Beschluss vom 25.06.2013 -
BVerwG 4 BN 2.13ECLI:DE:BVerwG:2013:250613B4BN2.13.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.06.2013 - 4 BN 2.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:250613B4BN2.13.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 2.13

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 20.08.2012 - AZ: OVG 1 KN 16/11

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. August 2012 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung.

2 Die Fragen,
„Setzt die (auch) auf die zweite Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB gestützte Erhaltungssatzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zu ihrer Wirksamkeit voraus, dass die baulichen Anlagen, die sonst von städtischer, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung sind, ihrerseits, d.h. für sich allein genommen im Satzungsgebiet zur städtebaulichen Gestalt in dem Sinne beitragen, dass das Gebiet eine besondere städtebauliche Eigenart aufweist?
Oder reicht es zur Annahme des Tatbestandsmerkmals ‚der städtebaulichen Eigenart des Gebiets’ (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) aus, wenn die Gemeinde Erhaltungsschutz nach ihren städtebaulichen Vorstellungen für erforderlich hält und ist die Erhaltungssatzung unwirksam nur, wenn in dem Gebiet Erhaltungsschutz unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erforderlich und daher die Vermutung unabweisbar ist, dass die Gemeinde mit der Erhaltungssatzung in Wirklichkeit andere als die in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Ziele verfolgt?“ (Klammerzusätze im Original)
versteht der Senat als Frage nach dem bundesrechtlichen Maßstab zur Abgrenzung der Tatbestandsalternativen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Damit wird jedoch kein höchstrichterlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Die Frage lässt sich anhand des Gesetzes und auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten. Dem Oberverwaltungsgericht ist zuzustimmen, dass § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BauGB zwar keine Prägung des Ortsbildes, der Stadtgestalt oder des Landschaftsbildes verlangt. Eine auf diese Alternative gestützte Erhaltungssatzung setzt aber voraus, dass bauliche Anlagen vorhanden sind, die allein oder mit anderen baulichen Anlagen zur besonderen städtebaulichen Gestalt des Gebiets beitragen.

3 In einer Erhaltungssatzung ist gemäß § 172 Abs. 1 BauGB (nur) zu regeln, in welchem Gebiet und aus welchen der in Satz 1 Nr. 1 bis 3 BauGB genannten Gründe das Erfordernis eines besonderen Genehmigungsverfahrens für den Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen statuiert werden soll (Urteil vom 3. Juli 1987 - BVerwG 4 C 26.85 - BVerwGE 78, 23 <26>). Die Gründe für städtebaulichen Erhaltungsschutz hat der Gesetzgeber abschließend festgelegt und durch die Versagungsgründe in § 172 Abs. 3 bis 5 BauGB konkretisiert. Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann eine Erhaltungssatzung zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt erlassen werden. Städtebaulicher Erhaltungsschutz i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zielt auf Wahrung der städtebaulichen Funktion der baulichen Anlage(n). Die zu erhaltenden baulichen Anlagen sind in ihrer Beziehung zur Stadtstruktur und in ihrer stadträumlichen Funktion zu beurteilen. Durch die ausdrückliche Inbezugnahme des Absatzes 3 wird die geschichtliche oder künstlerische Bedeutung der von dem Erhaltungsgebot betroffenen baulichen Anlage - allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen - hervorgehoben. Derartige bauliche Anlagen können nicht nur aus städtebaulichen, sondern zugleich auch aus Gründen des Denkmalschutzes erhaltungswürdig sein. Dagegen erfüllt nicht jede aus Gesichtspunkten des Denkmalschutzes bedeutsame bauliche Anlage die Voraussetzungen, um den Erlass einer Erhaltungssatzung zu rechtfertigen (Beschluss vom 23. Juni 1992 - BVerwG 4 NB 9.92 - juris Rn. 7; so auch der von der Beschwerde in Bezug genommene Beschluss des OVG Münster vom 10. April 2007 - 10 A 305/05 - juris Rn. 3; das ebenfalls in Bezug genommene Urteil des VGH Kassel vom 9. November 1995 - 4 UE 2704/90 - verhält sich nicht zur zweiten Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB <juris Rn. 68>).

4 Die Notwendigkeit des städtebaulichen Bezugs gilt für beide in § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Alternativen. Gemeinsam ist ihnen der Schutz städtebaulicher Belange. Während die erste Alternative voraussetzt, dass die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt, verlangt die zweite Alternative lediglich einen „Beitrag“ der baulichen Anlage zur städtebaulichen Gestalt des Gebiets. Auch in diesem Fall geht es nicht - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - um den Erhalt der baulichen Anlagen um ihrer selbst willen. Nicht jede bauliche Anlage mit geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung hat zugleich städtebauliche Bedeutung; sie muss vielmehr einen Beitrag zur Stadtgestaltung leisten. Die zweite Alternative des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB hat eine Auffangfunktion (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2012, § 172 Rn. 160); sie trägt dem Umstand Rechnung, dass es bauliche Anlagen gibt, die zwar nicht die Kraft haben, die städtebauliche Gestalt des Gebiets zu prägen, die aber als einzelne Bauwerke gleichwohl eine besondere städtebauliche Funktion haben.

5 2. Die unter Ziffer 2 der Beschwerdebegründung (S. 9 - 14) aufgeworfene Frage nach Kriterien zur weiteren Konkretisierung der Mitgestaltung des Erscheinungsbilds und der besonderen städtebaulichen Eigenart rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Ob bauliche Anlagen die Eigenschaft haben, die Eigenart des Satzungsgebiets städtebaulich mitzugestalten, beurteilt sich nach den örtlichen Gegebenheiten der Planungssituation im konkreten Einzelfall und ist einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich. Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht nicht - wie mit der Grundsatzrüge formuliert - die Feststellung getroffen, dass „jedenfalls etwa die Hälfte der Wohnhäuser im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung ... nach Ermittlungen der Gemeinde architektonisch-historische und ... zugleich städtebaulich bedeutsame Gestaltungsmerkmale aufweisen“. Der Vortrag der Antragsgegnerin stellt sich ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierungen als schlichte Kritik an der tatrichterlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht in diesem konkreten Einzelfall dar.

6 3. Die unter Ziffer 3 der Beschwerdebegründung (S. 15 - 19) aufgeworfene Frage, in welchem Umfang nicht erhaltenswerte Gebäude eine unterstützende Wirkung entfalten können, entzieht sich ebenfalls revisionsgerichtlicher Klärung. Auch in diesem Fall formuliert die Beschwerde in tatsächlicher Hinsicht Annahmen, von denen das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat keine Feststellung dazu getroffen, dass bauliche Anlagen im Gebiet vorhanden sind, die sich „in ihren Stilformen an die benachbarten und erhaltenswerten Anlagen anpassen bzw. diesen nicht signifikant entgegenstehen“ (Beschwerdebegründung S. 15).

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.