Verfahrensinformation

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine Polizeibeamtin im Bundesdienst. Sie ist teilzeitbeschäftigt und wendet sich dagegen, dass die ihr gewährte Wechselschichtzulage deshalb anteilig gekürzt wird; sie sieht darin eine unzulässige Benachteiligung gegenüber den in Vollzeit beschäftigten Beamten. Die Bundesrepublik ist der Auffassung, die Kürzung sei durch § 6 Abs. 1 Bundesbesoldungsgesetz gerechtfertigt; er sieht eine Kürzung sämtlicher Besoldungsbestandteile in dem Verhältnis vor, in dem die reguläre Arbeitszeit gekürzt ist.


Das Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. hat der Klage stattgegeben und dabei auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung verwiesen. Der Klägerin stehe die Wechselschichtzulage in derselben Höhe zu wie Vollzeitbeschäftigten. Sowohl beamtenrechtliche Regelungen, die eine Benachteiligung von teilzeitbeschäftigten Beamten verböten, verlangten dies wie auch das Gemeinschaftsrecht. Die Belastungsunterschiede von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten könnten kein legitimes Ziel für die Benachteiligung der Klägerin darstellen, da sie wegen des gesetzlichen Zwecks der Wechselschichtzulage ohne Bedeutung seien. Die Beklagte hat von der den Beteiligten vom Verwaltungsgericht eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Überprüfung sogleich beim Bundesverwaltungsgericht herbeizuführen (Sprungrevision).


Urteil vom 26.03.2009 -
BVerwG 2 C 12.08ECLI:DE:BVerwG:2009:260309U2C12.08.0

Leitsatz:

Auch die Wechselschichtzulage unterliegt bei Teilzeitbeschäftigten der Kürzung nach § 6 Abs. 1 BBesG. Allerdings gebieten das gemeinschaftsrechtliche Benachteiligungsverbot und der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, die Zulage schon dann zu gewähren, wenn der Teilzeitbeschäftigte die zeitlichen Voraussetzungen (hier: 40 Stunden Nachtschicht in 5 Wochen) nur anteilig erfüllt.

Urteil

BVerwG 2 C 12.08

  • VG Frankfurt am Main - 03.12.2007 - AZ: VG 9 E 2418/07 (V)

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper, Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 3. Dezember 2007 wird aufgehoben.
  2. Die Klage wird abgewiesen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin steht als Polizeiobermeisterin im Dienst der Beklagten. Seit Februar 2002 ist sie mit 25,5 Stunden wöchentlich teilzeitbeschäftigt und im Wechselschichtdienst tätig. In Nachtschicht ist sie in jeweils fünf Wochen durchschnittlich mehr als 40 Stunden eingesetzt. Die Beklagte reduzierte die - mit Rücksicht auf die Polizeizulage zur Hälfte gewährte - Wechselschichtzulage wegen der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin auf monatlich 32,60 €.

2 Im März 2007 beantragte die Klägerin, ihr die Hälfte der Wechselschichtzulage rückwirkend und ohne teilzeitbedingte Kürzung in Höhe von 51,10 € monatlich auszuzahlen. Die Beklagte lehnte den Antrag ab und wies den Widerspruch zurück: Die Kürzung der Zulage beruhe auf § 6 Abs. 1 BBesG; sie benachteilige die Klägerin auch nicht wegen ihrer Teilzeitbeschäftigung.

3 Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Der Klägerin stehe dem Grunde nach eine Wechselschichtzulage zu. Sie reduziere sich zwar auf die Hälfte, weil die Klägerin die Polizeizulage erhalte; einer weiteren Kürzung nach § 6 Abs. 1 BBesG stehe jedoch das Diskriminierungsverbot des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts entgegen. Teilzeitbeschäftigte dürften nur dann anders als Vollzeitbeschäftigte behandelt werden, wenn dies durch einen zwingenden sachlichen Grund gerechtfertigt sei. Ein solcher Grund liege nicht vor.

4 Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungsrevision der Beklagten. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 3. Dezember 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6 Der Vertreter des Bundesinteresses teilt die rechtlichen Bedenken der Beklagten.

II

7 Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Der Klägerin steht zwar dem Grunde nach eine Wechselschichtzulage zu (1.), jedoch nur in der sich aus § 6 Abs. 1 BBesG ergebenden Höhe (2.).

8 1. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Zahlung der Wechselschichtzulage ist § 20 Abs. 1 der Erschwerniszulagenverordnung - EZulV - in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 1998 (BGBl I S. 3497), zuletzt geändert durch Art. 15 Abs. 35 des Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160). Danach erhalten Beamte eine Wechselschichtzulage von 102,26 Euro monatlich, wenn sie ständig nach einem Schichtplan (Dienstplan) eingesetzt sind, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten vorsieht, und sie dabei in je fünf Wochen durchschnittlich mindestens 40 Dienststunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht leisten. Mit der Zulage finden die von dem Schichtdienstleistenden geforderte ständige Umstellung des Arbeits- und Lebensrhythmus und die damit verbundenen gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen eine besoldungsrechtliche Anerkennung (Urteile vom 21. März 1996 - BVerwG 2 C 24.95 - Buchholz 240.1 BBesO Nr. 17 und vom 11. Dezember 1997 - BVerwG 2 C 36.96 - Buchholz 240.1 BBesO Nr. 19).

9 Gem. § 20 Abs. 4 EZulV wird die Zulage nur zur Hälfte gewährt, wenn für denselben Zeitraum Anspruch auf eine Stellenzulage - unter anderem - nach Nr. 9 der Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B des Bundesbesoldungsgesetzes (Polizeizulage) besteht.

10 Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 EZulV. Dass die Wechselschichtzulage im Hinblick auf die Polizeizulage nach § 20 Abs. 4 EZulV zu kürzen ist, steht ebenfalls außer Streit.

11 2. Die wegen der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin gemäß § 6 Abs. 1 BBesG vorgenommene Kürzung der Wechselschichtzulage ist bei einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des § 20 Abs. 1 EZulV rechtmäßig.

12 a) Die nach § 20 Abs. 1 EZulV gewährte Wechselschichtzulage gehört gem. § 1 Abs. 2 Nr. 4 BBesG zu den Dienstbezügen. § 6 Abs. 1 BBesG knüpft an diese Legaldefinition an und regelt, dass bei Teilzeitbeschäftigung die Dienstbezüge im gleichen Verhältnis wie die Arbeitszeit gekürzt werden. Der Wortlaut, dem namentlich im Besoldungsrecht eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. § 2 Abs. 1 BBesG, siehe auch Urteil vom 29. September 2005 - BVerwG 2 C 44.04 - BVerwGE 124, 227 <234>), ist eindeutig und lässt für eine einschränkende Auslegung keinen Raum. § 47 BBesG, der die gesetzliche Grundlage für die Erschwerniszulagenverordnung bildet, enthält auch keine Ermächtigung des Verordnungsgebers, bestimmte Zulagen aus dem Anwendungsbereich des Proportionalitätsgrundsatzes herauszunehmen (Urteil vom 21. Juni 2007 - BVerwG 2 C 17.06 - Buchholz 240 § 57 BBesG Nr. 4).

13 b) § 6 Abs. 1 BBesG ist sowohl mit Verfassungsrecht als auch mit Gemeinschaftsrecht vereinbar. Er entspricht insbesondere dem pro-rata-temporis Grundsatz des § 4 Nr. 2 des Anhangs zur Richtlinie Nr. 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl EG Nr. L 14 vom 20. Januar 1998 S. 9, ber. ABl EG Nr. L 128 vom 30. April 1998 S. 71).

14 Teilzeitarbeit unterscheidet sich von der Vollzeitarbeit nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Eine geringere Arbeitszeit darf daher grundsätzlich nur quantitativ, nicht qualitativ anders abgegolten werden als Vollzeitarbeit (BVerfG, Beschluss vom 27. November 1997 - 1 BvL 12/91 - BVerfGE 97, 35 <44>). § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 4 BBesG hat zur Folge, dass Zulagen bei Teilzeitbeschäftigung im gleichen Verhältnis wie die Arbeitszeit gekürzt werden. Das ist im Grundsatz rechtlich nicht zu beanstanden.

15 § 20 Abs. 1 EZulV verlangt, dass der Beamte in je fünf Wochen durchschnittlich 40 Stunden des Wechselschichtdienstes in Nachtschicht leistet. Die Vorschrift differenziert nicht nach Teil- und Vollzeitbeschäftigten. Sie führt deshalb unter Zugrundelegung der vom Verordnungsgeber abschließend bestimmten Belastungsparameter, zu denen die mit einer Teilzeitbeschäftigung regelmäßig verbundenen längeren Regenerationsphasen nicht zählen, dazu, dass Teilzeitbeschäftigte im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten einen größeren Anteil ihrer Arbeitszeit in Nachtschicht erbringen müssen, um in den Genuss einer Wechselschichtzulage zu kommen. Indem der Verordnungsgeber die Belastungsgrenzen für Voll- und Teilzeitbeschäftigte identisch festgelegt hat, hat er im Ergebnis für Teilzeitbeschäftigte eine höhere Belastungsgrenze statuiert (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Mai 2004 - Rs. C-285/02 - NVwZ 2004, 1103 <1104>). Hierin liegt eine Benachteiligung teilzeitbeschäftigter Beamter, die mit § 4 Nr. 1 des Anhangs der Richtlinie Nr. 97/81/EG unvereinbar ist.

16 Es kann dahingestellt bleiben, ob § 20 Abs. 1 EZulV gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 BGleiG, § 24 Nr. 1 AGG in Verbindung mit §§ 7, 1 AGG und § 72d Halbs. 2 BBG a.F. verstößt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2008 - 2 BvL 6/07 - NVwZ 2008, 987 <990>; BVerwG, Urteil vom 29. September 2005 a.a.O. S. 238). Nach § 4 Nr. 1 des Anhangs der Richtlinie Nr. 97/81/EG dürfen Teilzeitbeschäftigte gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten in ihren Beschäftigungsbedingungen nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, dies ist durch objektive Gründe sachlich gerechtfertigt. Objektive Gründe, die die schlechtere Behandlung rechtfertigen könnten, liegen hier nicht vor. Gemeinschaftsrechtlich ist es deshalb geboten, bei Teilzeitbeschäftigten das für Vollzeitbeschäftigte bestehende Erfordernis von 40 Stunden in Nachtschicht proportional zu ihrem Beschäftigungsumfang zu reduzieren. Für die mit 25,5 Stunden teilzeitbeschäftigte Klägerin folgt daraus, dass ihr der gemäß § 6 Abs. 1 BBesG gekürzte Anspruch auf eine Wechselschichtzulage bereits ab 25,5 Stunden (40 x 25,5/40) Nachtschicht in durchschnittlich fünf Wochen zusteht. Die dementsprechende Zulage hat ihr die Beklagte gewährt. Soweit § 20 Abs. 1 EZulV eine höhere Stundenzahl festsetzt, ist er wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts in diesem Umfang unanwendbar (EuGH, Urteil vom 22. Oktober 1998 - C-10/97 - NJW 1999, 201 <202>).

17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.