Urteil vom 26.03.2003 -
BVerwG 1 D 23.02ECLI:DE:BVerwG:2003:260303U1D23.02.0

Urteil

BVerwG 1 D 23.02

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 26. März 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r ,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Regierungshauptsekretärin Beate G r a a f - S a u e r
und Postbetriebsassistent Reinhard W e b e r
als ehrenamtliche Richter
sowie
Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Die Berufung des Bundesbankhauptsekretärs ... gegen das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer I - ... -, vom 4. Juni 2002 wird auf seine Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihm ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von Fünfundsiebzig vom Hundert seines erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt wird.

I


1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat den Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
in der Zeit von Mitte 1998 bis 23. August 1999 in der Hauptstelle L. seine dienstliche Stellung als Geldbearbeiter am Vollautomaten fortgesetzt dadurch missbraucht habe, dass er
- im Vollautomatenraum Banknoten aus den Eingangspäckchen entwendet habe,
- im Vollautomatenraum Banknoten aus den Eingangspäckchen gegen Banknoten geringerer Stückelung getauscht und den höherwertigen Geldschein selbst behalten habe und
- im Handnachbearbeitungsplatz Banknoten in der zuvor beschriebenen Weise getauscht habe.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 4. Juni 2002 entschieden, dass der Beamte ohne Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages aus dem Dienst entfernt wird. Es hat sich an die Tatsachenfeststellungen im rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts ... vom 10. Januar 2001 (Az.: 5170 Js 20177/99 - V Ns -) gebunden gesehen, durch das der Beamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten wegen Unterschlagung verurteilt worden war. Darin wurden u.a. folgende Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte nahm in der Zeit von Mitte 1998 bis 23. August 1999 in den Räumen der Landeszentralbank in ..., wo er im Vollautomatenraum und am Handnachbearbeitungsplatz eingesetzt war, aufgrund jeweils neu gefassten Willensentschlusses in zumindest 80 Fällen insgesamt mindestens 7 000,00 DM an sich, um dieses Geld für sich zu verwenden. Dabei ging der Angeklagte so vor, dass er jeweils an nicht mehr sicher feststellbaren Tagen im Vollautomatenraum oder Handnachbearbeitungsplatz 100,00 DM-Scheine an sich nahm, die er teilweise gegen Scheine geringeren Wertes austauschte. Zuletzt handelte es sich hierbei um folgende Fälle:
In der Woche vom 16. - 20. August 1999 tauschte der Angeklagte am Handnachbearbeitungsplatz einen 100,00 DM-Schein gegen einen 50,00 DM-Schein aus.
Am 19. August 1999 tauschte er einen 100,00 DM-Schein gegen einen 10,00 DM-Schein aus, wobei er zunächst aus einem Spulenfach eine Banknote zu 100,00 DM sowie das dazugehörige Streifband entnahm und beides auf die Arbeitsplatte des Handnachbearbeitungsplatzes legte. Sodann steckte er die Banknote in seine rechte Hosentasche. Einige Spulenfächer weiter zog er eine Banknote zu 10,00 DM aus der linken Brusttasche und mischte sie unter die vorgefundenen Banknoten zu 100,00 DM.
Am gleichen Tag tauschte er aufgrund neuen Willensentschlusses am Nachmittag nochmals einen 100,00 DM-Schein in einen 10,00 DM-Schein aus, wobei er diesmal bei der Abarbeitung eines Spulenfaches mit 100,00 DM-Banknoten einen 10,00 DM-Schein aus seiner linken Brusttasche hinzumischte und dafür eine 100,00 DM-Note entnahm.
Am 20. August 1999 tauschte der Angeklagte einen 50,00 DM-Schein gegen einen 20,00 DM-Schein um und am 24. August 1999 zunächst erneut einen 50,00 DM-Schein gegen einen 20,00 DM-Schein und später noch einen 100,00 DM-Schein gegen einen 50,00 DM-Schein.
Bei den letztgenannten Fällen waren die Taten des Angeklagten durch eine eigens eingesetzte Videokamera beobachtet worden, nachdem zuvor ein Verdacht gegen den Angeklagten aufgekommen war. Am 24. August 1999 wurde der Angeklagte am Arbeitsplatz festgenommen. Er gab daraufhin die letztgenannten Fälle unumwunden zu und räumte auch ein, bereits zuvor seit Mitte 1998 auf ähnliche Weise Geld an sich gebracht zu haben. Insgesamt handele es sich um zumindest 80 Fälle, bei denen er zumindest 7 000,00 DM an sich gebracht habe."
Das Bundesdisziplinargericht hat keinen Anlass gesehen, sich gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 BDO von diesen Feststellungen zu lösen und hat die festgestellte Handlungsweise des Beamten als vorsätzliche schuldhafte Verstöße gegen seine Pflichten zur uneigennützigen Amtsführung (§ 54 Satz 2 BBG), zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten im Dienst (§ 54 Satz 2 BBG) sowie zur Beachtung dienstlicher Anordnungen (§ 55 Satz 2 BBG) gewertet. Das innerdienstliche Dienstvergehen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG), das nach den Bemessungsregeln für Zugriffsdelikte zu beurteilen sei, wiege so schwer, dass die disziplinare Höchstmaßnahme verhängt werden müsse. Durchgreifende Milderungsgründe lägen nicht vor. Dies gelte auch für die Annahme verminderter Schuldfähigkeit.
3. Gegen dieses Urteil hat der Beamte rechtzeitig eine auf das Disziplinarmaß beschränkte Berufung eingelegt und beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils auf eine mildere Maßnahme zu erkennen.
Das Rechtsmittel wird im Wesentlichen wie folgt begründet: Er erkenne an, dass die strafgerichtlichen Feststellungen für das Bundesdisziplinargericht bindend gewesen seien und stelle sie auch nicht in Frage. Dem Gericht könne aber nicht darin gefolgt werden, wenn es einen Milderungsgrund ausschließe. Zwar liege der Milderungsgrund der Geringwertigkeit hier nicht vor; das Gericht habe aber den Milderungsgrund einer einmaligen, persönlichkeitsfremden Gelegenheitstat nicht verneinen dürfen. Er habe die Handlungen in einem Zustand begangen, in dem er die rechtlichen und tatsächlichen Folgen seines Verhaltens nicht bedacht habe, wozu auch ein gewisses Maß an Spontanität, Kopflosigkeit oder Unüberlegtheit gehöre. Er habe keinen vernünftigen Grund angeben können, weshalb er sich zu einer solchen Tat habe hinreißen lassen. Er habe sich nicht in einer finanziellen Notlage befunden; vielmehr habe er in Gaststätten durch ein besonders spendables Verhalten angeben wollen. Der Gutachter im Strafverfahren habe zwar eine verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB nicht annehmen können, was aber nichts daran ändere, dass die Tat für ihn persönlichkeitsfremd gewesen sei. Das Erstgericht habe dies deshalb nicht getan, weil mehrere Handlungen über einen längeren Zeitraum vorgelegen hätten. Wenn aber das Fehlverhalten bei natürlicher Betrachtung einen einheitlichen Vorgang darstelle, könne das den Milderungsgrund nicht ausschließen. Er habe sich seinerzeit außerdem in einer psychischen Ausnahmesituation befunden, weil er bei Überschreiten des 50. Lebensjahres in eine seelische Krise gestürzt sei, die seine Widerstandskraft in Bezug auf die begangenen Delikte weitgehend geschwächt habe. Das Erstgericht habe diesen weiteren Milderungsgrund mit der Begründung verneint, er hätte die Krise durch andere Alternativen lösen können, beispielsweise durch Gespräche mit seiner Ehefrau. Gerade dies sei ihm nicht möglich gewesen, wobei die Neigung zu Alkohol zu diesem Zeitpunkt die Hemmschwelle sicherlich herabgesetzt und dazu beigetragen habe, dass er sich in dieser schlechten Verfassung befunden habe. Das Erstgericht habe schließlich auch erwägen müssen, ob hier nicht wenigstens zum Teil der Milderungsgrund der Wiedergutmachung vor Tatentdeckung in Betracht komme. Es sei unstreitig, dass aufgrund der beobachteten Tathandlungen lediglich die Taten in den letzten Tagen vor der Entdeckung hätten nachgewiesen werden können, mithin ein Schaden von (nur) 290 DM. Er habe sofort nach Entdeckung erklärt, er hätte auch schon in den Monaten davor auf die gleiche Art und Weise Scheine an sich genommen und den Schaden mit rund 7 000 DM geschätzt und sich sofort bereiterklärt, insgesamt 10 000 DM zu zahlen. Der Gesamtschaden wäre nicht entdeckt worden, wenn er nicht zur Entdeckung beigetragen und gleichzeitig seine Bereitschaft zur Wiedergutmachung erklärt hätte. Letztendlich hätte sich das Erstgericht auch mit der Frage auseinander setzen müssen, ob die Milderungsgründe, wenn auch nicht für sich, so doch zusammengenommen es gerechtfertigt hätten, eine Maßnahme zu verhängen, die ein Verbleiben im Dienst ermöglicht hätte.

II


Die Berufung des Beamten ist unbegründet.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, das heißt nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Senat ist deshalb an die Tat- und Schuldfeststellungen des Bundesdisziplinargerichts sowie an die vorgenommene disziplinarrechtliche Würdigung der festgestellten Pflichtverletzung als innerdienstliches Dienstvergehen gebunden. Er hat nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
1. Das Bundesdisziplinargericht hat zutreffend festgestellt, dass der Beamte durch den Zugriff auf amtlich anvertrautes bzw. zugängliches Geld ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen hat, das nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zur einseitigen Auflösung des Dienstverhältnisses und damit zur Entfernung eines Beamten aus dem Dienst führt.
Die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses ist bei einem Zugriff auf dienstlich erlangtes oder anvertrautes Geld nur möglich, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.
a) Der Beamte macht im Berufungsverfahren geltend, es habe sich um eine einmalige, persönlichkeitsfremde Gelegenheitstat gehandelt. Dem kann nicht gefolgt werden. Im Hinblick auf die Vielzahl der Unterschlagungshandlungen kommt eine unbedachte einmalige Augenblickstat im Sinne der Rechtsprechung nicht in Betracht. Der aus dem Strafrecht stammende Begriff der fortgesetzten Handlung oder des Fortsetzungszusammenhangs ist dem Disziplinarrecht fremd. Einzeltaten, die nach strafrechtlichen Grundsätzen im Fortsetzungszusammenhang begangen werden, können disziplinar einen Beamten im Hinblick auf das zum Dienstherrn bestehende Vertrauensverhältnis nicht entlasten, weil dieses durch wiederholte Eingriffe in das betroffene Rechtsgut immer wieder neu beeinträchtigt wird (stRspr, Urteile vom 8. Juni 1994 - BVerwG 1 D 72.93 - und vom 16. Juni 1999 - BVerwG 1 D 67.98 -). Darüber hinaus wäre hier auch aus rein tatsächlichen Gründen ein Gesamtvorsatz zu verneinen. Es liegt lediglich eine sich vielfach wiederholende gleichartige Begehungsweise vor, wobei nach den Feststellungen im Strafverfahren die einzelnen Handlungen "aufgrund jeweils neu gefassten Willensentschlusses" zustande kamen.
b) Auch der Vortrag des Beamten, er habe sich angesichts seines damaligen Alters (Überschreiten des 50. Lebensjahres; "Midlifecrisis") in einer psychischen Ausnahmesituation befunden, erfüllt nicht die Voraussetzungen des genannten Milderungsgrunds. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass das einen jeden Menschen betreffende Älterwerden den Beamten wie ein Schock getroffen und ihn schockbedingt veranlasst hätte, diese Erkenntnis mehr als ein Jahr lang mit kriminellen Handlungen zu kompensieren.
c) Schließlich liegt auch der Milderungsgrund der freiwilligen Wiedergutmachung vor Tatentdeckung nicht vor. Richtig ist zwar, dass der Beamte bei seiner Festnahme am 24. August 1999 die von der Videokamera festgehaltenen Tathandlungen mit einem Schaden von 290 DM sofort eingeräumt und außerdem zugegeben hat, bereits seit Mitte 1998 auf ähnliche Weise in etwa 80 Fällen ungefähr 7 000 DM an sich gebracht zu haben. Es mag sein, dass es schwierig gewesen wäre, die nicht beobachteten Geldentnahmen dem Beamten nachzuweisen. Allerdings konnte später gegen ihn ein wesentlich höherer Schadensersatzanspruch (ca. 26 000 DM) gerichtlich durchgesetzt werden. Die Mitwirkung bei der Schadensermittlung durch ein erweitertes Geständnis n a c h Aufdeckung seiner Täterschaft kann aber nicht dazu führen, dass nunmehr eine freiwillige Wiedergutmachung v o r Tatendeckung anzunehmen wäre. Es spricht für den Beamten, dass er die nicht beobachteten Geldentnahmen ohne weiteres eingeräumt hat; dies aber lässt die beobachteten Tathandlungen nicht in einem milderen Licht erscheinen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist ein - wie hier - erweitertes Geständnis des Beamten bei einem Zugriffsdelikt oder anderen schwerwiegenden Kernpflichtverletzungen nicht geeignet, von der Entfernung aus dem Dienst abzusehen (vgl. Urteile vom 28. März 2000 - BVerwG 1 D 6.99 -, vom 23. Mai 2001 - BVerwG 1 D 12.00 - und vom 9. Mai 2001 - BVerwG 1 D 17.00 -).
d) Entgegen der von dem Verteidiger des Beamten vertretenen Auffassung ist es auch nicht möglich, aus einzelnen Umständen, die für den Beamten sprechen, jedoch keinen anerkannten Milderungsgrund begründen, durch Kumulation einen neuen Ausnahmegrund zu schaffen. Die Feststellung der weiteren Tragbarkeit eines Beamten unter Hinweis auf ein Zusammenwirken von je für sich als Milderungsgrund nicht zureichenden Umständen, die je für sich genommen auch ein Verbleiben im Dienst nicht rechtfertigen könnten, wird vom Senat bei Dienstvergehen, die grundsätzlich zur Höchstmaßnahme führen, abgelehnt (vgl. z.B. Urteile vom 12. April 1995 - BVerwG 1 D 62.94 - und vom 30. September 1998 - BVerwG 1 D 97.97 - jeweils m.w.N.). Der Senat sieht keinen Anlass, diese Rechtsprechung aufzugeben oder zu modifizieren.
2. Der Senat hat dem Beamten einen Unterhaltsbeitrag mit dem nach § 77 Abs. 1 Satz 2 BDO zulässigen Höchstsatz von 75 vom Hundert bewilligt. Damit hat er den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beamten Rechnung getragen, die dieser angesichts veränderter Verhältnisse in der Hauptverhandlung vor dem Senat dargelegt hat. Weist der Beamte nach, dass er sich während des gesamten Bewilligungszeitraums nachdrücklich, aber letztlich erfolglos um eine andere Erwerbstätigkeit bemüht hat, so kann ihm vom Bundesdisziplinargericht auf seinen Antrag bei fortbestehender Bedürftigkeit ein Unterhaltsbeitrag neu bewilligt werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.