Pressemitteilung Nr. 2/2001 vom 11.01.2001

Naturschutzrechtlicher Artenschutz in bebauten Ortslagen

Der naturschutzrechtliche Artenschutz gilt im Prinzip auch in bebauten Ortslagen. Jedoch hindert er nicht schlechthin die nach § 34 des Baugesetzbuchs (BauGB) im Innenbereich zulässige Bebauung einer im Laufe der Jahre strauch- und baumbewachsenen Baulücke, auf der heimische Vögel nisten und brüten. Der Bauherr muss indes sein Bauvorhaben so planen, dass Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten der nach deutschem und europäischem Recht besonders geschützten Arten wild lebender Tiere nicht mehr als unvermeidbar beeinträchtigt werden. Das stellt vor allem Anforderungen an die Dimensionierung des Baukörpers, seine Lage auf dem Grundstück sowie die Art und Weise, wie auch die Zeit der Bauausführung. Das entschied heute das Bundesverwaltungsgericht in Berlin. In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall sollte auf einem Teil eines ca. 3.300 qm großen Grundstücks in Magdeburg ein dreigeschossiges Polizeidienstgebäude errichtet werden. Die Baugenehmigung wurde erteilt, jedoch wenig später auf Anweisung des Regierungspräsidiums wieder zurückgenommen. Auf dem alten Villengrundstück mit einem seit über 60 Jahren verwilderten Baumbestand und den angrenzenden durchgrünten Grundstücken seien 23 Brutvogelarten festgestellt worden. Durch die Ausführung des Bauvorhabens würden die Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten dieser Vögel beschädigt oder zerstört. Das sei nach § 20 f Abs.1 Nr.1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) auch innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile verboten. Das Polizeigebäude ist inzwischen an anderer Stelle errichtet worden. Das Bundesverwaltungsgericht hat der Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Rücknahmebescheids stattgegeben und das gegenteilige Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Oberverwaltungsgericht habe verkannt, dass der besondere Artenschutz für wild lebende Tiere innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nur beschränkt gelte. Das Bauen in den schon bebauten Ortsteilen sei ein zugelassener Eingriff in Natur und Landschaft. Jedoch sei es verboten, bei der Ausführung solcher Vorhaben Tiere der besonders geschützten Arten "absichtlich" zu beeinträchtigen. Damit trage das BNatSchG, soweit es um heimische Vogelarten geht, der europäischen Vogelschutz-Richtlinie Rechnung.


Das Bundesverwaltungsgericht versteht den Begriff "absichtlich" in einem objektivierenden Sinn. Nicht entscheidend sei, ob die Beschädigung oder Zerstörung der Nist- und Brutstätten einziger oder Hauptzweck einer Handlung sei. Das Gesetz verlange, dass auch bei einer nach den baurechtlichen Vorschriften zulässigen Bebauung eines Grundstücks die Beeinträchtigung der Vögel auf das Unvermeidbare beschränkt werde. Das bedeutet, dass die baurechtlichen Bebauungsmöglichkeiten nicht ohne weiteres bis zum Äußersten ausgeschöpft werden dürfen. Die Bauaufsichtsbehörde hat vielmehr, wenn die Bauabsichten des Investors den artenschutzrechtlichen Anforderungen nicht entsprechen, die erforderlichen Anordnungen zu treffen, z.B. im Hinblick auf die Art und das Maß der Bebauung, die überbaubare Grundstücksfläche, die Erhaltung oder Neuanpflanzung von Bäumen und Sträuchern mit Nist- und Brutmöglichkeiten, die Bauausführung außerhalb der Brutzeiten und ähnliches. Dies alles hatte die Behörde bei der Rücknahme der Baugenehmigung nicht bedacht. Der Rücknahmebescheid war deshalb rechtswidrig. Ob die Baugenehmigung für das Polizeigebäude in dem beantragten Umfang uneingeschränkt hätte erteilt werden dürfen, hatte das Bundesverwaltungsgericht nicht zu entscheiden. Der tragende Grund für die Rücknahmeentscheidung der Behörde, das Grundstück könne wegen des Artenschutzes überhaupt nicht mit einem solchen Gebäude bebaut werden, war rechtswidrig und hat die Behörde daran gehindert, Erwägungen über die Möglichkeit einer Teilrücknahme der Baugenehmigung oder darüber anzustellen, ob diese nachträglich in anderer Weise, etwa durch Auflagen beschränkt werden konnte.


BVerwG 4 C 6.00 - Urteil vom 11.01.2001