Beschluss vom 28.02.2008 -
BVerwG 7 B 12.08ECLI:DE:BVerwG:2008:280208B7B12.08.0

Beschluss

BVerwG 7 B 12.08

  • Bayerischer VGH München - 28.11.2007 - AZ: VGH 22 BV 02.1560

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Februar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und Guttenberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. November 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren wird auf 51 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin wendet sich gegen eine bodenschutzrechtliche Untersuchungsanordnung. Sie hatte in den Jahren 1949/1952 ein Grundstück zur Ablagerung gefährlicher Abfallgemische an ein Altöl verarbeitendes Unternehmen verpachtet, das die Abfälle bis 1962 auf dem Grundstück ablagerte. Durch Bescheid vom 3. Februar 2000 wurden die Klägerin und die beiden aus dem Unternehmen hervorgegangenen juristischen Personen (GmbH und OHG) als Gesamtschuldner zur Erkundung und Sanierung der durch die Ablagerung von Säureharzen verursachten Boden- und Grundwasserverunreinigung in Anspruch genommen. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs haftet die Klägerin als Handlungsstörerin, weil sie durch die Verpachtung des Grundstücks zur Ablagerung von Mineralölabfällen eine Grundwassergefährdung (mit)verursacht habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig, ob der Begriff einer stillgelegten Deponie i.S.d. § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG voraussetzt, dass der Betrieb „faktisch eingestellt“, dass die Deponie nach Anzeige der Stilllegung an die zuständige Behörde „endgültig stillgelegt“ oder dass die Nachsorgephase abgeschlossen wurde. Die auf die Anwendbarkeit des Bundes-Bodenschutzgesetzes zielende Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, von denen der Senat mangels Verfahrensrüge in einem Revisionsverfahren auszugehen hätte, wurde die in Rede stehende Deponie lange vor Inkrafttreten des Abfallbeseitigungsgesetzes (11. Juni 1972) auf Dauer stillgelegt. Für eine solche „Uraltanlage“ enthält das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz keine Regelungen. Schon aus diesem Grund ist nicht zweifelhaft, dass das Bundes-Bodenschutzgesetz auf die Anlage anwendbar ist, weil Vorschriften des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes über die Stilllegung von Deponien Einwirkungen auf den Boden nicht regeln (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BBodSchG). Bestehende Deponien i.S.d. § 35 Abs. 1 KrW-/AbfG sind ausschließlich Anlagen, die bei Inkrafttreten des Abfallbeseitigungsgesetzes vorhanden waren und weiterhin bestimmungsgemäß betrieben werden sollten (Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl. 2003, § 35 Rn. 2). Auf der hier interessierenden Deponie lagerte das Unternehmen seit 1962 keine Abfälle mehr ab. Es kam damit, wiewohl verspätet, einer bestandskräftig gewordenen Unterlassungsverfügung des Landratsamts Kronach vom 21. Juli 1959 nach. Dass die Anlage damit auf Dauer außer Dienst gestellt wurde, stellt auch die Beschwerde nicht in Abrede.

3 Die weitere Frage, „wann der Eigentümer, der es zulässt, dass sein Grundstück in einer risikoreichen Weise genutzt wird, als Zustandsverantwortlicher und wann auch als Verhaltensverantwortlicher in Anspruch genommen werden kann“, führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision, da kein Klärungsbedarf besteht. Ob ein Grundstückseigentümer (auch) als Verhaltensverantwortlicher haftet, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ab, ob sein Verhalten die Gefahr „unmittelbar“ herbeigeführt, also bei einer wertenden Zurechnung die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschritten hat. Personen, die entferntere, nur mittelbare Ursachen für den eingetretenen Erfolg gesetzt, also nur den Anlass für die unmittelbare Verursachung durch andere gegeben haben, sind in diesem Sinn keine Verursacher (Beschlüsse vom 22. Dezember 1980 - BVerwG 4 B 192.80 - Buchholz 445.5 § 25 WaStrG Nr. 1; und vom 12. April 2006 - BVerwG 7 B 30.06 - juris). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof angenommen, dass die Klägerin mit dem Abschluss des Pachtvertrags zu dem Zweck, dem Unternehmen die Ablagerung von „Ölabfall“ und „übelriechenden Industrieabfällen“ in einer Sandgrube ohne abdichtende Erdschichten zu ermöglichen, sowie durch die Fortsetzung des Pachtverhältnisses zu einem Zeitpunkt, zu dem der Eintritt von Gewässerverunreinigungen bereits offenkundig geworden sei, unmittelbar eine Grundwassergefährdung verursacht hat. Ob die Voraussetzung, dass ein Verhalten die Gefahrenschwelle überschritten hat, erfüllt ist, ist auf der Grundlage der erforderlichen tatsächlichen Feststellungen im Einzelfall zu würdigen. Mit der Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs verbinden sich keine Fragen, die einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich sind.

4 Auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, „ob die zuständige Behörde, die von der Grundwassergefährdung Kenntnis hat, 40 Jahre lang aktiv Einfluss auf das Geschehen nimmt, jedoch ohne eine Beseitigung durchzusetzen, als (Mit-)Verursacher in Anspruch genommen werden kann“, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist dem Landratsamt kein Verursachungsbeitrag zuzurechnen, weil es Mitte Juli 1959 erstmals von den Ablagerungen Kenntnis erhalten hat, mit der Stilllegungs- und Beseitigungsanordnung vom 21. Juli 1959 unverzüglich eingeschritten ist und der verspätete Vollzug dieser Verfügung dem positiven Handeln der Verursacher der Altlast nicht gleichgestellt werden kann. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass unter solchen Umständen keine behördliche Verhaltensverantwortung begründet wird, entzieht sich als Würdigung des konkreten Einzelfalles einer rechtsgrundsätzlichen Klärung.

5 Ebenso wenig ist die Revision zur Klärung der Frage zuzulassen, ob bei Eigentum einer juristischen Person an dem sanierungsbedürftigen Grundstück auch der persönlich haftende Gesellschafter zu den Sanierungsmaßnahmen herangezogen werden kann. Die Voraussetzungen einer Durchgriffsverantwortlichkeit i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 4 BBodSchG sind hier schon deshalb nicht gegeben, weil das Grundstück nicht im Eigentum des Unternehmens stand. Davon abgesehen hat der Verwaltungsgerichtshof die Nichtheranziehung der Gesellschafter als ermessensfehlerfrei bewertet, weil deren Heranziehung im Rahmen des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG nach seiner Rechtsprechung fragwürdig sei (VGH München, Beschluss vom 29. November 2004 - 22 CS 04.27 01 GewArch 2005, 126). Diese an der Effektivität der Gefahrenabwehr orientierte Würdigung der Störerauswahl wirft keine Fragen auf, die der rechtsgrundsätzlichen Klärung bedürften.

6 Ähnliches gilt für die von der Beschwerde aufgeworfene Frage der Rückwirkung der Sanierungspflicht. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine Rückwirkung der Sanierungspflicht eines Verhaltensverantwortlichen nicht besteht, soweit er schon bisher auf der Grundlage des materiellen Rechts zur Störungsbeseitigung in Anspruch genommen werden konnte (Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 7 C 3.05 - BVerwGE 125, 325 <329 ff.>). Nach den irrevisiblen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs musste sich schon unter der Geltung des Bayerischen Wassergesetzes von 1907 der Grundstückseigentümer aller Maßnahmen enthalten, durch die das Grundwasser beeinträchtigt werden konnte. Das impliziert, dass dem Verhaltensstörer Gefährdungen dieser Art auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel untersagt werden konnten. Das trifft auch auf die Verpachtung des Grundstücks zum Zweck der Ablagerung von Mineralölabfällen zu, die vom Verwaltungsgerichtshof als Verhaltensverantwortung der Klägerin gewürdigt wurde. Weiteren Klärungsbedarf lässt das Vorbringen der Beschwerde nicht erkennen.

7 Auch die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen zur Verhältnismäßigkeit und zur Verwirkung einer Inanspruchnahme der Klägerin verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Aus der Erwägung des Senats in dem Urteil vom 16. März 2006 (a.a.O. S. 336), dass die Verhältnismäßigkeit einer Inanspruchnahme wegen einer rund zwanzig Jahre zurückliegenden Grundwasserverunreinigung „ohne Weiteres zu bejahen“ sei, lässt sich nicht auf die Unverhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme wegen eines länger zurückliegenden Fehlverhaltens schließen. Die Unverhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme eines Verhaltensverantwortlichen bemisst sich nicht nach einer starren zeitlichen Grenze. Die ordnungsrechtliche Pflicht knüpft nicht an den Zeitpunkt ihrer Entstehung, sondern an die Notwendigkeit der Gefahrenabwehr an. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in dem angegriffenen Urteil mit der Frage der Verhältnismäßigkeit einer Inanspruchnahme der Klägerin auseinander gesetzt. Dabei hat er namentlich berücksichtigt, dass die Klägerin angesichts der bestandskräftig gewordenen Beseitigungsanordnung bei Wegfall der Leistungsfähigkeit des Unternehmens mit ihrer Inanspruchnahme rechnen musste und dem Landratsamt das Ausmaß des Grundwasserschadens erst aufgrund der 1997/1998 erstellten Gutachten bekannt geworden ist. Die einzelfallbezogene Würdigung des Sachverhalts unter Abwägung der Bedeutung des öffentlichen Schutzguts mit den entgegenstehenden Belangen der Klägerin gibt zu einer rechtsgrundsätzlichen Klärung der Verhältnismäßigkeit keinen Anlass. Nichts anderes gilt für die Frage einer „Verwirkung“ der Befugnis zum Erlass der angefochtenen Untersuchungsanordnung. Da ordnungsrechtliche Befugnisse zur Gefahrenabwehr nicht verwirkbar sind, ist diese Frage gleichermaßen unter den einzelfallbezogenen Aspekten der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und der ermessensfehlerfreien Auswahl der Verantwortlichen zu beurteilen.

8 2. Die Revision ist nicht wegen der behaupteten Abweichung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Abweichungsrüge ist unzulässig. Die Beschwerde legt nicht dar, dass der Verwaltungsgerichtshof einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der einem ebensolchen der von ihr genannten Entscheidungen widerspricht. Sie begnügt sich mit der Behauptung, dass der Verwaltungsgerichtshof die seiner Auffassung vermeintlich entgegenstehende Rechtsprechung außer acht gelassen habe. Mit derartigen Angriffen lässt sich die Zulassung wegen Divergenz nicht erreichen.

9 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.