Beschluss vom 26.02.2010 -
BVerwG 3 B 4.10ECLI:DE:BVerwG:2010:260210B3B4.10.0

Beschluss

BVerwG 3 B 4.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Februar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und Dr. Wysk
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. November 2009 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 487,47 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger begehrt die Auszahlung einer ihm mit Bescheid vom 16. November 1998 bewilligten Preisausgleichszahlung für Erzeuger landwirtschaftlicher Kulturpflanzen an seinen Vater, der sämtliche derartigen künftigen Forderungen des Klägers gegen den Beklagten am 12. Januar 1994 hatte pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Der Beklagte erklärte demgegenüber die Aufrechnung mit einer offenen Rückforderung einer zu Unrecht gewährten Vorschusszahlung für Ölsaatenerzeuger aus dem Jahr 1993; der der Vorschusszahlung zugrunde liegende Bewilligungsbescheid war mit Bescheid vom 24. Mai 1994 aufgehoben und der Kläger zur Rückzahlung verpflichtet worden. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Klage stattgegeben.

2 Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Der Rechtssache kommt die vom Beklagten behauptete grundsätzliche Bedeutung nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

3 Der Beklagte hält sinngemäß die Frage für klärungsbedürftig, ob Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission vom 21. Juni 2006 (ABl EU Nr. L 171 S. 90) in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1034/2008 vom 21. Oktober 2008 (ABl EU Nr. L 279 S. 13) auch auf das Wirtschaftsjahr 1998 Anwendung findet. Er entnimmt dieser Vorschrift seine Berechtigung, ausstehende Forderungen gegen einen Begünstigten mit künftigen Zahlungen an diesen Begünstigten ohne Rücksicht auf Aufrechnungsverbote des nationalen Rechts - wie § 392 BGB - zu verrechnen.

4 Die Frage rechtfertigt die Durchführung des angestrebten Revisionsverfahrens nicht. Sie ist - im Einklang mit dem Berufungsurteil - offensichtlich zu verneinen. Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 ist durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 1034/2008 vom 21. Oktober 2008 eingefügt worden. Die Änderungsverordnung trat am 29. Oktober 2008 in Kraft. Ob sie auch zurückliegende Zeiträume erfasst, lässt sie offen. Sie ist jedoch frühestens ab dem 16. Oktober 2006 anwendbar. Dies ergibt sich aus Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 885/ 2006; hiernach gilt diese Verordnung ab dem 16. Oktober 2006, einzelne ihrer Bestimmungen hingegen erst für das Haushaltsjahr 2007 und folgende. Zu einer weiter zurückreichenden Rechtsänderung wäre die Kommission auch gar nicht ermächtigt gewesen. Die Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission beruht auf der Ermächtigung in Art. 42 der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 des Rates vom 21. Juni 2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl EU Nr. L 209 S. 1). Diese Verordnung trat am 18. August 2005 in Kraft; sie galt nach ihrem Art. 49 grundsätzlich ab dem 1. Januar 2007, in bestimmten Fällen ab dem 16. Oktober 2006 und nur hinsichtlich des - hier nicht einschlägigen - Art. 31 auch für frühere Fälle. Auf die Wiedereinziehung bereits 1993 gezahlter und 1994 zurückgeforderter Beihilfen im Wege der Verrechnung mit 1998 bewilligten Zahlungen findet dieses Regelwerk hiernach keine Anwendung.

5 Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Nachfolgeregelung der vom Berufungsgericht angewandten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung in Art. 73 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 der Kommission vom 21. April 2004 (ABl EU Nr. L 141 S. 18, berichtigt ABl EU Nr. L 291 S. 18) durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 380/2009 vom 8. Mai 2009 (ABl EU Nr. L 116 S. 9) unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 885/2006 ersatzlos gestrichen wurde. Denn diese Verordnung (EG) Nr. 380/2009 gilt ausweislich ihres Art. 2 erst für Beihilfeanträge für die Jahre bzw. Prämienzeiträume, die am 1. Januar 2009 oder später beginnen. Für frühere Prämienzeiträume blieb Art. 73 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 damit in Geltung. Die Vorschrift erfasste die ab dem 1. Januar 2005 beginnenden Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume; sie löste Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 der Kommission vom 11. Dezember 2001 (ABl EG Nr. L 327 S. 11) ab, der für Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume ab dem 1. Januar 2002 galt. Dieser wiederum war an die Stelle des Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl EG Nr. L 391 S. 36) in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1678/98 vom 29. Juli 1998 (ABl EG Nr. L 212 S. 23) getreten, der seit dem 6. August 1998 galt und den das Berufungsgericht im vorliegenden Fall daher mit Recht angewendet hat.

6 Im Übrigen ergibt sich aus Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 nicht die Berechtigung des Beklagten, ausstehende Forderungen gegen einen Begünstigten mit künftigen Zahlungen an diesen Begünstigten ohne Rücksicht auf Aufrechnungsverbote des nationalen Rechts zu verrechnen. Nach Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 rechnen die Mitgliedstaaten unbeschadet anderer in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehener Vollstreckungsmaßnahmen eine noch ausstehende Forderung an einen Begünstigten, die im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften festgestellt worden ist, gegen eine etwaige künftige Zahlung auf, die von der für die Eintreibung des geschuldeten Betrags zuständigen Zahlstelle an denselben Begünstigten zu leisten ist. Die Vorschrift führt nicht dazu, dass künftige Beihilfeansprüche des Begünstigten von vornherein nur in Höhe der Differenz zu dessen offenen Schulden entstünden; sie betrifft nicht das materielle Beihilferecht, sondern nur dessen Vollzug, nämlich die Modalitäten der Einziehung offener Forderungen. Ihre Bedeutung liegt ausweislich des 3. Erwägungsgrundes darin, die mit der Durchführung des Gemeinschaftsrechts befassten nationalen Behörden zu verpflichten, von nach dem nationalen Recht gegebenen Möglichkeiten, sich durch Aufrechnung zu befriedigen, auch Gebrauch zu machen. Dagegen sollen diese Möglichkeiten des nationalen Rechts nicht verändert oder gar das nationale durch ein gemeinschaftsrechtliches Aufrechnungsrecht ersetzt werden. Vielmehr bleibt es auch insofern bei dem Grundsatz, dass das materielle Gemeinschaftsrecht nach den Regeln des nationalen Rechts vollzogen wird (stRspr, vgl. EuGH, Urteil vom 21. September 1983 - C-205/82 - Slg. 1983, S. 2633 - Deutsche Milchkontor; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - BVerwG 3 C 22.02 - Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 44). Anhaltspunkte dafür, dass dieser Grundsatz hier hätte durchbrochen werden sollen (vgl. Beschluss vom 29. März 2005 - BVerwG 3 B 117.04 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 112 zu Art. 14 Abs. 4 und 5 der Verordnung <EWG> Nr. 3887/92), lassen sich der Verordnung (EG) Nr. 1034/2008 nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission - ebenso wie die ihr zugrunde liegende Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 des Rates - allein den Zahlungs- und Abrechnungsverkehr zwischen der Gemeinschaft (bzw. den europäischen Fonds EGFL und ELER) und den Mitgliedstaaten und nicht deren Außenverhältnis zu den Beihilfeempfängern betrifft; die Verordnung kann daher nur die mitgliedstaatlichen Behörden zu einer bestimmten Wahrnehmung ihrer gegebenen Rechte gegenüber den Beihilfeempfängern veranlassen, diese Rechte aber nicht erweitern.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.