Beschluss vom 07.10.2022 -
BVerwG 7 B 6.22ECLI:DE:BVerwG:2022:071022B7B6.22.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 07.10.2022 - 7 B 6.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:071022B7B6.22.0]
Beschluss
BVerwG 7 B 6.22
- VG Saarlouis - 28.11.2018 - AZ: 5 K 638/16
- OVG Saarlouis - 01.12.2021 - AZ: 1 A 314/19
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Oktober 2022
durch
den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und Dr. Günther
beschlossen:
- Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund mündlicher Verhandlung vom 1. Dezember 2021 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Kläger zu 1. und 2. wenden sich gegen das unterirdische Durchleiten von Niederschlagswasser und gegen die Durchleitung eines Gewässers 3. Ordnung durch die Beklagte im Rahmen einer Fremdwasserentflechtungsmaßnahme. Eine Einigung über die Inanspruchnahme der Grundstücke der Kläger zu Errichtung eines Einlaufbauwerks und der Verlegung eines Kanalrohres kam nicht zustande. Die Klage auf Unterlassung, Wasser auf ihren Grundstücken abzuleiten und die Grundstücke in Anspruch zu nehmen, sowie auf Untersagung der Einleitung von Wasser in ein Einlaufbauwerk, blieb ohne Erfolg. Auf die Berufung hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte zur Unterlassung und Untersagung verurteilt.
2 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.
II
3 Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
4 1. Die Revision ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
5 Grundsätzlich bedeutsam in diesem Sinne ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2022 - 7 B 9.21 - juris Rn. 5). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.
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a) Die Beklagte misst der Frage,
"Stellt die Änderung der Klageanträge im Verhandlungstermin am 26. März 2021 eine ohne Einwilligung der Berufungsbeklagten unzulässige Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO dar?",
grundsätzliche Bedeutung bei.
7 Damit ist aber keine Frage aufgeworfen, die im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Die gestellte Frage lässt sich nur für den Einzelfall durch Rechtsanwendung beantworten. Auch der Beschwerdebegründung lässt sich nichts anderes entnehmen. Die Beklagte weist lediglich darauf hin, § 91 Abs. 1 VwGO enthalte keine Regelung zur Frage der hier vorgenommenen Antragsänderung im Berufungsverfahren, die eine Antragserweiterung sei. Dieses pauschale und auf den Einzelfall bezogene Vorbringen vermag die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht aufzuzeigen.
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b) Auch der Frage,
"Stellt die unterirdische Durchleitung von Niederschlagswasser und eines Gewässers dritter Ordnung durch einen bestehenden Kanal eine Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB dar?",
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die gestellte Frage lässt sich nur für den Einzelfall durch Rechtsanwendung beantworten. Auch der Beschwerdebegründung ist zu einer grundsätzlichen Bedeutung nichts Substanzielles zu entnehmen.
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c) Die weitere Frage,
"Beurteilt sich die Frage der Duldungspflicht nach Inkrafttreten des geänderten Wasserhaushaltsgesetzes zum 1. März 2010 bei einer im Jahre 2013 durchgeführten Fremdwasserentflechtungsmaßnahme und damit auch die Frage der Verwirkung nach revisiblem Bundes- oder irrevisiblem Landesrecht?",
führt ebenfalls nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sich hinsichtlich der Duldungspflicht der Kläger aufgrund des Inkrafttretens des geänderten Wasserhaushaltsgesetzes zum 1. März 2010 rechtliche Konsequenzen ergeben hätten. Der Rechtsgedanke der Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben. Das Gebot, sich so zu verhalten, wie Treu und Glauben es verlangen, gehört zu den allgemeinen Grundsätzen sowohl des Verwaltungsrechts des Bundes als auch des Verwaltungsrechts der Länder (BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 2005 - 7 B 115.04 - juris Rn. 13). Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts hat unter den fallrelevanten Umständen aber kein Anlass bestanden, eine Verwirkung oder ein sonst treuwidriges Verhalten der Kläger ernstlich in Betracht zu ziehen (UA S. 25). Die Frage, ob die Verwirkung im Zusammenhang mit der Rechtsfrage dem Bundesrecht oder dem Landesrecht im Einzelfall zuzurechnen ist, ist daher nicht entscheidungserheblich. Eine Rechtsfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat, kann grundsätzlich - und auch hier - nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr, etwa BVerwG, Beschlüsse vom 6. Mai 2010 - 6 B 73.09 - Buchholz 448.0 § 29 WPflG Nr. 24 Rn. 4 und vom 30. Januar 2018 - 9 B 20.17 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 52 Rn. 9).
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d) Schließlich hat die Grundsatzrüge mit der Frage,
"Steht das Rechtsinstitut des wasserrechtlichen Zwangsrechts gemäß § 95 WHG der Anwendung der Vorschriften über die Anspruchsverjährung und des Grundsatzes der Verwirkung generell entgegen?",
keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat unbeanstandet angenommen, dass hinsichtlich der Unterlassungsansprüche eine Verjährungsfrist von 3 Jahren vor Klageerhebung nicht verstrichen gewesen sei (UA S. 22). Dann kommt es aber nicht darauf an, ob das Rechtsinstitut des wasserrechtlichen Zwangsrechts den Vorschriften über die Anspruchsverjährung entgegenstehen kann. Entsprechendes gilt für den Grundsatz der Verwirkung (s. o. unter 1. c).
11 2. Das Urteil beruht nicht auf einer Abweichung von einer Entscheidung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
12 Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten und deren Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 und vom 3. Januar 2022 - 7 B 6.21 - juris Rn. 17). Daran fehlt es hier.
13 Die Beschwerde hat keine im Hinblick auf dieselbe Rechtsvorschrift einander widersprechenden Rechtssätze bezeichnet. Die Beschwerde führt im Hinblick auf die Bestimmung der Gewässereigenschaft die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Maßstäbe an (u. a. Urteil vom 27. Januar 2011 - 7 C 3.10 -). Diese Grundsätze hat das Oberverwaltungsgericht seiner eigenen Entscheidung indes zugrunde gelegt (UA S. 37). Die Beschwerde macht daher auch nicht geltend, dass die Vorinstanz die rechtlichen Maßstäbe als solche in Abrede gestellt habe. Vielmehr bringt sie in Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen nach Art eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels zum Ausdruck, dass das Oberverwaltungsgericht aus den maßgeblichen Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts nicht die rechtlichen Folgerungen gezogen habe, die nach ihrer Einschätzung geboten gewesen wären. Die bloß unrichtige oder die unterlassene Anwendung vom Bundesverwaltungsgericht entwickelter Rechtsgrundsätze bedeutet für sich genommen indes noch keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2013 - 7 B 39.12 - juris Rn. 8).
14 3. Das angegriffene Urteil leidet nicht unter dem geltend gemachten Verfahrensmangel. Die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags hat nicht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verletzt.
15 Die Ablehnung eines förmlichen, in der mündlichen Verhandlung unbedingt gestellten Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO ist nur dann ein Gehörsverstoß, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. November 1978 - 1 BvR 158/78 - BVerfGE 50, 32 <35 f.>; Kammerbeschluss vom 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14 - NJW 2017, 3218 Rn. 47 f.; BVerwG, Beschluss vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 10). In prozessrechtlich zulässiger Weise abgelehnt werden kann ein solcher Beweisantrag insbesondere dann, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist (§ 86 Abs. 1 VwGO i. V. m. einer entsprechenden Anwendung von § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO), weil es nach dem Rechtsstandpunkt des Tatsachengerichts für den Ausgang des Rechtsstreits nicht darauf ankommt (BVerwG, Beschluss vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 10).
16 Dies zugrunde gelegt, liegt ein Gehörsverstoß nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat den Beweisantrag der Beklagten vielmehr zu Recht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO abgelehnt (GA Bl. 805). Denn nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung kam es auf die dem Beweisantrag zugrunde liegende Frage, ob durch die Fremdwasserentflechtung und die Errichtung eines Regenrückhaltebeckens im Hinblick auf die klägerischen Grundstücke eine Verschlechterung der Situation entstanden sei, nicht an, weil ein Unterlassungsanspruch wegen Eigentumsstörung zwar mehrere Ursachen haben könne, der Anspruch aber bereits dann gegeben sei, wenn - wie vorliegend - das Eigentum durch eine Störungsquelle beeinträchtigt werde. Die Eigentumsstörung liege hier in der unterirdischen Durchleitung eines Gewässers 3. Ordnung durch die Grundstücke der Kläger. Auf die von der Beschwerde angeführte Entscheidung des 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2004 (- 3 R 2/04 - und nachfolgend BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 2005 - 7 B 115.04 -), wonach die Herkunft des Abwassers von einer bestimmten Straße keine Eigentumsstörung sei, kam es somit nicht an.
17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.