Beschluss vom 27.07.2006 -
BVerwG 1 WB 15.06ECLI:DE:BVerwG:2006:270706B1WB15.06.0

Leitsätze:

-

Zu den Voraussetzungen einer Härtefallentscheidung, einen Soldaten trotz eines

gegen ihn geführten gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu fördern.

  • Rechtsquellen
    SG § 3 Abs. 1
    ZDv 20/7 Nr. 135

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.07.2006 - 1 WB 15.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:270706B1WB15.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 15.06

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze als Vorsitzenden,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberst Mehlmann und
Oberstleutnant Gronau
als ehrenamtliche Richter
am 27. Juli 2006 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Der 1955 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit voraussichtlich mit Ablauf des 31. März 2014 enden wird. Zum Oberstleutnant (OTL) wurde er mit Wirkung vom 1. Januar 1998 ernannt und mit Wirkung vom 1. Januar 2001 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 eingewiesen. Vom 1. April 1998 bis zum 31. Dezember 2001 wurde er als Kommandeur des A...bataillons (Kdr A...Btl) ... in P. verwendet. Zum 1. Januar 2002 wurde er - unter Nutzung einer Planstelle des z.b.V.-Etats - zum Stab P...brigade ... in S. versetzt. Vom 1. März 2003 bis zum 23. April 2006 war er beim Stab P...division (P...Div) in S. eingesetzt. Seit dem 24. April 2006 wird er auf dem Dienstposten A...stabsoffizier und Dezernatsleiter beim S... in K. verwendet. Im Dienstgrad OTL wurde er jeweils zum 30. September 1999 und zum 30. September 2001 planmäßig beurteilt.

2 In seiner Funktion als Kdr A...Btl ... erließ der Antragsteller am 8. Mai 2001 den schriftlichen „Organisationsbefehl für die Teilnahme am Historienspektakel P. 2001 im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit am Standort P.“, der die Unterstützung des Historienspektakels mit ihm unterstellten Soldaten und Material vorsah.

3 Der Kdr ... PGDiv leitete mit Verfügung vom 21. Dezember 2001 ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein, in der ihm im Wesentlichen vorgeworfen wurde, Befehle zu nicht dienstlichen Zwecken erteilt und seine Befugnisse als Standortältester überschritten zu haben.

4 Mit Fernschreiben vom 5. Juni 2003 ordnete das Personalamt der Bundeswehr (PersABw) unter Hinweis auf Nr. 406 ZDv 20/6 an, dass die planmäßige Beurteilung des Antragstellers zum 30. September 2003 bis auf weiteres ausgesetzt werde; neue Erkenntnisse seien umgehend dem PersABw zu melden.

5 Nachdem der Wehrdisziplinaranwalt (WDA) bei dem Truppendienstgericht (TDG) Nord für den Bereich PGDiv am 30. Oktober 2003 die Anschuldigungsschrift an das TDG Nord - 5. Kammer - übersandt hatte, fasste der Vorsitzende dieser Kammer am 29. Juni 2004 - N 5 VL 11/03 - den Beschluss, das gerichtliche Disziplinarverfahren im Hinblick auf die Unterlassung der nach § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO gebotenen Anhörung des Antragstellers wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Dieser Beschluss ist seit dem 17. Juli 2004 unanfechtbar.

6 Mit Schreiben vom 6. August 2004 teilte der WDA bei dem TDG Süd für den Bereich der P..Div dem Bundesminister der Verteidigung (BMVg) mit, er habe nach der Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens in seiner Zuständigkeit wegen des gegen den Antragsteller erhobenen Tatvorwurfs erneute disziplinargerichtliche Vorermittlungen aufgenommen.

7 Am 7. März 2005 leitete der Kdr. P...Div gegen den Antragsteller ein gerichtliches Disziplinarverfahren ein. Im Rahmen der Ermittlungen wurde für den Antragsteller am 18. April 2005 eine Sonderbeurteilung nach Nr. 406 Buchst. b ZDv 20/6 erstellt. Am 23. Juni 2005 übersandte der zuständige WDA die Anschuldigungsschrift an das TDG Süd - 6. Kammer -.

8 Nachdem der Antragsteller mit Schreiben vom 21. März 2005 seine Versetzung auf einen Dienstposten - auch außerhalb seiner Truppengattung - im Raum O. zum nächstmöglichen Zeitpunkt erbeten hatte, beantragte er mit Schreiben vom 23. März 2005, die seit Dezember 2001 bestehende „Förderungs-/Beförderungssperre“ sowie die Aussetzung seiner planmäßigen Beurteilung zum 30. September 2003 aus Billigkeitsgründen aufzuheben. Zur Begründung führte er aus, dass er auf diese Weise für eine größere Anzahl in Frage kommender Dienstposten verwendbar werde. Die seit fast dreieinhalb Jahren bestehende Sperre und die fehlende Beurteilung schränkten seine Verwendungs- und Versetzungsmöglichkeiten im Hinblick auf den Versetzungsantrag vom 21. März 2005 erheblich ein, zumal er seit 2001 ohne Gerichtsverhandlung bzw. Gerichtsurteil erhebliche Laufbahnnachteile zu erleiden habe. Dies stelle einen Härtefall dar.

9 Den Antrag des Antragstellers lehnte das PersABw mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Juni 2005 ab.

10 Die Beschwerde des Antragstellers vom 14. Juli 2005 wies der BMVg - PSZ I 7 - mit Beschwerdebescheid vom 10. November 2005 zurück.

11 Gegen diese am 15. November 2005 zugestellte Entscheidung richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 24. November 2005, den der BMVg - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 10. April 2006 dem Senat vorgelegt hat.

12 Zur Begründung trägt der Antragsteller insbesondere vor:
Die Ablehnung eines Härtefalles und in der Folge einer Ausnahme vom Förderungsverbot nach Nr. 135 ZDv 20/7 durch das PersABw und den BMVg sei ermessenfehlerhaft. In den letzten vier Jahren habe er eine besondere Bewährung gezeigt. Er nehme vorbildlich, mit hohem Einsatz und mit Verantwortung seine übertragenen Aufgaben wahr. Es sei schwierig für ihn, eine besondere Bewährung zu belegen, wenn für ihn keine planmäßige Beurteilung erstellt werde. Er verweise auf die Sonderbeurteilung, die der zuständige WDA bei der P...Div gemäß Nr. 406 Buchst. b ZDv 20/6 angefordert habe. Diese Beurteilung könne zwar nicht Grundlage von Personalentscheidungen schlechthin sein; sie könne jedoch bei der Beurteilung, ob und inwieweit sich ein Soldat in einem langjährigen Zeitraum der gegen ihn andauernden Ermittlungen verhalten habe, mit Sicherheit eine objektive und reale Informationsquelle darstellen. Im Übrigen hätten die Ermittlungen unverhältnismäßig lange gedauert. Zu Unrecht habe der BMVg im angefochtenen Beschwerdebescheid die Einschätzung des Tatbestandes als einmalige situationsbedingte und nicht charakterlich bedingte Verfehlung von geringer Schwere abgelehnt. Dabei sei insbesondere außer Betracht geblieben, dass der streitbefangene Organisationsbefehl und auch alle weiteren Vereinbarungen und Maßnahmen hinsichtlich der Garnisonsausstellung in den Räumen der Bundeswehr durch ihn, den Antragsteller, grundsätzlich den vorgesetzten Dienststellen zugänglich gemacht worden seien. Es habe sich also nicht um einen „Alleingang“ gehandelt, wie dies der Beschwerdebescheid vermittele. Sowohl dem Brigadekommandeur wie auch dem Kdr PGDiv hätten die Dokumente vorgelegen; sie seien nicht beanstandet worden. Diese Fakten hätten im Beschwerdebescheid bewertet werden müssen. Überdies sei unberücksichtigt geblieben, dass er von seinem Dienstposten nicht abgelöst worden sei.

13 Er beantragt,
den Bescheid des PersABw vom 28. Juni 2005 in der Gestalt des Beschwerdebescheides des BMVg vom 10. November 2005 aufzuheben und das PersABw bzw. den BMVg zu verpflichten, über seinen Antrag auf Aufhebung des Förderungs- und Beurteilungsverbotes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

14 Der BMVg beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

15 Das PersABw habe rechtsfehlerfrei entschieden, dass die in Nr. 135 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZDv 20/7 genannten kumulativen Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Förderungsverbot in Härtefällen beim Antragsteller nicht vorlägen. Der Antragsteller habe in den vergangenen vier Jahren keine besondere Bewährung erkennen lassen, die ihn aus dem Kreis derjenigen hervorhebe, die ihre soldatischen Pflichten ohne Beanstandung erfüllten. Es könne offen bleiben, ob die vom WDA der P...Div angeforderte Sonderbeurteilung geeignet sei, die besondere Bewährung des Antragstellers zu belegen. Jedenfalls dürfe nach Nr. 406 Buchst. b Abs. 2 Satz 1 ZDv 20/6 eine von der Wehrdisziplinaranwaltschaft nach Nr. 206 Buchst. b ZDv 20/6 angeforderte Sonderbeurteilung nicht Grundlage für Personalentscheidungen sein. Die angestrebte Aufhebung des Förderungsverbots bilde eine derartige Personalentscheidung. Das Pers-ABw habe überdies zu Recht den dem Antragsteller zur Last gelegten Vorwurf nicht als eine einmalige situationsbedingte und nicht charakterlich bedingte Verfehlung von geringer Schwere bewertet. Der Antragsteller habe sich seiner Befehlsgewalt bedient, um das Projekt „Historienspektakel“ insgesamt zu realisieren und dabei mehrfach Material und Personal zur erfolgreichen Durchführung dieses Projekts einzusetzen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mit dem Befehl den von ihm selbst mitbegründeten und zeitweise als Vorsitzendem geführten privaten Verein „Historienspektakel P. e.V.“ maßgeblich habe unterstützen wollen. Schon an der Durchführung des Historienspektakels 2000 sei er beteiligt gewesen. Die zeitliche Verzögerung im Ablauf des gerichtlichen Disziplinarverfahrens, die durch die Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens am 29. Juni 2004 ausgelöst worden sei, habe der Antragsteller nicht zu vertreten. Dieser Aspekt sei für die Annahme eines Härtefalles jedoch unerheblich, weil dafür die Voraussetzungen der Nr. 135 Abs. 1 Satz 3 ZDv 20/7 in kumulativer Form erfüllt sein müssten.

16 Das TDG Süd - 6. Kammer - hat gegen den Antragsteller durch Urteil vom 29. November 2005 - S 6 VL 14/05 - wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwölf Monaten verhängt. Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 26. Januar 2006 Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist (BVerwG 2 WD 2.06 ). Am 16. März 2006 ist für den Antragsteller nach Nr. 406 Buchst. b ZDV 20/6 erneut eine Sonderbeurteilung vorgelegt worden.

17 Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des BMVg - PSZ I 7 - 882/05 -, die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis C, sowie die Gerichtsakten des TDG Süd - S 6 VL 14/05 - und die Gerichtsakten BVerwG 2 WD 2.06 haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

18 Der Antrag bleibt ohne Erfolg.

19 Der Bescheid des PersABw vom 28. Juni 2005 und der ihn bestätigende Beschwerdebescheid des BMVg vom 10. November 2005 sind sowohl hinsichtlich der Ablehnung der Erteilung einer Ausnahme vom allgemeinen Förderungsverbot (nachfolgend a) als auch im Hinblick auf die Ablehnung einer planmäßigen Beurteilung (nachfolgend b) rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf Neubescheidung.

20 Für die rechtliche Überprüfung ist der Zeitpunkt der Entscheidung durch den beschließenden Senat maßgeblich.

21 a) Das dem zuständigen militärischen Vorgesetzten in § 3 Abs. 1 SG eingeräumte Verwendungsermessen (vgl. dazu Scherer/Alff, SG, 7. Aufl., § 3 Rn. 9 m.w.N.; grundlegend: Beschluss vom 22. April 1975 - BVerwG 1 WB 189.72 , 1 WB 227.72 - BVerwGE 53, 23 <26>) hat das Bundesministerium der Verteidigung in der Vorbemerkung Nr. 8 zur ZDv 20/7 (sowohl in der Fassung vom 27. März 2002 als auch in der Neufassung vom Januar 2006) dahin konkretisiert, dass die Chancengerechtigkeit gebiete, alle Soldatinnen und Soldaten nach ihren Anlagen und ihrer Bewährung zu fördern. Einschränkend ist in Nr. 134 ZDv 20/7 festgelegt, dass jedes Dienstvergehen Auswirkungen auf eine mögliche Förderung einer Soldatin oder eines Soldaten haben kann, weil sie oder er grundsätzlich durch jedes Fehlverhalten ihre oder seine Eignung in Frage stellt. Nr. 135 Abs. 1 Satz 1 ZDv 20/7 bestimmt deshalb ermessensbindend, dass die Betroffenen während der Ermittlungen der Disziplinarvorgesetzten, disziplinarer Vorermittlungen gemäß § 92 WDO, eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens oder eines strafrechtlichen Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens nicht gefördert werden „sollen“. Die Ausgestaltung einer Vorschrift als „Soll-Vorschrift“ verpflichtet nach der Rechtsprechung des Senats im Regelfall die mit ihrer Durchführung betraute Stelle dazu, grundsätzlich so zu verfahren, wie es in der Vorschrift bestimmt ist; im Regelfall bedeutet das „Soll“ ein „Muss“ bzw. - hier - ein „Nicht dürfen“ (Beschluss vom 27. Februar 2003 - BVerwG 1 WB 57.02 - BVerwGE 118, 25 <31> = Buchholz 252 § 23 SBG Nr. 2 = NZWehrr 2003, 212, vgl. auch Beschluss vom 11. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 25.05 -). Nr. 135 Satz 1 ZDv 20/7 enthält insofern ein „Förderungsverbot“.

22 Bei Vorliegen atypischer Umstände ist indessen ausnahmsweise eine andere Verfahrensweise zulässig (Beschluss vom 27. Februar 2003 a.a.O.). Als in diesem Sinne atypisch können Umstände gelten, die in der Person des Betroffenen zu Härtefällen führen.

23 Damit übereinstimmend hat das Bundesministerium der Verteidigung in Nr. 135 Satz 2 und 3 ZDv 20/7 festgelegt, dass Ausnahmen in Härtefällen im Ermessenswege vertretbar sind; solche Härtefälle liegen vor, wenn die Soldatin oder der Soldat sich besonders bewährt hat, der bestandskräftige Abschluss eines der in Satz 1 genannten Verfahren sich erheblich verzögert und die Soldatin oder der Soldat dies nicht zu vertreten hat und wenn der Tatbestand eine einmalige situationsbedingte und nicht charakterlich bedingte Verfehlung von geringer Schwere darstellt. Diese drei Härtefallkriterien müssen nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Nr. 135 Abs. 1 Satz 3 ZDv 20/7 kumulativ erfüllt sein, um Raum für eine Ermessensentscheidung nach Nr. 135 Abs. 1 Satz 2 ZDv 20/7 zu bieten. Davon gehen auch der Antragsteller und der BMVg übereinstimmend aus.

24 Das PersABw hat den Antrag auf Erteilung einer Ausnahme vom allgemeinen Förderungsverbot ohne Rechtsfehler abgelehnt, weil jedenfalls die dritte genannte Voraussetzung für die Annahme eines Härtefalls beim Antragsteller nicht erfüllt ist.

25 Das dem Antragsteller im gerichtlichen Disziplinarverfahren vorgeworfene Fehlverhalten stellt keine einmalige situationsbedingte und nicht charakterlich bedingte Verfehlung „von geringer Schwere“ dar. Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat in ständiger Rechtsprechung den unzulässigen Einsatz dienstlichen Personals und dienstlicher Mittel zu privaten Zwecken mit Gehaltskürzung und/oder Beförderungsverbot, in schweren Fällen auch mit Herabsetzung um einen oder mehrere Dienstgrade geahndet und dabei diesem Dienstvergehen ein besonderes Gewicht beigemessen, wenn es von einem Soldaten in herausgehobener Vorgesetztenfunktion begangen wurde (Urteile vom 4. Mai 1995 - BVerwG 2 WD 35.94 - BVerwGE 103, 226 <227>= Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 3 und vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 - jeweils m.w.N.). Schon vor diesem Hintergrund kann dem dem Antragsteller im gerichtlichen Disziplinarverfahren vorgeworfenen Fehlverhalten nicht eine „geringe Schwere“ zugeschrieben werden, weil er insoweit in seiner Funktion als Kdr ABCAbwBtl 805 gehandelt hat.

26 Im Übrigen hat auch das TDG Süd - 6. Kammer - in seinem Urteil vom 29. November 2005 das in den Tatvorwürfen 1 und 3 festgestellte Verhalten des Antragstellers als ein Dienstvergehen qualifiziert, das „durchaus Gewicht“ hat. Die Kammer hat insoweit betont, dass dem Antragsteller als Kommandeur eine erhöhte Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen zukomme. Er habe als entscheidungsbefugter Kommandeur eine entsprechende Garantenstellung für die ordnungsgemäße, insbesondere dienstbezogene und wahrheitsgemäße Verwendung der personellen und materiellen Leistungskraft der Bundeswehr wahrzunehmen. Die Kammer hat unterstrichen, dass eine eigentlich als verwirkt anzusehende reinigende Maßnahme nur deshalb außer Betracht bleiben könne, weil der Antragsteller aus seiner Tat keine materiellen Vorteile gewonnen habe. Diese Bewertung der Kammer bekräftigt, dass der Tatbestand des dem Antragsteller vorgeworfenen Verhaltens keine Verfehlung von geringer Schwere darstellt. Der Senat hat derzeit keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung fehlerhaft ist.

27 Angesichts dessen kann sich die - auch vom BMVg im Rahmen des Beschwerdebescheides eingeräumte - ohne Zutun des Antragstellers eingetretene erhebliche Verzögerung des bestandskräftigen Abschlusses des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht zu dessen Gunsten auswirken.

28 Es kann deshalb auch offen bleiben, ob der Antragsteller eine „besondere Bewährung“ im Sinne des ersten Härtefallkriteriums nach Nr. 135 Abs. 1 Satz 3 ZDv 20/7 dargelegt hat. Insoweit gibt der Senat allerdings Folgendes zu bedenken:

29 Der Begriff der „besonderen Bewährung“ ist in der ZDv 20/7 nicht näher erläutert. Er knüpft inhaltlich an die Begriffe der Eignung, Befähigung und Leistung in § 3 Abs. 1 SG an. Um die „besondere Bewährung“ als Härtefallkriterium überprüfen zu können, benötigt die zuständige personalbearbeitende Stelle Anhaltspunkte, die der antragstellende Soldat zumindest glaubhaft machen muss. Solche Anhaltspunkte können sich aus einer (noch) aktuellen planmäßigen Beurteilung, aus dem Vorschlag des beurteilenden Vorgesetzten auf Anforderung einer Sonderbeurteilung im Sinne der Nr. 206 Buchst. a Abs. 1 Satz 2 ZDv 20/6 oder aus dem Vorschlag für eine förmliche Anerkennung ergeben.

30 Auch der Inhalt einer auf Anforderung eines Wehrdienstgerichts oder eines Wehrdisziplinaranwalts erstellten Beurteilung nach Nr. 206 Buchst. b und Nr. 406 Buchst. b Abs. 1 Satz 1 ZDV 20/6 kann einen derartigen Anhaltspunkt bieten, die besondere Bewährung des Betroffenen glaubhaft zu machen. Zwar sind die Ausfertigungen dieser Sonderbeurteilung nur für die Verfahrensakte des Anfordernden und für den betroffenen Soldaten bestimmt; die Beurteilung stellt nach Nr. 406 Buchst. b Abs. 2 ZDv 20/6 keine Grundlage für Personalentscheidungen dar und ist auch nicht in die Grund- oder Nebenakte aufzunehmen oder mit ihren Daten in das Personalführungs- und -informationssystem PERFIS einzugeben. Sie äußert sich aber - wie jede reguläre planmäßige Beurteilung - zur Eignung, Befähigung und Leistung des Betroffenen und enthält insbesondere eine Stellungnahme zu seiner Förderungswürdigkeit. Indem Nr. 406 Buchst. b Abs. 1 Satz 3 ZDv 20/6 die Zweitausfertigung dieser Beurteilung dem Soldaten zur Verfügung stellt, kann dieser den Inhalt der Beurteilung der zuständigen personalbearbeitenden Stelle vortragen, um die von ihm behauptete „besondere Bewährung“ glaubhaft zu machen. Es ist dann Sache der zuständigen personalbearbeitenden Stelle, auf dieser Grundlage die „besondere Bewährung“ zu prüfen.

31 Die Entscheidung des PersABw leidet auch nicht an einem Formfehler.

32 Das PersABw hat als zuständige personalbearbeitende Stelle im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 1 ZDv 14/5 B 125 den angefochtenen ablehnenden Ausgangsbescheid erlassen. Eine Entscheidung durch den Amtschef oder stellvertretenden Amtschef/Chef des Stabes PersABw nach Maßgabe der Nr. 135 Abs. 3 ZDv 20/7 war im vorliegenden Fall nicht erforderlich.

33 Insoweit hat der BMVg im Rahmen einer vom Senat erbetenen amtlichen Auskunft am 25. Juli 2006 erklärt, dass in ständiger Verwaltungspraxis des PersABw Anträge von Soldaten, bei denen die Voraussetzungen eines Härtefalls nach Nr. 135 Abs. 1 Satz 3 ZDv 20/7 nach Prüfung und Bewertung durch das zuständige personalführende Dezernat nicht gegeben sind, dem Amtschef des PersABw nicht zur Entscheidung vorgelegt werden; in diesen Fällen werde ein entsprechender Antrag regelmäßig durch das personalführende Dezernat im PersABw abgelehnt. Nur dann, wenn nach Prüfung des personalführenden Dezernats die Voraussetzungen der Nr. 135 Abs. 1 Satz 3 ZDv 20/7 kumulativ vorlägen, werde eine entsprechende Stellungnahme der zuständigen Wehrdisziplinaranwaltschaft nach Nr. 135 Abs. 2 ZDV 20/7 eingeholt und zusammen mit einem Entscheidungsvorschlag dem Amtschef PersABw zugeleitet und dessen persönliche Entscheidung oder die seines Vertreters eingeholt. Dabei bediene sich das PersABw in ständiger Verfahrenspraxis eines Vorlagemusters (Kennziffer 2.4.9) aus dem Personalhandbuch des PersABw.

34 Diese vom BMVg im Einzelnen dokumentierte - und von den Bevollmächtigten des Antragstellers nicht in Frage gestellte - ständige Verwaltungspraxis des PersABw steht im Einklang mit dem Wortlaut und dem systematischen Aufbau der Nr. 135 ZDV 20/7. Danach ist, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen eines Härtefalles nach Nr. 135 Abs. 1 Satz 3 ZDv 20/7 nicht kumulativ vorliegen, kein Raum für eine Ermessensentscheidung nach Nr. 135 Abs. 1 Satz 2 ZDV 20/7; der Ausnahmeantrag ist unmittelbar ohne Ermessensentscheidung abzulehnen. Dies kann durch das zuständige personalführende Dezernat geschehen, weil die spezielle Entscheidungskompetenz der Dienststellenleitung oder ihrer Vertretung im Amt nach Nr. 135 Abs. 3 ZDV 20/7 - entsprechend der ständigen Verwaltungspraxis, gegen die keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken bestehen - nur dann geboten ist, wenn im Rahmen des Ermessens von der Ausnahmemöglichkeit Gebrauch gemacht werden soll, um damit der besonderen Bedeutung des Vorgangs Rechnung zu tragen. Der Umstand, dass im vorliegenden Fall das PersABw durch das personalführende Dezernat entschieden hat, erweist sich deshalb nicht als rechtsfehlerhaft.

35 b) Erfolglos bleibt der Antrag auch, soweit in den angefochtenen Bescheiden die Erteilung einer planmäßigen Beurteilung des Antragstellers abgelehnt und die Aussetzung seiner planmäßigen Beurteilung beibehalten worden ist. Auch insoweit sind die Bescheide rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

36 Nach Nr. 406 Buchst. a ZDv 20/6 ist, sofern ein Soldat während eines schwebenden Verfahrens zu beurteilen ist, zunächst eine Entscheidung der personalbearbeitenden Stelle darüber zu erwirken, ob eine Beurteilung zu diesem Zeitpunkt erforderlich ist oder ob die endgültige Klärung des dem schwebenden Verfahrens zugrunde liegenden Sachverhalts abgewartet werden soll.

37 Nr. 406 Buchst. a ZDv 20/6 beruht auf der Ermächtigungsgrundlage in § 2 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SLV. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SLV sind Eignung, Befähigung und Leistung der Soldatinnen und Soldaten regelmäßig, oder wenn es die dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse erfordern, zu beurteilen. § 2 Abs. 2 SLV ermächtigt das Bundesministerium der Verteidigung zu näheren Regelungen sowie dazu, Ausnahmen von dem Grundsatz der regelmäßigen/planmäßigen Beurteilung zuzulassen. Innerhalb der durch das einschlägige Gesetzes- und Verordnungsrecht - hier durch § 27 Abs. 1 SG i.V.m. § 2 Abs. 1 und 2 SLV - gezogenen Grenzen hat das Bundesministerium der Verteidigung bei dem Erlass ergänzender Verwaltungsvorschriften wie auch bei der Festlegung von Ausnahmen von der regelmäßigen/planmäßigen Beurteilung einen weiten Gestaltungsspielraum in der Festlegung des Verfahrens und des Inhalts dienstlicher Beurteilungen (Beschluss vom 22. September 2005 - BVerwG 1 WB 4.05 - Buchholz 236.110 § 2 SLV Nr. 6. m.w.N.). Die Regelung in Nr. 406 Buchst. a Abs. 1 ZDv 20/6, der personalbearbeitenden Stelle die Entscheidung zu ermöglichen, die endgültige Klärung eines dem schwebenden Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalts abzuwarten und solange keine (planmäßige) Beurteilung erstellen zu lassen, überschreitet diesen Gestaltungsspielraum nicht. Sie steht auch im Einklang mit Nr. 401 und 402 ZDv 20/6. Nach diesen Bestimmungen soll eine Beurteilung ein abgerundetes, umfassendes und klares Bild der Persönlichkeit, der Eignung, der Befähigung und der Leistung des Beurteilten geben; sie soll Stärken und Schwächen deutlich herausstellen, dabei aber nicht das Zufällige, sondern das Charakteristische herausarbeiten. Ob der Sachverhalt eines gegen den Betroffenen schwebenden Verfahrens Rückschlüsse auf das Charakteristische seines Verhaltens und seines Leistungsbildes ermöglicht, lässt sich in der Regel erst nach einer endgültigen Klärung dieses Sachverhalts beurteilen.

38 Die Entscheidung nach Nr. 406 Buchst. a Abs. 1 ZDv 20/6 ist eine Ermessensentscheidung der zuständigen personalbearbeitenden Stelle. Diese kann vom Senat nur darauf überprüft werden, ob diese Stelle den Soldaten durch Überschreiten oder Missbrauch dienstlicher Befugnisse in seinen Rechten verletzt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 WBO) bzw. die gesetzlichen Grenzen des ihr insoweit zustehenden Ermessens überschritten oder von diesem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO analog). Ermessensfehler in diesem Sinne liegen nicht vor.

39 Das PersABw hat es ohne Rechtsfehler abgelehnt, die Aussetzung der planmäßigen Beurteilung des Antragstellers aufzuheben und ihn während des schwebenden gerichtlichen Disziplinarverfahrens planmäßig beurteilen zu lassen. Der Antragsteller war nach Nr. 203 Buchst. a 3. Strichaufzählung ZDv 20/6 in der bis zum 30. September 2003 gültigen Fassung zum 30. September 2003 planmäßig zu beurteilen. Seit dem 21. Dezember 2001 lag die Einleitungsverfügung des Kdr PGDiv vor. Mit der Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens durch Beschluss des Vorsitzenden der 5. Kammer des TDG Nord vom 29. Juni 2004, der am 17. Juli 2004 Rechtskraft erlangte, war der Zustand eines „schwebenden Verfahrens“ in der Person des Antragstellers nicht beendet. Denn der WDA bei dem TDG Süd für den Bereich der P...Div hat dem BMVg mit Schreiben vom 6. August 2004 mitgeteilt, dass er nach der Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens erneute disziplinargerichtliche Vorermittlungen gegen den Antragsteller aufgenommen habe. Da die Tatsache, dass gegen einen Soldaten ein disziplinargerichtliches Verfahren schwebt oder geschwebt hat, nach Nr. 406 Buchst. c Satz 1 ZDv 20/6 in einer Beurteilung nicht erwähnt werden darf, andererseits aber nach Nr. 406 Buchst. d Satz 1 ZDv 20/6 Sachverhalte, denen unanfechtbar angeschlossene Verfahren zugrunde liegen, in der Beurteilung zu berücksichtigen sind, soweit dies die vollständige Darstellung der Persönlichkeit erfordert, ist es sach- und ermessensgerecht, insoweit die endgültige Klärung des dem schwebenden Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalts abzuwarten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass für den Antragsteller zum Stichtag 30. September 2003 eine konkrete Verwendungsentscheidung weder zu treffen noch vorzubereiten war. Gegenteiliges hat auch der Antragsteller nicht dargetan.