Verfahrensinformation

Die Klägerin begehrt die Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr erteilten Aufnahmebescheid. Die Klägerin und ihr Sohn erhielten 1994 Aufnahmebescheide und reisten noch im gleichen Jahr in das Bundesgebiet ein. Der Sohn kehrte Anfang 1995 vor Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung aus persönlichen Gründen nach Kasachstan zurück. Im März 2012 beantragte die Klägerin die nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr erteilten Aufnahmebescheid. Diesen Antrag lehnte das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 10. April 2013 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine nachträgliche Einbeziehung nicht in Betracht komme, da der Sohn nicht im Aussiedlungsgebiet verblieben, sondern freiwillig dorthin zurückgekehrt sei. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung mit Urteil vom 16. September 2015 geändert und die Beklagte verpflichtet, den Sohn der Klägerin in den ihr erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Sohn der Klägerin sei i.S.d. § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG ein „im Aussiedlungsgebiet verbliebener Abkömmling“. Dem stehe nicht entgegen, dass er sich vorübergehend in Deutschland aufgehalten habe und freiwillig in das Aussiedlungsgebiet zurückgekehrt sei. Ein „Verbleiben im Aussiedlungsgebiet“ erfordere nicht notwendigerweise die Kontinuität des Aufenthalts. Es sei die Absicht des Gesetzgebers gewesen, die Familienzusammenführung in möglichst vielen Fällen zuzulassen und dauerhafte Trennungen der Familien zu vermeiden. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.


Verfahrensinformation

Die Klägerin begehrt die Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr erteilten Aufnahmebescheid. Der Sohn der Klägerin reiste Ende 2007 in das Bundesgebiet ein. Den ihm 1995 aus eigenem Recht erteilten Aufnahmebescheid nahm das Bundesverwaltungsamt nach der Einreise zurück. Einen Antrag der Klägerin auf Einbeziehung des Sohnes in den ihr erteilten Aufnahmebescheid lehnte das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 18. Februar 2008 ab. Die hiergegen erhobene Klage nahm die Klägerin zurück. Im März 2012 beantragte sie die (nachträgliche) Einbeziehung ihres Sohnes. Diesen Antrag lehnte das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 21. März 2012 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine nachträgliche Einbeziehung nicht in Betracht komme, da der Sohn in Deutschland lebe und nicht im Aussiedlungsgebiet verblieben sei. Während des Klageverfahrens kehrte der Sohn der Klägerin nach Kasachstan zurück, nachdem die Ausländerbehörde nicht mehr bereit war, seinen weiteren Aufenthalt zu dulden. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2012 lehnte das Bundesverwaltungsamt auch einen Antrag der Klägerin auf Wiederaufgreifen des mit Bescheid vom 18. Februar 2008 abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens ab. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung mit Urteil vom 16. September 2015 geändert und die Beklagte verpflichtet, den Sohn der Klägerin in den ihr erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen. Die Begründung entspricht im Wesentlichen derjenigen in den Verfahren BVerwG 1 C 19.15 und BVerwG 1 C 21.15. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.


Verfahrensinformation

Die Klägerin begehrt die nachträgliche Einbeziehung ihrer Enkelin in den ihr - der Klägerin - erteilten Aufnahmebescheid.


Die Klägerin reiste 1993 nach Deutschland ein und erhielt noch im gleichen Jahr eine Spätaussiedlerbescheinigung.


Im Juni 2011 beantragte sie die nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes, dessen Ehefrau und deren beider Kinder in den ihr erteilten Aufnahmebescheid. Diesen Antrag lehnte das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 13. November 2011 ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass eine nachträgliche Einbeziehung nicht in Betracht komme, da die einzubeziehenden Personen nicht seit der Ausreise der antragstellenden Person ununterbrochen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet gehabt hätten, sondern sich vom 20. September 1999 bis Anfang 2004 in Deutschland aufgehalten hätten. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage zurückgewiesen. Nachdem die Klägerin ihre Klage nur noch bezüglich ihrer Enkelin aufrecht erhalten und im Übrigen die Klage zurückgenommen hatte, hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 16. September 2015 das angefochtene Urteil geändert und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Bescheids des Bundesverwaltungsamts verpflichtet, die Enkelin der Klägerin in den dieser erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Enkelin sei ein Abkömmling einer Spätaussiedlerin i.S.d. § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG. Sie sei auch ein „im Aussiedlungsgebiet verbliebener Abkömmling“. Dem stehe nicht entgegen, dass sie sich von September 1999 bis Anfang 2004 in Deutschland aufgehalten habe. Das „Verbleiben im Aussiedlungsgebiet“ erfordere nicht notwendigerweise die Kontinuität des Aufenthalts, sondern stelle auf den Zeitpunkt des Trennens oder Verlassens ab. Es sei die Absicht des Gesetzgebers gewesen, die Familienzusammenführung in möglichst vielen Fällen zuzulassen und dauerhafte Trennungen der Familien zu vermeiden. Eine Familientrennung liege aber auch dann vor, wenn das einzubeziehende Familienmitglied sich zwar vorübergehend in Deutschland aufgehalten habe, aber ins Aussiedlungsgebiet zurückgekehrt sei. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.


Pressemitteilung Nr. 83/2016 vom 27.09.2016

Familienangehörige können nur bei kontinuierlichem Aufenthalt im Aussiedlungsgebiet nachträglich in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen werden

Ein Familienangehöriger kann nur dann nachträglich in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn er seinen Wohnsitz seit dessen Aussiedlung ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet hatte. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die 1936 geborene Klägerin und ihr 1971 geborener Sohn stammen aus Kasachstan. Sie reisten im November 1994 auf der Grundlage eines ihnen jeweils erteilten Aufnahmebescheides nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) nach Deutschland ein und beantragten im Dezember 1994 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Noch vor Ausstellung einer Bescheinigung kehrte der Sohn der Klägerin im Januar 1995 nach Kasachstan zurück zu seiner schwangeren Lebensgefährtin. Nachdem der Gesetzgeber die Rechtsgrundlagen für die Einbeziehung von Familienangehörigen erweitert hatte, beantragte die Klägerin im März 2012, ihren Sohn nachträglich in den ihr erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen. Das für Angelegenheiten der Spätaussiedler zuständige Bundesverwaltungsamt lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Sohn sei nicht im Aussiedlungsgebiet verblieben; vielmehr sei er nach erfolgter Aussiedlung dorthin zurückgekehrt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, den Sohn der Klägerin nachträglich in den ihr erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen, und auf die im Entscheidungszeitpunkt (wieder) bestehende Trennung abgestellt.


Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung liegen nicht vor, weil der Sohn der Klägerin nicht - wie von § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG verlangt - „im Aussiedlungsgebiet verblieben“ ist. Diese Voraussetzung legt bereits nach ihrem Wortlaut nahe, dass der Familienangehörige im gesamten Zeitraum von der Aussiedlung des Spätaussiedlers bis zur Entscheidung über die nachträgliche Einbeziehung im Aussiedlungsgebiet wohnhaft gewesen sein muss. Auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck der Norm ergeben sich jedenfalls keine positiven Anhaltspunkte dafür, dass (auf Dauer angelegte) Zwischenaufenthalte außerhalb des Aussiedlungsgebiets den Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung unberührt lassen. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Erleichterung der nachträglichen Einbeziehung von Familienangehörigen im Jahr 2013 eine Möglichkeit schaffen wollen, aussiedlungsbedingte Familientrennungen in möglichst vielen Fällen zu beseitigen. Dieses allgemeine Ziel hat er jedoch nur im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen und unter Beibehaltung der allgemeinen vertriebenenrechtlichen Systematik verwirklicht. Dazu gehört der kontinuierliche Aufenthalt des Familienangehörigen im Aussiedlungsgebiet.


Aus denselben Gründen hat das Bundesverwaltungsgericht den Revisionen des Bundesverwaltungsamts in zwei vergleichbaren Verfahren stattgegeben.


BVerwG 1 C 19.15 - Urteil vom 27. September 2016

Vorinstanzen:

OVG Münster, 11 A 1882/14 - Urteil vom 16. September 2015 -

VG Köln, 10 K 8156/13 - Urteil vom 03. September 2014 -

BVerwG 1 C 20.15 - Urteil vom 27. September 2016

Vorinstanzen:

OVG Münster, 11 A 626/14 - Urteil vom 16. September 2015 -

VG Köln, 10 K 3385/12 - Urteil vom 05. Februar 2014 -

BVerwG 1 C 21.15 - Urteil vom 27. September 2016

Vorinstanzen:

OVG Münster, 11 A 1747/14 - Urteil vom 16. September 2015 -

VG Köln, 10 K 3558/13 - Urteil vom 30. Juli 2014 -


Urteil vom 27.09.2016 -
BVerwG 1 C 19.15ECLI:DE:BVerwG:2016:270916U1C19.15.0

Keine nachträgliche Einbeziehung von Abkömmlingen, die seit der Aussiedlung des Spätaussiedlers nicht ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet verblieben sind

Leitsatz:

Familienangehörige eines Spätaussiedlers können nur dann nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG nachträglich in dessen Aufnahmebescheid einbezogen werden, wenn sie ihren Wohnsitz seit der Aussiedlung des Spätaussiedlers ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet gehabt haben.

  • Rechtsquellen
    BVFG § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 27 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 27 Abs. 2 Satz 1 und 3

  • VG Köln - 03.09.2014 - AZ: VG 10 K 8156/13
    OVG Münster - 16.09.2015 - AZ: OVG 11 A 1882/14

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 27.09.2016 - 1 C 19.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:270916U1C19.15.0]

Urteil

BVerwG 1 C 19.15

  • VG Köln - 03.09.2014 - AZ: VG 10 K 8156/13
  • OVG Münster - 16.09.2015 - AZ: OVG 11 A 1882/14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke, Dr. Rudolph
und Dr. Wittkopp
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2015 geändert.
  2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 3. September 2014 wird zurückgewiesen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin begehrt die Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr 1994 erteilten Aufnahmebescheid.

2 Die 1936 geborene Klägerin und ihr 1971 geborener Sohn stammen aus Kasachstan. Sie reisten im November 1994 auf der Grundlage eines ihnen jeweils erteilten Aufnahmebescheides nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) nach Deutschland ein und beantragten im Dezember 1994 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Diese wurde ihnen im Juli 1995 erteilt. Bereits im Januar 1995 war der Sohn der Klägerin nach Kasachstan zu seiner schwangeren Lebensgefährtin zurückgekehrt.

3 Im Januar 1998 beantragte der Sohn der Klägerin bei der Deutschen Botschaft in Kasachstan die Erteilung eines Reisepasses bzw. eines Visums zur Rückkehr nach Deutschland. Die Botschaft lehnte dies ab, weil er seine Rechtsstellung als Deutscher ohne deutsche Staatsangehörigkeit durch die freiwillige Rückkehr nach Kasachstan wieder verloren habe. Dagegen eingelegte Rechtsbehelfe blieben ohne Erfolg.

4 Im März 2012 beantragte die Klägerin beim Bundesverwaltungsamt unter anderem die nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr 1994 erteilten Aufnahmebescheid. Das Bundesverwaltungsamt lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 27 Abs. 3 Satz 1 BVFG in der Fassung des 9. BVFG-Änderungsgesetzes seien nicht erfüllt, weil der Sohn der Klägerin nicht "im Aussiedlungsgebiet verblieben", sondern nach erfolgter Aussiedlung dorthin zurückgekehrt sei. Zudem fehle es an einer für die nachträgliche Einbeziehung erforderlichen Härte.

5 Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage der Klägerin wies das Verwaltungsgericht ab. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 16. September 2015 die Beklagte unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, den Sohn der Klägerin in den ihr 1994 erteilten Aufnahmebescheid nachträglich einzubeziehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung lägen vor. Ein Abkömmling sei auch dann im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG "im Aussiedlungsgebiet verblieben", wenn er sich vorübergehend außerhalb desselben aufgehalten habe. Aus dieser Voraussetzung folge zwar, dass die einzubeziehende Person zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einbeziehungsantrag ihren Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet haben müsse. Allein aus dem Wort "verbliebene" ergebe sich aber noch nicht, dass ein früherer (vorübergehender) Aufenthalt außerhalb des Aussiedlungsgebiets den Anspruch entfallen lasse. Die Gesetzesmaterialien enthielten keine Hinweise, dass der Gesetzgeber die Fallgestaltung eines vorübergehenden Aufenthalts in Deutschland gesehen habe oder als anspruchsschädlich habe berücksichtigt wissen wollen. Das Normverständnis des Senats werde insbesondere durch die teleologische Auslegung bestätigt: Dem Gesetzgeber sei es bei der Erleichterung der nachträglichen Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen darum gegangen, eine Regelung zu schaffen, die es ermögliche, die Einheit von Spätaussiedlerfamilien in möglichst vielen Fällen wieder herzustellen. Eine solche Familientrennung liege unabhängig davon vor, ob der jetzt im Aussiedlungsgebiet lebende Familienangehörige sich zwischenzeitlich vorübergehend in Deutschland aufgehalten habe. Die sonstigen Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung seien gegeben.

6 Die Beklagte macht mit der Revision insbesondere geltend, ein Anspruch der Klägerin auf Einbeziehung ihres Sohnes in ihren Aufnahmebescheid komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil das Vertriebenenschicksal der Klägerin und ihres Sohnes mit der gemeinsamen Aussiedlung im Jahr 1994 abgeschlossen sei. Unabhängig davon sei der Sohn auch nicht "im Aussiedlungsgebiet verblieben". Dieses Tatbestandsmerkmal sei nach grammatischer, historischer und systematischer Auslegung dahin zu verstehen, dass ein nach der Aussiedlung der Bezugsperson ununterbrochener Aufenthalt des Familienangehörigen erforderlich sei. Eine teleologische Auslegung führe zu keinem anderen Ergebnis. Das mit § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG verfolgte Ziel, dauerhafte Familientrennungen zu vermeiden und die Integration des Spätaussiedlers in Deutschland zu fördern, gelte nicht unbeschränkt, sondern nur im Kontext von Sinn und Zweck der generellen Einbeziehungsmöglichkeit für Ehegatten und Abkömmlinge eines Spätaussiedlers.

7 Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil. Sie ist insbesondere der Auffassung, dass die Beklagte das mit § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Familienzusammenführung zu eng fasse.

8 Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und schließt sich im Wesentlichen der Auffassung der Beklagten an.

II

9 Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Sohn der Klägerin sei im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG "im Aussiedlungsgebiet verblieben", ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO). Da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), ist das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung zurückzuweisen.

10 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des von der Klägerin mit der Verpflichtungsklage verfolgten Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr 1994 erteilten Aufnahmebescheid ist § 27 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl. I S. 1902), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3554). Die nachfolgende Änderung des Bundesvertriebenengesetzes durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner (LPartRBerG) vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010) hat diese Regelung unverändert gelassen.

11 1. Nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG kann abweichend von § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers, der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Satz 1 in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage sind hier nicht erfüllt. Der Sohn der Klägerin ist kein "im Aussiedlungsgebiet verbliebener" Abkömmling der Klägerin, weil er Ende November 1994 gleichzeitig mit der Klägerin selbst ausgesiedelt ist und seinen Wohnsitz in Kasachstan aufgegeben hat.

12 a) Die Formulierung "der im Aussiedlungsgebiet verbliebene ..." legt nach dem Sprachgebrauch eher ein Verständnis nahe, wonach die genannte Voraussetzung mehr als ein nur punktuelles Zurückbleiben des Abkömmlings im Aussiedlungsgebiet im Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson umfasst. Der Begriff des Verbleibens schließt das Verb bleiben ein und enthält mithin nach allgemeinem Sprachverständnis auch eine zeitliche Komponente. Er lässt sich daher am ehesten als an einem Ort zurückbleiben und dort ausharren verstehen. Zwar schließt er eine Auslegung nicht schlechthin aus, nach der sich die Voraussetzung ausschließlich auf den Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson bezieht (zurückbleiben). Danach wäre ausreichend, dass die Bezugsperson den Abkömmling oder Ehegatten bei ihrer Aussiedlung im Aussiedlungsgebiet zurückgelassen hat. Dieses Begriffsverständnis ist im vorliegenden Kontext aber nicht naheliegend, zumal der Gesetzgeber - wie die nachfolgend unter c) dargestellte Entstehungsgeschichte ergibt - davon ausgegangen ist, dass der Einzubeziehende auch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbeziehung seinen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet haben muss. Noch ferner liegt ein Wortlautverständnis, nach dem es ausschließlich auf eine zum Einbeziehungszeitpunkt vorliegende Trennungssituation ankommt, der Angehörige also (nur) zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet haben muss. Denn schon der Wortlaut deutet darauf hin, dass an ein bestimmtes früheres Ereignis (hier die Aussiedlung der Bezugsperson) rückangeknüpft und ein damit beginnendes kontinuierliches Aufenthaltserfordernis begründet wird. Andernfalls hätte schlicht die Formulierung aus § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG "der im Aussiedlungsgebiet lebende ..." übernommen werden können.

13 b) Dem systematischen Vergleich mit dem für den Spätaussiedlerstatus vorausgesetzten Erfordernis eines ununterbrochenen Wohnsitzes im Aussiedlungsgebiet seit bestimmten Stichtagen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG: "seit dem ...") und der in diesem Zusammenhang geregelten Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG lassen sich jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ein zwischenzeitlicher - über einen Besuchsaufenthalt hinausgehender - Aufenthalt des Familiengehörigen im Bundesgebiet bei der Anwendung des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG generell unschädlich ist.

14 Der Hinweis des Berufungsgerichts, im Gegensatz zu einem Spätaussiedler bedürfe der Familienangehörige für die Einbeziehung in einen Aufnahmebescheid keiner Wohnsitzfiktion, lässt sich dafür schon deshalb nicht anführen, weil er sich auf die hier nicht einschlägige Konstellation bezieht, dass die Bezugsperson und der Angehörige nach Ablehnung eines in Deutschland gestellten Härtefallantrags in das Aussiedlungsgebiet zurückkehren und (in einem Folgeverfahren) von dort die gemeinsame Aussiedlung betreiben; die Einbeziehung des Familienangehörigen richtet sich in dieser Situation nach § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG. Demgegenüber geht es vorliegend um die Frage, ob der Familienangehörige, der eine nachträgliche Einbeziehung nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG begehrt, einer Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsfiktion bedarf. Diese kann aber nicht a priori verneint werden, sondern lässt sich erst als Ergebnis der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "im Aussiedlungsgebiet verbliebene ..." beantworten.

15 Aufschluss über die hier zu beantwortende Frage kann in systematischer Hinsicht daher allenfalls ein Vergleich zwischen der in § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG für den Familienangehörigen bestehenden Voraussetzung, dass er im Aussiedlungsgebiet verblieben sein muss, mit der für den Erwerb des Spätaussiedlerstatus geltenden Voraussetzung eines kontinuierlichen Wohnsitzes im Aussiedlungsgebiet (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BVFG) geben. Insoweit dürfte eine parallele Deutung, nach der auch mit der Voraussetzung des Verbleibens in § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG ein Erfordernis ununterbrochenen Aufenthalts aufgestellt werden sollte, näher liegen als der gegenteilige Schluss. Denn der Begriff "verblieben" spricht - wie ausgeführt - für einen eine bestimmte Zeitspanne überdauernden Aufenthalt. Zudem ergibt sich aus der bloßen Existenz der Wohnsitzfiktion für Spätaussiedler, dass der Gesetzgeber vorübergehende Aufenthalte im Bundesgebiet durchaus im Blick hatte und deren Unschädlichkeit - eng begrenzt - geregelt hat, wo ihm dies sachgerecht erschien. Ausgehend davon, dass die Wortlautauslegung deutlich in die Richtung eines Kontinuitätserfordernisses weist, hätte daher zumindest ein entsprechender Zusatz ("im Aussiedlungsgebiet verbliebene oder dorthin zurückgekehrte ...") nahe gelegen, wenn ein Erfordernis ununterbrochenen Aufenthalts nicht begründet werden sollte.

16 c) Die Entstehungsgeschichte der Regelung über die nachträgliche Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen vermag die Auslegung des Berufungsgerichts ebenfalls nicht zu stützen. Sie deutet im Gegenteil eher darauf hin, dass der Gesetzgeber von der Vorstellung eines kontinuierlichen Verbleibens im Aussiedlungsgebiet ausgegangen ist.

17 aa) Die mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2094) erstmals eingeführte Möglichkeit, Ehegatten und Abkömmlinge in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbeziehen zu lassen, war ursprünglich auf die Fälle einer beabsichtigten gemeinsamen Ausreise beschränkt. Dieser Grundfall ist heute - inhaltlich unverändert - in § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG geregelt. Sinn und Zweck dieser Einbeziehung von Familienangehörigen ist es, dem Spätaussiedler die Entscheidung zur Aussiedlung zu erleichtern, indem er nicht vor die Wahl gestellt wird, entweder auszusiedeln und damit die Aufrechterhaltung seiner Familie zu gefährden, oder auf die Aussiedlung zu verzichten.

18 Die Möglichkeit einer nachträglichen Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers, dessen Aussiedlung bereits vollständig abgeschlossen ist, wurde erstmals mit dem 9. BVFG-Änderungsgesetz vom 4. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2426) geschaffen (§ 27 Abs. 3 i.d.F. des 9. BVFG-ÄndG). Sie war vom Vorliegen einer Härte abhängig und sollte der Vermeidung von Härtefällen dienen, die durch dauerhafte Familientrennungen entstehen.

19 Mit dem 10. BVFG-Änderungsgesetz vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3554) verzichtete der Gesetzgeber schließlich auf Empfehlung des Innenausschusses auf das Härteerfordernis und erhielt die Regelung - nunmehr als § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG - ihre heutige Fassung. An der bisher für das Aufnahmeverfahren maßgeblichen Regelungsidee, wonach die Aussiedlung grundsätzlich gemeinsam zu erfolgen hatte, sollte nicht weiter festgehalten werden. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Praxis habe gezeigt, dass die durch die Aussiedlung verursachten Trennungen der Familien der Spätaussiedler nicht ausreichend zu beseitigen seien. Selbst die Härtefallregelung des 9. BVFG-Änderungsgesetzes habe nicht die Hoffnungen erfüllt, die die Politik und die Verbände in sie gesetzt hätten. Eine praktikable Regelung, die es ermögliche, die Einheit von Spätaussiedlerfamilien in möglichst vielen Fällen wiederherzustellen, müsse daher die grundsätzlich jederzeitige Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen erlauben. Dementsprechend lasse § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG die nachträgliche Einbeziehung nunmehr unabhängig vom Nachweis eines Härtefalles und ohne zeitliche Einschränkungen zu. Die nachträgliche Einbeziehung werde so zu einer weiteren Option, die neben die Möglichkeit der Einbeziehung zum Zwecke der gemeinsamen Aussiedlung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG trete; wer Letztere aus welchen Gründen auch immer nicht nutze, müsse daher für die Zukunft keine Nachteile mehr befürchten (BT-Drs. 17/13937 S. 6). Der Personenkreis, dem die nachträgliche Einbeziehung so ermöglicht bzw. erleichtert werden sollte, wurde dabei unverändert mit der Formulierung "der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers" umschrieben.

20 bb) Den Gesetzesmaterialien lässt sich zweifelsfrei entnehmen, dass der Gesetzgeber die Voraussetzung "im Aussiedlungsgebiet verbliebene ..." jedenfalls auch auf den Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson bezogen wissen wollte. In dieser Voraussetzung sah der Gesetzgeber unter anderem die Klarstellung, dass der für den Familiennachzug nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG in Betracht kommende Personenkreis auf diejenigen begrenzt ist, die bereits zum Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson dessen Familienangehörige waren (vgl. die Begründung zum 9. BVFG-ÄndG, BT-Drs. 17/5515 S. 7). Das impliziert, dass der Angehörige bei der Aussiedlung der Bezugsperson zusammen mit dieser im Aussiedlungsgebiet aufhältig war und es durch diese Aussiedlung zu einer Trennung der Familie gekommen ist. Es ging dem Gesetzgeber mithin um die Beseitigung von Familientrennungen, die durch die Aussiedlung des Spätaussiedlers - und nicht aus sonstigen, beliebigen Gründen - eingetreten sind.

21 cc) Aus der Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung ergibt sich weiter, dass der Familienangehörige nach dem Willen des Gesetzgebers auch zum Zeitpunkt der nachträglichen Einbeziehung im Aussiedlungsgebiet leben muss. In der Gesetzesbegründung zum 9. BVFG-ÄndG wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung für den Einzubeziehenden, das Einbeziehungsverfahren im Aussiedlungsgebiet abzuwarten, weiterhin besteht (BT-Drs. 17/5515 S. 7). Änderungsvorschläge der Opposition und des Landes Hessen auf Streichung der Worte "im Aussiedlungsgebiet verbliebene ..." bzw. deren Ergänzung um die Worte "der bereits ausgereiste ..." (vgl. BT-Drs. 17/7215 S. 2 sowie BR-Drs. 57/2/11 S. 2) haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt, weil an den bestehenden Strukturen des geltenden Vertriebenenrechts festgehalten werden sollte. Begründet wurde dies damit, dass die Fälle tragischer Familientrennungen nicht denkbar seien, wenn sämtliche Familienangehörige bereits in Deutschland lebten (vgl. Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bergner, BT-Plenarprotokoll 17/130 S. 15369).

22 dd) Bezieht sich das Merkmal "im Aussiedlungsgebiet verbliebene ..." mithin jedenfalls auf zwei auseinanderliegende Zeitpunkte, liegt es nahe, dass der Gesetzgeber von der Vorstellung eines auch im Zwischenzeitraum ununterbrochenen Aufenthalts des Familienangehörigen im Aussiedlungsgebiet ausgegangen ist. In diese Richtung weist etwa die Äußerung im Gesetzgebungsverfahren, denjenigen, die die Möglichkeit einer gemeinsamen Aussiedlung nicht genutzt haben, solle eine "zweite Chance" zur nachholenden Aussiedlung eröffnet werden (vgl. Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bergner, BT-Plenarprotokoll 17/130 S. 15369). Dass davon auch eine erneute Aussiedlung hätte umfasst sein sollen, ist nicht zu erkennen.

23 Ferner spricht die aus den Materialien ersichtliche Reaktion auf die Änderungsanträge dafür, dass der Gesetzgeber einen kontinuierlichen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet seit der Aussiedlung der Bezugsperson voraussetzen wollte. Mit der ausdrücklichen Begründung der Änderungsanträge, auch diejenigen Familienmitglieder von der nachträglichen Einbeziehung erfassen zu wollen, die ohne einen Einbeziehungsbescheid das Herkunftsland verlassen haben oder hier weder vertriebenenrechtlich Aufnahme gefunden noch ausländerrechtlich einen gesicherten Aufenthalt erlangt haben (vgl. BT-Drs. 17/7215 S. 2; BR-Drs. 57/2/11 S. 2), wurde auch die Fallgestaltung eines vorübergehenden Aufenthalts im Bundesgebiet zumindest ansatzweise in das Blickfeld gerückt. Wäre es dem Gesetzgeber nur um ein formales Aufenthaltserfordernis zur Ermöglichung einer Zuzugskontrolle gegangen, hätte es sich aufgedrängt, bei der Zurückweisung dieser Anträge darauf hinzuweisen, dass die betreffenden Familienangehörigen die nachträgliche Einbeziehung durch eine Rückkehr ins Aussiedlungsgebiet und erneute Antragstellung noch erreichen können. Eine derartige Aussage ist den Gesetzgebungsmaterialien jedoch nicht zu entnehmen.

24 d) Die Annahme, eine zwischenzeitliche Wohnsitzverlegung in das Bundesgebiet stehe dem Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung gemäß § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG nicht entgegen, lässt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Auslegungsergebnisse auch nicht mit teleologischen Erwägungen begründen. Sinn und Zweck der durch das 10. BVFG-ÄndG neugefassten Regelung des Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung von Familienangehörigen ist die - möglichst umfangreiche - Beseitigung von heute noch fortdauernden aussiedlungsbedingten Familientrennungen im Rahmen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen. Zu letzteren zählt auch das unverändert gebliebene Merkmal "im Aussiedlungsgebiet verbliebene ...". An den bestehenden Strukturen des Vertriebenenrechts sollte ausdrücklich festgehalten werden; dies ist den Erwiderungen verschiedener Abgeordneter auf die Änderungsanträge des Landes Hessen und der Opposition zu entnehmen (vgl. BT-Plenarprotokoll 17/130 S. 15365, 15367 und 15369).

25 Damit war nicht lediglich eine formale Zuzugskontrolle gemeint, wie sie auch bei einer Antragstellung aus jedem beliebigen Drittland erreicht werden könnte. Vielmehr ist mangels jeglicher gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass auch der innere Zusammenhang zwischen der fortbestehenden Familientrennung und dem Grund ihres Eintritts, der Aussiedlung der Bezugsperson, gewahrt bleiben sollte.

26 Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, die Einheit von Spätaussiedlerfamilien in möglichst vielen Fällen wieder herzustellen, rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme, eine vorübergehende Aufgabe des Wohnsitzes im - als Gesamtgebiet verstandenen - Aussiedlungsgebiet schließe die nachträgliche Einbeziehung nicht aus. Diese Aussage ist zu unspezifisch, um das im Übrigen naheliegende Verständnis der Voraussetzung "im Aussiedlungsgebiet verbliebene ..." in eine andere Richtung zu wenden. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass das genannte Ziel durch die Neufassung der Vorschrift unabhängig davon erreicht wird, ob die (Sonder-)Fälle miterfasst sind, in denen sich der Familienangehörige nach der Aussiedlung des Spätaussiedlers eine Zeitlang außerhalb der Aussiedlungsgebiete aufgehalten hat und später dorthin zurückgekehrt ist. Denn bereits die zeitliche Entkoppelung der Einbeziehung von der Aussiedlung des Spätaussiedlers in Verbindung mit dem Wegfall des Härteerfordernisses stellt gegenüber der früheren Rechtslage eine Erleichterung dar, die Familientrennungen in einer großen Vielzahl von Fällen nachträglich beseitigen hilft.

27 e) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, den Sohn der Klägerin nachträglich in den ihr 1994 erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen. Dieser ist nicht im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG "im Aussiedlungsgebiet verblieben", weil er Ende November 1994 gleichzeitig mit der Klägerin auf der Grundlage eines eigenen Aufnahmebescheides nach Deutschland ausgesiedelt ist. Damit hat er seinen Wohnsitz in Kasachstan aufgegeben. Dies belegt nicht zuletzt der Ende Dezember 1994 in Deutschland gestellte Antrag auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Dass der Sohn der Klägerin schon Anfang 1995 - unter Verlust der Eigenschaft als Deutscher ohne deutsche Staatsangehörigkeit nach der bis 31. Juli 1999 geltenden Regelung des § 7 StAngRegG - wieder nach Kasachstan zurückgekehrt ist, ändert an der zwischenzeitlichen Aufgabe des dortigen Wohnsitzes nichts.

28 Ob bei einer Rückkehr in das Aussiedlungsgebiet ein ununterbrochenes Verbleiben in Ausnahmefällen nach dem Rechtsgedanken des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG fingiert werden kann, ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Eine vergleichbare Fallgestaltung liegt hier schon deshalb nicht vor, weil der frühere Versuch des Sohnes der Klägerin, in Deutschland Aufnahme zu finden, nicht gescheitert ist, sondern Erfolg hatte.

29 3. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Voraussetzungen der allenfalls noch als weitere Anspruchsgrundlage für die begehrte Einbeziehung in Betracht kommenden Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BVFG liegen nicht vor. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG kann abweichend von § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt werden oder es kann die Eintragung nach Absatz 2 Satz 1 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die Nachholung der "Eintragung nach Absatz 2" ist ebenfalls auf eine Einbeziehung von Abkömmlingen oder Ehegatten in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers und damit auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet.

30 Der Senat kann offenlassen, ob diese Regelung auch nach Schaffung einer Rechtsgrundlage für die nachträgliche Einbeziehung von Angehörigen durch das 9. bzw. 10. BVFG-Änderungsgesetz einen sich mit dieser überschneidenden Anwendungsbereich hat, oder ob sich ihr Anwendungsbereich nunmehr auf die Fallgestaltung beschränkt, dass sich der Familienangehörige schon in Deutschland aufhält.

31 Die Nachholung der Einbeziehung nach dieser Regelung bleibt jedenfalls an die Voraussetzung des § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG gebunden, dass es sich um eine Einbeziehung zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung handeln muss. Ungeachtet der Frage, wie diese Voraussetzung in Grenzfällen zu definieren ist, kann von einer Einbeziehung zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung jedenfalls keine Rede mehr sein, wenn diese erst nach vollständigem Abschluss der Aussiedlung des Spätaussiedlers und ohne jeden noch erkennbaren zeitlichen Zusammenhang mit dieser beantragt wird. Eine derartige nachträgliche Einbeziehung ist allein auf der Grundlage von § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG möglich. Ausgehend davon kann die Einbeziehung des Sohnes der Klägerin nicht gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BVFG nachgeholt werden, weil die bereits 1994 ausgesiedelte Klägerin den Antrag auf nachträgliche Einbeziehung erst im Jahr 2012 gestellt hat.

32 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Urteil vom 27.09.2016 -
BVerwG 1 C 20.15ECLI:DE:BVerwG:2016:270916U1C20.15.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 27.09.2016 - 1 C 20.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:270916U1C20.15.0]

Urteil

BVerwG 1 C 20.15

  • VG Köln - 05.02.2014 - AZ: VG 10 K 3385/12
  • OVG Münster - 16.09.2015 - AZ: OVG 11 A 626/14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig sowie
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke, Dr. Rudolph und
Dr. Wittkopp
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2015 geändert.
  2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 5. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin begehrt die Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr im April 1995 erteilten Aufnahmebescheid.

2 Die 1943 geborene Klägerin stammt aus Kasachstan. Sie lebt seit Ende 1995 im Bundesgebiet und ist im Besitz einer Spätaussiedlerbescheinigung. Ihr 1970 geborener Sohn erhielt im April 1995 ebenfalls einen Aufnahmebescheid und reiste Ende 2007 zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Töchtern nach Deutschland ein. Mit Bescheid vom 18. Februar 2008 nahm das Bundesverwaltungsamt den ihm erteilten Aufnahmebescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Widerspruch und Klage hiergegen blieben ohne Erfolg.

3 Mit weiterem Bescheid vom 18. Februar 2008 lehnte das Bundesverwaltungsamt einen Antrag der Klägerin vom Januar 2008 auf Einbeziehung ihres Sohnes und seiner Familie in den ihr erteilten Aufnahmebescheid ab. Den Widerspruch der Klägerin wies das Bundesverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2008 zurück. Die hiergegen erhobene Klage nahm die Klägerin zurück.

4 Im März 2012 beantragte die Klägerin die nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes und seiner Familie nach § 27 Abs. 3 BVFG 2011. Diesen Antrag lehnte das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 21. März 2012 mit der Begründung ab, dass die einzubeziehenden Personen in Deutschland lebten und nicht im Aussiedlungsgebiet verblieben seien. Nach Zurückweisung des Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2012 erhob die Klägerin hiergegen Klage.

5 Während des Klageverfahrens kehrte der Sohn der Klägerin im August 2012 mit seiner Familie nach Kasachstan zurück. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2012 lehnte das Bundesverwaltungsamt auch einen Antrag der Klägerin auf Wiederaufgreifen des mit Bescheid vom 18. Februar 2008 abgeschlossenen (Einbeziehungs-)Verfahrens ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2012 zurück. Nach Einbeziehung dieser Bescheide in das Klageverfahren und Beschränkung des Klagebegehrens auf die Einbeziehung des Sohnes - nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG, hilfsweise im Wege des Wiederaufgreifens nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG - wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.

6 Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, den Sohn der Klägerin in den ihr erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Bei dem Begehren der Klägerin handele es um einen einheitlichen Verfahrensgegenstand unabhängig davon, auf welche Rechtsgrundlage der Anspruch gestützt werde. Mit Bescheid vom 21. März 2012 habe das Bundesverwaltungsamt das Einbeziehungsverfahren wieder aufgegriffen. Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG lägen vor, insbesondere sei der Sohn der Klägerin ein "im Aussiedlungsgebiet verbliebener" Abkömmling. Dem stehe nicht entgegen, dass er sich von Dezember 2007 bis August 2012 mit seiner Familie in Deutschland aufgehalten habe. Die Vorschrift finde regelmäßig keine Anwendung, wenn die einzubeziehende Person zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Einbeziehung in Deutschland lebe, ohne dass es darauf ankomme, inwieweit der Aufenthalt rechtlich abgesichert sei. Sie erfordere aber keinen ununterbrochenen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet. Dies ergebe sich vor allem aus Sinn und Zweck der Regelung. Durch sie solle eine dauerhafte Familientrennung vermieden und die Integration der Spätaussiedler in Deutschland weiter gefördert werden. Zur Verwirklichung dieses Zieles sei inzwischen auch das Erfordernis einer Härte weggefallen. Hieraus ergebe sich die Absicht des Gesetzgebers, die Familienzusammenführung in möglichst vielen Fällen zuzulassen und so dauerhafte Trennungen zu vermeiden. Eine Familientrennung liege auch dann vor, wenn ein Familienangehöriger nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland freiwillig oder wegen einer drohenden Abschiebung ins Aussiedlungsgebiet zurückgekehrt sei. Auch in diesem Fall komme es (wieder) zu einer Familientrennung, die der Gesetzgeber durch die unter erleichterten Voraussetzungen mögliche nachträgliche Einbeziehung habe verhindern wollen. Die sonstigen Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung seien ebenfalls gegeben.

7 Die Beklagte macht mit der Revision insbesondere geltend, der Gesetzgeber habe Spätaussiedlern mit der nachträglichen Einbeziehung nur die Möglichkeit geben wollen, eine durch ihre Aussiedlung und das Verbleiben von Familienangehörigen im Aussiedlungsgebiet verursachte dauerhafte Familientrennung zu beseitigen. Kehre ein Familienangehöriger nach Einreise in das Bundesgebiet in das Herkunftsgebiet zurück, fehle es an einer aussiedlungsbedingten Trennung.

8 Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil. Nach dem untauglichen Versuch einer eigenen Aussiedlung ihres Sohns und seinem relativ kurzen ausländerrechtlich geduldeten Aufenthalt in Deutschland beruhe die Familientrennung weiterhin auf ihrer Aussiedlung.

9 Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und schließt sich der Rechtsauffassung der Beklagten zu § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG an.

II

10 Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr erteilten Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG (1.). Zwar hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, dass einer nachträglichen Einbeziehung nach dieser Vorschrift die Bestandskraft des eine Einbeziehung ablehnenden Bescheids vom Februar 2008 nicht entgegensteht (1.1). Der Sohn der Klägerin ist wegen seines mehrjährigen Aufenthalts in Deutschland aber kein im Aussiedlungsgebiet verbliebener Abkömmling (1.2). Da sich das Berufungsurteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), ist das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen (2.).

11 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des von der Klägerin mit der Verpflichtungsklage verfolgten Anspruchs ist § 27 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl. I S. 1902), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3554). Die nachfolgende Änderung des Bundesvertriebenengesetzes durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner (LPartRBerG) vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010) hat diese Regelung unverändert gelassen.

12 Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG werden der im Aussiedlungsgebiet lebende Ehegatte, sofern die Ehe seit mindestens drei Jahren besteht, oder der im Aussiedlungsgebiet lebende Abkömmling zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung in den Aufnahmebescheid der Bezugsperson einbezogen, wenn in ihrer Person kein Ausschlussgrund im Sinne des § 5 BVFG vorliegt und die Bezugsperson die Einbeziehung ausdrücklich beantragt; Ehegatten und volljährige Abkömmlinge müssen auch Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen. Abweichend hiervon kann nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers, der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BVFG kann die Eintragung nach Absatz 2 Satz 1 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.

13 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin keinen Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr erteilten Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG.

14 1.1 Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend erkannt, dass einer nachträglichen Einbeziehung nicht entgegensteht, dass die Klägerin ihre Klage gegen den - eine Nachholung der Eintragung nach § 27 Abs. 2 BVFG a.F. (inzwischen: § 27 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BVFG) ablehnenden - Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom Februar 2008 zurückgenommen hat und dieser damit in Bestandskraft erwachsen ist. Zwar handelt es sich bei der nachträglichen Einbeziehung nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG und der Nachholung der Eintragung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BVFG - ungeachtet der getrennten Verbescheidung durch das Bundesverwaltungsamt und der daran anknüpfenden gestaffelten Klageanträge der Klägerin - prozessual um einen einheitlichen Streitgegenstand (a). Das Bundesverwaltungsamt hat das Verfahren bezüglich einer nachträglichen Einbeziehung nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG (seinerzeit: § 27 Abs. 3 BVFG a.F.) aber wieder aufgegriffen und mit Bescheid vom März 2012 insoweit eine der gerichtlichen Überprüfung unterliegende Sachentscheidung getroffen (b).

15 a) Nach dem sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Streitgegenstand auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zum einen durch die mit dem Klageantrag erstrebte Rechtsfolge und zum anderen durch den Klagegrund, d.h. den Lebenssachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, bestimmt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 2014 - 9 B 63.13 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 8 Rn. 13 m.w.N.). Damit liegt ein einheitlicher Streitgegenstand auch dann vor, wenn sich das aus einem einheitlichen Klagegrund hergeleitete Begehren rechtlich auf mehrere Anspruchsgrundlagen stützen lässt (materielle Anspruchsnormenkonkurrenz).

16 In Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei der nachträglichen Einbeziehung nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG und der Nachholung der Eintragung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BVFG um unterschiedliche Anspruchsgrundlagen für ein und dasselbe Klagebegehren. Diese beziehen sich nach ihren Anspruchsvoraussetzungen auf unterschiedliche Fallgestaltungen, sind aber ohne Unterschied in den Rechtsfolgen und im Klagegrund auf das gleiche Ziel, nämlich die Einbeziehung eines Familienangehörigen in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers gerichtet, und stehen damit in materieller Anspruchsnormenkonkurrenz zueinander. Hiervon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen, der die Einführung der "nachträglichen" Einbeziehungsmöglichkeit durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (9. BVFG-ÄndG) vom 4. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2426) mit einer ausdrücklichen Regelung zum Wiederaufgreifen unanfechtbar abgeschlossener Einbeziehungsverfahren verbunden und dies damit begründet hat, dass ein vor der Gesetzesänderung abschlägig beschiedener Antrag auf Einbeziehung eines Angehörigen zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung auf Grund der eingetretenen Rechtsänderung Erfolg haben könne (BT-Drs. 17/5515 S. 7 f.).

17 b) Ausgehend von einem einheitlichen Streitgegenstand steht der gerichtlichen Überprüfung des eine nachträgliche Einbeziehung nach § 27 Abs. 3 BVFG a.F. (inzwischen: § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG) ablehnenden Bescheids vom März 2012 nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Klage gegen den - eine Nachholung der Eintragung nach § 27 Abs. 2 BVFG a.F. (inzwischen: § 27 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BVFG) ablehnenden - Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom Februar 2008 zurückgenommen hat und dieser damit in Bestandskraft erwachsen ist. Denn die Behörde hat das Verwaltungsverfahren nach Erweiterung der Rechtsgrundlagen für die Einbeziehung von Familienangehörigen durch das 9. BVFG-ÄndG auf Antrag der Klägerin (konkludent) wieder aufgegriffen und mit dem eine nachträgliche Einbeziehung nach § 27 Abs. 3 BVFG a.F. (inzwischen: § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG) ablehnenden Bescheid vom März 2012 bezüglich dieser neuen Anspruchsgrundlage eine der gerichtlichen Überprüfung unterliegende Sachentscheidung getroffen.

18 1.2. Das Berufungsgericht hat aber zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes in den ihr erteilten Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG bejaht. Dieser Anspruch scheitert schon daran, dass der Sohn der Klägerin kein im Sinne dieser Vorschrift "im Aussiedlungsgebiet verbliebener" Abkömmling ist. Denn er hat nach der Aussiedlung der Klägerin seinen Wohnsitz in Kasachstan aufgegeben und sich von Dezember 2007 bis August 2012 im Bundesgebiet aufgehalten.

19 Wie der Senat mit Urteil vom heutigen Tag im Parallelverfahren 1 C 19.15 entschieden hat, kann ein Familienangehöriger nur dann nachträglich in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn er seinen Wohnsitz seit dessen Aussiedlung ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet hatte. Die Formulierung "der im Aussiedlungsgebiet verbliebene ..." legt nach dem Sprachgebrauch eher ein Verständnis nahe, wonach die genannte Voraussetzung mehr als ein nur punktuelles Verbleiben des Familienangehörigen im Aussiedlungsgebiet umfasst, dieser vielmehr im gesamten Zeitraum zwischen der Aussiedlung der Bezugsperson und der Entscheidung über die nachträgliche Einbeziehung seinen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet gehabt haben muss. Auch dem systematischen Vergleich mit dem für den Spätaussiedlerstatus vorausgesetzten Erfordernis eines ununterbrochenen Wohnsitzes im Aussiedlungsgebiet seit bestimmten Stichtagen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG: "seit dem...") und der in diesem Zusammenhang geregelten Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ein zwischenzeitlicher - über einen Besuchsaufenthalt hinausgehender - Aufenthalt des Familienangehörigen im Bundesgebiet bei der Anwendung des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG generell unschädlich ist. Die Entstehungsgeschichte der Regelung über die nachträgliche Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen vermag die Auslegung des Berufungsgerichts ebenfalls nicht zu stützen. Sie deutet im Gegenteil eher darauf hin, dass der Gesetzgeber von der Vorstellung eines kontinuierlichen Verbleibens im Aussiedlungsgebiet ausgegangen ist, jedenfalls finden sich keine positiven Anhaltspunkte dafür, dass insbesondere der Ablehnung der Änderungsanträge der Opposition und des Landes Hessen auf Streichung der Worte "im Aussiedlungsgebiet verbliebene" bzw. deren Ergänzung um die Worte "oder bereits ausgereiste" (BT-Drs. 17/7215 sowie BR-Drs. 57/2/11) seinerzeit eine nach dem Wortlaut nicht naheliegende und nach der Systematik eher auszuschließende Auslegung zugrunde gelegen haben könnte. Die Annahme, eine vorübergehende Wohnsitzverlegung in das Bundesgebiet stehe einem Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung nicht entgegen, lässt sich vor diesem Hintergrund auch nicht mit teleologischen Erwägungen begründen. Insbesondere rechtfertigt das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, die Einheit von Spätaussiedlerfamilien in möglichst vielen Fällen wieder herzustellen, für sich genommen nicht die Annahme, eine vorübergehende Aufgabe des Wohnsitzes im - als Gesamtgebiet verstandenen - Aussiedlungsgebiet schließe die nachträgliche Einbeziehung nicht aus. Denn dieses Ziel wird bereits durch die zeitliche Entkoppelung der Einbeziehung von der Aussiedlung des Spätaussiedlers in Verbindung mit dem Wegfall des Härteerfordernisses erreicht. Insoweit wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen im Parallelverfahren verwiesen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 19.15 - Rn. 12 ff.).

20 Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, den Sohn der Klägerin nachträglich in den ihr 1994 erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen. Dieser ist nicht im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG "im Aussiedlungsgebiet verblieben", sondern Ende 2007 mit seiner Familie nach Deutschland gekommen, um hier auf Dauer zu leben. Nach Kasachstan ist er erst im August 2012 wieder zurückgekehrt, nachdem die Ausländerbehörde nicht mehr bereit war, seinen Aufenthalt in Deutschland weiter zu dulden. Damit hat er seinen Wohnsitz in Kasachstan vorübergehend aufgegeben. Dass sein Aufenthalt in Deutschland ausländerrechtlich nicht auf einem gesicherten Aufenthaltsrecht, sondern lediglich auf einer Duldung beruhte, ändert hieran nichts.

21 Ob im Falle der Rückkehr eines Familienangehörigen in das Aussiedlungsgebiet ein ununterbrochenes Verbleiben in Ausnahmefällen nach dem Rechtsgedanken des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG fingiert werden kann - etwa wenn der Familienangehörige mit einem eigenen Aufnahmebescheid nach Deutschland eingereist und nach dessen Aufhebung unverzüglich wieder in das Aussiedlungsgebiet zurückgekehrt ist -, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn der Sohn der Klägerin war bei seiner Einreise in das Bundesgebiet zwar im Besitz eines eigenen Aufnahmebescheids, der nachträglich aufgehoben worden ist. Nach dem Scheitern einer Aufnahme aus eigenem Recht ist er aber nicht unverzüglich nach Kasachstan zurückgekehrt, sondern hat versucht, auch noch nach Abschluss des Aufhebungsverfahrens bis zu einer endgültigen Entscheidung über die von der Klägerin gestellten Einbeziehungsanträge im Bundesgebiet zu bleiben. Eine Rückkehr erfolgte erst während des laufenden Klageverfahrens, nachdem die Ausländerbehörde nicht mehr bereit war, die ihm erteilte Duldung weiter zu verlängern. Damit beruhte sein Aufenthalt in Deutschland nicht allein auf einem irrtümlich angenommenen Spätaussiedlerstatus.

22 2. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Eine Nachholung der Eintragung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BVFG hat das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom Februar 2008 bestandskräftig abgelehnt. Hinsichtlich dieser Anspruchsgrundlage liegen die Voraussetzungen für einen Rechtsanspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG i.V.m. § 27 Abs. 3 BVFG nicht vor. Insbesondere haben sich insoweit weder in rechtlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Nachholung der Eintragung zugunsten der Klägerin geändert noch hat diese substantiiert eine Änderung der Sachlage zu ihren Gunsten geltend gemacht. Zwar kann die Behörde nach § 51 Abs. 5 VwVfG ein Verwaltungsverfahren im Ermessenswege auch wiederaufgreifen, wenn und soweit die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. September 1992 - 9 B 18.92 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 69 m.w.N.). Dies ist hier aber nicht geschehen. Die Entscheidung der Behörde, nach bestandskräftiger Ablehnung ihre erneute Sachprüfung auf die von der Klägerin im März 2012 geltend gemachte Erweiterung der Rechtsgrundlagen für die Einbeziehung von Familienangehörigen zu beschränken und das Verfahren im Übrigen mangels offenkundiger Rechtswidrigkeit nicht wiederaufzugreifen, ist auch nicht ermessensfehlerhaft.

23 Dabei kann dahinstehen, ob sich der Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BVFG nach Schaffung einer Rechtsgrundlage für die nachträgliche Einbeziehung von Familienangehörigen nunmehr auf die Fallgestaltung beschränkt, dass sich der Familienangehörige schon in Deutschland aufhält. Denn eine Nachholung der Eintragung bleibt jedenfalls an die Voraussetzung des § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG gebunden, dass es sich um eine Einbeziehung zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung handeln muss. Ungeachtet der Frage, wie diese Voraussetzung in Grenzfällen zu definieren ist, kann von einer Einbeziehung zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung jedenfalls dann keine Rede sein, wenn diese - wie hier - erst nach vollständigem Abschluss der Aussiedlung des Spätaussiedlers und ohne jeden erkennbaren zeitlichen Zusammenhang mit dieser beantragt wird. In diesen Fällen ist eine Einbeziehung allein auf der Grundlage von § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 19.15 - Rn. 31).

24 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Urteil vom 27.09.2016 -
BVerwG 1 C 21.15ECLI:DE:BVerwG:2016:270916U1C21.15.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 27.09.2016 - 1 C 21.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:270916U1C21.15.0]

Urteil

BVerwG 1 C 21.15

  • VG Köln - 30.07.2014 - AZ: VG 10 K 3558/13
  • OVG Münster - 16.09.2015 - AZ: OVG 11 A 1747/14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke, Dr. Rudolph und Dr. Wittkopp
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2015 geändert.
  2. Die Berufung der Klägerin gegen das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 30. Juli 2014 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln wird zurückgewiesen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin begehrt die nachträgliche Einbeziehung ihrer Enkelin in den ihr im Februar 1993 erteilten Aufnahmebescheid.

2 Die 1937 geborene Klägerin reiste 1993 nach Deutschland ein und erhielt im gleichen Jahr eine Spätaussiedlerbescheinigung.

3 Der 1965 geborene Sohn der Klägerin sowie dessen Ehefrau und die beiden Kinder hatten 1994 ebenfalls einen Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedler gestellt, den das Bundesverwaltungsamt abgelehnt hatte. Im Jahr 1999 reiste der Sohn der Klägerin gemeinsam mit seiner Familie mit einem Besuchsvisum nach Deutschland ein. Er betrieb neben dem vertriebenenrechtlichen Verfahren erfolglos staatsangehörigkeitsrechtliche und ein asylrechtliches Verfahren.

4 Anfang des Jahres 2004 wurde der Sohn der Klägerin gemeinsam mit seiner Familie nach Kirgisistan abgeschoben.

5 Am 8. Juni 2011 beantragte die Klägerin die nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes, seiner Ehefrau und deren beider Kinder in den ihr erteilten Aufnahmebescheid. Diesen Antrag lehnte das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 13. November 2012 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine nachträgliche Einbeziehung nicht in Betracht komme, da die einzubeziehenden Personen nicht seit der Ausreise des antragstellenden Spätaussiedlers ununterbrochen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet gehabt hätten, sondern sich vom 20. September 1999 bis Anfang 2004 in Deutschland aufgehalten hätten.

6 Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage der Klägerin wies das Verwaltungsgericht ab.

7 In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht hat die Klägerin die Berufung zurückgenommen, soweit sie die nachträgliche Einbeziehung ihres Sohnes, dessen Ehefrau und deren Sohnes in den Aufnahmebescheid begehrt hatte.

8 Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 16. September 2015 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, die Enkelin der Klägerin in den ihr erteilten Aufnahmebescheid vom 25. Februar 1993 einzubeziehen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Enkelin der Klägerin sei ein "im Aussiedlungsgebiet verbliebener Abkömmling" im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG. Dem stehe nicht entgegen, dass diese sich von September 1999 bis Anfang 2004 in Deutschland aufgehalten habe. Der Wortlaut dieser Tatbestandsvoraussetzung schließe einen vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland nicht aus. Das "Verbleiben im Aussiedlungsgebiet" erfordere nicht notwendigerweise Kontinuität, sondern könne auch auf den Zeitpunkt des Trennens oder Verlassens abstellen. Das Tatbestandsmerkmal beschreibe die Trennungssituation, die dadurch gekennzeichnet sei, dass der antragstellende Spätaussiedler in Deutschland lebe, während die einzubeziehende Person zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einbeziehungsantrag ihren Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet haben müsse. Aus dem Wort "verblieben" ergebe sich demgegenüber nicht, dass ein früherer vorübergehender Aufenthalt außerhalb des Aussiedlungsgebietes den Anspruch entfallen lasse. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die Fallgestaltung eines vorübergehenden Aufenthalts in Deutschland gesehen habe oder als anspruchsschädlich habe berücksichtigt wissen wollen. Das Normverständnis des Senats werde insbesondere durch die teleologische Auslegung bestätigt. Es sei die Absicht des Gesetzgebers gewesen, die Familienzusammenführung in möglichst vielen Fällen zuzulassen und so dauerhafte Trennungen der Familien der Spätaussiedler zu vermeiden. Eine solche Familientrennung liege unabhängig davon vor, ob der jetzt im Aussiedlungsgebiet lebende Familienangehörige sich zwischenzeitlich vorübergehend in Deutschland aufgehalten habe. Die sonstigen Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung seien gegeben.

9 Die Beklagte macht mit der Revision insbesondere geltend, das Tatbestandsmerkmal "im Aussiedlungsgebiet verblieben" sei nach grammatischer, historischer und systematischer Auslegung dahin zu verstehen, dass ein ununterbrochener Aufenthalt des Familienangehörigen im Aussiedlungsgebiet erforderlich sei. In Fällen wie dem vorliegenden sei nicht die Aussiedlung des Spätaussiedlers, sondern die Rückkehr des Abkömmlings in das Herkunftsgebiet Ursache für die Familientrennung. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene teleologische Auslegung des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG beruhe auf einem falschen Verständnis der Rechtsnorm. Diese diene allein der Bereinigung einer sich aus der Aussiedlung des Spätaussiedlers ergebenden dauerhaften Familientrennung. Eine solche entstehe nur dann, wenn der Spätaussiedler unter Zurücklassung seiner Familienangehörigen nach Deutschland aussiedle. Verlasse der nicht einbezogene Familienangehörige mit dem Spätaussiedler oder nach diesem das Aussiedlungsgebiet mit dem Ziel des dauerhaften Aufenthalts in Deutschland und kehre später in das Herkunftsgebiet zurück, handele es sich hierbei nicht um eine aussiedlungsbedingte Trennung.

10 Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil.

11 Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und schließt sich im Wesentlichen der Beklagten an.

II

12 Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Enkelin der Klägerin sei im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG "im Aussiedlungsgebiet verblieben", ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung ihrer Enkelin in den ihr erteilten Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG. Da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), ist das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung zurückzuweisen.

13 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des von der Klägerin mit der Verpflichtungsklage verfolgen Anspruchs auf nachträgliche Einbeziehung ihrer Enkelin in den ihr erteilten Aufnahmebescheid ist § 27 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl I S. 1902), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. September 2013 (BGBl I S. 3554). Die nachfolgende Änderung des Bundesvertriebenengesetzes durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner (LPartRBerG) vom 20. November 2015 (BGBl I S. 2010) hat diese Regelung unverändert gelassen.

14 1. Nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG kann abweichend von § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers, der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Satz 1 in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage sind hier nicht erfüllt. Die Enkelin der Klägerin ist kein "im Aussiedlungsgebiet verbliebener" Abkömmling der Klägerin im Sinne dieser Bestimmung, weil sie sich nach der Aussiedlung der Klägerin nicht ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet aufgehalten hat.

15 Wie der Senat mit Urteil vom heutigen Tag im Parallelverfahren 1 C 19.15 entschieden hat, kann ein Familienangehöriger nur dann nachträglich in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn er seinen Wohnsitz seit dessen Aussiedlung ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet hatte. Die Formulierung "der im Aussiedlungsgebiet verbliebene" legt nach dem Sprachgebrauch eher ein Verständnis nahe, wonach die genannte Voraussetzung mehr als ein nur punktuelles Zurückbleiben des Abkömmlings im Aussiedlungsgebiet im Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson umfasst, dieser vielmehr im gesamten Zeitraum zwischen der Aussiedlung der Bezugsperson und der Entscheidung über die nachträgliche Einbeziehung seinen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet gehabt haben muss. Auch dem systematischen Vergleich mit dem für den Spätaussiedlerstatus vorausgesetzten Erfordernis eines ununterbrochenen Wohnsitzes im Aussiedlungsgebiet seit bestimmten Stichtagen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG: "seit dem ... ") und der in diesem Zusammenhang geregelten Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ein zwischenzeitlicher - über einen Besuchsaufenthalt hinausgehender - Aufenthalt des Familienangehörigen im Bundesgebiet bei der Anwendung des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG generell unschädlich ist. Die Entstehungsgeschichte der Regelung über die nachträgliche Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen vermag die Auslegung des Berufungsgerichts ebenfalls nicht zu stützen. Sie deutet im Gegenteil eher darauf hin, dass der Gesetzgeber von der Vorstellung eines kontinuierlichen Verbleibens im Aussiedlungsgebiet ausgegangen ist; jedenfalls finden sich keine positiven Anhaltspunkte dafür, dass insbesondere der Ablehnung der Änderungsanträge der Opposition und des Landes Hessen auf Streichung der Worte "im Aussiedlungsgebiet verbliebene" bzw. deren Ergänzung um die Worte "oder bereits ausgereist" (BT-Drs. 17/7215 sowie BR-Drs. 57/2/11) seinerzeit eine nach dem Wortlaut nicht naheliegende und nach der Systematik eher auszuschließende Auslegung zugrunde gelegen haben könnte. Die Annahme, eine vorübergehende Wohnsitzverlegung in das Bundesgebiet stehe einem Anspruch auf nachträgliche Einbeziehung nicht entgegen, lässt sich vor diesem Hintergrund auch nicht mit teleologischen Erwägungen begründen. Insbesondere rechtfertigt das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, die Einheit von Spätaussiedlerfamilien in möglichst vielen Fällen wieder herzustellen, für sich genommen nicht die Annahme, eine vorübergehende Aufgabe des Wohnsitzes im Aussiedlungsgebiet schließe die nachträgliche Einbeziehung nicht aus. Denn dieses Ziel wird bereits durch die zeitliche Entkopplung der Einbeziehung von der Aussiedlung des Spätaussiedlers in Verbindung mit dem Wegfall des Härteerfordernisses erreicht. Insoweit wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen im Parallelverfahren verwiesen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 19.15 - Rn. 12 ff.).

16 Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, die Enkelin der Klägerin nachträglich in den ihr erteilten Aufnahmebescheid einzubeziehen. Diese ist nicht im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG "im Aussiedlungsgebiet verblieben", weil sie sich vom 20. September 1999 bis Anfang 2004 in Deutschland aufgehalten hatte. Damit hatte sie ihren Wohnsitz in Kirgisistan vorübergehend aufgegeben.

17 2. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Voraussetzungen der allenfalls noch als weitere Anspruchsgrundlage für die begehrte Einbeziehung in Betracht kommenden Regelungen des § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbs.2 BVFG liegen nicht vor. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG kann abweichend von § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt werden, oder es kann die Eintragung nach Abs. 2 Satz 1 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die Nachholung der Eintragung nach Abs. 2 ist ebenfalls auf eine Einbeziehung von Abkömmlingen oder Ehegatten in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers und damit auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet.

18 Der Senat kann offenlassen, ob sich der Anwendungsbereich dieser Regelung nach Schaffung einer Rechtsgrundlage für die nachträgliche Einbeziehung von Angehörigen nunmehr auf die Fallgestaltung beschränkt, dass sich der Familienangehörige schon in Deutschland aufhält. Die Nachholung der Einbeziehung nach dieser Regelung bleibt jedenfalls an die Voraussetzung des § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG gebunden, dass es sich um eine Einbeziehung zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung handeln muss. Ungeachtet der Frage, wie diese Voraussetzung in Grenzfällen zu definieren ist, kann von einer Einbeziehung zum Zwecke der gemeinsamen Aussiedlung jedenfalls keine Rede mehr sein, wenn diese - wie hier - erst nach vollständigem Abschluss der Aussiedlung des Spätaussiedlers und ohne jeden noch erkennbaren zeitlichen Zusammenhang mit dieser beantragt wird. In diesen Fällen ist eine nachträgliche Einbeziehung allein auf der Grundlage von § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 19.15 - Rn. 31).

19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.