Für den Eilantrag der in Vöhringen lebenden Antragstellerin zu 1 ist das Verwaltungsgericht Freiburg gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 3 Satz 2 VwGO örtlich zuständig, weil sie nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ihren Wohnsitz nicht mehr nach dem Asylgesetz, sondern allenfalls nach § 12a AufenthG an einem bestimmten Ort zu nehmen hat. Der Umstand, dass ihr Asylverfahren abgeschlossen ist, nimmt der von ihr begehrten Mitwirkung des Bundesamts bei der Bestimmung des für die Asylbegehren des Antragstellers zu 1 zuständigen Mitgliedstaats nicht den Charakter einer asylrechtlichen Streitigkeit.
7 c) Die Annahme einer (notwendigen) Streitgenossenschaft der Antragsteller liegt jedenfalls nicht fern, sodass eine Zuständigkeitsbestimmung auch erforderlich ist (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 8).
8 Zwar ist im Regelfall einer subjektiven Klagehäufung kein Raum für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 VwGO. Denn gemäß § 64 VwGO i.V.m. §§ 59 f. ZPO ist u.a. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verbindung mehrerer prozessualer Ansprüche in einem Verfahren, dass für die Verfahren dasselbe Gericht örtlich zuständig ist; ist dies nicht der Fall, ist dem durch Abtrennung und teilweise Verweisung zu begegnen. Anderes gilt bei einer notwendigen Streitgenossenschaft (§ 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO) auf Antragsgegner- oder Antragstellerseite. § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO lässt genügen, dass verschiedene Gerichte "in Betracht kommen", dass ein solcher Fall zumindest nicht fernliegt; es ist nicht Sinn eines Verfahrens zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit, schwierige Rechtsfragen, die im eigentlichen Verfahren vom zuständigen Gericht zu klären sind, abschließend zu entscheiden (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 9 m.w.N.).
9 Die Annahme einer (unechten) notwendigen Streitgenossenschaft gemäß § 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO liegt hier jedenfalls nicht fern. Sie liegt vor, wenn mehrere Kläger bzw. Antragsteller derart miteinander verbunden sind, dass einerseits zwar ein gesondertes Verfahren Einzelner möglich ist, andererseits aber, wenn sie gemeinschaftlich um Rechtsschutz nachsuchen, die Sachentscheidung für oder gegen alle identisch sein muss. Die Anträge der Antragsteller sind auf das gleiche Ziel gerichtet und gründen auf einem identischen Lebenssachverhalt. Sollte der geltend gemachte Anspruch sowohl der Antragstellerin zu 2 als auch dem Antragsteller zu 1 zustehen, liegt es zudem nahe, dass eine Sachentscheidung einheitlich ergehen müsste (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 10).
10 Für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 VwGO ist ein Anspruch und die sich daraus ableitende Antragsbefugnis der in der Bundesrepublik Deutschland aufhältigen Antragstellerin zu 2 für den auf Familienzusammenführung mit dem Antragsteller zu 1 im Dublin-Verfahren gerichteten Rechtsschutzantrag jedenfalls nicht - offenkundig - ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedenfalls der Ehegatte eines Ausländers gegen einen Bescheid, der diesem die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagt, selbst dann klagebefugt, wenn dieser den Bescheid hat bestandskräftig werden lassen, soweit er einen Eingriff in seine von Art. 6 GG geschützte Sphäre geltend macht (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 11 m.w.N). Angesichts des Schutzes, den Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO bei einem minderjährigen Schutzsuchenden auch der Zusammenführung mit einem Verwandten (Art. 2h Dublin III-VO) - hier nach der Würdigung des Verwaltungsgerichts seiner Tante (väterlicherseits) - angedeihen lässt, liegt eine Übertragung dieses Schutzes zumindest nicht fern; im Rahmen des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens ist dabei die Frage, ob die Antragstellerin zu 2 auch für den Antragsteller zu 1 sorgen kann, nicht von dem Bundesverwaltungsgericht zu prüfen. Gegen eine Erstreckung des Schutzes mag allerdings sprechen, dass Art. 8 Dublin III-VO vor allem dem Schutz des Minderjährigen dient (EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11 [ECLI:EU:C:2013:367] - Rn. 54 f.; BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 - BVerwGE 153, 234 Rn. 24 f. m.w.N.) und die Antragstellerin zu 2 als Verwandte nicht zu dem in Art. 2g Dublin III-VO definierten Kreis der Familienangehörigen gehört, auf den grundsätzlich auch der Schutz des Art. 6 GG wie das Gebot des Art. 7 GRC/Art. 8 EMRK fokussiert ist. Bei einem erweiterten Familienbegriff, der auch schutzbereite und -willige Verwandte umfasst, greift dies indes nicht durch.
11 Eine offenkundige Unzulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens der Antragstellerin zu 2 mangels Antragsbefugnis besteht aus dem Unionsrecht indes nicht. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen eine Antragsbefugnis sowohl des im zuständigen Mitgliedstaat ansässigen Familienangehörigen oder Verwandten als auch derjenigen, die aus einem anderen Mitgliedstaat in den zuständigen Staat überstellt werden wollen, jedenfalls nicht ausdrücklich aus. Vielmehr kommt auch nach Unionsrecht - vorbehaltlich einer etwaigen abschließenden Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union - ein subjektives Recht nicht nur des Antragstellers zu 1, sondern auch der Antragstellerin zu 2 auf die gerichtliche Durchsetzung der Einhaltung der Art. 9 ff. Dublin III-VO, aber auch des Art. 8 Dublin III-VO, und der daran anknüpfenden Überstellungsregelungen (Art. 18, 29 ff. Dublin III-VO) in Betracht. Dies legen die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) sowie Art. 6 GG nahe. Der EuGH hat für Vorschriften der Dublin III-VO verschiedentlich dahin erkannt, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt, im gerichtlichen Verfahren auf eine Einhaltung dieser Regelungen berufen kann (vgl. nur EuGH, Urteile vom 26. Juli 2017 - C-670/16 [ECLI:EU:C:2017:587], Mengesteab - Rn. 62 und vom 25. Oktober 2017 - C-201/16 [ECLI:EU:C:2017: 805], Shiri - Rn. 44). Ob diese Rechtsprechung auf die vorliegende Fallkonstellation zu übertragen ist, ist nicht offenkundig ausgeschlossen; das Verwaltungsgericht (BA S. 7 f.) hat zutreffend ausgeführt, dass und aus welchen Gründen eine Antragsbefugnis der Antragstellerin zu 2 unmittelbar aus den Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin III-VO - und damit ggf. auch jenseits eines aus Art. 8 EMRK/Art. 7 GRC/Art. 6 GG folgenden Schutzes - auf der Grundlage eines weiten Familienbegriffs in Betracht kommt. Ob dies letztlich durchgreift, wird das nach der Zuständigkeitsbestimmung zuständige Gericht zu entscheiden haben (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 12.).
12 2. Die - hier dem Bundesverwaltungsgericht als nächsthöherem Gericht vorbehaltene - Entscheidung nach § 53 Abs. 1 VwGO hat sich an den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung zu orientieren (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 13 m.w.N.). Der Senat hält es hiernach für zweckmäßig, das Verwaltungsgericht Freiburg als zuständiges Gericht zu bestimmen.
13 Die Antragstellerin zu 2 wohnt in Vöhringen im Gerichtssprengel des Verwaltungsgerichts Freiburg. Für die Bestimmung des Verwaltungsgerichts Freiburg als zuständiges Gericht spricht zudem, dass - sollte eine Familienzusammenführung nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO erfolgen und der Antragsteller zu 1 seinen Aufenthalt bei der Antragstellerin zu 2 in Vöhringen begründen - das Verwaltungsgericht Freiburg für alle weiteren asylrechtlichen Streitigkeiten gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO örtlich zuständig wäre. Damit wird zugleich dem Anliegen entsprochen, einzelne Verfahrensabschnitte nicht unterschiedlichen Gerichten zuzuweisen. Demgegenüber hat das Interesse der Antragsgegnerin an einer Konzentration der Rechtsschutzverfahren im Zusammenhang mit Überstellungsbegehren bei dem für den Behördensitz zuständigen Verwaltungsgericht zurückzutreten.