Beschluss vom 26.03.2012 -
BVerwG 2 B 11.12ECLI:DE:BVerwG:2012:260312B2B11.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.03.2012 - 2 B 11.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:260312B2B11.12.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 11.12

  • VG Gelsenkirchen - 24.11.2010 - AZ: VG 1 K 4453/09
  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 15.11.2011 - AZ: OVG 6 A 3/11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und Dr. Hartung
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. November 2011 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf die Wertstufe bis 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 Die 1959 geborene Klägerin absolvierte nach einem Studium der Fächer Deutsch und Geografie Ausbildungen zur Verkäuferin und im Bäckereihandwerk. Nach dem Vorbereitungsdienst legte sie 1989 die zweite Staatsprüfung ab und arbeitete bis 1992 als Verkäuferin. Zwischen 1992 und 1995 war sie als Lehrerin beim Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands e.V. tätig. Seit Februar 1995 steht sie in einem Angestelltenverhältnis im öffentlichen Schuldienst des beklagten Landes. Sie ist Mutter eines Kindes. In den Jahren 2000 und 2002 beantragte sie erfolglos die Übernahme ins Beamtenverhältnis. Im April 2009 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Die Bezirksregierung Münster lehnte dies durch Bescheid vom 7. September 2009 ab, weil sie die Höchstaltersgrenze von 40 Jahren gem. § 6 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen in der seit dem 18. Juli 2009 geltenden Fassung (LVO NRW n.F.) überschritten habe. Das Verwaltungsgericht verpflichtete den Beklagten zur Neubescheidung, weil der angegriffene Bescheid wegen fehlender Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten formell fehlerhaft sei und der Klägerin ein Einstellungsanspruch auf der Grundlage der Härtefallregelung des § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW n.F. zustehe. Das Oberverwaltungsgericht änderte dieses Urteil und wies die Klage ab.

3 Die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen führen unabhängig von der Frage, ob die Beschwerde in vollem Umfang den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt, nicht zur Zulassung der Revision. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die die Klägerin ihr zumisst.

4 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine von der Beschwerde aufgeworfene Frage bereits geklärt ist, auf Grund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie nur einzelfallbezogen zu beantworten ist und deshalb keine allgemeine Bedeutung hat.

5 Dies gilt auch für die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen.

6 1. Die Frage,
„Ist in Verfahren, in denen über die Frage zu entscheiden ist, ob der dortige Kläger einen Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe - oder zumindest auf Neubescheidung seines entsprechenden Antrages - hat, vor dem Hintergrund des Grundrechts aus Art. 33 Abs. 2 GG und dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger oder auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung abzustellen?“
ist auf der Grundlage der Rechtsprechung im letztgenannten Sinne zu beantworten.

7 Der Erfolg einer Klage, mit der ein Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts oder auf erneute Entscheidung darüber geltend gemacht wird, richtet sich nach dem materiellen Recht, dass zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auf den Sachverhalt anzuwenden ist. Aufgrund der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) haben die Gerichte bei der Beurteilung von Verpflichtungs- und Neubescheidungsbegehren Rechtsänderungen zu beachten, die während des behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens in Kraft getreten sind, sofern das neue, zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltende Recht nichts anderes bestimmt. Durch seine Auslegung ist zu ermitteln, ob Verpflichtungs- und Neubescheidungsbegehren für bestimmte Fallkonstellationen noch nach dem aufgehobenen oder inhaltlich geänderten Recht zu beurteilen sind (stRspr; vgl. Urteile vom 31. März 2004 - BVerwG 8 C 5.03 - BVerwGE 120, 246 <250> und vom 24. Juni 2004 - BVerwG 2 C 45.03 - BVerwGE 121, 140 <143 f.>).

8 Dies gilt auch dann, wenn die Verwaltung den Erlass des beantragten Verwaltungsakts rechtswidrig abgelehnt hat, diese Entscheidung aber von einer danach in Kraft getretenen Rechtsänderung gedeckt wird. Auch hier kann das Verwaltungsgericht die Verwaltung nur dann zum Erlass des Verwaltungsakts oder zur erneuten Entscheidung darüber verurteilen, wenn das neue Recht für diese Fälle die Anwendung des alten Rechts anordnet oder einen Anspruch für derartige Fälle (sog. Folgenbeseitigungslast) einräumt (stRspr, vgl. Urteile vom 17. Dezember 1954 - BVerwG 5 C 97.54 - BVerwGE 1, 291 <295 f.>, vom 6. März 1987 - BVerwG 8 C 65.84 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 99 S. 2, vom 18. Juni 1998 - BVerwG 2 C 20.97 - Buchholz 237.7 § 15 NWLG Nr. 2 S. 2 und vom 24. Juni 2004, a.a.O. S. 143 f.).

9 Nach diesen Rechtsgrundsätzen sind die Regelungen über die Höchstaltersgrenze für Lehrer in der Nordrhein-Westfälischen Laufbahnverordnung in der Fassung vom 30. Juni 2009 auf alle Anträge auf Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe anwendbar, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Rechtsverordnung am 18. Juli 2009 nicht bestandskräftig beschieden waren. Denn die Neuregelung enthält keine Übergangsregelung oder sonst eine Anordnung, mit der für bestimmte Fallkonstellationen die Anwendung älteren Rechts oder eine Entscheidung ohne Zugrundelegung eines Einstellungshöchstalters angeordnet würde.

10 2. Auch die weitere Frage, ob
„sich aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG die Verpflichtung eines Trägers hoheitlicher Gewalt <ergibt>, über einen Antrag eines Bürgers auf Übernahme in das Beamtenverhältnis zeitnah unter Anlehnung an die in § 75 VwGO genannte Frist von 3 Monaten zu entscheiden“,

11 rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, da sie sich ohne weiteres beantworten lässt. Selbstverständlich ist der Dienstherr verpflichtet, über die an ihn gerichteten Anträge auf Erlass eines Verwaltungsakts - hier: die Übernahme in eine Probebeamtenverhältnis - zügig zu entscheiden. Nach dem Rechtsgedanke des § 75 VwGO kann innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung eine Entscheidung über einen derartigen Antrag grundsätzlich erwartet werden, wenn der Antragsteller alles ihm Obliegende getan hat, der Behörde eine hinreichende Entscheidungsgrundlage an die Hand zu geben. Dies gilt allerdings nicht, wenn zureichende Gründe für eine Verzögerung der Entscheidung vorliegen. Bei der Entscheidung über das Vorliegen eines zureichenden Grundes sind alle Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen. Grundsätzlicher Klärungsbedarf, der die Durchführung eines Revisionsverfahrens rechtfertigen könnte, besteht zu dieser Frage allerdings nicht, da es vom jeweiligen Einzelfall abhängt, ob derartige Gründe vorliegen. Ob es regelmäßig als zureichender Grund für eine verzögerte Entscheidung gelten kann, wenn eine Änderung der maßgeblichen normativen Entscheidungsgrundlagen zu erwarten ist oder ob - insbesondere wenn die erwartete Gesetzesänderung für den Antragsteller negativ ausfallen wird - im Gegenteil ein Anspruch auf zügige Entscheidung noch nach altem Recht besteht, muss hier nicht entschieden werden, da jedenfalls im vorliegenden Fall über diesen Aspekt hinaus besondere Umstände vorlagen. Denn die Änderungsverordnung wurde bereits am 30. Juni 2009 und damit vor Ablauf von drei Monaten nach dem Antrag der Klägerin (7. April 2009) erlassen, auch wenn sie erst im Juli 2009 in Kraft trat.

12 3. Schließlich bedarf es einer Zulassung der Revision auch im Hinblick auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage zum Recht der Europäischen Union nicht, da sie sich auf dem Boden der Senatsrechtsprechung und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter Einschluss der von der Beschwerde angeführten Judikate beantworten lässt und da es einer Vorlage an den Gerichtshof insoweit nicht bedarf.

13 Höchstaltersgrenzen für den Zugang zu einem Beruf stellen eine Ungleichbehandlung wegen des Alters dar, die zulässig sein kann, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist (Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates der Europäischen Union vom 27. November 2000 - RL - ABl. EG Nr. L 303/16; § 7 i.V.m. § 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie § 3 Abs. 1 Satz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14. August 2006 - AGG < BGBl. I S. 1897>). Derartige Ziele können sich insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung ergeben; daneben kommt jedes weitere sozialpolitische Ziel in Betracht (EuGH, Urteil vom 13. September 2011 - C-447/09, Prigge u.a. - NJW 2011, 3209 <Rn. 81>). Die Mitgliedstaaten verfügen über einen weiten Spielraum bei der Wahl der Maßnahmen, die sie zur Erreichung eines legitimen Ziels für erforderlich halten; sie können sich auf politische, wirtschaftliche, soziale, demografische und fiskalische Erwägungen stützen, auch wenn letztere für sich allein nicht ausreichen (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 - C-159 und 160/10, Fuchs und Köhler - NVwZ 2011, 1249 <Rn. 61, 73 f. und 80 f.>). Die Angemessenheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme ist nachgewiesen, wenn sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unvernünftig erscheint und auf Beweismittel gestützt ist, deren Beweiskraft das nationale Gericht zu beurteilen hat (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011, a.a.O., Rn. 84).

14 Das Interesse des Dienstherrn an einem ausgewogenen Verhältnis von Lebensdienstzeit und Ruhestand der Beamten stellt ein legitimes Ziel in diesem Sinne dar. Die Berechtigung dieser Erwägung ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen der Dienstleistung der Beamten und den Versorgungsleistungen im Ruhestand. Beamte erdienen die lebenslang zu gewährende Versorgung aus dem letzten Amt während ihrer aktiven Dienstzeit. Die unionsrechtliche Anerkennung des Interesses an einer adäquaten Lebensdienstzeit wird durch Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c RL (§ 10 Satz 2 Nr. 3 AGG) belegt, wonach Ungleichbehandlungen wegen des Alters insbesondere die Festlegung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand einschließen können. Eine Höchstaltersgrenze für den Zugang zum Beamtenverhältnis stellt daher dem Grunde nach ein geeignetes und erforderliches Mittel dar, um eine angemessene, die Versorgung rechtfertigende Lebensdienstzeit sicherzustellen. Die auch unionsrechtlich geforderte Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung wird dadurch sichergestellt, dass die Höchstaltersgrenze bei anerkannten und normativ fixierten, insbesondere bei familiären und gemeinnützigen Verzögerungsgründen in angemessenem Umfang überschritten werden darf.

15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht für das Beschwerdeverfahren auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG.