Verfahrensinformation

Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines nach Weisung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) ergangenen Bescheides über nachträgliche Auflagen zur Betriebsführung des Kernkraftwerkes Philippsburg (Block 1 und 2). Mit diesen Auflagen soll sichergestellt werden, dass der Leistungsbetrieb der beiden Kraftwerksblöcke nur unter vollständiger Beachtung der sicherheitsrechtlichen Anforderungen der Genehmigung erfolgt und bei Zweifeln an der Störfallsicherheit die Aufsichtsbehörde unverzüglich zu informieren ist sowie Maßnahmen bis zur vorübergehenden Einstellung des Leistungsbetriebs der Anlage ergriffen werden. Anlass für diesen Bescheid waren zwischen den Verfahrensbeteiligten und dem BMU entstandene Unklarheiten über die rechnerische Nachweisführung für einen theoretischen Kühlmittelverluststörfall.


Die Klägerin hält diese nachträglichen Auflagen für rechtswidrig. Sie greifen ihrer Ansicht nach unverhältnismäßig in die Betriebsgenehmigungen für das Kernkraftwerk ein. In den Betriebshandbüchern und den Sicherheitsspezifikationen seien die zu ergreifenden Maßnahmen zur Beherrschung von Störfällen umfassend geregelt. Es bestehe keine Veranlassung, dies durch generelle Regelungen zu ändern und zu verschärfen. Zudem seien die Anordnungen zu unbestimmt.


Der Verwaltungsgerichtshof hat die nachträglichen Auflagen aufgehoben, weil sie den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes nicht entsprächen. Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision des Beklagten.


Pressemitteilung Nr. 42/2008 vom 02.07.2008

So genannte „Biblis-Auflage“ für Kernkraftwerk Philippsburg weitgehend rechtswidrig

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass die so genannte „Biblis-Auflage“ weitgehend - bis auf die darin enthaltene Informations- und Meldepflicht der Betreiberin - wegen Unbestimmtheit rechtswidrig ist.


Mit der streitigen nachträglichen Auflage hatte die zuständige Landesbehörde auf Weisung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der Betreiberin des Kernkraftwerkes Philippsburg aufgegeben, bei - nicht „offensichtlich unbedeutender“ - Nichteinhaltung von „Grenzwerten, Maßen oder anderen spezifizierten sicherheitstechnischen Anforderungen zur Störfallbeherrschung“ den Leistungsbetrieb von sich aus unverzüglich einzustellen. Das Gleiche sollte gelten, wenn „der Nachweis der Störfallbeherrschung gescheitert ist, es sei denn, die Störfallbeherrschung ist zweifelsfrei nur geringfügig beeinträchtigt“. Ferner war angeordnet worden, dass „die Aufsichtsbehörde unverzüglich zu informieren“ ist, wenn „der Nachweis der Störfallbeherrschung in Frage gestellt sein könnte“. Eine gleichlautende nachträgliche Auflage war auf Weisung des Bundesumweltministeriums erstmals für das Kernkraftwerk Biblis angeordnet worden; insoweit ist ein Klageverfahren noch bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof anhängig. Es ist beabsichtigt, vergleichbare Anordnungen für alle Atomkraftwerke im Bundesgebiet zu erlassen.


Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte die Auflage für zu unbestimmt gehalten und sie deshalb insgesamt aufgehoben. Dieser Auffassung schloss sich das Bundesverwaltungsgericht an, soweit in der Auflage die Pflicht zur sofortigen Betriebseinstellung angeordnet wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Betreiberin könne in beiden Fällen nicht hinreichend deutlich erkennen, wann und unter welchen Voraussetzungen diese Pflicht ausgelöst werde. Es hat insbesondere beanstandet, dass das Verhältnis der angeordneten Betriebseinstellung zu den zahlreichen Auflagen in der Genehmigung und den darin enthaltenen differenzierten Reaktionen auf die Nichteinhaltung von Grenzwerten und anderen Kontrolldaten unklar sei. Soweit in der streitigen Auflage unabhängig von der Schwere der Überschreitung und der Bedeutung des nicht eingehaltenen Kontrollwerts für die Sicherheit pauschal die sofortige Einstellung des Leistungsbetriebs verfügt werde, verstoße sie überdies gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.


Die angeordnete Melde- und Informationspflicht hat das Bundesverwaltungsgericht hingegen für hinreichend bestimmt gehalten und die Klage insoweit abgewiesen. In der mündlichen Verhandlung hatte der Beklagte erklärt, die Pflicht zur Information greife ein, wenn gesicherte naturwissenschaftlich-technische Erkenntnisse bei der Betreiberin Zweifel an dem Nachweis der Störfallbeherrschung weckten. Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, solche die Informationspflicht auslösenden Zweifel seien für die Betreiberin ohne Weiteres erkennbar, wenn sie etwa wegen Unklarheiten mit dem Hersteller in Erörterungen eingetreten sei.


BVerwG 7 C 38.07 - Urteil vom 02.07.2008


Urteil vom 26.06.2008 -
BVerwG 7 C 38.07ECLI:DE:BVerwG:2008:260608U7C38.07.0

Leitsätze:

1. Eine Auflage, die zur Einstellung des Betriebs einer Kernenergieanlage verpflichtet, muss für den Betreiber deutlich erkennen lassen, wann und unter welchen Voraussetzungen diese Pflicht ausgelöst wird.

2. Wird in einer Auflage unabhängig von der Schwere der Überschreitung und der Bedeutung eines nicht eingehaltenen Kontrollwerts pauschal die sofortige Einstellung des Betriebs einer Kernenergieanlage verfügt, ist dies unverhältnismäßig.

  • Rechtsquellen
    AtG § 1 Nr. 2, § 17 Abs. 1 Satz 3, § 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3

  • VGH Baden-Württemberg - 26.02.2007 - AZ: VGH 10 S 643/05

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 26.06.2008 - 7 C 38.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:260608U7C38.07.0]

Urteil

BVerwG 7 C 38.07

  • VGH Baden-Württemberg - 26.02.2007 - AZ: VGH 10 S 643/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Neumann,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Guttenberger
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. Februar 2007 geändert und wie folgt neu gefasst:
  2. Die Nummern A I 1 und A I 2b sowie die Nummer A II, soweit sie sich auf die Nummern A I 1 und A I 2b bezieht, der nachträglichen Auflage des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg zur Betriebsführung des Kernkraftwerks Philippsburg (Block 1 und Block 2) vom 17. März 2005 werden aufgehoben.
  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. Die weitergehende Revision des Beklagten wird zurückgewiesen.
  5. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin ein Zehntel und der Beklagte neun Zehntel.

II

10 Die Revision des Beklagten ist nur zum Teil begründet. Ohne gegen Bundesrecht zu verstoßen hat der Verwaltungsgerichtshof die nachträgliche Auflage für rechtswidrig erachtet und aufgehoben, soweit sie Verpflichtungen zur unverzüglichen Einstellung des Leistungsbetriebs enthält. Die beiden insoweit in Nr. A I 1 und Nr. A I 2b des streitigen Bescheids genannten Fälle mangelnder Störfallbeherrschung sind nicht in hinreichendem Maße bestimmt (1.). Lediglich die in Nr. A I 2a auferlegte Informations- und Nachweispflicht versetzt die Klägerin in die Lage, zu erkennen, was von ihr gefordert wird; soweit der Verwaltungsgerichtshofs auch diese Auflage beanstandet hat, verletzt das Urteil Bundesrecht (2.).

11 1. Die nachträgliche Auflage ist in Nr. A I 1 und Nr. A I 2b rechtswidrig, da sie nicht den Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes gemäß § 37 VwVfG entspricht. Der Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit einer Einzelfallregelung bedeutet zum einen, dass deren Adressat in der Lage sein muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zwar in dem Sinne, dass der behördliche Wille keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist; zum anderen folgt daraus, dass der Verwaltungsakt Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein kann (Urteil vom 15. Februar 1990 - BVerwG 4 C 41.87 - BVerwGE 84, 335 <338>; = Buchholz 406.11 § 39b BBauG Nr. 1, Beschluss vom 27. Juli 1982 - BVerwG 7 B 122.81 - Buchholz 316 § 37 VwVfG Nr. 1). Diese Anforderungen gelten ebenso für eine nachträgliche Auflage, deren Entscheidungsgehalt für den Betroffenen nach Art und Umfang aus sich heraus erkennbar und verständlich sein muss (Urteil vom 26. Januar 1990 - BVerwG 8 C 69.87 - Buchholz 316 § 37 VwVfG Nr. 6).

12 1.1 Mit Blick auf den Wortlaut ist zunächst unbestimmt, in welchem Verhältnis die nachträgliche Auflage zu den vielfältigen, differenzierten sicherheitsspezifischen Regelungen in der Genehmigung und in den Betriebshandbüchern stehen soll. Der Beklagte war sich nach Erlass der nachträglichen Auflage selbst im Unklaren über die Reichweite der in Nr. A I 1 Satz 1 getroffenen Regelung, wonach der Leistungsbetrieb des Kraftwerks unverzüglich einzustellen ist, wenn Grenzwerte, Maße oder spezifizierte sicherheitstechnische Anforderungen nicht eingehalten werden. Noch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ging er davon aus, dass die nachträgliche Auflage in den Bestand der ursprünglichen Genehmigung eingreift und somit auch die in den Betriebshandbüchern festgelegte Maße, Grenzwerte und Sicherheitsspezifikationen modifiziert. Hierfür spricht auch die Begründung des Bescheides zu Nr. A I 1, wonach bei ausdrücklichen Festlegungen der Genehmigung jede Abweichung grundsätzlich wesentlich (und damit im Sinne der nachträglichen Auflage bedeutend) ist mit der Folge der Einstellung des Leistungsbetriebs. Mit diesem Inhalt würden sämtliche detaillierte und auf spezielle Störfälle ausgerichtete Sicherheitsspezifikationen, die durch Bezugnahme in Ziffer III der Betriebsgenehmigung für das KKP 1 und in Ziffer II 4.1 der 3. Teilbetriebsgenehmigung für das KKP 2 Teil der atomrechtlichen Genehmigung geworden sind und die austarierte Detailregelungen enthalten, ohne weitere Begründung ersetzt durch das generelle Gebot des Abfahrens des Leistungsbetriebs. So würde etwa die Regelung für das KKP 1, B 5.3/8 „Isolationsventile“, wonach die Anlage bis maximale 50% Reaktorleistung weiter betrieben werden darf, falls beim Testen oder während des Betriebs ein Isolationsventil ausfällt, hinfällig und durch die undifferenzierte Verpflichtung zur Einstellung des Leistungsbetriebs ersetzt. Sollte die Auflage so zu verstehen sein, würde die Frage nach der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, Urteil vom 4. Februar 1975 - 2 BvL 5/74 - BVerfGE 38, 348 <367 f.>) dieser nachträglichen Auflage aufgeworfen. Denn hierdurch würde ein bisher ausdifferenziertes System durch eine Regelung ersetzt, die den „Bruch“ mit dem bisherigen deterministischen Konzept der atomrechtlichen Anlagen- und Betriebsgenehmigung nicht begründet und Störfälle gleich welcher Art mit einem pauschalen Gebot zur Betriebseinstellung beantwortet. Der hierin liegende Verstoß gegen das rechtsstaatliche Übermaßverbot, dem § 17 Abs. 1 Satz 3 AtG entspricht, der nur erforderliche Auflagen zulässt, müsste zur Rechtswidrigkeit der - so verstandenen - nachträglichen Auflage in Nr. A I 1 führen.

13 Im Revisionsverfahren hat der Beklagte diesem Verständnis der Nr. A I 1 Satz 1 widersprochen. Im Betriebshandbuch konkretisierte sicherheitstechnische Anforderungen sollten durch die nachträgliche Auflage nicht verdrängt werden; dies gelte auch für dort konkret beschriebene Regelungen zum Abfahren der Anlage. Nach dieser letzten Auslegung durch den Beklagten soll die nachträgliche Auflage in Nr. A I 1 Satz 1 somit allein solche Parameter erfassen, für die bisher keine (differenzierten) Handlungsanweisungen bestehen. Auch mit diesem Verständnis wäre die Auflage nicht rechtens. Hiermit verbindet sich zunächst die Frage, ob nach dem deterministischen Konzept der atomrechtlichen Genehmigung es solche nicht detailliert geregelte Fälle überhaupt geben darf. Selbst wenn hiervon auszugehen sein sollte, stellte sich aber erneut die Frage nach der Erforderlichkeit der nachträglichen Auflage im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 3 AtG. Diese kann nicht gleichsam prophylaktisch auf nicht absehbare Fallkonstellationen mit dem schärfsten Eingriff, nämlich der Einstellung des Leistungsbetriebs reagieren. Hiergegen stünde wiederum das Übermaßverbot. Die Auflage wäre nicht verhältnismäßig und damit auch nicht „erforderlich“ im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 3 AtG.

14 1.2 Die nachträgliche Auflage ist in Nr. A I 1 Satz 1 darüber hinaus deshalb unbestimmt, weil für die Klägerin - selbst unter Berücksichtigung klarstellender Erläuterungen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren - nicht deutlich geworden ist, welche spezifizierten sicherheitstechnischen Anforderungen im materiellen Sinne, die nicht Gegenstand des Betriebshandbuch geworden sind, von der nachträglichen Auflage erfasst sein sollen. Die Begründung des Bescheides stellt insoweit auf mittelbar zur Bestimmung des Genehmigungsinhalts herangezogene Unterlagen ab. Wenn der Beklagte sich des Weiteren auf den Standpunkt stellt, dass sämtliche mit den Anträgen der Klägerin im Genehmigungsverfahren beigebrachten Unterlagen zum Inhalt des Genehmigungsbescheides geworden sind, bedarf dies bereits der Einschränkung, dass einem Antrag beigefügte Unterlagen nur dann zum Inhalt des Genehmigungsbescheides werden, wenn der verfügende Teil des Verwaltungsaktes darauf Bezug nimmt (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 35 Rn 157). Im Zusammenhang mit dem Nachweis einer Störfallbeherrschung erfolgt eine derartige Bezugnahme in den Betriebsgenehmigungen für die KKP 1 und 2 aber nur auf das jeweilige Betriebshandbuch mit den darin ausgewiesenen Sicherheitsspezifikationen. Es bleibt auch nach dem Vortrag im Revisionsverfahren unklar, ob der Klägerin durch die nachträgliche Auflage nunmehr aufgegeben werden soll, die Betriebshandbücher, die den sicheren Betrieb der Kernenergieanlage garantieren sollen, auf Lücken bezüglich einer defizitären Störfallbeherrschung zu durchsuchen, die gegebenenfalls auch als Sicherheitsspezifikationen ausgewiesen werden müssten, und/oder ob darüber hinausgehend sogar sämtliche - auch mittelbaren - Genehmigungsunterlagen einer diesbezüglichen Überprüfung unterzogen werden sollen. Bei solch unbestimmten Vorgaben ist es ausgeschlossen, dass die Klägerin hinreichend klar zu erkennen vermag, wann sie den Leistungsbetrieb der Anlage einstellen muss. Dies könnte ohne vorherige Klärung, welche Unterlagen mittelbar zur Bestimmung des Genehmigungsinhalts heranzuziehen sind, auch nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Der Klägerin kann somit keine Verpflichtung, die Anlage abzufahren, aufgegeben werden für im Einzelnen nicht näher bezeichnete Fälle, in denen möglicherweise Parameter der Genehmigung nicht eingehalten sind, die bislang aber nicht als Sicherheitsspezifikation und damit als Daten, Grenzwerte und Maßnahmen gekennzeichnet sind, die für den sicheren Zustand und Betrieb der Kernenergieanlage von Bedeutung sein können. Auch würde sich die in Nr. I 1 Satz 1 verfügte pauschale Handlungspflicht („Betriebseinstellung“) angesichts der differenzierten Vorgaben in den Betriebshandbüchern zur Störfallbehebung als unverhältnismäßig und damit als rechtswidrig erweisen.

15 1.3 Auch die in Nr. A I 2b verfügte Verpflichtung, den Betrieb einzustellen, für den Fall, dass die Störfallbeherrschung beeinträchtigt ist und die Beeinträchtigung nicht zweifelsfrei nur geringfügig ist, erweist sich als zu unbestimmt. Nach dem Vorbringen der Revision soll hiermit der Fall geregelt werden, dass auf Grund anderer Erkenntnisse als den in Nr. A I 1 Satz 1 konkret bezeichneten Abweichungen die Störfallbeherrschung nicht mehr nachgewiesen wird. Anders als in Nr. A I 1 Satz 2 mit der Definition „offensichtlich unbedeutender Defizite“ fehlt eine entsprechende Klarstellung der „zweifelsfrei nur geringfügig beeinträchtigten“ Störfallbeherrschung in Nr. A I 2b. Damit bleibt unklar, an welchen Maßstäben die „Geringfügigkeit“ zu messen ist. Wegen der Anknüpfung an die Informationspflicht in Nr. A I 2a soll die Handlungspflicht nach Nr. A I 2b zudem - so die Revision - von dem jeweiligen Dafürhalten des Betreibers bestimmt werden. Es kommt folglich nicht auf die objektive Einschätzung eines Dritten oder der - an sich für die Risikobewertung zuständigen - Behörde an. Damit ist aber das Kriterium der „zweifelsfrei nur geringfügigen Beeinträchtigung“ als unbestimmter Rechtsbegriff nicht mehr hinreichend bestimmt. Es knüpft vielmehr an mögliche unterschiedliche subjektive Bewertungen an, was wegen Unbestimmtheit der nachträglichen Auflage in Nr. A I 2b einen vollstreckbaren Inhalt nimmt.

16 Nr. A I 2b wäre ferner auch wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtswidrig. Denn pauschal mit dem schwersten Eingriff - nämlich der Einstellung des Leistungsbetriebs - auf nicht überschaubare und unter Sicherheitsaspekten völlig unterschiedlich gewichtige Szenarien eines mangelnden Nachweises der Störfallbeherrschung zu reagieren, lässt die konkrete Bedeutung des Nachweisdefizits völlig unbedacht. Eben dies setzt aber die unter dem Postulat der Erforderlichkeit stehende nachträgliche Auflage nach § 17 Abs. 1 Satz 3 AtG voraus.

17 2. Die nachträgliche Auflage ist hingegen nicht zu beanstanden, soweit der Klägerin in Nr. A I 2a eine Informationspflicht und die Vorlage eines Projektplanes zum Nachweis der Störfallbeherrschung auferlegt worden ist.

18 2.1 Dabei ist für die rechtliche Überprüfung von der Fassung der nachträglichen Auflage auszugehen, die sie in der zu Protokoll gegebenen Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung erhalten hat. Die Behörde ist befugt, einen unklaren Verwaltungsakt zu präzisieren und seine hinreichende Bestimmtheit - auch durch Erklärung gegenüber dem Gericht - nachträglich herbeizuführen (Urteil vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261 >283> = Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 33; Beschluss vom 21. Juni 2006 - BVerwG 4 B 32.06 - NVwZ-RR 2006, 589). Dass dies erst im Revisionsverfahren erfolgte, hindert nicht, diese Erklärung zu berücksichtigen, obgleich es sich um eine neue Tatsache handelt, § 137 Abs. 2 VwGO. Denn das Revisionsgericht kann ausnahmsweise neue, unstreitige Tatsachen berücksichtigen, wenn es insoweit zu keiner Veränderung des Prozessstoffes kommt. Ausgehend von dem Sachverhalt, der zum Erlass der nachträglichen Auflage geführt hat, war die jetzt präzisierte Informationspflicht der Klägerin als Kern bereits in der ursprünglich formulierten Informationspflicht enthalten, die der Beklagte nur von möglichen, aber unklaren und deshalb zur Unbestimmtheit führenden Weiterungen befreit hat. Der Beklagte hat die nachträgliche Auflage durch seine Erklärung somit lediglich auf den Kern zurückgeführt, der bisher schon Gegenstand der Auseinandersetzungen der Beteiligten und der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs war. Der bisherige Prozessstoff bleibt somit unberührt.

19 2.2 Gemäß Nr. A I 2a Satz 1 der nachträglichen Auflage ist die Aufsichtsbehörde somit unverzüglich zu informieren, wenn sich auf Grund gesicherter naturwissenschaftlich-technischer Erkenntnisse für den Betreiber ergibt, dass der Nachweis der Störfallbeherrschung in Frage gestellt sein könnte. Mit diesem Inhalt wird der Klägerin als Adressatin des Verwaltungsaktes in hinreichend bestimmtem Maße verdeutlicht, dass sie die Aufsichtsbehörde stets dann zu informieren hat, wenn sie wegen technischer Ungereimtheiten mit dem Hersteller der Anlage oder anderen sachkundigen Stellen in Erörterungen zum Thema Störfallbeherrschung eintritt, sie gleichsam eine Nachfrage nach naturwissenschaftlich-technischem Know-how für notwendig erachtet, um Zweifel an der Störfallbeherrschung auszuräumen.

20 Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 3 AtG für den Erlass der nachträglichen Anordnung liegen insoweit vor. Zur Erreichung des in § 1 Nr. 2 AtG niedergelegten Schutzziels ist es erforderlich, dass Zweifel an einer Störfallbeherrschung der Aufsichtsbehörde angezeigt werden, die andernfalls ihrer Aufsichtspflicht nach § 19 AtG nicht nachkommen kann. Diese Verpflichtung bezieht sich auch auf den konkreten Fall, dass naturwissenschaftlich-technische Erkenntnisse die Störfallbeherrschung in Frage stellen könnten. Die nachträgliche Auflage geht in Nr. A I 2a Satz 1 ersichtlich auch über die in § 6 der atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten - und Meldeverordnung (AtSMV) bestimmten Fälle (in Anlage 1 und 2) einer Meldepflicht hinaus, die insoweit aber keine abschließende Regelung enthält, und ergänzt zusätzliche in den Betriebshandbüchern für die KKP 1 und 2 verfügte Meldepflichten. Der in § 19 Abs. 2 Satz 2 AtG enthaltenen Auskunftspflicht kommt für eine Informationspflicht, wie sie die nachträgliche Auflage verfügt, keine Sperrwirkung zu. Darlegungen zur Störfallbeherrschung sind Teil des Genehmigungsverfahrens. Deshalb sind darauf bezogene Informationspflichten seit jeher durch Auflagen zur Genehmigung geregelt. Mit ihnen wird möglicherweise ein atomrechtliches Aufsichtsichtsverfahren in Gang gesetzt. Die Auskunftspflicht nach § 19 Abs. 2 Satz 2 AtG ist ihrerseits aber bereits ein Instrumentarium der Atomaufsicht.

21 Die in Nr. A I 2a Satz 2 und 3 der nachträglichen Auflage enthaltene Verpflichtung - zur Vorlage eines Projektplans und dessen Aktualisierung - steht in unmittelbarem Kontext mit Nr. A I 2a Satz 1. Denn wenn der Nachweis einer Störfallbeherrschung für eine Kernenergieanlage in Frage gestellt sein könnte, beschränkt sich die Informationspflicht nicht auf ein bloßes verbales Bekunden von Erkenntnissen. Hiermit verbindet sich vielmehr auch die Beschreibung etwaiger (vorsorglicher) Maßnahmen zur Beherrschung des möglichen Störfalls und somit auch die Vorlage eines Projektplans. Bei Kernenergieanlagen stellt dies den gebotenen Standard dar, wie er auch in § 7 Abs. 1 AtSMV zum Ausdruck kommt. Nr. A I 2a Satz 4 bezieht sich im Wesentlichen auf die Auflage Nr. A I 2b und wird mit deren Aufhebung insoweit gegenstandslos. Einer Entscheidung über die Zulässigkeit des Ausschlusses „probabilistischer Analysen“ bedurfte es daher nicht.

22 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.