Beschluss vom 12.02.2010 -
BVerwG 8 B 96.09ECLI:DE:BVerwG:2010:120210B8B96.09.0

Beschluss

BVerwG 8 B 96.09

  • VG Chemnitz - 01.07.2009 - AZ: VG 1 K 1822/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Februar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund mündlicher Verhandlung vom 1. Juli 2009 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 238 977,83 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

3 Die Fragen,
ob die Einreichung einer von einem Computer automatisch gefertigten Übersichtsliste über eine Vielzahl einzelner (beabsichtigter oder erfolgter) Anmeldungen von vermögensrechtlichen Rückgewährungsansprüchen, welche nur aus Nachweisgründen gefertigt wurde, selbst einen Antrag gemäß § 30 Abs. 1 VermG bezüglich eines einzelnen konkreten Anspruchs darstellt
und
ob allein in der Übergabe einer ursprünglich aus Nachweisgründen automatisch erstellten Übersichtsliste einer Vielzahl von Anmeldungen vermögensrechtlicher Rückübertragungsansprüche die Anmeldung eines einzelnen Anspruchs selbst gesehen werden kann, auch wenn das darüber hinaus gefertigte konkrete Anmeldungsschreiben nicht vorhanden ist,
lassen sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres beantworten. Danach ist zur Wahrung der Frist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG geboten, den geltend gemachten Anspruch durch Angaben zu Art, Umfang und Ort der Belegenheit des Vermögenswertes sowie durch eindeutige Bezeichnung der Person des Berechtigten zu individualisieren (Beschluss vom 10. März 1997 - BVerwG 7 B 39.97 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 3; Urteil vom 24. Juni 1999 - BVerwG 7 C 20.98 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 10). Dabei genügt es, dass im Restitutionsantrag der Vermögensgegenstand, auf den das Restitutionsbegehren abzielt, so genau bezeichnet ist, das zumindest im Wege der Auslegung ermittelt werden kann, was der Antragsteller beansprucht (Urteile vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 8.00 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 21 und vom 23. Oktober 2003 - BVerwG 7 C 62.02 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 30). Nach dem Gesetzeszweck soll bis zum Ablauf der Ausschlussfrist nicht nur Klarheit in Bezug auf den betroffenen Vermögenswert und die als Berechtigte benannte Person bestehen. Eine wirksame Anmeldung setzt auch voraus, dass die als Berechtigte in Betracht kommende Person ihren Willen bekundet hat, den Anspruch anzumelden (Urteil vom 24. Juni 1999 a.a.O. mit Hinweis auf das Urteil vom 28. August 1997 - BVerwG 7 C 64.96 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 5).

4 Nach dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt, der den Senat mangels erhobener und durchgreifender Verfahrensrügen (§ 137 Abs. 2 VwGO) bindet, hat laut Auskunft der Stadt C. vom 24. Juli 2008 im gerichtlichen Verfahren ein Bediensteter der Firma Dr. K. am 7. November 1991 eine Liste im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen abgegeben, die von einem ehemaligen Mitarbeiter des Amtes übernommen worden ist. Diese Liste war bezeichnet mit „Restitutionsansprüche der ..., Stadtverwaltung C./1. Nachtrag“. Auf Seite 20 dieser Liste war unter dem Aktenzeichen ... die Eintragung „- O.straße 91/P. -“ enthalten. Die vom Verwaltungsgericht aus diesem Schriftstück gezogenen Schlussfolgerungen hinsichtlich der rechtzeitigen Anmeldung der Restitutionsansprüche der ... sind an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgerichtet. Aus der Überschrift der übergebenen Liste folgt zweifelsfrei, dass es sich um Ansprüche der ... handelt, die die Rückübertragung unter anderem des Grundstücks in der O.straße 91 begehrt, das ursprünglich im Eigentum von P. stand. Damit sind der Anmeldende und der Antragsgegenstand hinreichend konkretisiert. Was den Willen der anmeldenden ... anbelangt, hat Herr S. von der Firma Dr. K. nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts als Bote fungiert. Es wird auch von dem Kläger nicht in Frage gestellt, dass die am 7. November 1991 eingereichte Liste mit Willen der ... in den Empfangsbereich der Stadt C. gelangt ist. Dass es sich bei der eingereichten Liste um eine „von einem Computer automatisch gefertigte Übersichtsliste über eine Vielzahl (beabsichtigter oder erfolgter) Anmeldungen von vermögensrechtlichen Rückgewähransprüchen“ gehandelt hat, spielt keine entscheidungserhebliche Rolle; denn auch hinter einer von einem Computer gefertigten Übersichtsliste steht der Wille des Erstellers. Feststellungen dazu, dass die Liste nicht von der beigeladenen ... herrührt, hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen. Genauso wenig ist es entscheidungserheblich, ob diese Liste nur aus Nachweisgründen gefertigt wurde und der Stadt C. als sogenannte „Sammelbestätigung“ (siehe Protokoll vor dem Verwaltungsgericht am 1. Juli 2009) erteilt worden ist. Diese seitens der Beigeladenen der zuständigen Behörde erteilten „Sammelbestätigungen“ belegen gerade den Willen der ... zur Anmeldung und stellen selbst für den Fall, dass auf der Liste bisher nicht erfasste und angemeldete Vermögensgegenstände aufgeführt sind, eine rechtzeitige Anmeldung im Sinne des Gesetzes dar.

5 Die weiterhin gestellte Frage,
ob Zwangsversteigerungen in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG erfüllen und damit verfolgungsbedingt waren, wenn sie (auch) auf Antrag eines privaten Gläubigers wegen einer nichtverfolgungsbedingten Forderung eingeleitet wurden, das streitbefangene Objekt bereits vor dem 30. Januar 1933 überschuldet war und dem Eigentümer dennoch hinreichend Geldmittel zur Verfügung standen, die dinglich gesicherten Verbindlichkeiten zu erfüllen,
ist, was die Überschuldung anbelangt, nicht entscheidungserheblich und lässt sich bezüglich der Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens wegen einer nichtverfolgungsbedingten Forderung anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten.

6 § 1 Abs. 6 VermG gewährt einen vermögensrechtlichen Wiedergutmachungsanspruch Bürgern und Vereinigungen, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Zu den Vermögensverlusten auf andere Weise gehören auch Zwangsversteigerungen. Eine rassische Verfolgung des Eigentümers war nicht nur ursächlich für den Vermögensverlust in der Zwangsvollstreckung, wenn der verfolgende Staat selbst als Gläubiger am Zwangsversteigerungsverfahren beteiligt war. Die Verfolgung des Eigentümers kann auch auf andere Weise für seinen Rechtsverlust in einer Zwangsversteigerung ursächlich gewesen sein. Ein Eigentumsverlust während der nationalsozialistischen Zeit ist unter anderem dann verfolgungsbedingt gewesen, wenn der verfolgte Eigentümer nicht oder nicht wirklich in der Lage war, die Zwangsversteigerung durch freie und ungehinderte Ausübung von Rechten abzuwenden, die einem nichtverfolgten Eigentümer zur Verfügung gestanden hätten, der nicht das Opfer von Verfolgungsmaßnahmen war (Urteile vom 27. Juni 2002 - BVerwG 7 C 28.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 16 und vom 14. April 2005 - BVerwG 7 C 11.04 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 43; Beschluss vom 30. August 2007 - BVerwG 8 B 1.07 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 45).

7 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts war P. wegen seiner Verfolgteneigenschaft in der Wahrnehmung seiner Rechte als Schuldner im Vollstreckungsverfahren gehindert. Das Verwaltungsgericht folgert dies unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts daraus, dass der Schuldnerschutz nach § 5 der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung vom 26. Mai 1933 (RGBl I S. 302) auf der Grundlage der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 (RGBl I S. 1709) jüdischen Schuldnern aberkannt wurde. Der verfolgte Eigentümer war nicht in der Lage, die Zwangsversteigerung durch freie und ungehinderte Ausübung von Rechten abzuwenden, die einem nichtverfolgten Eigentümer zur Verfügung standen. Aufgrund von § 7 Abs. 3 der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 war die Möglichkeit des Schuldners, im Zwangsversteigerungsverfahren selbst ein Gebot zur Ersteigerung des Grundstücks abzugeben, verschlossen. Das Verwaltungsgericht hat eine Bestätigung dessen in der Anordnung des Amtsgerichts C. vom 30. März 1939 zur Zwangsversteigerung des Grundstücks am 15. Juni 1939 gesehen. Das Amtsgericht habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gebote der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde (§ 8 Abs. 4 der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938) und der Devisenstelle (§ 43 des Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung vom 12. Dezember 1938) bedurften und dass diese Genehmigungen bei der Abgabe des Gebotes vorgelegt werden mussten. Auch eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt war dem Schuldner aufgrund der Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27. September 1938 (RGBl I S. 1403) verwehrt gewesen.

8 Die Verfolgungslage war aber auch dann ursächlich für den Verlust des Vermögenswertes in der Zwangsversteigerung, wenn diese wegen einer Verbindlichkeit betrieben wurde, die ein Verfolgter wegen seiner Verfolgungssituation nicht mehr erfüllen konnte. Für die Frage einer Verfolgungsbedingtheit des Vermögensverlustes kommt es in diesem Fall nicht darauf an, ob das Zwangsversteigerungsverfahren von einem privaten Gläubiger betrieben wurde. Auch in diesem Fall ist die in § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG vorausgesetzte Verfolgung ursächlich für den Vermögensverlust (Beschluss vom 30. August 2007 a.a.O.). Hierzu hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass am 26. Januar 1938 - bereits vor der Einleitung der Zwangsversteigerung - eine Sicherungsanordnung gemäß § 37a des Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung vom 4. Februar 1935 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung vom 1. Dezember 1936 ergangen ist. Damit war dem Eigentümer praktisch die Verfügungsbefugnis entzogen. Der Einwand der Beschwerde, dem Eigentümer des Grundstücks hätten hinreichend Geldmittel zur Verfügung gestanden, die dinglich gesicherten Verbindlichkeiten zu erfüllen, ist unbeachtlich. Das Verwaltungsgericht hat nämlich keine Feststellungen dazu getroffen, dass es P. entgegen der damaligen Rechtslage noch möglich gewesen wäre, die Zwangsversteigerung durch Begleichen der Forderung des privaten Gläubigers abzuwenden.

9 Soweit die Beschwerde unter Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27. Juni 2002 - BVerwG 7 C 28.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 16) meint, die „Entrechtung der Juden“ sei 1938/1939 noch nicht derart fortgeschritten gewesen, blendet sie aus, dass das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung ebenso wie das Verwaltungsgericht in der vorliegenden Entscheidung auf den mangelnden Schuldnerschutz jüdischer Betroffener im Zwangsversteigerungsverfahren aufgrund der Rechtslage 1938 hingewiesen hat. Die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts, dass jedenfalls ab 1940 die Interessen von Juden grundsätzlich nicht als schutzwürdig anerkannt und die Rechte jüdischer Schuldner im Zwangsversteigerungsverfahren eingeschränkt worden sind, ist nicht dahingehend einzuschränken, dass vor diesem Zeitpunkt jüdischen Betroffenen Schuldnerschutz gewährt wurde. Sie steht im Zusammenhang mit dem Einzelfall.

10 Die Frage der Überschuldung des Grundstücks vor dem 30. Januar 1933 spielte für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine Rolle. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts stellte sich die Zwangsversteigerung bereits deshalb als Verfolgungsmaßnahme dar, weil der Schuldner als Jude weder rechtlich noch tatsächlich in der Lage war, die Zwangsversteigerung im Juni 1939 abzuwenden.

11 Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO.

12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.