Beschluss vom 26.01.2007 -
BVerwG 8 B 55.06ECLI:DE:BVerwG:2007:260107B8B55.06.0

Beschluss

BVerwG 8 B 55.06

  • VG Potsdam - 03.04.2006 - AZ: VG 9 K 2819/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Das am 3. April 2006 verkündete Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 38 436,24 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde der Kläger ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung der Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO begründet. Zwar greifen die von den Klägern erhobenen Grundsatz- und Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) nicht durch. Die gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erhobene Verfahrensrüge hat jedoch Erfolg.

2 Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Bestimmung ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher richterlich ungeklärten, klärungsbedürftigen abstrakten Rechtsfrage fallübergreifenden Gewichts zu erwarten ist. Die Beschwerde wirft zwar vier verschiedene Fragen auf, die aber jeweils einzelfallbezogenen Charakter haben. Die Beschwerde lässt zudem eine Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der unlauteren Machenschaft i.S.d. § 1 Abs. 3 VermG vermissen, die gerade zur Auslegung dieses Merkmals ergangen ist. Danach liegt eine unlautere Machenschaft vor, die der Gesetzgeber mit den Beispielsfällen Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von Seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritten umschreibt, wenn im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen worden ist. Das danach notwendige qualifizierte Einzelfallunrecht scheidet jedoch aus, wenn bei einem Erwerbsvorgang - gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorschriften und den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen - alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Ferner setzt die Annahme einer Nötigung in Anlehnung an § 240 StGB die rechtswidrige Einflussnahme auf die Willensentschließung oder Willensbetätigungsfreiheit durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus (vgl. Urteil vom 2. Februar 2000 - BVerwG 8 C 29.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 Nr. 10 m.w.N.). Die Beschwerde hat nicht darlegen können, worin angesichts dieser umfangreichen Rechtsprechung der zusätzliche rechtliche Ertrag eines Revisionsverfahrens bestehen sollte.

3 Auch die von den Klägern erhobene Divergenzrüge greift nicht durch. Gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO reicht es nicht aus, dass eine mögliche Abweichung bei der Aufstellung eines Rechtssatzes zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs gerügt wird. Allein eine Rechtssatzabweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts kann die Zulassung der Revision wegen Divergenz eröffnen.

4 Die Beschwerde ist aber deswegen begründet, weil das Verwaltungsgericht - wie die Beschwerde zutreffend rügt - gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen hat. Dem Verwaltungsgericht hätte sich angesichts des klägerischen Vortrags im Schriftsatz vom 22. März 2005 und der Ausführungen des Vertreters der Beigeladenen zu 3 in der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2006 aufdrängen müssen, dass im vorliegenden Fall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen sein konnte und deshalb weiterer Aufklärungsbedarf besteht. In der Aufforderung, zur Verwirklichung des Bauwunsches der Kläger auf dem etwa 1 600 m2 großen volkseigenen Grundstück auf das Miteigentum an den insgesamt 37 ha großen landwirtschaftlichen Nutzflächen zu verzichten, damit dies in Volkseigentum überführt werden kann, kann entgegen der Ausführungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil ohne Weiteres von einem Verstoß gegen die DDR-Rechtsordnung ausgegangen werden, da bei einer solchen Kopplung von Erfüllen eines Bauwunsches und Übertragung von landwirtschaftlichen Nutzflächen in dieser Größenordnung von einem manipulativen Vorgehen ausgegangen werden kann. Die Überlegung des Verwaltungsgerichts, dass es der Klägerin freigestanden hätte, sich im Wege des normalen Eigenheimbaus um das Nutzungsrecht an einem volkseigenen Grundstück zu bewerben, um darauf zu bauen, führt nicht weiter, da ein Flächentausch der vorliegenden Größe als Gegenleistung für einen Bauwunsch nach der Rechtsordnung der DDR offensichtlich nicht vorgesehen war. Auch die Überlegung, dass der gleichzeitige Besitz mehrerer Grundstücke in der DDR nicht gestattet war, trägt in dieser Allgemeinheit nicht. Wie der Senat in seinem Urteil vom 28. März 2001 - BVerwG 8 C 4.00 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 17) entschieden hat, bezieht sich die nach der Grundstücksverkehrsordnung der DDR unzulässige Konzentration von Eigentums- und Nutzungsrecht an Grundstücken in aller Regel nur auf solche Fälle, in denen der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte eines Wohn- oder Erholungsgrundstücks, das nur von ihm oder seiner Familie genutzt wird, das Eigentums- oder Nutzungsrecht an einem weiteren gleichartigen oder ähnlichen Grundstück, also an einem Eigenheim oder Gebäudegrundstück, erwirbt.

5 Das Verwaltungsgericht wird durch Vernehmung der von den Klägern im Schriftsatz vom 22. März 2005 benannten Zeugen aufzuklären haben, ob im vorliegenden Fall qualifiziertes Einzelfallunrecht vorgelegen hatte und damit im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf die streitbefangenen Vermögenswerte zugegriffen worden ist.

6 Der Senat hat im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens von der Möglichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch gemacht und das angefochtene Urteil ohne vorherige Zulassung der Revision aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

7 Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52, 72 GKG.

Beschluss vom 28.03.2007 -
BVerwG 8 B 55.06ECLI:DE:BVerwG:2007:280307B8B55.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.03.2007 - 8 B 55.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:280307B8B55.06.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 55.06

  • VG Potsdam - 03.04.2006 - AZ: VG 9 K 2819/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. März 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2007 wird hinsichtlich der Gründe wie folgt berichtigt:
  2. Auf Seite 3 oben wird in der ersten Zeile „§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO“ geändert in „§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO“.

Gründe

1 Die Berichtigung erfolgt, da eine offenbare Unrichtigkeit i.S.v. § 118 Abs. 1 VwGO gegeben ist.