Beschluss vom 26.02.2009 -
BVerwG 2 WDB 1.09ECLI:DE:BVerwG:2009:260209B2WDB1.09.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.02.2009 - 2 WDB 1.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:260209B2WDB1.09.0]

Beschluss

BVerwG 2 WDB 1.09

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 26. Februar 2009 beschlossen:

Der Antrag des Vorsitzenden der 7. Kammer des Truppendienstgerichts Nord auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird als unzulässig zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Der Soldat mit dem Dienstgrad eines Oberfeldwebels ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 30. April 2030. Er wird seit dem 1. Januar 2007 als Stammsoldat bei der .../... Schule der Luftwaffe ... in K. verwendet. Zuvor gehörte er der ...staffel/...geschwader ... in Kr. an.

2 Mit Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der ... Luftwaffendivision vom 19. Dezember 2008 wird ihm vorgeworfen, im Zusammenwirken mit dem Staffelfeldwebel der ...staffel durch unzutreffende Angaben über besondere zeitliche Belastungen die unberechtigte Auszahlung von mindestens 4 545,81 € an sich veranlasst zu haben, von denen er 1 200 € an den Staffelfeldwebel weitergeleitet habe.

3 Die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der ... Luftwaffendivision führt seit Februar 2007 gegen mehr als 40 (teils ehemalige) Angehörige der Instandsetzungsstaffel des ...geschwaders ... in Kr., ebenso wie gegen den Soldaten gerichtliche Disziplinarverfahren mit dem Vorwurf des Erschleichens nicht zustehender Zahlungen zum Nachteil des Dienstherrn und der Korruption (Bestechung bzw. Bestechlichkeit). Alle Soldaten sind nach Auskunft der Wehrdisziplinaranwaltschaft gleich bzw. ähnlich vorgegangen, wobei jeweils als Anstifter bzw. Mittäter der seinerzeitige Staffelfeldwebel beteiligt war. Durch Verfügung des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - vom 19. Juli 2007 ist gemäß § 94 Abs. 5 WDO der Kommandeur der ... Luftwaffendivision für das Disziplinarverfahren gegen den Soldaten als zuständige Einleitungsbehörde bestimmt worden.

4 Aus dem Gesamtkomplex wurden bislang neun Soldaten durch die 7. Kammer des Truppendienstgerichts Nord rechtskräftig zu gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen verurteilt. Sechs weitere Verfahren sind bei der Kammer zurzeit rechtshängig. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft beabsichtigt, im 1. Halbjahr 2009 die restlichen Fälle bei Gericht anzuschuldigen.

5 Nach Eingang der Anschuldigungsschrift vom 19. Dezember 2008 bei der 7. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat der Vorsitzende der Kammer mit Beschluss vom 21. Januar 2009 beim Bundesverwaltungsgericht beantragt, gemäß § 70 Abs. 3 Alt. 4 WDO das zuständige Truppendienstgericht zu bestimmen.

II

6 Der Antrag ist unzulässig. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 70 Abs. 3 WDO liegen nicht vor.

7 Nach dieser Vorschrift bestimmt das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag unter anderem eines Truppendienstgerichts durch Beschluss das zuständige Truppendienstgericht, wenn ein Gerichtsstand fehlt, wenn er zweifelhaft oder streitig ist oder wenn bei zusammenhängenden Dienstvergehen mehrerer Soldaten unterschiedliche Gerichtsstände bestehen. Hier kommt allein die letzte Variante in Betracht. Voraussetzung ist insoweit, dass es sich um zusammenhängende Dienstvergehen mehrerer Soldaten handelt. Diese Voraussetzung liegt nicht vor.

8 Die Wehrdisziplinarordnung enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Zusammenhang zwischen mehreren Dienstvergehen besteht. Der Wortlaut besagt nur, dass persönliche oder sachliche Gründe eine Art Klammer zwischen den mehreren Dienstpflichtverletzungen bilden müssen. Jedoch lässt sich dem Regelungszusammenhang, der Entstehungsgeschichte und dem daraus ableitbaren Zweck der Vorschrift entnehmen, dass ein Zusammenhang zwischen mehreren Dienstvergehen jedenfalls nur dann anzunehmen ist, wenn über die im Hinblick auf die beteiligten Soldaten oder aus sachlichen Gründen zusammenhängenden Dienstvergehen in einem einheitlichen Verfahren entschieden werden soll und die bisher mehreren Verfahren zu diesem Zweck bei dem für zuständig erklärten Gericht zur gemeinsamen Verhandlung verbunden werden sollen.

9 Die Entscheidung nach der vierten Alternative des § 70 Abs. 3 WDO stellt - anders als bei den übrigen Alternativen - eine Änderung des durch § 70 Abs. 1 WDO i.V.m. der Verordnung über die Errichtung von Truppendienstgerichten (Errichtungsverordnung - ErrV) vom 16. Mai 2006 (BGBl I S. 1262) und mit dem jeweiligen Geschäftsverteilungsplan des Gerichts vorherbestimmten gesetzlichen Richters durch Richterspruch dar. Dies ist zwar verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 2008 - 1 BvR 2788/08 - juris Rn. 9 ff.) Als Ausnahmeregelung ist die Vorschrift aber eng auszulegen.

10 Die nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO grundsätzlich für das gerichtliche Disziplinarverfahren nach der Wehrdisziplinarordnung entsprechend heranzuziehende Strafprozessordnung enthält in § 3 StPO eine Legaldefinition des Begriffs „Zusammenhang“. Danach ist ein Zusammenhang vorhanden, wenn eine Person mehrerer Straftaten beschuldigt wird oder wenn bei einer Tat mehrere Personen als Täter, Teilnehmer oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beschuldigt werden. Derartig zusammenhängende Strafsachen können nach § 2 Abs. 1 und § 13 Abs. 2 StPO, wenn sie bei verschiedenen Gerichten anhängig sind, zur gemeinsamen Verhandlung bei einem Gericht verbunden werden. Ob der Begriff des Zusammenhangs in § 70 Abs. 3 WDO dem des § 3 StPO entspricht und ob dessen Voraussetzungen hier gegebenenfalls vorliegen (ein Zusammenhang aller Verfahren i.S.d. § 3 StPO könnte vielleicht wegen der jeweiligen Mittäterschaft des Staffelfeldwebels gegeben sein), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil die Bestimmung eines einheitlichen zuständigen Gerichts nach § 70 Abs. 3 WDO jedenfalls nur dann in Betracht kommt, wenn die im Zusammenhang stehenden Verfahren (ebenso wie es die Strafprozessordnung ermöglicht) zur gemeinsamen Verhandlung verbunden werden sollen.

11 Die Ermöglichung dieses Ziels ist der Zweck der hier einschlägigen Fallgruppe des § 70 Abs. 3 WDO, die ebenso wie § 94 Abs. 5 WDO durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung anderer Vorschriften (2. WehrDiszNOG) vom 16. August 2001 (BGBl I S. 2093) in die Wehrdisziplinarordnung eingefügt wurde. Das ergibt sich eindeutig aus den Gesetzesmaterialien. Nach der amtlichen Begründung zu dem Gesetzentwurf (BTDrucks 14/4660 S. 32 f. zu Nr. 55) soll die Ergänzung des § 70 Abs. 3 WDO eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen ermöglichen, in denen die gemeinsame höhere Einleitungsbehörde auf der Grundlage des § 87 Abs. 5 des Entwurfs (jetzt § 94 Abs. 5 WDO) eine zuständige Einleitungsbehörde bestimmt hat und in denen die Soldaten zu Einheiten oder Dienststellen gehören, die verschiedenen Gerichten zugeordnet sind. Im Übrigen wird auf die Begründung zu Nr. 66 Bezug genommen. Dort heißt es (a.a.O. S. 35), dass durch die neu eingefügte Zuständigkeitsbestimmung die Voraussetzung dafür geschaffen werden soll, dass sachlich zusammenhängende Dienstvergehen mehrerer Soldaten aus dem Bereich verschiedener Einleitungsbehörden von vornherein zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht werden können, dass die Ermittlungen durch einen Wehrdisziplinaranwalt geführt und damit konzentriert und beschleunigt werden können und dass in diesen Fällen eine einheitliche gerichtliche Entscheidung ergehen kann. Das Ziel einer einheitlichen gerichtlichen Entscheidung kann aber nicht bereits dann erreicht werden, wenn ein Gericht oder auch eine Kammer eines Gerichts für alle Verfahren zuständig ist, sondern nur dann, wenn die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden. Andernfalls ist die Einheitlichkeit der Entscheidung schon wegen der notwendigerweise unterschiedlichen Besetzung des Gerichts mit ehrenamtlichen Richtern - gegebenenfalls auch mit unterschiedlichen Vorsitzenden, wenn der regelmäßige Vorsitzende der Kammer verhindert ist - nicht gewährleistet. Allein der Umstand, dass der planmäßige Vorsitzende der Kammer Personen oder Tatumstände aus den vergleichbaren anderen Verfahren und daher auch etwa die Einlassung des Haupttäters oder die Angaben anderer Einzeltäter kennt, würde nichts daran ändern, dass diese in das jeweilige Verfahren in prozessordnungsgemäßer Weise jeweils neu eingeführt werden müssten. Reine Praktikabilitätsgesichtspunkte können aber eine Abweichung von der Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht rechtfertigen.

12 Im vorliegenden Fall handelt es sich unabhängig von der Beteiligung des Staffelfeldwebels an sämtlichen Dienstvergehen um Einzeltaten, bei denen die jeweiligen Soldaten wohl nach dem gleichen Tatplan vorgegangen sind und - möglicherweise - zu ihrem Verhalten jeweils durch den Staffelfeldwebel angestiftet wurden. Dies ist aber nicht die Fallkonstellation, die der Gesetzgeber regeln wollte. Vielmehr waren Grund für die Regelung die Fälle, in denen mehrere Soldaten, die verschiedenen Einleitungsbehörden unterstehen, etwa während eines Auslandseinsatzes oder während der Teilnahme an einem Lehrgang in einem sachlichen Zusammenhang, also insbesondere gemeinsam oder aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses, Dienstpflichtverletzungen begehen (vgl. Dau, WDO, 5. Auflage 2009, § 94 Rn. 20 sowie Lingens, Zur Verbindung von Verfahren vor den Truppendienstgerichten, NZWehrr 2001, 162).

13 Gleichartige Dienstvergehen in großer Zahl, wie sie hier gegeben sind, können ebenso gut von unterschiedlichen Kammern eines oder mehrerer Gerichte verhandelt werden. Die hier vorliegende Konstellation lässt es auch nicht sinnvoll erscheinen, die mehr als 40 Einzelverfahren zur gemeinsamen Verhandlung zu verbinden. Dies ist offenbar auch nicht die Absicht des Truppendienstgerichts Nord, was bereits daraus folgt, dass ein Teil der Verfahren schon rechtskräftig abgeschlossen ist, während bei einem Großteil der Verfahren bisher noch die Einreichung der Anschuldigungsschrift aussteht. Anhaltspunkte dafür, dass gerade das vorliegende Verfahren aus besonderen Gründen mit einem oder mehreren anderen Verfahren verbunden werden soll, sind aus der Akte nicht ersichtlich und werden in dem Beschluss auch nicht dargetan. Dagegen spricht insbesondere, dass der Soldat in vollem Umfang auch hinsichtlich der Leistungen an den Staffelfeldwebel geständig ist und es sich nach dem Ergebnis der Ermittlungen um eine Einzeltat handelt, an der außer dem Staffelfeldwebel sonst kein weiterer Angehöriger der ...staffel beteiligt war.

14 Es verbleibt daher unbeschadet der Verfügung des Bundesministers der Verteidigung nach § 94 Abs. 5 WDO bei der gesetzlichen Zuständigkeit nach § 70 Abs. 1 WDO, hier also nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 ErrV des Truppendienstgerichts Süd.

15 Dieser Beschluss steht einer etwaigen erneuten Antragstellung auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wegen veränderter Sachlage nicht entgegen.