Beschluss vom 27.01.2005 -
BVerwG 1 D 16.04ECLI:DE:BVerwG:2005:270105B1D16.04.0

Beschluss

BVerwG 1 D 16.04

  • Bayer. VG Ansbach - 27.09.2004 - AZ: VG AN 6a D 03.02557

In dem Disziplinarverfahren hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Januar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht M a y e r und Dr. H e i t z
beschlossen:

  1. Auf die Berufung der Einleitungsbehörde wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. September 2004 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach - Kammer für Disziplinarsachen - zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.

I


Der Bundesdisziplinaranwalt hat die Ruhestandsbeamtin angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass sie
vom 22. November 1999 bis 25. Februar 2000 ohne rechtfertigenden Grund schuldhaft dem Dienst ferngeblieben ist.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach hat durch Urteil vom 27. September 2004 das Ruhegehalt der Ruhestandsbeamtin um ein Zwanzigstel auf die Dauer von 36 Monaten gekürzt. Hiergegen hat die Einleitungsbehörde rechtzeitig Berufung eingelegt und beantragt, der Ruhestandsbeamtin unter Aufhebung des angefochtenen Urteils das Ruhegehalt abzuerkennen.

II


Die Berufung der Einleitungsbehörde hat insoweit Erfolg, als das am 27. September 2004 verkündete Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach wegen eines schweren Verfahrensmangels gemäß § 85 Abs. 7 Satz 3 BDG, § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO aufzuheben und das Verfahren zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach zurückzuverweisen ist.
Der Verfahrensmangel besteht darin, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts keine hinreichend bestimmten Feststellungen zur Schuldform enthält. Es kommt zunächst zu dem Ergebnis, die Ruhestandsbeamtin habe fahrlässig gehandelt. Diese Schuldform wird eingangs der Urteilsgründe unter VII. 2) wiederholt. Im gleichen Absatz wird dann ausgeführt, die Ruhestandsbeamtin habe zumindest fahrlässig gehandelt. Unter Bezugnahme auf die im eingeholten psychiatrischen Gutachten aufgezeigte Trotzhaltung der Ruhestandsbeamtin heißt es dann weiter, dies weise sogar darauf hin, dass die Ruhestandsbeamtin vorsätzlich gehandelt habe.
Der Senat kann auch nicht durch Auslegung des Urteils feststellen, welche Schuldform das Verwaltungsgericht seinen Erwägungen bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme zugrunde gelegt hat. Im Weiteren ist nämlich in den Gründen nur noch von einem "schuldhaften" Fernbleiben vom Dienst die Rede. Die in der Folge zitierte Rechtsprechung des Senats, die bei mehrmonatigem Fernbleiben vom Dienst grundsätzlich die Dienstentfernung bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts nach sich zieht, gilt aber nur für ein vorsätzliches Fernbleiben vom Dienst. Ein fahrlässiges Fernbleiben vom Dienst wird disziplinarrechtlich - anders als für den Verlust der Bezüge wegen schuldhaften Fernbleibens gemäß § 9 BBesG - milder bewertet. So hat der Senat im Urteil vom 5. Mai 1999 - BVerwG 1 D 60.98 - bei einem fahrlässigen Fernbleiben vom Dienst von sieben Wochen unter Berücksichtigung von Milderungsgründen auf eine Gehaltskürzung von fünf Jahren erkannt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt unklar, weil es zunächst von fahrlässigem Verhalten spricht, in einer Art von obiter dictum Ausführungen zum Vorsatz macht und danach seine Entscheidung auf eine Rechtsprechung stützt, die nur für vorsätzliches Verhalten gilt.
Zwar hat der Senat im Beschluss vom 8. März 2001 - BVerwG 1 DB 8.01 - (ZBR 2001, 297) ebenfalls ausgeführt, die Beamtin habe zumindest fahrlässig gehandelt und damit offen gelassen, ob eventuell vorsätzliche Begehungsweise vorliegt. Dies ist im Verfahren über die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge zulässig, da hier jedes schuldhafte Verhalten ausreicht. Bei der Beurteilung des Disziplinartatbestandes Fernbleiben vom Dienst kommt es für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme aber entscheidend darauf an, ob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten vorliegt.
Da die Berufung der Einleitungsbehörde eindeutig auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt ist, ist der Senat an die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils zum objektiven und subjektiven Tatbestand gebunden. Der Umfang der Bindungswirkung steht aber nicht fest, wenn widerspruchsfreie Feststellungen zur Schuldform fehlen. Es kann dann nicht bestimmt werden, von welcher tatsächlichen und rechtlichen Würdigung für die Festsetzung der Disziplinarmaßnahme auszugehen ist (Beschluss des Senats vom 18. August 2004 - BVerwG 1 D 4.04 -).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das erstinstanzliche Verfahren unter weiteren Verfahrensmängeln leidet: Bei dem eingeholten Sachverständigengutachten vom 10. September 2003 handelt es sich offensichtlich nicht um ein Behördengutachten, da der Sachverständige Prof. Dr. N. persönlich mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt wurde und die Liquidation einem Gutachtenkonto zugute kam. Das Verwaltungsgericht hat den Sachverständigen nicht mündlich angehört, obwohl eine Verwertung des Gutachtens gemäß § 244 Abs. 2, § 250 StPO i.V.m. § 25 BDO im Regelfall eine mündliche Anhörung voraussetzt. Eine Verlesung gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 25 BDO ist nur bei Behördengutachten möglich. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft die namentlich im Protokoll vom 27. September 2004 nicht näher benannten Beweisunterlagen, auf die es seine Entscheidung stützen wollte, nicht verlesen. Der Verzicht der Beteiligten auf das Verlesen war unzulässig. Der Grundsatz der Mittelbarkeit der Beweisaufnahme erfordert gerade in erster Instanz ein Verlesen der wesentlichen Verfahrensunterlagen. § 87 Abs. 1 Satz 2 BDO gilt nicht für die erste Instanz. Der Disziplinarhof hat mit Beschluss vom 27. Mai 1964 - II D 49/63 - (BDHE 6, 25, 33) ausgeführt, einem auf diese Weise (ohne Verlesen) zustande gekommenen Urteil fehle jede ausreichende Grundlage, so dass es keinen Bestand haben könne.
Die Kostenentscheidung ist dem Verwaltungsgericht auch für das Berufungsverfahren vorzubehalten, weil erst seine erneute Entscheidung zeigen wird, ob und inwieweit die Berufung der Einleitungsbehörde in der Sache Erfolg hat.