Beschluss vom 28.01.2004 -
BVerwG 9 B 97.03ECLI:DE:BVerwG:2004:280104B9B97.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.01.2004 - 9 B 97.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:280104B9B97.03.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 97.03

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 28.05.2003 - AZ: OVG 3 A 793/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Januar 2004
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S t o r o s t und Dr. E i c h b e r g e r
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 218,74 € festgesetzt.

Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Die zu ihrer Begründung innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist angeführten Rügen, auf die die Prüfung des beschließenden Senats gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
1. Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise bezeichnet. Eine solche Abweichung liegt nur dann vor, wenn sich das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der angezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat; die Beschwerde muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 1988 - BVerwG 1 B 44.88 - Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 32 und vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 68.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302). Daran fehlt es hier.
Soweit der Kläger rügt, das Berufungsgericht habe gegen die in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 1968 - BVerwG IV C 2.66 (BVerwGE 31, 20 ff.) und BVerwG IV C 31.66 (BVerwGE 31, 22 ff.) - aufgestellten Erfordernisse zur Beurteilung des Bebauungszusammenhangs i.S. des § 34 BauGB verstoßen und die Ausführungen im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 1967 - BVerwG IV C 25.66 - (BVerwGE 27, 137 ff.) zur Frage, wann die Entstehung einer Splittersiedlung i.S. des § 35 Abs. 3 BBauG zu befürchten sei, nicht befolgt, benennt er keinen divergierenden abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen Urteil. Vielmehr macht er nur geltend, das Berufungsgericht habe vom Bundesverwaltungsgericht in den genannten Urteilen aufgestellte Rechtsgrundsätze im vorliegenden Fall nicht beachtet. Damit kann jedoch keine Divergenzrüge begründet werden.
Abgesehen davon fehlt es auch an der für die Annahme einer Abweichung erforderlichen Identität der angewandten Rechtsvorschriften. Denn das Berufungsgericht hat seine entscheidungstragende Aussage, dass die Markstraße in dem hier in Rede stehenden Bereich nicht dem Beitragserhebungsverbot des § 242 Abs. 1 BauGB unterfalle, maßgeblich darauf gestützt, dass sie bei In-Kraft-Treten der Ortssatzung im Sommer 1958 noch keine "vorhandene Straße" i.S. des Preußischen Anliegerbeitragsrechts gewesen sei, weil sie die dafür geltende Voraussetzung der Bestimmung zum Verkehr innerhalb einer "geschlossenen Ortslage" nicht erfüllt habe. Es hat dieser Aussage also das im genannten Beurteilungszeitpunkt geltende Landesrecht, nicht aber den damals noch nicht geltenden § 34 Abs. 1 BauGB zugrunde gelegt. Aus dem Hinweis des Berufungsgerichts, eine geschlossene Ortslage in diesem Sinn sei zu bejahen, wenn das zu beurteilende Gebiet wegen der vorhandenen Bebauung eine städtebauliche Einheit i.S. der heutigen Rechtsprechung zu § 34 und § 35 BBauG/BauGB bilde, folgt nichts anderes. Denn ein solcher dem Bundesrecht entlehnter Hilfsmaßstab ändert nichts an der Rechtsnatur der maßgeblichen, im hier relevanten Zeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften.
2. Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen könnte, hat der Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn für die Entscheidung des Berufungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Um das darzulegen, muss eine solche Rechtsfrage bezeichnet und ein Hinweis auf den Grund gegeben werden, der die Anerkennung ihrer grundsätzlichen, d.h. allgemeinen Bedeutung rechtfertigen soll (vgl. BVerwGE 13, 90 <91>). Diese Erfordernisse erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Sie beanstandet nach Art einer Revisionsbegründung lediglich, dass das Berufungsgericht in der Rechtsprechung aufgestellte Anforderungen an den Bebauungszusammenhang verkannt und insoweit das Recht fehlerhaft angewandt habe.
Abgesehen davon könnten sich in diesem Zusammenhang ergebende Rechtsfragen im Revisionsverfahren schon deshalb nicht geklärt werden, weil sie sich nach dem bis zum 29. Juni 1961 geltenden Landesrecht beantworten, an dessen Auslegung durch das Berufungsgericht das Revisionsgericht gebunden wäre (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO; vgl. BVerwGE 78, 321 <323>; 85, 66 <68>).
3. Einen für das angefochtene Urteil erheblichen Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen könnte, hat der Kläger innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nicht ausdrücklich geltend gemacht. Allerdings könnte sein Vorbringen, das Berufungsgericht habe es bei seiner Aussage, die Bebauung an der Markstraße habe im Sommer 1958 aus zwei voneinander getrennten Siedlungssplittern bestanden, rechtsfehlerhaft unterlassen, sich zu entscheidungserheblichen Fragen eine auf hinreichende Tatsachen begründete Überzeugung zu bilden, der Sache nach als Verfahrensrüge aufzufassen sein. Auch eine solche Deutung könnte der Beschwerde jedoch nicht zum Erfolg verhelfen.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Einhaltung der daraus entstehenden verfahrensmäßigen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Denn damit wird ein (vermeintlicher) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel i.S. von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.). Eine Ausnahme hiervon kommt allerdings bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung in Betracht (vgl. BVerwGE 84, 271 ff.; Beschlüsse vom 2. November 1995 a.a.O., vom 3. April 1996 - BVerwG 4 B 253.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 269 und vom 19. November 1997 - BVerwGE 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1). Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang dagegen wendet, dass das Berufungsgericht in nicht nachvollziehbarer Weise die zwischen den Häusergruppen bestehenden Abstände von ca. 130 m an der Nord- und 160 m an der Südseite der Straße zu einer "Außenbereichsschneise" von etwa 400 m Breite addiert hat, statt von der Summe dieser Abstände die Überschneidungsstrecke von etwa 70 m zu subtrahieren, mag ein solcher Mangel angesprochen sein.
Auf diesem Mangel kann die angefochtene Entscheidung jedoch nicht beruhen. Das Berufungsgericht hat in - für das Revisionsgericht bindender - Auslegung des Landesrechts festgestellt, dass eine "geschlossene Ortslage" als Tatbestandsvoraussetzung der "vorhandenen Straße" i.S. des preußischen Anliegerbeitragsrechts nur zu bejahen sei, wenn eine aufeinander folgende Bebauung trotz vorhandener Freiflächen den Eindruck der Geschlossenheit vermittele und einen Bebauungskomplex im Gebiet der Gemeinde bilde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitze und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur sei. Es hat im angefochtenen Urteil jedes dieser drei Tatbestandsmerkmale verneint. Selbst wenn nicht auszuschließen ist, dass dies in den beiden erstgenannten Fällen auf der nicht nachvollziehbaren Annahme einer etwa 400 m breiten Außenbereichsschneise und insoweit auf einem Verfahrensmangel beruht, bliebe die Feststellung, dass die Bebauung im Bereich der abgerechneten Strecke nicht den Anforderungen an eine organische Siedlungsstruktur entsprach, von diesem Mangel unberührt und würde nach der insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts die angefochtene Entscheidung allein tragen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 13 Abs. 2, § 14 GKG.