Beschluss vom 27.08.2002 -
BVerwG 8 B 20.02ECLI:DE:BVerwG:2002:270802B8B20.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.08.2002 - 8 B 20.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:270802B8B20.02.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 20.02

  • VG Magdeburg - 07.08.2001 - AZ: VG 7 A 133/00 MD

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. August 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r sowie die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht Dr. P a g e n k o p f und S a i l e r
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerden der Klägerin und des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 7. August 2001 wird dieses Urteil aufgehoben.
  2. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 38 346,89 € (entspricht 75 000 DM) festgesetzt.

Die Beschwerde der Klägerin und des Beigeladenen ist jeweils begründet. Zwar kommt der Rechtssache nicht die von den Beschwerden geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht aber von später ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab. Gleichwohl ist die Revision nicht wegen dieser Divergenz zuzulassen, da die Sache wegen mangelnder Sachaufklärung in einem fallentscheidenden Punkt auf jeden Fall zurückzuverweisen ist. Es liegt damit nämlich ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), was zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das Verwaltungsgericht führt (§ 133 Abs. 6 VwGO).
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Soweit die Beschwerde des Beigeladenen die Frage aufwirft,
ob "eine unvollständig vorliegende Rechnung, welche nicht den Mindestanforderungen bzw. Formvorschriften für eine bestandskräftige Rechnung nach DDR-Vertragsgesetz entspricht und welche explizit Bezug auf ein (nicht vorliegendes) verbindliches Preisangebot (VPA) nimmt, eine zulässige bzw. zuverlässige Bemessungsgrundlage für die Schätzung der Kosten einer komplexen Rekonstruktion eines Wohnhauses nach § 7 I VermG" ist,
so fehlt dieser Frage schon das fallübergreifende Gewicht. Es handelt sich hierbei um eine typische Frage des Einzelfalles, die durch die Sachverhaltskonstellation des vorliegenden Rechtsstreits bedingt ist. Wie eine Rechnung beschaffen sein muss und welche Anforderungen für sie das nichtrevisible DDR-Recht aufstellte, ist keine abstrakt zu beantwortende Rechtsfrage.
Soweit die beiden Beschwerden übereinstimmend die beiden Fragen aufwerfen,
"Ist bei komplexen Sanierungsmaßnahmen eines Mehrfamilienhauses bei der Ermittlung der Höhe des Wertausgleichs gemäß § 7 VermG der Freibetrag von 10 000 M je Wohneinheit für jedes Jahr der Sanierungsmaßnahmen gesondert oder nur für das Jahr in Ansatz zu bringen, in welchem die sich über mehrere Jahre erstreckenden Maßnahmen abgeschlossen wurden?
Von welchem Zeitpunkt an sind bei komplexen Sanierungsmaßnahmen an einem Mehrfamilienhaus, die sich über mehrere Jahre erstreckten, die jährlichen Abschläge i.H.v. 8 v.H. gemäß § 7 VermG vorzunehmen?"
so sind diese beiden Fragen zwischenzeitlich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Bei Modernisierungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen, die mehr als ein Jahr in Anspruch nahmen, ist der Schwellenwert als Freibetrag in jedem Jahr, in dem Bauarbeiten in nicht völlig unerheblichem Umfang getätigt wurden, abzuziehen. Das folgt aus der auf das Kalenderjahr der Bauarbeiten abstellenden Konzeption des Gesetzes. Die Erheblichkeit ist mit Blick auf jedes Kalenderjahr der Bauarbeiten gesondert zu prüfen, und gegebenenfalls ist zugunsten des Berechtigten der Schwellenwert mehrfach abzusetzen (Urteil vom 8. November 2001 - BVerwG 8 C 14.01 - VIZ 2002, 211).
Auch die zweite aufgeworfene Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Nachdem auf der ersten Stufe das Gesamtkostenvolumen festgestellt worden ist, hat der Gesetzgeber auf der zweiten Stufe des § 7 Abs. 1 Satz 3 VermG zugunsten des Berechtigten der nach Durchführung der Baumaßnahmen eingetretenen Abnutzung durch jährliche Abschreibungen in Höhe von 8 % von dem maßgeblichen, für das Objekt angewandten Kostenbetrag Rechnung getragen und in diesem Zusammenhang den Zeitraum bis zur Entscheidung über die Rückübertragung einbezogen (vgl. Urteil vom 28. November 2001 - BVerwG 8 C 19.00 - RÜBARoV 2002, Nr. 3, 31). Es ist damit der Zeitraum zwischen der Durchführung der Baumaßnahme und der behördlichen Entscheidung über die Rückübertragung maßgebend. Aus Praktikabilitätsgründen ist das Jahr der Beendigung der Baumaßnahme dabei ebenso vollständig zugunsten des Berechtigten anzusetzen wie das Jahr der Rückübertragung (vgl. Urteil vom 28. November 2001 - BVerwG 8 C 14.01 - a.a.O.).
2. Zwar kann bezüglich dieser an sich grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfragen wegen der nunmehr erfolgten Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht, obschon sich die Beschwerdeführer nur auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO berufen haben, im Beschwerdeverfahren auch geprüft werden, ob der Zulassungsgrund der Divergenz gegeben ist (Beschluss vom 8. Februar 1961 - BVerwG 8 B 193.60 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 6). Von der Möglichkeit der Zulassung wegen Divergenz in den oben genannten beiden Rechtsansichten des Verwaltungsgerichts macht der Senat gleichwohl aus den nachstehenden Gründen keinen Gebrauch, da auch in einem späteren Revisionsverfahren die Sache aufzuheben und zurückzuverweisen wäre (vgl. Beschluss vom 26. Juni 2000 - BVerwG 7 B 26.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 15).
3. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greift nämlich durch. Das Verwaltungsgericht hat es unter Verstoß gegen die ihm von Amts wegen obliegende Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) unterlassen, die ersichtlich entscheidungserhebliche Frage nach dem Umfang der für den Wertausgleich berücksichtigungsfähigen Investitionen in dem gebotenen Umfang aufzuklären. Nachdem die Richtigkeit des Inhalts des Sachverständigengutachtens bereits in der Klageschrift, aber auch später in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht durch die Klägerin und den Beigeladenen substantiiert bestritten worden war, durfte das Verwaltungsgericht nicht ohne nähere Prüfung an dem Inhalt des von dem Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten festhalten.
Zwar liegt darin kein Verstoß gegen § 98 VwGO i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO, da diese Bestimmungen nicht für ein von einem Beteiligten beigebrachtes Parteigutachten gelten, die inhaltlich als Parteivortrag zu werten sind (vgl. Beschluss vom 21. September 1994 - BVerwG 1 B 131.93 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 46). Nur wenn ein vom Gericht erhobenes Sachverständigengutachten vorläge, hätte es das Erscheinen des Sachverständigen zum Zwecke der Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens anordnen müssen.
Die Ablehnung des förmlich in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrages der Klägerin auf Anhörung des Sachverständigen M. zur Erläuterung seines Gutachtens verstößt aber gegen den Amtsermittlungsgrundsatz. Aus dem Gutachten, aber auch aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist nicht nachvollziehbar, weshalb gerade 60 % des verbindlichen Preisangebots in Höhe von 240 479,56 M abzüglich der Tischlerarbeiten in Höhe von 15 286,43 M bei der Ermittlung des Gesamtkostenvolumens maßgebend sein sollen. Nach dem bisher vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt ist ein Schriftstück über das in der Rechnung aufgeführte verbindliche Preisangebot nicht auffindbar. Da die Klägerin zudem in der mündlichen Verhandlung nicht von der Hand zu weisende Zweifel an der Korrektheit der Rechnung Nr. 110/6 vom 3. Juni 1987 geäußert hat, die möglicherweise bei Erläuterung durch den Gutachter ausgeräumt werden konnten, durfte das Verwaltungsgericht auch nicht den Beweisantrag der Klägerin als unsubstantiiert zurückweisen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beiziehung und Verwertung von Gutachten aus anderen Gerichtsverfahren oder - wie hier - aus dem Verwaltungsverfahren im Wege des Urkundenbeweises zwar zulässig ist, dadurch aber die Beteiligten keine Rechte verlieren dürfen, die ihnen zustünden, wenn das Beweismittel gerade in ihrem Prozess eingeholt worden wäre (Beschluss vom 31. Juli 1985 - BVerwG 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 S. 7 <8>). Unter diesen Umständen ist ein Gericht regelmäßig verpflichtet, dem hinsichtlich des Klärungsbedarfs konkretisierten Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf Erläuterung eines beigezogenen Privatgutachtens durch den Sachverständigen zu entsprechen, wenn es dieses Gutachten verwerten will.
Auch die förmlich gestellten Beweisanträge des Beigeladenen auf Vernehmung der Zeugen G. und S. einmal zur Frage, ob zum Zwecke der Planerfüllung auf der fraglichen Baustelle systematisch Leistungen und Arbeiten abgerechnet wurden, die in Wirklichkeit nicht erbracht wurden, und dazu, dass es im Kreisbetrieb St. kein Ofengewerk bzw. Malergewerk gegeben hat, und zum anderen, dass keine drei Außenwandheizgeräte im Zuge der Sanierung des streitigen Objekts installiert worden sind, durften vom Verwaltungsgericht nicht als unzulässige Beweisausforschungsanträge abgelehnt werden. Sollten nämlich die genannten Zeugen die unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen bestätigen, wäre die Richtigkeit des Gutachtens in einem zentralen Punkt erschüttert. Die Auswirkungen auf die Höhe des Gesamtkostenvolumens liegen dabei auf der Hand, wovon wiederum das Ergebnis der Festsetzung des Wertausgleichs abhängt. Gegebenenfalls wird das Verwaltungsgericht, um die tatsächlichen Grundlagen für die Ermittlung der Gesamtkosten für die Modernisierungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen, die für die Berechnung des Wertausgleichs entscheidend sind, festzustellen, einen Sachverständigen von Amts wegen bestellen müssen.
Ob die weiteren von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel vorliegen, kann dahinstehen. Im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat von der Möglichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, das angefochtene Urteil ohne vorherige Zulassung der Revision aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Das Verwaltungsgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben, dass vorliegend auf der zweiten Stufe auch die Baujahre 1985 und 1986 mit einzubeziehen sind, so dass gegebenenfalls der Schwellenwert von 10 000 M je Einheit in jedem Jahr mit Bauarbeiten in nicht völlig unerheblichem Umfang anzusetzen ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13, 14, 73 GKG.