Beschluss vom 25.06.2009 -
BVerwG 8 B 40.09ECLI:DE:BVerwG:2009:250609B8B40.09.0

Beschluss

BVerwG 8 B 40.09

  • VG Dresden - 30.09.2008 - AZ: VG 1 K 1368/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. September 2008 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 200 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass auf ihre Verfahrensrüge das angegriffene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).

2 1. Die geltend gemachte Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt zwar vor, sie führt jedoch nicht zur Zulassung der Revision, weil das angegriffene Urteil zugleich auf einem Verfahrensmangel beruht, der aller Voraussicht nach auch im Falle der Revisionszulassung zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht zwingen würde; in derartigen Fällen schließt der Zweck der Divergenzrevision, die Wahrung der Rechtseinheit sicherzustellen, nicht aus, dass der beschließende Senat im Interesse der Prozessökonomie von der Ermächtigung zur Aufhebung und Zurückverweisung Gebrauch macht (Beschluss vom 26. Juni 2000 - BVerwG 7 B 26.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 15).

3 2. Es liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, von Amts wegen aufzuklären, ob einer Restitution der noch streitigen Teilfläche § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG entgegensteht, weil deren Rückgabe zu einem rechtswidrigen Zustand führen würde oder eine Rückgabe wegen einer dadurch entstehenden schwerwiegenden Konfliktsituation generell ausgeschlossen wäre.

4 Eine weitere Sachverhaltsaufklärung zur Frage des Restitutionsausschlusses hätte sich dem Verwaltungsgericht schon aufgrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Januar 2001 - BVerwG 7 C 11.00 - (Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 5) aufdrängen müssen. Statt dessen hat es den von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts divergierenden Rechtsstandpunkt eingenommen, dass die Beigeladene sich auf den Restitutionsausschlussgrund gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG nicht berufen könne, weil sie umfangreiche Renovierungsarbeiten am Gebäude erst nach Anmeldung der Restitutionsansprüche der Kläger angemeldet habe und die entstandenen Baukörper nicht mehr identisch seien. Ein Interessensausgleich, der nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG zu lösen wäre, liege nicht vor.

5 Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Entscheidung vom 11. Januar 2001 eine Rückgabe derjenigen Teile des Flurstücks 513 von der Natur der Sache her als nicht mehr möglich im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG angesehen, die in den Flurstücken 597/6 (oder /16) und 597/7 aufgegangen sind. Sie waren Teil einer grundstücksübergreifenden Bebauung, bei der ein Stammgrundstück nicht feststellbar war. Eine Rückgabe hätte zur eigentumsrechtlichen Zerschneidung baulicher Funktionseinheiten geführt, sodass insoweit von der Unmöglichkeit der Rückgabe auszugehen ist.

6 Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil vom 11. Januar 2001 die Sache an das Verwaltungsgericht zur Klärung zurückverwiesen, ob dieser Ausschlussgrund weggefallen ist. Dieser Aufklärungspflicht ist das Verwaltungsgericht nicht nachgekommen. Seine Begründung, dass sich die Beigeladene nicht mehr auf diesen Ausschlussgrund berufen könne, weil sie umfangreiche Renovierungsmaßnahmen am Gebäude erst nach Anmeldung der vermögensrechtlichen Ansprüche der Klägerin durchgeführt habe und von einer Identität der nunmehr entstandenen Baukörper mit dem früheren Gaststättengebäude keine Rede mehr sein könne, verkennt die Besonderheit des Ausschlussgrundes. Der Ausschlussgrund zielt darauf, schwerwiegende Nutzungskonflikte zu vermeiden, die durch eine Rückübertragung entstehen würden (Beschluss vom 1. September 2000 - BVerwG 7 B 87.00 - Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 4). Insoweit bedarf es der Klärung, ob die „umfangreichen Sanierungsarbeiten“ dazu geführt haben, dass der Ausschlussgrund weggefallen ist, also die Rückübertragung nicht mehr zu einer Zerschneidung baulicher Funktionseinheiten führt.

7 Überdies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Rückübertragung eines Grundstücks gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG von der Natur der Sache her nicht mehr möglich, wenn die Rückgabe zu einem rechtswidrigen Zustand führen würde. Ein solcher Zustand tritt u.a. dann ein, wenn die zurückzugebende Fläche für den Alteigentümer ohne Inanspruchnahme eines Notwegerechts nach § 917 BGB nicht nutzbar wäre (Beschluss vom 22. September 1997 - BVerwG 7 B 157.97 - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 47; Urteil vom 15. Juni 2000 - BVerwG 7 C 20.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 3). Diese Möglichkeit kommt hier in Betracht, weil das ehemalige Grundstück Flurstück 513 (so auch die streitige Teilfläche T 1 genannt im Urteil des Verwaltungsgerichts oder Flurstück 597/16) keinen Anschluss an die W.straße hat. Es grenzt an die W.gasse. Weiterer Aufklärungsbedarf, auf den bereits das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 11. Januar 2001 hingewiesen hat, besteht darin, ob der verbleibende Teil der W.gasse dem ehemaligen Flurstück 513 nach der investiven Veräußerung noch eine Erschließung vermittelt.

8 Unabhängig von der Erschließung kann die Rückgabe des ehemaligen Flurstücks 513 von der Natur der Sache her auch ausgeschlossen sein, weil die Grundstückszuschnitte sowie die Straßenführung sich verändert haben und die tatsächlich vorhandene Bebauung des Areals oder dessen Bebaubarkeit diese Änderung voraussetzt.

9 Mit dem Begriff der Unmöglichkeit von der Natur der Sache her soll in § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG nichts anderes ausgedrückt werden, als dass in diesen Fällen ungeachtet faktisch und rechtlich möglicher Rückgabe eine Restitution wegen der damit einhergehenden Folgen, nämlich der Gefährdung der zwischenzeitlich geänderten Nutzung des Vermögenswerts, vernünftigerweise nicht in Betracht kommen kann. Mit diesem Ausschlusstatbestand will der Gesetzgeber erreichen, dass eine Rückgabe generell nicht stattfindet, wenn dies im Hinblick auf die dadurch eintretenden Folgen, insbesondere wegen dadurch hervorgerufener schwerwiegender Konfliktsituationen, unvernünftig wäre. Denn damit würde ein sozialverträglicher Ausgleich der unterschiedlichen Interessen, dem das Restitutionsrecht in seiner Gesamtheit verpflichtet ist, von vornherein verfehlt (Urteil von 29. Juli 1999 - BVerwG 7 C 31.98 - Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 2). Wegen der Gefahr einer schwerwiegenden Konfliktsituation kann die Rückübertragung eines Grundstücks in diesem Sinne unvernünftig sein, wenn für die Zurückübertragung ein neu zugeschnittenes und nur auf dieser Grundlage bebaubares Grundstück in der Weise aufgeteilt werden müsste, dass künftig weder das zurückzugebende Grundstück noch der von der Rückübertragung nicht betroffene Rest des neu zugeschnittenen Grundstücks bebaubar sind. Dieser Ausschlussgrund wirkt nach dem Abriss vorhandener Bebauung auf den betroffenen Grundstücken fort, wenn deren Bebaubarkeit an den veränderten Grundstückszuschnitt und damit eine einhergehende veränderte Lage der Erschließungsanlagen anknüpft. Der Verlust der Bebaubarkeit für beide Grundstücksteile, die infolge der Rückübertragung entstehen, verfehlt den sozialverträglichen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen. Dies wird bei Baugrundstücken in zentraler Innenstadtlage besonders deutlich. Sie verlangt, um den interessengerechten Ausgleich wiederherzustellen, letztlich nach dem Einsatz bodenordnender Maßnahmen namentlich einer Umlegung. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Entscheidung vom 11. Januar 2001 dazu festgestellt, das vorhandene Kartenmaterial spreche dafür, dass weder auf dem zurückzuübertragenden Flurstück 513 noch auf den verbleibenden Resten der Flurstücke 597/7 und 597/6 (oder /16) eine Bebauung zu verwirklichen sei, die sich in die aus der Umgebung ablesbare Bebauung einfüge. Insoweit besteht das Bedürfnis weiterer Klärung durch das Verwaltungsgericht.

10 Entgegen der Auffassung der Beschwerde musste das Verwaltungsgericht die vermögensrechtliche Berechtigung der Kläger von Amts wegen nicht weiter aufklären. Zum einen hat das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 11. Januar 2001 darauf hingewiesen, das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass die für beide Begehren erforderliche Berechtigung der Kläger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG aufgrund des insoweit bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheids der Beklagten bindend festgestellt worden ist. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich nicht nur auf die fehlende wirtschaftliche Machbarkeit des Wiederaufbaus der Gaststätte „Bärenschänke“ abgestellt. Es hat einen wirtschaftlichen Bezug zwischen dem Ruinengrundstück und dem Rittergut auch in der Folgezeit nicht gesehen und daher die der Bodenreform zugrunde liegenden Absichten und Planungen ohne jegliche Bedeutung angesehen.

11 Da der von der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob das Verwaltungsgericht mit seinem Vorgehen das rechtliche Gehör der Beigeladenen verletzt hat (Beschluss vom 28. Februar 2002 - BVerwG 1 B 209.01 -.

12 Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Das Verwaltungsgericht wird anhand der Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts in der Entscheidung vom 11. Januar 2001 zu prüfen haben, ob hinsichtlich der noch streitigen Teilfläche eine Unmöglichkeit der Restitution von der Natur der Sache her gegeben ist.

13 Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG. Gemäß § 47 Abs. 2 GKG ist der Streitwert durch den Wert des Streitgegenstandes des ersten Rechtszugs begrenzt. Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert auf 200 000 € festgesetzt. Dieser Beschluss ist gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 VermG nicht anfechtbar.