Beschluss vom 29.12.2003 -
BVerwG 5 B 21.03ECLI:DE:BVerwG:2003:291203B5B21.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.12.2003 - 5 B 21.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:291203B5B21.03.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 21.03

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 29.01.2003 - AZ: OVG 2 A 746/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Dezember 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. R o t h k e g e l
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 € festgesetzt.

Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde ist nicht begründet.
Die Revision kann nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden.
Die Frage, "ob im Sinne der Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum für Personen, die im Jahr 1964 oder davor ihren ersten Inlandspass erhalten haben, mit schwerwiegenden beruflichen Nachteilen im Hinblick auf ein beabsichtigtes Hochschulstudium verbunden war", ist keine grundsätzlich klärungsfähige Rechtsfrage. Sie betrifft vielmehr die Subsumtion des Sachverhalts unter den Tatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG. Die dazu erforderliche Tatsachenwürdigung obliegt den Instanzgerichten. Die Sachverhaltsebene wird nicht durch den Bezug der Frage auf eine weit gefasste Personengruppe ("Personen, die bis zum Jahr 1964 ihren ersten Inlandspass erhalten haben") verlassen.
Ebenfalls (nur) die Sachverhaltswürdigung ist angesprochen, wenn die Beschwerde geltend macht, "auf Grund der Gesamtheit der vom Gutachter Simon aufgezählten Umstände (könne) nicht davon ausgegangen werden, dass dadurch ... die damaligen Verhältnisse im Herkunftsland objektiv geprägt wurden", diese Umstände seien "nicht verallgemeinerungsfähig ... und (stünden) im Widerspruch zu dem Faktum ..., dass ein spezielles Hindernis für ein Hochschulstudium Deutscher auch in der Zeit seit Aufhebung der Kommandantur bis zum Jahr 1962/64 nicht bestand".
Die von der Beklagten zum Bedeutungsinhalt des § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG aufgeworfene Frage, "welcher objektive, auf den Verhältnissen im Herkunftsland beruhende Maßstab bei der Prüfung zugrunde zu legen ist, ob die Nichtzulassung von Volksdeutschen zu einem Hochschulstudium als ein schwerwiegender beruflicher Nachteil im Sinne der Vorschrift anzusehen ist", ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Dass es für die Beurteilung der Frage, ob gerade Volksdeutsche wegen ihrer Nationalität nicht zum Hochschulstudium zugelassen werden, nicht auf subjektive Befürchtungen, also einen subjektiven Maßstab, ankommt, dafür "vielmehr auf der Grundlage der im Aussiedlungsgebiet herrschenden Verhältnisse ein objektiver Maßstab anzulegen" ist, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits zu § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BVFG a.F. entschieden. Insofern hat sich durch die Neufassung des § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG durch das Spätaussiedlerstatusgesetz vom 30. August 2001 (BGBl I S. 2266) nichts geändert.
Das Berufungsgericht hat diesen objektiven Maßstab entgegen der Auffassung der Beklagten nicht "erheblich ausgeweitet". Zunächst meint die Beklagte dazu zu Unrecht, das Berufungsgericht habe nicht auf die den Volksdeutschen objektiv offen stehende Studienmöglichkeit, sondern maßgeblich auf den Erkenntnishorizont der Klägerin zu 1 beziehungsweise der jeweiligen Studienbewerber abgestellt. Weiter meint die Beklagte zu Unrecht, das Berufungsgericht habe den objektiven Maßstab ausgeweitet, indem es bei der Prüfung der schwerwiegenden beruflichen Nachteile nicht allein für maßgeblich hielt, "dass Deutsche faktisch schon seit Beginn der 60er Jahre studiert haben". Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung (BVerwGE 99, 133 <143>) Erkenntnisse des einschlägigen Schrifttums dahin wiedergegeben, dass "seit Beginn der 60er Jahre, insbesondere seit dem Jahre 1964, die bestehenden Aufnahmebarrieren für Volksdeutsche im Ausbildungsbereich abgebaut" wurden. Es berichtete weiter, "dass es bei einer Gesamtzahl von 77 135 Studierenden in Kasachstan dort im Jahre 1960/61 3 530 und im Jahre 1966/67 7 900 volksdeutsche Studenten (bei einer Gesamtzahl von 163 093 Studierenden)" gegeben habe. Dieser Entscheidung kann nicht als Maßstab entnommen werden, ein schwerwiegender beruflicher Nachteil in Bezug auf Studienzulassungen könne, wie es wohl die Beklagte für richtig hält, nur dann angenommen werden, wenn gar kein Volksdeutscher zum Studium zugelassen werde, also für Volksdeutsche ein Studium absolut ausgeschlossen sei. Anders als bei Nachteilen als Folge der Vertreibung, die tatsächlich eingetreten sind, handelt es sich bei den Nachteilen im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG notwendig nicht um im konkreten Fall tatsächlich eingetretene Nachteile. Vielmehr sind es Nachteile, die im Falle eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum eingetreten wären. Das bedingt eine Prognoseentscheidung, die vom Grad der Wahrscheinlichkeit abhängt. Deshalb hat das Berufungsgericht zutreffend auf die Wahrscheinlichkeit abgestellt, mit der die Klägerin zu 1 als Volksdeutsche nach dem objektiven Erkenntnisstand (nicht nach ihren subjektiven Befürchtungen) von 1962 eine Studienzulassung für Medizin habe erreichen können. Diese Beurteilung hat das Berufungsgericht in Kenntnis der in BVerwGE 99, 133 (143) genannten Zahlen (aus denen ergibt sich, dass in Kasachstan in dem gegenüber dem hier maßgeblichen Jahr 1962 nur wenig älteren Studienjahr 1960/61 lediglich 4,58 % der Studenten Volksdeutsche waren <im Jahre 1966/67 waren es 4,84 %>, obgleich sie dort die drittstärkste Volksgruppe bildeten) gestützt auf das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Simon nach objektiven Kriterien getroffen. Die Angriffe der Beklagten gegen die Richtigkeit dieser Beurteilung und damit der konkreten Rechtsanwendung rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Auch die Frage der Beklagten, "ob im Rahmen der Fiktionsregelung allein schon diese Unsicherheit (dass nicht sicher prognostiziert werden kann, ob ein Antragsteller als Deutscher zu dem von ihm beabsichtigten Studium auch tatsächlich zugelassen würde) ausreichend sein darf", ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Zum einen treffen die von der Beklagten für die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage angeführten Gründe nicht zu; denn das Berufungsgericht hat gerade nicht auf ein "Nichtwissen" oder generelles "Nicht wissen können" des Studienbewerbers, sondern auf Umstände abgestellt, "die die damaligen Verhältnisse im Herkunftsgebiet objektiv prägten". Zum anderen hat es das Berufungsgericht für die Annahme eines schwerwiegenden beruflichen Nachteils nicht ausreichen lassen, dass die Zulassung zum Studium nicht sicher prognostiziert werden konnte, sondern darauf abgestellt, dass ein Studienbewerber unter den damals gegebenen Umständen bei objektiver Betrachtung eher damit rechnen musste, als Volksdeutscher keinen Studienplatz zu erhalten.
Schließlich kommt der Frage, "ob die bloße Anwendung des Rechtsgedankens der Fiktion durch das OVG mit der Systematik des § 6 Abs. 2 Satz 1 und 5 BVFG zu vereinbaren ist", keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn zu § 6 Abs. 2 Satz 1 und 5 BVFG hat der Senat bereits mit Urteilen vom 13. November 2003 - BVerwG 5 C 14.03 , 5 C 40.03 und 5 C 41.03 - entschieden. Zudem hat das Berufungsgericht auch festgestellt, "dass die Klägerin zu 1) unzweifelhaft den Willen hatte, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören".
Die Revision kann auch nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zugelassen werden. Der Berufungsbeschluss weicht nicht von BVerwGE 99, 133 ab, sondern legt in Übereinstimmung mit dieser Entscheidung einen objektiven Maßstab an (S. 8 Abs. 1): "Denn bei diesen vom Gutachter geschilderten Umständen, unter denen die Zulassung zum Studium bei einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Jahre 1962 tatsächlich erfolgte, handelte es sich um Umstände, die die damaligen Verhältnisse im Herkunftsgebiet objektiv prägten. Sie waren deshalb nicht nur geeignet, subjektive Befürchtungen der Angehörigen der deutschen Volksgruppe zu begründen, sondern stellten darüber hinaus ein objektives Merkmal für die Entscheidung über die Aufnahme eines Studiums dar."
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG.