Verfahrensinformation

Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung wegen Tötung von Soldaten?


Das beklagte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten wenden sich gegen die Verpflichtung zur Anerkennung des Klägers als Flüchtling. Der Kläger ist russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Er reiste 2002 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag ebenso ab wie die Anerkennung als Flüchtling und die Zuerkennung von Abschiebungsverboten. Seine hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht (OVG) insoweit Erfolg, als das Bundesamt zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verpflichtet wurde. Das OVG hat den Kläger, der an der Entführung eines russischen Soldaten, der Freipressung seines Bruders aus russischer Haft und der Tötung zweier russischer Soldaten beteiligt war, als vorverfolgt angesehen. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation drohe ihm die Gefahr einer über rechtmäßige Bestrafung hinausgehenden asylerheblichen Verfolgung. Er sei wegen der Beteiligung an der Tötung der beiden russischen Soldaten auch nicht nach § 3 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen. Es handle sich nicht um ein Kriegsverbrechen im Sinne dieser Vorschrift, weil sich die Tat nicht gegen Zivilpersonen gerichtet habe. Auch lägen die Voraussetzungen einer „schweren nichtpolitischen Straftat“ nicht vor. Die Revision beanstandet vor allem die Auslegung und Anwendung dieser Ausschlussgründe durch das OVG.


Pressemitteilung Nr. 8/2010 vom 16.02.2010

Kein Flüchtlingsschutz bei Kriegsverbrechen an Soldaten

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute die Voraussetzungen weiter präzisiert, unter denen Asylbewerbern wegen des Verdachts der Beteiligung an Kriegsverbrechen oder schweren nichtpolitischen Straftaten die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz versagt werden kann. Der Entscheidung zufolge kann ein Kriegsverbrechen auch dann vorliegen, wenn sich die Tat im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gegen Soldaten und nicht gegen Zivilpersonen richtet. Dabei kann auch die Tat einer Zivilperson ein Kriegsverbrechen darstellen, wenn diese im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt steht.


Der Kläger ist ein 31-jähriger russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Er reiste im Jahr 2002 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag ab. Seine hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz insoweit Erfolg, als das Bundesamt zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verpflichtet wurde. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg hat die Entscheidung bestätigt. Dem Kläger droht nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine menschenrechtswidrige Behandlung, weil er dann von den staatlichen Sicherheitskräften mit Mitgliedern der Rebellenorganisation in Verbindung gebracht werde. Nach seinen vom Oberverwaltungsgericht als glaubhaft angesehenen Angaben war der Kläger nämlich im Jahr 2002 an der Tötung von zwei russischen Soldaten auf einem Markt und der Entführung eines russischen Offiziers ebenso maßgeblich beteiligt wie an der Freipressung seines Bruders aus russischer Haft mit Hilfe tschetschenischer Widerstandskämpfer im Austausch gegen den Offizier. Die Flüchtlingsanerkennung sei auch nicht gemäß § 3 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) ausgeschlossen. Die Beteiligung des Klägers an der Tötung der Soldaten stelle kein die Anerkennung ausschließendes Kriegsverbrechen dar, weil sich seine Tat gegen Soldaten und nicht gegen die Zivilbevölkerung gerichtet habe.


Auf die Revisionen des Bundesamtes und des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Flüchtlingsanerkennung unter anderem ausgeschlossen ist, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme einer Beteiligung an Kriegsverbrechen rechtfertigen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG). Ein Kriegsverbrechen, das die Flüchtlingsanerkennung ausschließt, ist nicht auf Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung beschränkt. Es kann sich nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das für diesen Ausschlussgrund heranzuziehen ist, auch gegen Soldaten richten. Dies gilt etwa im Fall der meuchlerischen Tötung gegnerischer Kombattanten. Außerdem spricht einiges dafür, dass der Kläger eine die Flüchtlingseigenschaft ebenfalls ausschließende schwere nichtpolitische Straftat begangen hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG). Denn nach seinen eigenen Angaben hat er sich nicht am Konflikt beteiligen, sondern ausschließlich seinen Bruder befreien wollen. Da hinreichende Feststellungen fehlen, ob die Voraussetzungen für die gesetzlichen Ausschlusstatbestände vorliegen, hat das Bundesverwaltungsgericht die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.


Fußnote:

§ 3 Abs. 2 AsylVfG lautet:


Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er


1. ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,


2. vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder


3. den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.


Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.


BVerwG 10 C 7.09 - Urteil vom 16.02.2010


Beschluss vom 13.05.2009 -
BVerwG 10 B 10.09ECLI:DE:BVerwG:2009:130509B10B10.09.0

Beschluss

BVerwG 10 B 10.09

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 01.12.2008 - AZ: OVG 2 L 26/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Mai 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 1. Dezember 2008 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerden der Beklagten und des Beteiligten sind zulässig und begründet.

2 Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Der Fall kann dem Senat Gelegenheit zur weiteren rechtsgrundsätzlichen Klärung der Auslegung der Ausschlussgründe von der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG geben.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 10 C 7.09 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.

Urteil vom 16.02.2010 -
BVerwG 10 C 7.09ECLI:DE:BVerwG:2010:160210U10C7.09.0

Leitsätze:

1. Eine Zivilperson kann Täter eines Kriegsverbrechens im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG i.V.m. Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut sein. Es muss aber ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Tat und dem bewaffneten Konflikt bestehen. Nicht erforderlich ist eine Verbindung zwischen dem Täter und einer der Konfliktparteien.

2. In einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt können Kriegsverbrechen nicht nur gegenüber der Zivilbevölkerung, sondern auch gegenüber Kämpfern der gegnerischen Partei begangen werden.

3. Voraussetzung für das Kriegsverbrechen der meuchlerischen Tötung eines Kombattanten nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX IStGH-Statut ist, dass der Täter den Gegner über das Bestehen einer völkerrechtlichen Schutzlage getäuscht hat.

4. Für die Frage, ob eine schwere Straftat nichtpolitischen Charakter im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG hat, kommt es maßgeblich auf die tatsächliche Motivation des Täters an.

  • Rechtsquellen
    AsylVfG § 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 2
    AufenthG § 60 Abs. 1 Satz 1
    GFK Art. 1 F
    IStGH-Statut Art. 8, Art. 9, Art. 25, Art. 30, Art. 31
    VwGO § 108 Abs. 1 Satz 1, § 137 Abs. 2, § 144 Abs. 3 Satz 1
    Nr. 2
    Richtlinie 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4, Art. 12 Abs. 2
    Genfer Konventionen
    vom 12. August 1949 Art. 3
    Zusatzprotokoll I
    vom 8. Juni 1977 Art. 37, 44
    Zusatzprotokoll II
    vom 8. Juni 1977 Art. 13

  • OVG Magdeburg - 28.11.2008 - AZ: OVG 2 L 26/06 -
    OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 01.12.2008 - AZ: OVG 2 L 26/06

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:160210U10C7.09.0]

Urteil

BVerwG 10 C 7.09

  • OVG Magdeburg - 28.11.2008 - AZ: OVG 2 L 26/06 -
  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 01.12.2008 - AZ: OVG 2 L 26/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, Richter,
Prof. Dr. Kraft und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 28. November 2008 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein aus Tschetschenien stammender russischer Staatsangehöriger, erstrebt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2 Der im September 1978 geborene Kläger reiste nach eigenen Angaben mit seinem Bruder im Jahr 2002 auf dem Landweg nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (damals: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) - Bundesamt - am 4. November 2002 gab er an, er habe im Mai 2002 gemeinsam mit einem Freund in Tschetschenien zwei Personen erschossen und einen russischen Offizier festgenommen, um seinen bei einer Säuberungsaktion festgenommenen Bruder durch einen Austausch frei zu bekommen. Er sei zur Rettung seines Bruders zum Mörder geworden. Danach seien der Kläger, der freigepresste Bruder und der Freund geflohen und mit Hilfe eines Schleppers nach Deutschland gebracht worden. Er werde nun überall in Russland gesucht.

3 Mit Bescheid vom 25. April 2003 lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung in die Russische Föderation an. Zur Begründung führte es unter anderem aus, der Kläger habe das von ihm vorgetragene Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht.

4 Mit Urteil vom 15. Juni 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hinsichtlich einer Abschiebung in die Russische Föderation festzustellen und den Bescheid des Bundesamtes aufgehoben, soweit er dem Verpflichtungsausspruch entgegensteht. Hinsichtlich des Asylbegehrens wies es die Klage ab. Gegen das Urteil hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten - Bundesbeauftragter - Berufung eingelegt.

5 In der öffentlichen Sitzung vor dem Oberverwaltungsgericht am 28. November 2008 hat der Kläger persönlich den Vorgang der Tötung von zwei russischen Soldaten und das anschließende Freipressen des Bruders im Einzelnen geschildert (Sitzungsprotokoll S. 2 ff. - Prozessakte Bl. 91 ff.). Danach sei sein einziger Bruder im Frühjahr 2002 von den Russen bei einer Säuberungsaktion festgenommen worden. Er habe einen tschetschenischen Milizionär gefragt, der für die Russen gearbeitet habe, wie er seinen Bruder befreien könne. Der Milizionär habe gesagt, die effektivste Methode sei, einen russischen Offizier zu „fangen“ und auszutauschen. Er, der Kläger, habe sich dann bei Widerstandskämpfern erkundigt, wie man so etwas bewerkstelligen könne. Ein Widerstandskämpfer und er hätten sich dann auf Märkten nach den Möglichkeiten umgesehen, einen Offizier zu „fangen“. Auf einem Markt in W. habe sich dann eine Gelegenheit geboten. Der Widerstandskämpfer und er hätten zu dem Zeitpunkt eine Waffe des Typs AKM-45 getragen, das sei eine moderne Form der Kalaschnikow. Diese Waffe könne man ganz leicht unter der Jacke verstecken. Auf dem Markt habe man mit versteckten Waffen herumlaufen können. Es sei ein russisches Militärfahrzeug gekommen, aus dem drei Russen ausgestiegen seien, ein Offizier und zwei Soldaten. Sie hätten auf dem Markt einkaufen wollen. Die Soldaten hätten dem Kläger und seinem Begleiter den Rücken zugewandt, als der Begleiter aus einer Entfernung von ca. 5 bis 6 Metern das Feuer eröffnete. Nach dem Widerstandskämpfer habe auch er, der Kläger, geschossen und einen der Soldaten getroffen. Die russischen Soldaten hätten das Feuer erwidert. Sie, der Kläger und sein Begleiter, hätten nicht gewusst, ob die Russen tot seien oder nur verletzt. Er habe keine Tötungsabsicht gehabt, aber die russischen Soldaten außer Gefecht setzen müssen, um seinen Bruder zu befreien. Der russische Offizier habe auch eine Waffe dabei gehabt, sie aber nicht gezogen. Vielmehr sei er wie erstarrt gewesen und habe kaum Widerstand geleistet. Er, der Kläger, und der ihn begleitende Widerstandskämpfer hätten den Offizier dann in den Wald gefahren und ihn dort den Widerstandskämpfern übergeben. Im Juni 2002 habe der Austausch des Offiziers gegen seinen Bruder stattgefunden. Er, der Kläger, sei zu der Stelle mit etwa 10 Widerstandskämpfern und dem russischen Offizier gefahren. Der Austausch sei von den Russen gefilmt worden. Nach der Aktion hätten er und sein Bruder sich versteckt, denn es sei ihnen klar gewesen, dass die Russen nach ihnen suchen würden.

6 Das Oberverwaltungsgericht hat durch Urteil vom 28. November 2008 die Berufung des Bundesbeauftragten zurückgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger habe die Russische Föderation vorverfolgt verlassen. Ihm habe zum Zeitpunkt seiner Ausreise (Straf-)Verfolgung wegen der Tötung von zwei russischen Soldaten, der Entführung eines russischen Offiziers und der Freipressung seines Bruders aus russischer Haft mit Hilfe tschetschenischer Widerstandskämpfer während des zweiten Tschetschenienkrieges gedroht (UA S. 11). Diese Strafverfolgung habe - jedenfalls auch - politischen Charakter gehabt. Sein Verhalten habe sich aus Sicht der russischen Sicherheitskräfte als Engagement für die tschetschenisch-separatistische Sache dargestellt. Es lägen auch keine stichhaltigen Gründe vor, die eine Verfolgung im Falle seiner heutigen Rückkehr nach Tschetschenien ausschlössen. Zwar habe sich die Situation in Tschetschenien mittlerweile verbessert. Der Kläger gehöre aber zu einer besonders gefährdeten Personengruppe, weil er von Seiten der Sicherheitskräfte mit Mitgliedern der Rebellenorganisation in Zusammenhang gebracht werde. Bei dieser Personengruppe bleibe es bei der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Vermutungsregel, dass sie bei Rückkehr mit verfolgungsrelevanten Maßnahmen zu rechnen hätte. Dem Kläger stehe auch im übrigen Gebiet der Russischen Föderation keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Vielmehr könne erwartet werden, dass er aufgrund der Beteiligung an der Aktion zur Befreiung seines Bruders und der deshalb bestehenden landesweiten Fahndung auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation Verfolgungsmaßnahmen der Staatsgewalt ausgesetzt wäre.

7 Das Berufungsgericht lehnt einen Ausschluss des Klägers von der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2 AsylVfG ab. Seine Beteiligung an der Tötung der Soldaten stelle kein die Anerkennung ausschließenden Kriegsverbrechen dar, weil sich die Tat gegen Soldaten und nicht gegen die Zivilbevölkerung gerichtet habe. Auch der Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat gemäß Satz 1 Nr. 2 der Vorschrift liege nicht vor. Mit „klassischen terroristischen Akten“ wie Bombenattentaten gegenüber Zivilpersonen, aber auch staatlichen Hoheitsträgern, insbesondere wenn hierdurch Unbeteiligte einbezogen würden, sowie Geiselnahmen mit Flugzeugentführungen sei die Tötung der beiden russischen Soldaten, an denen der Kläger beteiligt war, nicht vergleichbar (UA S. 29).

8 Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen rügen das Bundesamt und der Bundesbeauftragte die fehlerhafte Handhabung der Ausschlussgründe. Das Bundesamt wendet sich gegen die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, Kriegsverbrechen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG könnten nur gegenüber Zivilpersonen begangen werden. Es bezieht sich auf Art. 8 des Römischen Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof, wonach nicht nur Angriffe auf die Zivilbevölkerung ein Kriegsverbrechen darstellen können, sondern auch bestimmte Maßnahmen, die sich gegen Kombattanten richten. Hierzu zähle die Anwendung verbotener Methoden der Kriegsführung, z.B. in Gestalt der Heimtücke. Auch der Ausschlusstatbestand der schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG sei nicht auf Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung beschränkt. Die Schwere der Tat liege hier auf der Hand. Da der Grund für das Handeln des Klägers die Befreiung seines Bruders gewesen sei, habe er die Taten aus persönlichen Gründen durchgeführt. Mithin handele es sich um „nichtpolitische Straftaten“.

9 Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Zwar finde sich in Art. 8 des Römischen Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof eine umfassende Definition des Begriffs „Kriegsverbrechen“. Die dort aufgezählten kriminellen Handlungen träfen jedoch auf den Kläger nicht zu. Insbesondere komme hier keine vorsätzliche Tötung in Betracht, weil der Kläger eine vorsätzliche Tatbegehung glaubhaft bestreite. Das Verhalten des Klägers erfülle auch nicht den Tatbestand einer schweren nichtpolitischen Straftat. Er habe mit seiner Tat keine politischen oder gar terroristischen Zwecke verfolgt, sich auch nicht mit den Zielen der tschetschenischen Widerstandskämpfer identifiziert. Sein Handeln habe vielmehr Einzelfallcharakter gehabt und ausschließlich dem Zweck gedient, seinen Bruder aus der russischen Gefangenschaft zu befreien. Schließlich setze der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung voraus, dass von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehe, was nicht der Fall sei. Aber selbst wenn hier vom Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes für die Flüchtlingseigenschaft auszugehen sei, stünde dem Kläger ein Anspruch auf Asyl nach dem deutschen Verfassungsrecht zu.

10 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt. Nach dessen Auffassung hat der Kläger den Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG durch Begehung eines Kriegsverbrechens erfüllt. Das Kriegsverbrechen liege in einer meuchlerischen Tötung der zwei Soldaten und in der Geiselnahme des Offiziers.

II

11 Die Revisionen der Beklagten und des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten - Bundesbeauftragter - haben Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) bejaht. Zwar ist seine Würdigung, bei dem aus individuellen Gründen als vorverfolgt anzusehenden Kläger sprächen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass er bei Rückkehr nach Tschetschenien nicht erneut von solcher Verfolgung bedroht werde und auch keine Möglichkeit internen Schutzes in anderen Regionen der Russischen Föderation bestehe, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (1.). Das Berufungsgericht hat aber das Vorliegen der Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG (2.) und des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG (3.) mit einer Begründung verneint, die einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhält. Da der Senat über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend selbst entscheiden kann, ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12 Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise - für den Fall der Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft - auf Feststellung eines gemeinschaftsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 ff. AufenthG, weiter hilfsweise eines nationalen Abschiebungsverbots nach vorgenannten Vorschriften. Hingegen ist über die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG nicht mehr zu befinden, denn insoweit hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 15. Juni 2005 das Asylbegehren des Klägers rechtskräftig abgewiesen.

13 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Begehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162). Die in diesen Bekanntmachungen berücksichtigten Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz -, die am 28. August 2007 in Kraft getreten sind, hat das Oberverwaltungsgericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG zu Recht der am 28. November 2008 ergangenen Berufungsentscheidung zugrunde gelegt.

14 1. Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).

15 Die Begründung, auf die das Berufungsgericht seine Prognose einer dem Kläger drohenden Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG stützt, hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung stand.

16 a) Nach den von der Beklagten und dem Bundesbeauftragten nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, an die der Senat gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), drohte dem Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise Verfolgung wegen der Tötung von zwei russischen Soldaten, der Entführung eines russischen Offiziers und der Freipressung seines Bruders während des zweiten Tschetschenienkrieges.

17 Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die dem Kläger drohende Strafverfolgung über die Ahndung kriminellen Unrechts hinausgegangen wäre. Bei Strafprozessen gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus - vor allem Tschetschenen - seien in zahlreichen Fällen hohe Haftstrafen aufgrund von unter Folter erlangten Geständnissen verhängt worden. Dem Kläger habe unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung gedroht, weil er aufgrund der durchgeführten Aktion für die russischen Sicherheitskräfte im Verdacht gestanden habe, die politischen Ansichten des tschetschenischen Widerstands zu teilen und mit Waffengewalt zu unterstützen. Damit hat das Berufungsgericht den Tatbestand einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG festgestellt. Die Verfolgung ging dabei von russischen Sicherheitskräften und somit unmittelbar vom Staat aus (§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a AufenthG i.V.m. Art. 6 Buchst. a der Richtlinie).

18 b) § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG setzt des Weiteren voraus, dass die geschützten Rechtsgüter wegen der Rasse des Ausländers, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sind. Auch gemeinschaftsrechtlich ist eine Verfolgungshandlung für die Flüchtlingsanerkennung nur dann relevant, wenn sie an einen der in Art. 10 der Richtlinie 2004/83/EG genannten Verfolgungsgründe anknüpft (Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie). Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es aus, wenn diese Merkmale dem Antragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie).

19 Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts knüpfte die dem Kläger drohende individuelle Verfolgung an seine tschetschenische Volkszugehörigkeit in Verbindung mit der „mit Hilfe tschetschenischer Widerstandskämpfer“ durchgeführten „Freipressung seines Bruders aus russischer Haft“ an, was sich aus Sicht der russischen Sicherheitskräfte als Engagement für die tschetschenisch-separatistische Sache dargestellt habe. Darin liegt eine Kombination der Verfolgungsgründe der Nationalität und der - zumindest zugeschriebenen - politischen Überzeugung.

20 c) Die vom Berufungsgericht für den Kläger gestellte Verfolgungsprognose ist als in erster Linie tatrichterliche Würdigung revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

21 Dem Kläger, der bei Verlassen seines Herkunftslandes unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG zugute. Nach dieser Bestimmung ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.

22 Zur Überzeugung des Berufungsgerichts sprechen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass der Kläger bei Rückkehr nach Tschetschenien oder in andere Regionen der Russischen Föderation erneut von staatlicher Verfolgung durch die russischen Sicherheitskräfte bedroht wird. Dieser Prognose liegt die Annahme des Oberverwaltungsgerichts zugrunde, dass der Kläger auch weiterhin einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sei und nach ihm landesweit gefahndet werde. Gegen diese Prognose ist revisionsgerichtlich nichts zu erinnern.

23 d) Das Berufungsgericht hat ferner angenommen, dass dem Kläger keine Möglichkeit internen Schutzes in anderen Regionen der Russischen Föderation offen steht. Auch diese Würdigung begegnet keinen Bedenken.

24 2. Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG). Dies gilt auch für Ausländer, die andere zu derartigen Straftaten angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG).

25 Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht, weil es davon ausgeht, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG nur dann erfüllt sind, wenn sich eines der in der Vorschrift genannten Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung richtet. Dies trifft jedenfalls für ein hier allein in Betracht kommendes Kriegsverbrechen nicht zu. Der Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG kann auch dann erfüllt sein, wenn ein Soldat Opfer eines Kriegsverbrechens ist.

26 § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG verweist zur Definition der Tatbestandsmerkmale Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf „internationale Vertragswerke, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen“. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 31) ausgeführt hat, bestimmt sich die Frage, ob Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG vorliegen, gegenwärtig in erster Linie nach den im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (BGBl 2000 II S. 1394, nachfolgend: IStGH-Statut) ausgeformten Tatbeständen dieser Delikte. Denn darin manifestiert sich der aktuelle Stand der völkerstrafrechtlichen Entwicklung bei Verstößen gegen das Humanitäre Völkerrecht.

27 In Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut werden Kriegsverbrechen differenzierend zwischen Taten in internationalen (Buchst. a und b) und innerstaatlichen (Buchst. c bis f) bewaffneten Konflikten definiert. Für den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt knüpft Buchst. c an schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Konventionen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte vom 12. August 1949 an. Er stellt u.a. Angriffe auf Leib und Leben sowie die Geiselnahme von Personen unter Strafe, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Angehörigen der Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die durch Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder eine andere Ursache außer Gefecht befindlich sind. Die Vorschrift wertet danach auch Handlungen als Kriegsverbrechen, die gegen Soldaten gerichtet sind. Buchst. e erfasst andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. So erstreckt sich Buchst. e Nr. IX - XI auf den Schutz gegnerischer Kombattanten im Falle meuchlerischer Tötung oder Verwundung, der Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird sowie der körperlichen Verstümmelung von Personen, die sich in der Gewalt einer anderen Konfliktpartei befinden.

28 Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob die Voraussetzungen der in Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut geregelten Tatbestände erfüllt sind, bei denen sich ein Kriegsverbrechen auch gegen einen Soldaten richten kann. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen kann der Senat nicht abschließend selbst entscheiden, ob dem Kläger ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung zusteht. Deshalb ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei wird das Berufungsgericht folgende Gesichtspunkte zu beachten haben:

29 a) Im vorliegenden Fall liegt es nahe, von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen. Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut grenzen innerstaatliche bewaffnete Konflikte ab gegenüber Fällen innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen. Buchst. f setzt zudem voraus, dass zwischen staatlichen Behörden und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen ein lang anhaltender bewaffneter Konflikt besteht. Diese Regelungen markieren die untere völkerrechtliche Relevanzschwelle für einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Verlangt wird ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts, um den Eingriff in die Souveränität des betroffenen Staates zu rechtfertigen (vgl. Urteil vom 24. November 2009 a.a.O. Rn. 33 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat nicht ausdrücklich festgestellt, dass der zweite Tschetschenienkrieg die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erfüllt. Es spricht in dem angefochtenen Urteil von „Kriegsgeschehen“, allerdings ohne diesen Tatsachenbegriff unter die völkerrechtlichen Kriterien des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren. Die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts liegt aber, jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitraum, nahe und wurde von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat geteilt.

30 b) Der Umstand, dass der Kläger als Zivilperson anzusehen sein dürfte, schließt nicht aus, dass er Täter eines Kriegsverbrechens nach Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut sein kann. Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Kläger habe „im Rahmen des zweiten Tschetschenienkrieges an der Seite der Tschetschenen gegen die russische Besatzungsmacht gekämpft, indem er an der Entführung eines russischen Offiziers und der Freipressung seines Bruders aus russischer Haft maßgeblich beteiligt war“ (UA S. 9). Dies bedeutet bei verständiger Würdigung aber nur, dass der Kläger gemeinsam mit tschetschenischen Widerstandskämpfern die Aktion zur Freipressung seines Bruders durchgeführt hat. Hingegen ist den genannten Ausführungen des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen, dass damit - entgegen den Angaben des Klägers - seine Eigenschaft als Kämpfer festgestellt werden sollte. Dies würde im Übrigen seine Zugehörigkeit zum administrativen Apparat einer Konfliktpartei und die Wahrnehmung einer „continuous combat function“ für diese voraussetzen (vgl. International Committee of the Red Cross, Interpretive Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law, Genf 2009, S. 27, 33, 35 - http://www.icrc.org/Web/eng/siteeng0.nsf/htmlall/direct-participation-report_res/$File/direct-participation-guidance-2009-icrc.pdf <Stand: Februar 2010>). Dafür bestehen keine Anhaltspunkte.

31 Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut definiert nur, welche Handlungen Kriegsverbrechen darstellen und wer geeignetes Opfer sein kann, grenzt jedoch den Täterkreis selbst nicht ein. Nach der Rechtsprechung internationaler Strafgerichtshöfe und nach der völkerstrafrechtlichen Literatur kann grundsätzlich auch eine Zivilperson Täter eines Kriegsverbrechens sein, nicht nur ein Kämpfer der sich gegenüberstehenden Konfliktparteien. Es muss aber ein funktionaler Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt bestehen („sufficient nexus“ - vgl. Werle, Völkerstrafrecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 971 ff.; Ambos, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 6/2, 2009, vor §§ 8 ff. VStGB Rn. 37 sowie Zimmermann/Geiß, a.a.O. § 8 VStGB Rn. 111 ff.; Ruanda-Strafgerichtshof ICTR, Urteil vom 26. Mai 2003, Procecutor v. Rutaganda <Appeals Chamber>, ICTR-96-3-A, Rn. 569 f. - http://www.ictr.org/ENGLISH/cases/Rutaganda /decisions/030526%20XII.htm; Jugoslawien-Strafgerichtshof ICTY, Urteil vom 25. Juni 1999, Aleksovski <Trial Chamber>, Nr. IT-95-14/1-T, Rn. 45 - http://www.icty.org/x/cases/aleksovski/tjug/en/ale-tj990625e.pdf <Stand: Februar 2010>).

32 Der funktionale Zusammenhang erfordert eine Verbindung zwischen der Tat und dem bewaffneten Konflikt, nicht zwischen dem Täter und einer der Konfliktparteien. Eine Verbindung des Täters zu einer der Konfliktparteien ist zwar ein Indiz für den funktionalen Zusammenhang zwischen Tat und Konflikt, aber keine zwingende Voraussetzung. Das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts muss für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung sein (vgl. Werle, a.a.O. Rn. 972 m.w.N.). Für einen funktionalen Zusammenhang spricht es, wenn bestimmte Taten unter Ausnutzung der durch den bewaffneten Konflikt geschaffenen Situation begangen werden. Dies gilt aber nicht für Taten, die nur bei Gelegenheit des gleichzeitigen bewaffneten Konflikts und unabhängig von diesem begangen werden. Zu prüfen ist insoweit, ob die Tat in Friedenszeiten ebenso hätte begangen werden können oder ob die Situation des bewaffneten Konflikts die Tatbegehung erleichtert und die Opfersituation verschlechtert hat. Die persönliche Motivation des Täters ist unerheblich: Auch wer z.B. als Wachsoldat einen Kriegsgefangenen aus Eifersucht tötet, nutzt die besondere Situation des bewaffneten Konflikts aus und begeht deshalb ein Kriegsverbrechen (so Ambos, a.a.O. Rn. 35 m.w.N.; vgl. hierzu auch Zimmermann/Geiß, a.a.O. Rn. 111 - 118; Cottier, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, 2. Aufl. 2008, Art. 8, S. 293 Rn. 6).

33 Im vorliegenden Fall spricht nach dem eigenen Vorbringen des Klägers viel dafür, dass der notwendige Zusammenhang zwischen Tat und Konflikt vorliegt. Dem funktionalen Zusammenhang steht auch nicht entgegen, dass die Aktion abseits vom allgemeinen Kampfgeschehen auf einem Markt durchgeführt wurde. Denn die Aktion richtete sich bei Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gegen eine der Konfliktparteien. Sie wurde mit Hilfe der gegnerischen Konfliktpartei realisiert. Auslöser der Tat war die Gefangennahme des Bruders des Klägers durch die russischen Streitkräfte im Rahmen des bewaffneten Konflikts. Damit sprechen mehrere Gesichtspunkte dafür, dass hier ein hinreichender Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt vorliegt. Die persönliche Motivation des Klägers, seinen Bruder aus russischer Haft zu befreien, steht dem nicht entgegen, da die spezifische Gefährdungssituation des bewaffneten Konflikts die Tat erst ermöglicht hat. Die Beteiligung des Klägers an der Tötung der russischen Soldaten wäre danach grundsätzlich geeignet, ein Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut darzustellen. Die abschließende Gesamtwürdigung dieser Frage obliegt aber dem Tatrichter; sie wird vom Berufungsgericht vorzunehmen sein.

34 c) Die beiden getöteten russischen Soldaten und der gefangen genommene russische Offizier kommen als Opfer eines Kriegsverbrechens nach Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut in Betracht.

35 aa) Entgegen der vom Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht geäußerten Auffassung liegt allerdings die Annahme eines Kriegsverbrechens durch Geiselnahme des russischen Offiziers nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. c Nr. III IStGH-Statut eher fern. Danach kann die Geiselnahme von Zivilpersonen sowie solchen Angehörigen der Streitkräfte ein Kriegsverbrechen darstellen, die die Waffen gestreckt haben oder außer Gefecht befindlich sind. Legt man das Vorbringen des Klägers zugrunde, der im vorliegenden Verfahren bisher einzigen Quelle für den Ablauf der Gefangennahme des russischen Offiziers, so wurde dieser nicht zu einem Zeitpunkt als Geisel für die Freipressung des Bruders des Klägers genommen, als er sich ergeben und die Waffen gestreckt hatte. Vielmehr wurde der Angriff auf ihn mit dem Ziel seiner Geiselnahme bereits zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als er noch bewaffnet war und die beiden ihn begleitenden russischen Soldaten den Angriff mit Waffengewalt erwiderten. Eine Person streckt die Waffen nur dann, wenn sie aufhört zu kämpfen und die Absicht signalisiert, die Kampfhandlungen einzustellen, insbesondere durch Aufgabe der Kontrolle über ihre Waffen (vgl. Werle, a.a.O. Rn. 1006). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Offizier vor der Gefangennahme seine Waffe abgelegt oder ausdrücklich oder konkludent erklärt hat, sich zu ergeben. Aus dem Umstand, dass er nach den Angaben des Klägers „wie erstarrt“ war und „kaum Widerstand geleistet“ hat, dürfte dies jedenfalls nicht zu entnehmen sein. Vielmehr dürfte er zum Zeitpunkt seiner Geiselnahme noch Kombattant gewesen sein. Ebenso dürfte eine vorsätzliche Tötung der beiden Soldaten im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Buchst. c Nr. I IStGH-Statut fernliegen, da nicht ersichtlich ist, dass sie die Waffen gestreckt hatten bzw. außer Gefecht waren.

36 bb) Näherer Prüfung durch das Berufungsgericht bedarf der Tatbestand der meuchlerischen Tötung der beiden russischen Soldaten nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX IStGH-Statut.

37 Die meuchlerische Tötung und Verwundung feindlicher Kombattanten (sog. Perfidieverbot) wird seit der Verabschiedung von Art. 23 Buchst. b der Haager Landkriegsordnung von 1907 (RGBl 1910, 132) als Kriegsverbrechen angesehen (vgl. BTDrucks 14/8524, S. 34 f.). Während dieses Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt auch gegenüber Zivilpersonen begangen werden kann (vgl. Art. 8 Abs. 2 Buchst. b Nr. XI IStGH-Statut), sind taugliche Opfer im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt nur Kämpfer der gegnerischen Partei (Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX IStGH-Statut, vgl. auch Werle, a.a.O. Rn. 1184). Diese Voraussetzung liegt hier vor: Die beiden Personen, an deren Tötung der Kläger beteiligt war, waren russische Soldaten. Im Einzelfall sind verbotene Perfidie und erlaubte Kriegslist schwer voneinander abzugrenzen (vgl. Bothe, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 8. Abschn. Rn. 71; Cottier, a.a.O. S. 385 Rn. 117).

38 Zur näheren Bestimmung der Voraussetzungen der „meuchlerischen Tötung“ kann auf das Verbot der Heimtücke im internationalen bewaffneten Konflikt nach Art. 37 Abs. 1 des am 8. Juni 1977 unterzeichneten Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Zusatzprotokoll I - BGBl 1990 II S. 1551) zurückgegriffen werden, das auch für den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gilt. Diese Bestimmung lautet:
„Art. 37 Verbot der Heimtücke
(1) Es ist verboten, einen Gegner unter Anwendung von Heimtücke zu töten, zu verwunden oder gefangen zu nehmen. Als Heimtücke gelten Handlungen, durch die ein Gegner in der Absicht, sein Vertrauen zu missbrauchen, verleitet wird, darauf zu vertrauen, dass er nach den Regeln des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts Anspruch auf Schutz hat oder verpflichtet ist, Schutz zu gewähren. Folgende Handlungen sind Beispiele für Heimtücke:
a) das Vortäuschen der Absicht, unter einer Parlamentärflagge zu verhandeln oder sich zu ergeben;
b) das Vortäuschen von Kampfunfähigkeit infolge Verwundung oder Krankheit;
c) das Vortäuschen eines zivilen oder Nichtkombattantenstatus;
d) das Vortäuschen eines geschützten Status durch Benutzung von Abzeichen, Emblemen oder Uniformen der Vereinten Nationen oder neutraler oder anderer nicht am Konflikt beteiligter Staaten.“

39 Völkerrechtswidrig ist danach nicht jede Irreführung des Gegners, sondern nur die Ausnutzung eines durch spezifische - insbesondere in Art. 37 Abs. 1 Zusatzprotokoll I beschriebene - Handlungen geschaffenen Vertrauenstatbestandes (vgl. Werle, a.a.O. Rn. 1181). Entscheidend ist, dass der Täter den Gegner gerade über das Bestehen einer völkerrechtlichen Schutzlage getäuscht hat. Das gilt auch im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Denn nach den auf der Grundlage von Art. 9 des IStGH-Statuts beschlossenen Auslegungshilfen („Verbrechenselemente“) zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX (vgl. Internationaler Strafgerichtshof <IStGH>: Elements of Crimes - Erläuterung zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX - http://www.icc-cpi.int/NR/rdonlyres/9CAEE830-38CF-41D6-AB0B-68E5F9082543/0/Element_of_Crimes_English.pdf <Stand: Februar 2010>) gelten als Heimtücke im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt Handlungen, durch die ein Gegner in der Absicht, sein Vertrauen zu missbrauchen, verleitet wird, darauf zu vertrauen, dass er nach den Regeln des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts Anspruch auf Schutz hat oder verpflichtet ist, Schutz zu gewähren. Für die im vorliegenden Fall in Betracht kommende letztere Variante muss der Täter dem Opfer vorgetäuscht haben, dass es nach dem im Konflikt anwendbaren Völkerrecht verpflichtet sei, einen Schutzanspruch des Täters zu achten. Untersagt ist also nicht jede Irreführung des Gegners, sondern nur die Ausnutzung eines durch spezifische, völkerrechtswidrige Handlungen erschlichenen Vertrauens. Dieser kriegsvölkerrechtliche Heimtückebegriff ist daher nicht mit dem Merkmal der Heimtücke in § 211 Abs. 2 StGB gleichzusetzen (vgl. BTDrucks 14/8524, S. 34 f. zu § 11 Abs. 1 Nr. 7 Völkerstrafgesetzbuch).

40 Allerdings ist für den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zu berücksichtigen, dass es für Guerilla- bzw. Widerstandskämpfer keine völkerrechtliche Pflicht zum Tragen einer Uniform gibt. Mithin ist der Tatbestand des Vortäuschens eines zivilen oder Nichtkombattantenstatus nur unter besonderen Voraussetzungen erfüllt. Für Widerstandskämpfer im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt besteht jedoch die Pflicht zum offenen Tragen der Waffe als Unterscheidungsmerkmal zwischen Kämpfern und Zivilpersonen. Das lässt sich aus der Vorschrift des Art. 44 Abs. 3 Zusatzprotokoll I ableiten, wonach Kombattanten nicht gegen das Verbot perfiden Verhaltens verstoßen, wenn sie ihre Waffen bei jeder militärischen Handlung einschließlich der Vorbereitung von Angriffen offen tragen. Diese Wertung ist auch für die Anwendung des Perfidieverbots im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zu berücksichtigen (vgl. Werle, a.a.O. Rn. 1185).

41 Im vorliegenden Fall bedarf es der Ermittlung der näheren Tatumstände durch das Berufungsgericht zur Klärung der Frage, ob der Kläger heimtückisch im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX IStGH-Statut handelte. Dafür könnte sprechen, dass nicht nur der Kläger, sondern auch der ihn begleitende Widerstandskämpfer den Angriff auf die russischen Soldaten wohl in Zivilkleidung mit zunächst verborgenen Waffen vorbereitete. Insoweit fehlt es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen. Es kommt in Betracht, dass der Widerstandskämpfer gegen die Pflicht verstoßen hat, die Waffen offen zu tragen. Legt man ein mittäterschaftliches Vorgehen zugrunde, könnte dem Kläger ein heimtückisches Verhalten des Widerstandskämpfers zugerechnet werden (vgl. Art. 25 Abs. 3 Buchst. a IStGH-Statut). Es käme aber auch ein eigenes heimtückisches Vorgehen des Klägers in Betracht, wenn die Voraussetzung erfüllt wäre, dass er unmittelbar an den Feindseligkeiten teilgenommen (vgl. hierzu Art. 13 Abs. 3 Zusatzprotokoll II <BGBl 1990 II S. 1637>) und dies nicht durch offenes Tragen der Waffen oder auf andere Weise zu erkennen gegeben hätte. Dann hätte er selbst darüber getäuscht, dass er im betreffenden Zeitpunkt keinen Schutz genoss und daher gezielt hätte angegriffen werden dürfen (vgl. die Auslegungshilfe des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes <ICRC> vom Mai 2009 zum Begriff der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten: ICRC, Interpretive Guidance of the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law, Genf 2009 a.a.O. insbes. S. 85). Durch das verdeckte Tragen der Waffen könnten die russischen Soldaten darüber getäuscht worden sein, dass sie von dem Widerstandskämpfer und dem mit ihm zusammenwirkenden Kläger keinen Angriff zu erwarten hatten und sie deshalb die beiden Personen nicht angreifen durften. Dass die Soldaten dem Kläger und seinem Begleiter Vertrauen entgegen brachten, kann möglicherweise daraus abgeleitet werden, dass sie ihnen nach Angaben des Klägers den Rücken zuwandten, als sie von deren Schüssen getroffen wurden.

42 Weiter wird festzustellen sein, ob vorsätzliches und wissentliches Verhalten im Sinne von Art. 30 IStGH-Statut gegeben ist. Das liegt nach dem eigenen Vorbringen des Klägers insofern nahe, als er mit einer Schusswaffe, die er als „moderne Form der Kalaschnikow“ bezeichnet, gezielt auf die Soldaten aus einer Entfernung von 5 bis 6 Metern geschossen hat. Zudem hat er im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt die Frage bejaht, ob er zur Rettung seines Bruders „zum Mörder geworden“ sei, was gegen ein bloß fahrlässiges Handeln spricht.

43 Soweit der Kläger sich auf Strafausschließungsgründe beruft, sind diese am Maßstab von Art. 31 Abs. 1 IStGH-Statut zu prüfen. Dabei spricht nach den bisherigen Feststellungen wenig für das Vorliegen derartiger Gründe. Zwar verfolgte der Kläger nach eigenen Angaben das Ziel, seinen Bruder aus einer als unrechtmäßig angesehenen Inhaftierung zu befreien, in deren Verlauf er Übergriffe bis hin zu Folter befürchtete. Zweifelhaft erscheint aber, ob der Kläger im Sinne der genannten Vorschrift in angemessener Weise gehandelt und seinen Bruder vor einer diesem unmittelbar drohenden und rechtswidrigen Anwendung von Gewalt in einer Weise verteidigt hat, die in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der seinem Bruder drohenden Gefahr stand. Dies kann indessen aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend beurteilt werden.

44 3. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht auch deshalb, weil es den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG) auf zu schmaler Tatsachengrundlage verneint. Es qualifiziert die Tat des Klägers der Sache nach als politische, ohne das Vorliegen einer politischen Motivation auf hinreichender Tatsachengrundlage festzustellen.

45 Der Kläger ist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden. Dies gilt auch im Fall der Beteiligung an derartigen Straftaten (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Art. 1 F Buchst. b GFK, auf den dieser Ausschlussgrund zurückzuführen ist, dient - wie bereits im Urteil des Senats vom 24. November 2009 näher ausgeführt (BVerwG 10 C 24.08 a.a.O. Rn. 25-41) - dem Ausschluss „gemeiner Straftäter“. Diesen wollte man den Schutz der Konvention vorenthalten, um aus Akzeptanzgründen den Status eines „bona fide“ Flüchtlings nicht in Misskredit zu bringen. Daher rechtfertigt nicht jedes kriminelle Handeln des Schutzsuchenden vor seiner Einreise einen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung. Erforderlich ist vielmehr eine schwere nichtpolitische Straftat.

46 a) Es spricht nach den bisherigen Feststellungen viel dafür, dass der Kläger eine schwere Straftat im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG begangen hat.

47 Ob einer Straftat das von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG geforderte Gewicht zukommt, bestimmt sich nach internationalen und nicht nach nationalen Maßstäben (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Nr. 155). Es muss sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger an der Tötung von zwei russischen Soldaten und der Entführung eines Offiziers beteiligt war (UA S. 3, 29 und 27). Dies sind schwere Straftaten im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG, wenn der Täter dazu - wie hier - nicht durch einen Kombattantenstatus legitimiert ist. Etwas anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn der Kläger nicht vorsätzlich gehandelt hätte oder sich auf Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe berufen könnte, was nach den bisher getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 c) bb) aber eher fern liegt.

48 b) Ob die vom Kläger begangene Tat eine nichtpolitische war, ist nach dem Delikttypus sowie den der konkreten Tat zugrunde liegenden Motiven und den mit ihr verfolgten Zielen zu beurteilen. Nichtpolitisch ist eine Tat, wenn sie überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird (UNHCR a.a.O. Nr. 152). Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, überwiegen nichtpolitische Beweggründe und kennzeichnen die Tat damit insgesamt als nichtpolitisch (vgl. Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - a.a.O. Rn. 42).

49 Das Berufungsgericht stuft die vom Kläger begangenen Straftaten der Sache nach als politische ein, indem es sie im Zusammenhang mit politisch motivierten Gewalttaten erörtert, dann aber gegen „klassische terroristische Akte“ abgrenzt, weil sie mit solchen Verbrechen nicht vergleichbar seien. Die Bewertung als politische Straftaten erfolgt aber auf zu schmaler Tatsachengrundlage. Insbesondere berücksichtigt das Berufungsgericht nicht, dass der Beweggrund des Klägers für die Tötung der beiden Soldaten und die Geiselnahme des Offiziers - wie vom Berufungsgericht festgestellt (UA S. 11) - in der Befreiung seines Bruders aus der russischen Gefangenschaft lag. Nach eigenen Angaben des Klägers war dies sogar der ausschließliche Zweck seines Handelns. Er verfolgte insoweit ein persönliches und kein politisches Ziel. Für die politische Qualität der Straftat genügt nicht, dass sie sich aus der Sicht der russischen Sicherheitskräfte als Engagement des Klägers für die „tschetschenisch-separatistische Sache“ darstellte (UA S. 11). Vielmehr kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Motivation des Klägers an. Eine politische Motivation des Klägers kann wohl nicht aus den bereits erwähnten Ausführungen des Berufungsgerichts abgeleitet werden, der Kläger habe „im Rahmen des zweiten Tschetschenienkrieges an der Seite der Tschetschenen und gegen die russische Besatzungsmacht gekämpft, indem er an der Entführung eines russischen Offiziers und der Freipressung seines Bruders aus russischer Haft maßgeblich beteiligt war“ (UA S. 9). Dem ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger Widerstandskämpfer war und die Aktion den Zielen des tschetschenischen Widerstands dienen sollte (vgl. oben 2 b). Im Übrigen hat der Kläger angegeben, dass er nicht Mitglied der Widerstandskämpfer war. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Bevollmächtigte des Klägers zudem hervorgehoben, dass sich sein Mandant nicht mit den Zielen des tschetschenischen Widerstands identifiziert, sondern lediglich eine Einzelaktion mit deren Unterstützung durchgeführt habe. Die Bewertung, welche Motive für die Straftaten des Klägers letztlich maßgeblich waren und ob dabei persönliche oder politische Gründe im Vordergrund standen, ist jedoch eine tatrichterliche Aufgabe, die das Berufungsgericht nach Zurückverweisung der Sache unter Beachtung der Hinweise des Senats erneut vorzunehmen hat.

50 Das Berufungsgericht wird bei seiner Entscheidung auch zu berücksichtigen haben, dass die möglichen weiteren Voraussetzungen für das Eingreifen dieses Ausschlussgrundes (Wiederholungsgefahr, Verhältnismäßigkeitsprüfung), die sich aus Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG ergeben, aufgrund der Vorlageentscheidungen des Senats an den Gerichtshof der Europäischen Union derzeit als europarechtlich klärungsbedürftig anzusehen sind (vgl. Beschlüsse vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 ff. und vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 46.07 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- und Asylrecht Nr. 24). Sollte sich für seine erneute Entscheidung eine europarechtliche Zweifelsfrage in entscheidungserheblicher Weise stellen wird es prüfen müssen, ob es das Verfahren im Hinblick auf die bereits anhängigen Vorabentscheidungsverfahren aussetzt.

51 Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.