Beschluss vom 28.02.2008 -
BVerwG 9 VR 2.08ECLI:DE:BVerwG:2008:280208B9VR2.08.0

Beschluss

BVerwG 9 VR 2.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Februar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:

  1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 20. September 2007 wird abgelehnt.
  2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17e FStrG hat keinen Erfolg. Für die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der unter dem Aktenzeichen BVerwG 9 A 3.08 geführten Klage des Antragstellers gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 20. September 2007 ist kein Raum, weil diese Klage wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig ist.

2 1. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung (§ 58 Abs. 1 VwGO) versehene Planfeststellungsbeschluss wurde gemäß der öffentlichen Bekanntmachung (§ 74 Abs. 5 HVwVfG) vom 20. September 2007, berichtigt durch die öffentliche Bekanntmachung vom 26. Oktober 2007, in der Zeit vom 20. November bis 4. Dezember 2007 in den betroffenen Gemeinden ausgelegt. Bis zum Ende der somit am 4. Januar 2008 ablaufenden einmonatigen Klagefrist (§ 74 Abs. 1 VwGO) ist beim Bundesverwaltungsgericht lediglich ein vom 4. Januar 2008 datierender und am selben Tag per Telefax übermittelter 45-seitiger Schriftsatz eingegangen, mit dem unter Bezugnahme auf eine angeblich von einem anderen Rechtsanwalt erhobene Klage der vorliegende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt und begründet, nicht jedoch auch Klage erhoben wurde.

3 2. Dem Antragsteller ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren (§ 60 Abs. 1 VwGO).

4 a) Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers ist vom Bundesverwaltungsgericht am 7. Januar 2008 darauf hingewiesen worden, dass bei dem Gericht keine Klage des Antragstellers eingegangen war. Daraufhin hat er am 12. Januar 2008 Klage erhoben und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er Folgendes vorgetragen:

5 Sein Prozessbevollmächtigter habe ursprünglich den Entwurf eines Eilantrags für einen anderen, ebenfalls von dem Planfeststellungsbeschluss betroffenen Landwirt angefertigt, sodann aber zur Begrenzung des Prozesskostenrisikos am letzten Tag der Klagefrist entschieden, nur für einen von beiden Landwirten - und zwar für den Antragsteller - neben der Klage auch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO einzureichen. Sein Prozessbevollmächtigter habe daher den für den anderen Landwirt formulierten Entwurf durch Änderung des Namens und der Anschrift des Antragstellers auf der Seite 1 sowie der Namensangabe in der Kopfzeile der folgenden Seiten modifiziert. Diesen Entwurf habe er ausdrucken lassen, um die Unterschiede in der betrieblichen Betroffenheit des Antragstellers gegenüber der Entwurfsfassung im Text zu nummerieren und bezogen auf diese Nummerierung Textänderungen absatzweise auf Band zu diktieren. Als die damit beauftragte Kanzleimitarbeiterin, eine erfahrene und zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte, ihm den gemäß dem Diktatband korrigierten und ausgedruckten Text vorgelegt habe, habe er bemerkt, dass der Schriftsatz auf Seite 1 noch Fehler enthalten habe, vor allem, dass die Klageerhebung gefehlt habe. Er habe daher neben dem Schreibarbeitsplatz der Kanzleimitarbeiterin eine Korrektur des Datums, die Worte „Klägers“ und „Beklagte“ sowie die Passage diktiert, wonach namens des von ihm vertretenen „Klägers und Antragstellers“ neben dem Eilantrag auch „Verwaltungsklage“ erhoben werde. Nach dem Ausdruck der korrigierten Seite 1 sei diese den restlichen 44 Seiten vorgelegt, von ihm kontrolliert und unterzeichnet worden; sodann habe er seiner Mitarbeiterin den Auftrag erteilt, diesen Schriftsatz per Telefax an das Bundesverwaltungsgericht zu übermitteln. Durch ein Versehen sei seiner Mitarbeiterin der ihr übergebene und mit Blick auf den Faxvorgang noch nicht geheftete Schriftsatz entglitten und habe sich auf ihrer Schreibtischarbeitsplatte verteilt. Beim Zusammenstellen und Sortieren der Seiten habe sie die noch auf ihrem Schreibtisch liegende Seite 1 der Entwurfsfassung mit der korrigierten Seite 1 der Endfassung verwechselt, dieses Entwurfsblatt den weiteren 44 Seiten vorgeordnet und sodann die Telefax-Übertragung dieses Schriftsatzes an das Bundesverwaltungsgericht gestartet. Der Prozessbevollmächtigte habe, von seiner Mitarbeiterin wegen des bevorstehenden Fristablaufs herbeigerufen, mit ihr den ordnungsgemäßen Ablauf des Übermittlungsvorgangs verfolgt. Die Verwechslung der im Übrigen vom Schriftbild her beinahe identischen Titelseiten sei ihm nicht aufgefallen, weil die Telefax-Übermittlung bei seinem Hinzutreten an das Faxgerät bereits begonnen hatte und die übermittelten Seiten mit dem Schriftbild nach unten ausgegeben worden seien. In einer eidesstattlichen Versicherung hat die Kanzleimitarbeiterin diesen Ablauf bestätigt.

6 b) Bei diesem Sachverhalt kann der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keinen Erfolg haben, weil der Antragsteller nicht ohne Verschulden gehindert war, die Klagefrist einzuhalten. Ein Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war (stRspr, vgl. Urteil vom 20. Juni 1995 - BVerwG 1 C 38.93 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 200 S. 20). Dabei ist ihm ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigen zuzurechnen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Die Richtigkeit des vorstehend wiedergegebenen Geschehens unterstellt, trifft den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vorliegend ein eigenes Verschulden, weil er selbst durch schuldhaftes Verhalten eine wesentliche Ursache dafür gesetzt hat, dass die Klagefrist nicht eingehalten wurde. Denn er hat es zugelassen, dass der Schriftsatz vom 4. Januar 2008 teilweise, nämlich mit seiner Seite 1, die die verfahrensbestimmenden Angaben darüber enthielt, ob neben dem Eilantrag auch Klage erhoben werden soll(te), in einer fehlerhaften Version im Geschäftsgang seiner Kanzlei verblieb, ohne Vorsorge dagegen zu treffen, dass diese fehlerhafte Version an das Gericht übermittelt wurde.

7 Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass einen Prozessbevollmächtigten bei fristgebundenen Schriftsätzen eine besondere Sorgfaltspflicht trifft (Beschluss vom 16. November 1982 - BVerwG 9 B 14473.82 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 128 S. 19 <nur Leitsatz>; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 60 Rn. 19). Dies gilt umso mehr bei Vorliegen besonderer Umstände, die ein erhöhtes Risiko für den reibungslosen Ablauf der Kanzleivorgänge darstellen, namentlich wenn der Prozessbevollmächtigte eine ungewöhnliche Verfahrensweise wählt (BGH, Beschluss vom 22. November 2001 - XII ZB 195/01 - NJW-RR 2002, 712; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 233 Rn. 23, Stichwort: Büropersonal und -organisation, S. 752). Eine solche Situation lag hier vor, weil es nicht dem gewöhnlichen Ablauf eines Kanzleibetriebs entspricht, einen fristgebundenen Schriftsatz in der geschilderten Weise durch Abänderung eines für eine andere Person angefertigten Entwurfs anzufertigen, indem einzelne, durch Zahlen gekennzeichnete Absätze im Diktatwege umformuliert werden. Das eigene Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers bestand hier darin, dass er, nachdem er am Schreibarbeitsplatz seiner Kanzleimitarbeiterin dieser die Korrektur der fehlerhaften Seite 1 der Entwurfsfassung diktiert hatte, diese fehlerhafte Version nicht sofort aus dem Geschäftsbetrieb seiner Kanzlei entfernte, z.B. indem er durch Zerreißen, Durchstreichen oder auf sonstige Weise kenntlich machte, dass diese Seite nicht an das Gericht übermittelt werden sollte, und dadurch zugleich sicherstellte, dass dies auch nicht infolge einer Verwechslung geschehen konnte (vgl. auch VGH Kassel, Beschluss vom 9. Januar 2004 - 9 ZU 3444/03 - NVwZ-RR 2004, 386 f.). Denn nach diesem Diktat, durch das die Seite 1 des Schriftsatzes ihre ordnungsgemäße, auch die Klageerhebung enthaltene Endfassung erhalten hatte, bestand keinerlei Anlass oder Notwendigkeit, die fehlerhafte Seite 1 der Entwurfsfassung bei der Kanzleimitarbeiterin an deren Arbeitsplatz zu belassen oder sie aufzubewahren; sie gehörte - zumal wegen ihres beinahe gleichen Schriftbildes mit der Endfassung - umgehend in den Papierkorb.

8 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG; sie entspricht der Hälfte der voraussichtlichen Streitwertfestsetzung für die Klage im Hauptsacheverfahren, mit der der Antragsteller eine Existenzgefährdung seines landwirtschaftlichen (Haupterwerbs-)Betriebes geltend macht.