Urteil vom 10.11.2022 -
BVerwG 4 A 17.20ECLI:DE:BVerwG:2022:101122U4A17.20.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 10.11.2022 - 4 A 17.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:101122U4A17.20.0]
Urteil
BVerwG 4 A 17.20
In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Dr. Decker, Dr. Hammer und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
am 10. November 2022 für Recht erkannt:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Gründe
I
1 Der Kläger wendet sich gegen einen Planfeststellungsbeschluss für eine Höchstspannungsfreileitung.
2 Der Beschluss der Bezirksregierung Münster vom 30. September 2020 stellt den Plan für die Errichtung und den Betrieb einer 380-kV-Höchstspannungsleitung im Abschnitt Pkt. Asbeck - Pkt. Haddorfer See durch die beigeladene Übertragungsnetzbetreiberin fest. Die Trasse ist rund 33,5 km lang; auf ihr sollen 87 Masten neu errichtet werden. Das Vorhaben ist ein Abschnitt des ca. 150 km langen Vorhabens Wesel - Pkt. Meppen (Bauleitnummer <Bl.> 4201). Dabei handelt es sich um den südlichen Teil des 181 km langen Gesamtvorhabens Dörpen/West - Niederrhein, das in Nr. 5 der Anlage zum Energieleitungsausbaugesetz - EnLAG - und darin zugleich als ein Pilotvorhaben für die Erdkabeltechnologie aufgeführt ist.
3 Die planfestgestellte Freileitung mit zwei 380-kV-Stromkreisen verläuft zunächst von Mast 115 bis Mast 170 in nördlicher, dann nordöstlicher Richtung und nutzt dabei auf einer Strecke von über 26 km Länge im Wesentlichen den Trassenraum der zurückzubauenden und überwiegend bereits zurückgebauten 220-kV-Höchstspannungsfreileitung Wesel/Niederrhein - Ibbenbüren (Bl. 2304). Ab Mast 170 (Pkt. Wettringen) verlässt die Leitung den vorhandenen Trassenraum in nördlicher Richtung, von Mast 175 bis Mast 202 (Pkt. Haddorfer See) wird sie - abgesehen von einer Verschwenkung von Mast 189 bis Mast 194 - parallel mit der 380-kV-Freileitung Hanekenfähr - Gersteinwerk (Bl. 4307; belegt mit zwei 380-kV-Stromkreisen und je einem 220-kV- und 110-kV-Stromkreis) zunächst nach Nordwesten und später nach Norden geführt.
4 Der Kläger bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Gemeinde Wettringen im Norden des Planfeststellungsabschnitts. Er baut Sonderkulturen wie Spargel und Erdbeeren an, die er direkt ab Hof an Endverbraucher und über den Handel vermarktet. Mehrere in seinem Eigentum stehende Grundstücke werden im Bereich von Mast 191 bis Mast 196 von der Leitung überspannt sowie für Schutzstreifen und für die Errichtung von Masten in Anspruch genommen. Über seine Grundstücke verlaufen außerdem die 380-kV-Höchstspannungsfreileitung Bl. 4307, eine Mittelspannungsfreileitung und drei unterirdische Hochdruck-Gasleitungen; auch stehen dort bereits mehrere Masten. Im Bereich der Masten ... und ... soll die geplante Leitung zwischen seiner Hofstelle und der Bestandsleitung Bl. 4307 geführt werden. Die Leitung verläuft in einer Entfernung von 182 m zum Wohngebäude. Der Mast ... ist etwa 200 m entfernt.
5 Der Kläger wendet sich gegen die Trassenführung im Bereich seiner Grundstücke. Er rügt Beeinträchtigungen seines Eigentums und seiner betrieblichen Belange durch eine übermäßige Belastung aufgrund weiterer Überspannungen und Maststandorte. Im betreffenden Abschnitt sei eine gemeinsame Führung ("Einspurigkeit") der Trassen Bl. 4201 und Bl. 4307 mit allen auf diesen geführten Stromkreisen auf den neu zu errichtenden Masten der Bl. 4307 möglich und zur Schonung seiner Belange auch geboten.
6
Der Kläger beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Münster vom 30. September 2020 für die Errichtung und den Betrieb der 380-kV-Höchstspannungsleitung Wesel - Pkt. Meppen (Bauleitnummer 4201) im Abschnitt Pkt. Asbeck - Pkt. Haddorfer See in der Gestalt der Planänderungsbescheide vom 25. April 2022 und vom 2. September 2022 sowie des Planergänzungsbeschlusses vom 11. Oktober 2022 aufzuheben, soweit er den Bereich von Mast 191 bis Mast 196 betrifft,
hilfsweise
festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Münster vom 30. September 2020 für die Errichtung und den Betrieb der 380-kV-Höchstspannungsleitung Wesel - Pkt. Meppen (Bauleitnummer 4201) im Abschnitt Pkt. Asbeck - Pkt. Haddorfer See in der Gestalt der Planänderungsbescheide vom 25. April 2022 und vom 2. September 2022 sowie des Planergänzungsbeschlusses vom 11. Oktober 2022 rechtswidrig und nicht vollziehbar ist, soweit er den Bereich von Mast 191 bis Mast 196 betrifft.
7
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Klage abzuweisen.
8 Sie verteidigen den Planfeststellungsbeschluss.
II
9 Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger ist durch die Inanspruchnahme von Grundflächen für Maststandorte und für Schutzstreifen enteignungsbetroffen, sodass ihm ein Anspruch auf gerichtliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses auf seine objektive Rechtmäßigkeit (sog. Vollüberprüfungsanspruch) zusteht, soweit der geltend gemachte Fehler für die Inanspruchnahme seiner Grundstücke kausal ist (BVerwG, Urteile vom 12. August 2009 - 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 24, vom 26. Juni 2019 - 4 A 5.18 - Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 10 Rn. 12 und vom 3. November 2020 - 9 A 12.19 - BVerwGE 170, 33 Rn. 25 ff., 34 ff.). Der Kläger trägt mit seiner Antragstellung dieser Einschränkung Rechnung; denn die Trassenführung im Bereich Metelen, die Gegenstand der Verfahren - BVerwG 4 A 15.20 - und - BVerwG 4 A 16.20 - ist, wirkt sich auf seine Betroffenheit nicht aus.
10 Der Kläger kann im beantragten Umfang weder die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung der im Laufe des Gerichtsverfahrens erlassenen Änderungs- und Ergänzungsbeschlüsse noch die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit verlangen. Denn der Planfeststellungsbeschluss verletzt - nach Maßgabe des durch den gemäß § 6 Satz 1 UmwRG fristgerechten Vortrag bestimmten Prozessstoffs (BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2022 - 4 A 13.20 - ZNER 2022, 639 Rn. 12) – den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
11 1. Der Kläger wendet sich allein gegen die Trassenführung im Bereich seiner Grundstücke, insbesondere bei seiner Hofstelle. Er ist der Auffassung, dass die Mitführung der vorhandenen Stromkreise der Bestandsleitung auf den in der Bestandstrasse neu zu errichtenden Masten ("Ersatzneubau der Bl. 4307") die vorzugswürdige räumlich-technische Alternative sei.
12 Die Abwägungsentscheidung zugunsten der planfestgestellten Parallelführung der beiden Höchstspannungsleitungen ist indessen nicht zu beanstanden. Das Vorbringen des Klägers führt nicht auf einen rechtserheblichen Fehler des Abwägungsvorgangs oder des Abwägungsergebnisses. Der Planfeststellungsbeschluss hat die abwägungserheblichen Belange zutreffend erfasst; die auf dieser Grundlage erfolgte Gesamtabwägung hat von Rechts wegen Bestand.
13 Nach § 43 Abs. 3 EnWG sind bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Das Abwägungsgebot verlangt, dass - erstens - eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass - zweitens - in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass - drittens - weder die Bedeutung der öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung ermächtigte Stelle in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2021 - 4 A 9.19 - UPR 2022, 98 Rn. 47 m. w. N.).
14 Bestehen keine rechtlich zwingenden Vorgaben, ist die Auswahl unter verschiedenen Trassenvarianten eine fachplanerische Abwägungsentscheidung. Die Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit unterliegt rechtlichen Bindungen. Die Wahl einer Trassenvariante ist rechtsfehlerhaft, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen. Darüber hinaus ist die Abwägungsentscheidung auch dann fehlerhaft, wenn der Planungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2021 - 4 A 9.19 - UPR 2022, 98 Rn. 48 m. w. N.). Gleiches gilt für die Auswahl unter technischen Varianten (siehe etwa BVerwG, Urteil vom 12. November 2020 - 4 A 13.18 - juris Rn. 128 ff.).
15 2. Der Kläger teilt die Auffassung des Planfeststellungsbeschlusses (S. 199), dass eine Mitführung der geplanten zwei 380-kV-Stromkreise auf den bestehenden Masten der Leitung Bl. 4307 (Variante 1) wegen technischer Undurchführbarkeit nicht in Betracht kommt, weil die Bestandsleitung aus statischen Gründen nicht um die dann erforderlichen zusätzlichen Traversen nachgerüstet werden kann. Auch soweit der Planfeststellungsbeschluss (S. 201 f.) unter Verweis auf technische und betriebliche Risiken die Variante 3 verwirft, bei der die Leitung Bl. 4201 die Leitung Bl. 4307 kreuzt, sodass die neue Leitung im Bereich des Hofs des Klägers auf der diesem abgewandten Ostseite der Bestandsleitung geführt wird, macht der Kläger Abwägungsmängel nicht geltend.
16 Das Führen aller sechs Stromkreise auf einem Gestänge ist nach der im Planfeststellungsbeschluss vertretenen und vom Kläger, gestützt durch ein Sachverständigengutachten, geteilten Auffassung technisch-konstruktiv auf hierfür nach Statik und Größe ausgelegten Masten mit dann vier Traversen möglich und wird nach Aussage des Beklagten in der mündlichen Verhandlung insbesondere in Ballungsräumen wegen der dort beengten Platzverhältnisse auch praktiziert.
17 a) Der Planfeststellungsbeschluss (S. 199 f.) sieht jedoch gravierende betriebliche Nachteile durch Risiken und Unwägbarkeiten bei nur einer Leitung. Bei Wartungen und Störungen könne es wegen der räumlichen Nähe der Stromkreise nötig werden, auch die anderen Stromkreise freizuschalten und so den Stromfluss auf der ganzen Linie einzustellen. Bei Störungen seien infolge einer dann gegebenenfalls erfolgenden automatischen Freischaltung aller Leitungen kritische Netzsituationen zu befürchten. Dies sei deswegen zu vermeiden, weil die Leitungen Bl. 4201 und Bl. 4307 zu windstarken Zeiten mit dem Stromtransport von Nord nach Süd vergleichbaren Zwecken dienten.
18 Diese Feststellungen und Einschätzungen werden vom Vorbringen des Klägers nicht widerlegt. Es ist nachvollziehbar dargetan, dass durch die - vom Kläger nicht infrage gestellte - gebotene Freischaltung der anderen auf der betroffenen Mastseite geführten Leitungen bei Wartungsarbeiten bzw. Reparaturen an einem Stromkreis wegen der Unterbrechung des gesamten Stromflusses der verlässliche Betrieb des Stromnetzes erschwert wird. Dass bei Störfällen kritische Netzsituationen mit höherer Wahrscheinlichkeit entstehen können als bei einer getrennten Leitungsführung, ist ebenfalls plausibel.
19 Wenn der Gutachter des Klägers hiergegen auf der Grundlage verschiedener Übersichten über die Häufigkeit von Störungen in Stromnetzen einwendet, dass im betreffenden Abschnitt bei Führung von sechs Stromkreisen auf einem Gestänge eine Störung statistisch nur alle 21 Jahre auftrete, bei den bestehenden vier Stromkreisen alle 32 Jahre, mag dahinstehen, ob das so zutrifft. Denn ein Bestreben nach Minimierung der betrieblichen Risiken durch die getrennte Führung der Stromkreise wird dadurch nicht infrage gestellt. Dass auch solche seltenen, nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit auftretenden Ereignisse nicht zuletzt aufgrund des mit ihnen verbundenen Schadenspotenzials ohne weiteres Anlass für eine hieran ausgerichtete Optimierung sein können, belegen etwa Hochwasserschutzmaßnahmen, die sich an großzügigen zeitlichen Horizonten - etwa einem 50-jährlichen oder einem 100-jährlichen Hochwasser (HQ 50 oder HQ 100) – orientieren können (vgl. etwa § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WHG).
20 Schließlich beruht die Wertung des Planfeststellungsbeschlusses, dass die mit einer gemeinsamen Leitungsführung verbundenen betrieblichen Risiken zu vermeiden seien, nicht deswegen auf einer unzutreffenden Sachverhaltsannahme, weil er ausführt, die Leitungen dienten mit dem Stromtransport von Nord nach Süd vergleichbaren Zwecken, was - so die Konsequenz - die Auswirkungen einer Unterbrechung des Stromflusses umso gravierender erscheinen lässt. Der Verweis des Sachverständigengutachtens auf die bei der Errichtung der Leitung Bl. 4307 verfolgte Zwecksetzung einer Stabilisierung der Stromversorgung im Münsterland belegt nicht die Unrichtigkeit der Aussage im Planfeststellungsbeschluss. Denn diese bezieht sich (nur) auf die Konstellation, dass zu den windstarken Zeiten überschüssige Windenergie aus Norddeutschland zu Lastschwerpunkten im Ruhrgebiet und weiter südlich transportiert wird. Diese Aufgabe ist der Leitung Bl. 4307 erst nach ihrer Errichtung im Jahre 1968 im Laufe der Zeit durch den Ausbau der Windenergie zugewachsen. Das Anliegen, gerade wegen dieser Aufgabe die Störanfälligkeit zu minimieren, durfte der Planfeststellungsbeschluss in seine Abwägung einstellen.
21 b) Die Erwägung im Planfeststellungsbeschluss (S. 200), wonach der Rückbau einer noch funktionstüchtigen Bestandsleitung wirtschaftlich nachteilig und mit einem Verstoß gegen das Gebot einer preisgünstigen Stromversorgung (§ 1 Abs. 1 EnWG) verbunden sei, wird durch den Verweis in dem vom Kläger vorgelegten Gutachten auf die betriebswirtschaftlichen Abschreibungsfristen nicht erschüttert. Das Gleiche gilt für den Hinweis auf die Festsetzung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer einer "Freileitung 110 - 380 kV" auf 40 bis 50 Jahre nach Ziff. III.1.1 der Anlage 1 zu § 6 Abs. 5 Satz 1 der Verordnung über die Entgelte für den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen vom 25. Juli 2005 (BGBl. I S. 2225), der sich ebenfalls auf kalkulatorische Abschreibungen bezieht. Diese für die Unternehmensbilanz bedeutsame Betrachtung ändert nichts daran, dass die 1968 errichtete Leitung Bl. 4307 das Ende ihrer Lebensdauer noch lange nicht erreicht hat, und deren Rückbau wirtschaftlich folglich nicht angezeigt ist. Die tatsächliche Nutzungsdauer einer Höchstspannungsfreileitung wird allgemein mit durchschnittlich 80 Jahren veranschlagt, und davon geht auch hier der Beklagte aus. Dies wird im vorliegenden Planfeststellungsabschnitt durch den Blick auf die Leitung Bl. 2304 bestätigt, die 1928 errichtet und etwa 2015 außer Betrieb genommen wurde. Darüber hinaus hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen, dass die Masten der Bl. 4307 teilweise - wenn auch nicht im Bereich des Anwesens des Klägers - erhöht und die Leiterseile jedenfalls in Abschnitten im Interesse der Anpassung an höhere Betriebstemperaturen ausgetauscht wurden (siehe zum dort 2009 realisierten Pilot-Einsatz von Hochtemperaturleitern <ACCR-Leiter> Deutsche Energie-Agentur GmbH <dena>, Technologieübersicht. Das deutsche Höchstspannungsnetz: Technologien und Rahmenbedingungen, Stand Juli 2014, S. 44; 3M, Hintergrundinformation zum Netzausbau, Stand 22. November 2011, S. 2, verfügbar auf www.ien-dach.de/uploads/tx_etim/Page_12_3M_27973.pdf). Auch diese auf jeweils längere Zeiträume bezogenen Investitionen sprechen gegen die Annahme des Klägers, die Bl. 4307 müsse in absehbarer Zeit ohnehin ersetzt werden, wobei die doppelten Bauarbeiten zu Lasten der Stromverbraucher gingen. Im Rahmen der wirtschaftlichen Erwägungen ist schließlich auch zu beachten, dass nicht nur der Rückbau als solcher kostenträchtig ist, sondern die Errichtung einer Leitung, die alle Stromkreise auf ihr Gestänge nehmen kann, wegen einer dann erforderlichen anderen Dimensionierung der Masten die Kosten der planfestgestellten Leitung übersteigt.
22 c) Die mit mehr als 100 m deutlich größere Höhe von Masten mit vier Traversen und deren massivere Bauweise beeinträchtigt nach Auffassung der Planfeststellungsbehörde das Landschaftsbild in höherem Ausmaß. Diese wegen der Sichtbarkeit in einem größeren Umkreis ohne weiteres nachvollziehbare Wertung, die sich in der Berechnung des Ersatzgeldes nach § 15 BNatSchG in Abhängigkeit von der Masthöhe widerspiegelt (PFB S. 36, 288 f.; siehe Planunterlagen, Planänderung 7, Nr. 3, DB7 Ersatzgeldberechnung, S. 2, Tab. 1; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 49), wird durch das Vorbringen des Klägers nicht infrage gestellt, wenn er von einer "moderate[n, ...] praktisch zu vernachlässigen[den]" Erhöhung spricht. Ausweislich der Masttabelle (Planunterlage Nr. 4.1, S. 4) erreichen die planfestgestellten Masten ... und ... eine Höhe von 67,5 m bzw. 71,5 m. Von einer geringfügigen Erhöhung kann bei einem Größenunterschied von über 30 m nicht die Rede sein. Dass die Masten der Bestandsleitung Bl. 4307 ihrerseits vergleichbar hoch sind, ist nicht dargetan. Die dem Gutachten beigefügten Fotografien zeigen - soweit ersichtlich - einen Mast von üblicher Höhe mit drei Traversen, d. h. etwa 50 bis 70 m. Diese Größenordnung wird des Weiteren durch die Feststellung belegt, dass bei einer Leitungskreuzung die Überspannung der Bestandsleitung Bl. 4307 Masten von 100 m Höhe erforderte (PFB S. 202).
23 d) Schließlich gebieten die rechtlichen Vorgaben zum Klimaschutz entgegen der Auffassung des Klägers keine abweichende Bewertung der Zulässigkeit einer "(Doppel-)Struktur" durch Bestandsleitung und Neubauleitung.
24 Der Beklagte hat im Planergänzungsbeschluss vom 11. Oktober 2022 die planerische Abwägung des Planfeststellungsbeschlusses mit Blick auf § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG und § 6 Klimaanpassungsgesetz Nordrhein-Westfalen - KlAnG - vom 8. Juli 2021 (GV. NRW. S. 910) in verfahrensrechtlich zulässiger Weise um Erwägungen zu den Belangen des Klimaschutzes ergänzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2022 - 9 A 7.21 - NVwZ 2022, 1549 Rn. 73). Der Planergänzungsbeschluss geht davon aus, dass das unter Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 EnLAG aufgeführte Vorhaben als Bestandteil des in Übereinstimmung mit dem Klimaschutzprogramm 2030 stehenden Netzentwicklungsplans dem Erreichen der Klimaschutzziele der Bundesregierung nicht entgegenstehe. Gegen diese auf die Bewertung von Anlage und Betrieb des Gesamtvorhabens bezogene Einschätzung bringt der Kläger nichts vor. Er wendet sich allein gegen eine vermeintliche Ressourcenverschwendung durch mehrere zeitlich versetzte Baumaßnahmen und durch die umfangreichere Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen. Insoweit entnimmt der Planergänzungsbeschluss dem § 49 Abs. 1 EnWG, der die Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik bei der Planung und dem Bau von Energieanlagen vorschreibt, das allgemeine Erfordernis der Begrenzung von Energieleitungen auf das notwendige Maß; es fehle jedoch an konkreten Vorschriften zu den Anforderungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes. Der Kläger zeigt weder auf noch ist es sonst ersichtlich, dass es entgegen dieser Annahme verlässliche Vorgaben gibt, um eine unmittelbar auf die CO2-Emissionen von Anlage und Bautätigkeit bezogene saldierende Betrachtung von Trassenvarianten vornehmen zu können. Schon deswegen ist dem Berücksichtigungsgebot des § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2022 - 9 A 7.21 - NVwZ 2022, 1549 Rn. 76 ff.) jedenfalls dann Genüge getan, wenn die planfestgestellte Trasse nach Maßgabe einer umfassenden Abwägung angemessen und insoweit notwendig ist. Denn dabei sind - wie ausgeführt - auch wirtschaftliche Argumente zu beachten; in geringeren Kosten spiegelt sich - jedenfalls bei langlebigen Investitionsgütern - in aller Regel ein geringerer CO2-relevanter Ressourcen- und Energieverbrauch wider. Auch wird mit der Inanspruchnahme von landwirtschaftlich genutzten Flächen für Maststandorte keine Klimasenke beeinträchtigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2022 - 9 A 7.21 - NVwZ 2022, 1549 Rn. 83).
25 e) Ist die Ablehnung der Errichtung einer einzigen Höchstspannungsleitung für die auf den Leitungen Bl. 4201 und Bl. 4307 geführten Stromkreise als technische Alternative nicht zu beanstanden, kommt es auf die Trassenführung für eine solche Leitung nicht mehr an. Es kann deswegen dahinstehen, ob der Bau in einer Bestandstrasse, der den vorherigen Abbau der Bestandsleitung voraussetzt, ohne weiteres unter Hinweis darauf abgelehnt werden kann, dass die bestehende Leitung im Interesse einer gesicherten Stromversorgung erforderlich sei und nicht für einen längeren Zeitraum unterbrochen werden könne (vgl. PFB S. 200 f.), oder ob insoweit die Möglichkeit eines Provisoriums erwogen werden muss.
26 3. Die vom Kläger geltend gemachten Belange hat die Planfeststellungsbehörde in ihre Erwägungen eingestellt.
27 a) Eine höhere Belastung durch elektrische und magnetische Felder infolge der neuen, näher an die Wohnbebauung heranrückenden Leitung hat der Planfeststellungsbeschluss zur Kenntnis genommen. Er hat dabei auch nicht verkannt, dass insoweit Belastungen auch unterhalb der Grenzwerte abwägungsbeachtlich sind, wobei der Belang umso gewichtiger wird, je näher die Belastung an die Grenzwerte heranreicht, und sein Gewicht umso geringer ist, je weiter sie hinter dieser Schwelle zurückbleibt (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 39 und vom 14. Juni 2017 - 4 A 11.16 - BVerwGE 159, 121 Rn. 53). Am hier maßgeblichen Referenzpunkt des Annäherungsabschnitts 16 - dem der Leitung nächstgelegenen Wohngebäude 16.2 - weist das elektrische Feld eine Stärke von 0,08 kV/m und die magnetische Flussdichte einen Wert von 2,20 µT auf (PFB S. 236 Fn. 202). Angesichts der maßgeblichen Grenzwerte der 26. BImSchV (5 kV/m bzw. 100 µT) ist diese Belastung so gering, dass sie nicht als erheblich angesehen werden musste und der Planfeststellungsbeschluss die verglichenen Varianten insoweit als gleichrangig ansehen durfte.
28 b) Die Belastung des Wohnumfelds wegen der Unterschreitung eines Abstands von 200 m von der Leitungstrasse zu Wohngebäuden im Außenbereich hat der Planfeststellungsbeschluss (S. 235) ebenfalls erkannt. Insoweit billigt er der Abstandsregel nach Ziel Ziff. 8.2-4 Abs. 1 Spiegelstrich 2 des Landesentwicklungsplans Nordrhein-Westfalen - LEP NRW - (GV. NRW. 2017 S. 122) indizielle Bedeutung für die Qualität des Wohnumfelds zu, auch wenn diese Regel im Rahmen der landesplanerischen Bewertung keine Anwendung findet, weil es wegen der Bündelung der Trassen an einem Trassenneubau im Sinne des Grundsatzes Ziff. 8.2-1 LEP NRW fehle (PFB S. 249 f.). Er hat festgestellt, dass bei dem Wohngebäude 16.1 dieser Abstand zu einer Freileitung mit 182 m erstmals (knapp) unterschritten wird, während bei den Wohngebäuden 16.2, 16.3 und 16.4 der bereits durch die Bestandsleitung Bl. 4307 nicht eingehaltene Abstand sich weiter verringert, und zwar bei dem der Leitung nächstgelegenen Wohngebäude 16.2 auf eine Entfernung von nur noch 95 m, bei den beiden anderen Wohngebäuden auf 109 m bzw. 127 m. Der weiterhin bestehende Abstand sei aber nicht zuletzt wegen der teilweisen Sichtverschattung durch Bäume und andere Gebäude zumutbar. Diese Bewertung ist insbesondere angesichts der Vorbelastung der Grundstücke des Klägers nicht zu beanstanden.
29 c) Schließlich rügt der Kläger weitere betriebliche Beeinträchtigungen unter Verweis darauf, dass seine Grundstücke bereits durch die Bestandsleitung sowie Gashochdruckleitungen in Anspruch genommen werden.
30 Bewirtschaftungserschwernisse wegen der Überspannung durch die Leitungen und die darunter festgesetzten Schutzstreifen sind jedoch nicht ersichtlich. Von Höhenbeschränkungen sind insbesondere die die landwirtschaftliche Produktion des Hofs des Klägers kennzeichnenden Sonderkulturen (Spargel, Erdbeeren) nicht betroffen. Durch die auf dem Grundstück des Klägers Flurstück ..., Flur ... der Gemarkung Wettringen vorgesehenen Masten ... und ... wird er zwar belastet. Schäden durch die erforderlichen Baumaßnahmen sind nach dem Planfeststellungsbeschluss (S. 345) aber nicht zu besorgen. Eine Existenzgefährdung durch dauerhafte Bewirtschaftungserschwernisse und Ertragseinbußen behauptet der Kläger selbst nicht. Solche sind im Übrigen auch im Vorfeld dieser Schwelle in jedem Fall zu entschädigen (PFB S. 393, 372).
31 Schließlich rügt der Kläger nachteilige Folgen einer weiteren Leitung, die vor allem in optischer ("Mastenwald", "Umspannwerk"), akustischer und auch psychologischer Hinsicht ("Strahlenbelastung") die Attraktivität seines Hofs für die Abnehmer seiner selbst vermarkteten Produkte massiv herabsetze. Auch mit diesen - letztlich wenig greifbaren - Befürchtungen hat sich der Planfeststellungsbeschluss (S. 393 f.) auseinandergesetzt. Er verweist darauf, dass es dem Kläger ungeachtet der bereits bestehenden Rahmenbedingungen einer Nachbarschaft zu einer Höchstspannungsfreileitung gelungen sei, seinen Betrieb gerade mit der Ausrichtung auf die Selbstvermarktung wirtschaftlich weiter auszubauen. Wenn der Planfeststellungsbeschluss hieraus den Schluss zieht, es sei nicht ersichtlich, dass eine weitere Leitung daran etwas ändern werde, liegt darin eine vertretbare Wertung. Hierzu kann ergänzend und bestätigend noch darauf hingewiesen werden, dass die Produktionsweise der Sonderkulturen nicht dem Bild einer hergebrachten ("idyllischen") bäuerlichen Landwirtschaft entspricht: Die Spargel wachsen unter schwarzen Plastikfolien und die Erdbeeren werden in großen begehbaren Folientunneln auf Stellagen angebaut, sodass sie - wie auf der Homepage des Klägers besonders betont - nicht schmutzig werden und bequem im Stehen geerntet werden können. Eine Fotografie in dem vom Kläger vorgelegten Gutachten zeigt, dass schon diese Art des Anbaus landwirtschaftlicher Produkte eine gewisse industrielle Anmutung hat.
32 4. Gegen die abschließende Abwägung zugunsten der planfestgestellten Leitung ist angesichts der nicht zu beanstandenden Ermittlung und Bewertung der widerstreitenden Belange von Rechts wegen nichts zu erinnern.
33 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.