Beschluss vom 28.01.2004 -
BVerwG 7 B 107.03ECLI:DE:BVerwG:2004:280104B7B107.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.01.2004 - 7 B 107.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:280104B7B107.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 107.03

  • VG Berlin - 22.08.2003 - AZ: VG 22 A 70.98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. August 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 605 € festgesetzt.

Der Kläger beansprucht als Miterbe einer 1980 verstorbenen Eigentümerin die Rückgabe eines Grundstücks in Berlin, das 1956 auf der Grundlage der Aufbauverordnung in Anspruch genommen wurde. Die Erblasserin war ungarische Staatsangehörige jüdischer Herkunft. Der Kläger hat nach erfolglosem Verwaltungsverfahren Klage erhoben und geltend gemacht, das Grundstück sei durch Verordnung des königlich- ungarischen Ministeriums über jüdisches Vermögen vom 1. November 1944 faktisch enteignet worden. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Rückgabeanspruch nicht formgerecht angemeldet worden sei und ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust nicht vorliege. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Auf der von der Beschwerde als verfahrensfehlerhaft gerügten Erwägung, die namens der Erbengemeinschaft eingereichte Anmeldung vom 25. September 1990 sei vom Kläger nicht unterzeichnet, kann das angegriffene Urteil schon deswegen nicht beruhen, weil es außerdem auf die selbständig tragende Erwägung gestützt ist, dass es an einem verfolgungsbedingten Vermögensverlust i.S. des § 1 Abs. 6 VermG fehle.
Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst. Die Beschwerde möchte geklärt wissen,
"ob die 1944 gegen die jüdischen Bürger eingeleiteten Maßnahmen des ungarischen Staates, insbesondere die vollständige Enteignung, in Verbindung mit den gegen die jüdischen Bürger ergriffenen Maßnahmen des Deutschen Reiches im Zeitraum 1939 - 1945 bei einem ungarischen jüdischen Staatsangehörigen, der über deutsches Grundeigentum verfügte, zu einer rechtlichen und/oder faktischen Enteignung des betroffenen Grundstücks i.S. von § 1 Abs. 6 VermG führte".
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Ihr liegt ein Sachverhalt zugrunde, der von den Feststellungen des angegriffenen Urteils abweicht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts hatte die Rechtsvorgängerin des Klägers seit Erwerb des Grundstücks im Jahr 1924 bis zu ihrem Tod ihren ständigen Wohnsitz im Westteil Berlins; das deckt sich mit dem Inhalt des Schreibens ihres Neffen Dr. Samuel E. vom 27. November 1996 an das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen. Damit erfüllte sie weder das Erfordernis des § 1 der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl I S. 722), dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte, noch die Voraussetzungen der zur Durchführung der Verordnung ergangenen Anordnung vom 3. Dezember 1941, wonach "der Verlust der Staatsangehörigkeit und der Vermögensverfall (...) auch diejenigen unter die Verordnung fallenden Juden (trifft), die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den von den deutschen Truppen besetzten oder in deutsche Verwaltung genommenen Gebieten haben oder in Zukunft nehmen, insbesondere auch im Generalgouvernement und in den Reichskommissariaten Ostland und Ukraine". Ebenso wenig konnte ihr in Berlin gelegenes Grundstück durch die königlich-ungarische Verordnung vom 1. November 1944 enteignet werden, weil diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Übergang des jüdischen Vermögens in Ungarn auf den Staat anordnete und nicht auf Grundstücke im Reichsgebiet erstreckt wurde. Eine Erstreckungswirkung für Berliner Grundstücke ungarischer Juden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin hatten, ist der Anordnung vom 3. Dezember 1941 entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen. Dem entspricht, dass die Rechtsvorgängerin des Klägers bis zur Inanspruchnahme des Grundstücks im Jahr 1956 im Grundbuch als Eigentümerin verzeichnet war. Davon abgesehen fehlt es an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass sie sich als faktisch enteignet ansehen musste. Ein faktischer Eigentumsentzug würde voraussetzen, dass sie durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus ihrem Eigentum verdrängt wurde (vgl. Beschluss vom 17. Januar 1997 - BVerwG 7 B 298.96 - Buchholz 428 § 1 Nr. 100). Für die Annahme eines derartigen Eigentumszugriffs reicht nicht aus, dass in der NS-Zeit jüdische Eigentümer generell einer Vielzahl diskriminierender Verfügungsbeschränkungen unterworfen wurden und regelmäßig verfolgungsbedingte Vermögensverluste erlitten haben. Der Rechtsvorgängerin des Klägers ist ein Eigentumsverlust in der NS-Zeit offenbar erspart geblieben. Zwei Zwangsversteigerungsvermerke, die in den Jahren 1933 und 1940 eingetragen wurden, sind im Januar 1934 und im April 1940 wieder gelöscht worden. Angesichts dessen kann von einer rechtlichen oder faktischen Enteignung des in Rede stehenden Grundstücks nicht ausgegangen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.