Urteil vom 01.07.2003 -
BVerwG 2 WD 51.02ECLI:DE:BVerwG:2003:010703U2WD51.02.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 01.07.2003 - 2 WD 51.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:010703U2WD51.02.0]
Urteil
BVerwG 2 WD 51.02
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 1. Juli 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberfeldapotheker Woelk,
Oberstleutnant Münch
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Söllner
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwältin Dr. Kaden, Berlin,
als Verteidigerin,
Justizangestellte Kairies
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- Auf die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts wird das Urteil der ... Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 27. August 2002 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.
- Der Soldat wird in den Dienstgrad eines Hauptmanns in der Besoldungsgruppe A 11 herabgesetzt.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Soldaten auferlegt.
Gründe
I
Der 54 Jahre alte Soldat absolvierte nach dem Erwerb der mittleren Reife zunächst eine Berufsausbildung als Landwirtschaftsgehilfe, die er im März 1969 mit der Gesellenprüfung abschloss.
Zum 2. Januar 1969 wurde er zur Ableistung des Grundwehrdienstes zur .../Panzergrena-dierbataillon ... nach G. einberufen und aufgrund seiner Bewerbung mit Urkunde vom 21. März 1969 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde mehrfach verlängert, zuletzt am 22. September 1972 auf sechs Jahre. Am 7. Oktober 1974 wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen.
Der Soldat wurde mit Wirkung vom 1. April 1971 zum Leutnant, mit Wirkung vom 1. Dezember 1973 zum Oberleutnant, am 26. Oktober 1976 zum Hauptmann und schließlich am 30. Januar 1989 zum Major befördert.
Nach Verwendungen im Panzerjägerbataillon ..., als Adjutant im Wehrbereichskommando ... in H. sowie als Panzerjägerstabsoffizier und Kompaniechef der Panzerjägerkompanie ... in D. wurde der Soldat als S 1-Stabsoffizier beim Stab der Panzerbrigade ... in N. eingesetzt. Im Anschluss daran wurde er unter vorangehender Kommandierung zur Freiwilligen Annahmestelle Ost - später umbenannt in Zentrum für Nachwuchsgewinnung Ost - nach B. versetzt und dort seit dem 1. Juli 1994 als Wehrdienstberater-Stabsoffizier und Dezernatsleiter verwendet. Aufgrund der Vorwürfe, die Gegenstand dieses gerichtlichen Disziplinarverfahrens sind, wurde er zum 1. April 2000 von dort zum Stab Panzerbrigade ... nach N. als Stabsoffizier zbV (Familienbetreuung) versetzt.
Der Soldat wurde nach seiner am 30. Januar 1989 erfolgten Ernennung zum Major am 25. Juli 1989, 2. August 1991, 14. Juli 1995, 31. Juli 1997 und am 22. Juli 1999 beurteilt.
In der Beurteilung vom 31. Juli 1997 vergab sein damaliger Disziplinarvorgesetzter in der gebundenen Beschreibung zweimal die Wertung „1”, und zwölfmal die Wertung „2”. In der freien Beschreibung wurde ihm für „Verantwortungsbewusstsein”, „Fähigkeit zur Menschenführung”, „Fähigkeit zur Einsatzführung/Betriebsführung” und „Kameradschaft” viermal der Ausprägungsgrad „B” zuerkannt. Unter „Verantwortungsbewusstsein” wird über den Soldaten ausgeführt, er habe im Beurteilungszeitraum als Dezernatsleiter Wehrdienstberatung für den Wehrbereich ... großes Engagement gezeigt und sich sehr erfolgreich in den Aufgabenbereich Nachwuchsgewinnung eingebracht. Mit großem Zeit- und Wegeaufwand suche er den Kontakt zur Truppe, zu den Bereichen der Verwaltung und den Wehrdienstberatern in den Kreiswehrersatzämtern. Er widme sich seinen Aufgaben mit sehr großem Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein, stehe für sein Handeln voll ein und übernehme jederzeit Verantwortung.
In der planmäßigen Beurteilung vom 22. Juli 1999 bewertete der (neue) Dienststellenleiter, der Zeuge Oberst S., die Leistungen des Soldaten im Beurteilungszeitraum einmal („Fachwissen”) mit der Stufe „6”, elfmal mit der Stufe „5” und viermal mit der Stufe „4”. Die „Eignung und Befähigung” wurde dreimal („Verantwortungsbewusstsein”, „Geistige Befähigung”, „Eignung zur Menschführung/Teambefähigung”) mit „c” und einmal („Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung”) mit „d” bewertet. Unter „Verantwortungsbewusstsein” wird ausgeführt:
„Major ... ist ein vom Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein getragener WDBerStOffz, der sowohl die Anforderungen seines Aufgabenbereiches verinnerlicht als auch in seiner Tätigkeit die entsprechenden Vorgaben weitergibt. Sein Handeln ist auftragsorientiert; dafür steht er jederzeit ein. Er hat sich seit 1998 unaufgefordert für den Einsatz im Rahmen der OSZE/UN-Militärbeobachter ausbilden lassen und entsprechend engagiert.”
Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen” wird ausgeführt:
„Major ... beweist Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein im Dienstbetrieb auch bei der Führung der unterstellten Soldaten. Er führt kooperativ, greift aber auch mit gebotenen Mitteln durch, um den gemeinsamen Erfolg mit sinnvollen Vorgaben herbeizuführen. Er ist psychisch wie physisch hoch belastbar, ist sportlich gut veranlagt und gleichermaßen gut trainiert. Aufgrund seiner vielfältigen Interessen zeichnen ihn besondere fachliche Kompetenz und ein hoher Wissensstand aus. In logischer Folge zur jetzigen Verwendung wäre aufgrund seiner abgeschlossenen Ausbildungsteilabschnitte die Funktion eines PresseStOffz vorzusehen. ...”
Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Truppendienstgericht Nord am 27. August 2002 hat der Zeuge Oberst S. als früherer Disziplinarvorgesetzter bekundet, der Soldat sei ein guter „Öffentlichkeitsarbeiter” gewesen, der es allerdings mit Zahlen „nicht so gehabt hat”. Im Vergleich zu den anderen Stabsoffizieren habe er im Mittelfeld gelegen. Er habe ein fundiertes Fachwissen besessen und gut mit der Presse umgehen können. Was die Kernaufgaben angehe, könne er nichts Negatives über den Soldaten sagen. Der Soldat sei kein „Überflieger, aber ein guter Stabsoffizier”. Zu einer Beförderung zum Oberstleutnant sei es wegen mangelnder Punktzahl in den Beurteilungen nicht gekommen.
Der gegenwärtige Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, der Zeuge Oberst K., hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Truppendienstgericht ausgeführt, er habe den Soldaten seit November 2001 als fürsorglich kennen gelernt, der sich aller an ihn herangetragenen Probleme angenommen habe. Der Soldat sei ein Mann, den er schätze und dem er in einer herausragenden Position sein Vertrauen schenken würde. Eine Beförderung zum Oberstleutnant sei dem Soldaten zunächst wegen des laufenden Verfahrens verwehrt worden. Er, der Zeuge, werde ihn bei einer Beurteilung für eine A 14-Stelle vorschlagen. Von den gegen den Soldaten erhobenen Vorwürfen habe er erst im Januar 2002 erfahren und intensiv mit ihm über die Hintergründe gesprochen. Offenbar sei dem Soldaten die familiäre Belastungssituation über den Kopf gewachsen und habe wahrscheinlich zu einer Blockade geführt. Der Soldat genieße jedoch nach wie vor sein volles Vertrauen.
In der Sonderbeurteilung vom 1. November 2002 hatte der Zeuge Oberst K. die dienstlichen Leistungen des Soldaten im Beurteilungszeitraum sechsmal („Einsatzbereitschaft”, „Eigenständigkeit”, „Zusammenarbeit”, „Praktisches Können”, „Organisatorisches Können”, „Fürsorgeverhalten”) mit der Stufe „6”, achtmal mit der Stufe „5” sowie zweimal („Ausbildungsgestaltung” und „Beurteilungsverhalten”) nicht bewertet. Ergänzend wird zu den beurteilten Einzelmerkmalen ausgeführt:
„Die Maj ... zur Last gelegten Dienstvergehen und Wehrstraftaten ereigneten sich in der Verwendung als Wehrdienstberatungsstabsoffizier und Dezernatsleiter im Zentrum Nachwuchsgewinnung OST im Zeitraum ca. Januar bis Dezember 1999. Nach Bekanntwerden und Ermittlung erfolgte ab 01.04.2000 die Führung auf StOffz-DP zbV PzBrig ... ..., nachdem Maj ... vom DP abgelöst wurde. Das disziplinargerichtliche Verfahren wurde eingeleitet am 19.07.2000. Eine entsprechende Anschuldigungsschrift wurde erst nach 22 Monaten im Monat Mai 2002 erstellt, sodass die abschließende Verhandlung erst am 27.08.2002 durchgeführt werden konnte. Die besondere Belastung wurde verstärkt durch die Tatsache, dass das Urteil mit Berufungsschrift vom 28.10.2002 erneut den ‚Schwebezustand’ der Ungewissheit über die weitere berufliche Existenz des Offz wieder herstellte. Das Verfahren dauert nunmehr - der Abschluss ist heute nicht absehbar - fast 3 Jahre. Die besonderen Belastungen haben somit weiterhin Bestand.”
Die „Eignung und Befähigung” des Soldaten wurde einmal („Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung”) mit der Wertung „E”, zweimal („Verantwortungsbewusstsein” sowie „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung”) mit der Wertung „D” und einmal („Geistige Befähigung”) mit der Wertung „C” beurteilt. Unter Verantwortungsbewusstsein wird ausgeführt:
„Losgelöst vom schwebenden o.a. Verfahren zeigt sich Major ... in der Erfüllung seiner Aufträge in hohem Maße pflicht- und verantwortungsbewusst, steht zu seinen Entscheidungen als Stabsoffizier, vertritt und verantwortet diese auch. Mein Vertrauen in diesen Offizier ist auch begründet durch das täglich deutlich sichtbare Verantwortungsbewusstsein dieses Mannes. Die Folgerungen, die andere aus seinem Fehlverhalten in der Vergangenheit, bezogen auf sein Verantwortungsbewusstsein ziehen, kann ich auf der Grundlage eines Menschenbildes, geprägt durch die Grundsätze der Inneren Führung, nicht nachvollziehen. Sie werden dem täglichen Verhalten des Offiziers im normalen Dienstbetrieb eines Brigadestabes auch nicht gerecht. Die Einschätzung des Verantwortungsbewusstseins von Major ... führt mich dazu, dass ich bereit wäre, den Offizier sogar auf Vertrauenspositionen in meiner unmittelbaren Zuarbeit, so als S 1-StOffz, voll zu akzeptieren.”
Für „Stabsverwendungen” hielt er ihn für „besonders geeignet”, für „Fachverwendungen” sowie „Verwendungen mit besonderer Außenwirkung” für „gut geeignet”; die Eignung des Soldaten für „Führungsverwendungen in der Truppe”, „Allgemeine Führungsverwendungen” sowie „Lehrverwendungen” beurteilte er jeweils mit „geeignet”.
Der nächsthöhere Dienstvorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu und führte ergänzend aus, er trage die Verwendungshinweise jedoch nur unter dem Vorbehalt mit, dass das Gericht die Berufung zurückweise. Als Einleitungsbehörde strebe er mit dem Berufungsverfahren eine Dienstgradherabsetzung an. Die Förderungswürdigkeit des Soldaten bewertete er mit „B”.
Das Zentralregister enthält keine Eintragungen. Im Disziplinarbuch ist eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung aus dem Jahr 1975 eingetragen.
Der Soldat ist seit Juli 1973 verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder im Alter von jetzt 25 und 22 Jahren hervorgegangen, die sich beide im Studium befinden. Seine Ehefrau ist als Lehrerin vollzeitbeschäftigt.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Soldaten sind geordnet. Ausweislich der Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 31. Oktober 2002 befindet sich der Soldat in der 12. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 13. Seine monatlichen Dienstbezüge be-tragen brutto ca. 4.044 €, netto ca. 3.279 € zuzüglich 308 € Kindergeld. Seine Ehefrau erhält monatlich Nettobezüge in Höhe von ca. 2.100 €. Seine beiden Kinder unterstützt er mit monatlich je 550 €. Für Miete muss er monatlich ca. 760 € und für seine Lebensversicherung 280 € aufbringen. Seine beiden Eigentumswohnungen im Rheinland sind jeweils mit einer Restschuld von ca. 50.000 € belastet.
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