Beschluss vom 24.01.2003 -
BVerwG 8 B 141.02ECLI:DE:BVerwG:2003:240103B8B141.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.01.2003 - 8 B 141.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:240103B8B141.02.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 141.02

  • VG Cottbus - 22.05.2002 - AZ: VG 1 1057/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Januar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a g e n k o p f und P o s t i e r
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1 und 2 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 22. Mai 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladenen zu 1 und 2 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 170 450 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Darlegungen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
1. Der Sache kommt die ihr beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu.
a) Die für grundsätzlich befundene Frage,
ob das Baulandgesetz der DDR auch eine rein privatnützige Enteignung für Um- und Ausbaumaßnahmen vorgesehen hat,
kann ohne weiteres beantwortet werden. Dabei wird offen gelassen, ob diese Frage - wie auch das Nachfolgende - im Hinblick darauf, dass es vorrangig um die Auslegung und Anwendung von DDR-Recht geht, eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben kann. Nach dem Urteil vom 5. März 1998 - BVerwG 7 C 30.97 - (BVerwGE 106, 210 <212> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 142) war eine "Methode, zwar zunächst Volkseigentum am Grundstück zu begründen, dann aber schon alsbald das Gebäude an Privatnutzer zu veräußern, damit diese die Baumaßnahme durchführten, offenkundig weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des Baulandgesetzes gedeckt; eine wahrheitsgemäße Angabe des wirklichen Enteignungszwecks 'Durchführung von Baumaßnahmen durch die privaten Nutzer' hätte mit anderen Worten sofort kenntlich gemacht, dass die Maßnahme mit dem einschlägigen Gesetzesrecht schlechterdings unvereinbar war". Diese Wertung der Rechtslage bedarf revisionsrechtlich keiner Ergänzung, zumal die Beschwerde die umfangreiche Auslegung des Baulandgesetzes durch die Vorinstanz keiner vertiefenden Würdigung unterzogen hat.
b) Revisionseröffnend ist auch nicht die Frage,
ob ein Erwerb, der auf Redlichkeit zu prüfen ist, nur vorliegt, wenn die Voraussetzungen für einen Vollrechtserwerb vorgelegen haben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits im Urteil vom 18. Januar 1996 - BVerwG 7 C 20.94 - (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 25) ausgeführt, dass der redliche Erwerb im Sinne von § 4 Abs. 2 VermG zwar von einem "Vollerwerb" ausgehe, die Rechtswirksamkeit des vollendeten Erwerbsgeschäfts aber nicht Voraussetzung für den anspruchshindernden Einwand der Redlichkeit sei. Die Beschwerde weist keine Gesichtspunkte auf, die Anlass zu einer Überprüfung dieser Rechtsprechung geben könnten.
c) Der weiteren von der Beschwerde gestellten Frage,
ob durch die Eintragung im Gebäudegrundbuchblatt ein Erwerbstatbestand im Sinne des § 25 ZGB erfüllt ist, wenn keine vertragliche Einigung zwischen Veräußerer (Rat der Gemeinde) und Nutzer vorliegt bzw. ob hierin eine staatliche Entscheidung im Sinne der §§ 25, 29 ZGB zu sehen ist,
fehlt es am Klärungsbedarf. Fragen zur Auslegung und Anwendung ausgelaufenen Rechts haben regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung. Anderes kann gelten, wenn eine erhebliche Anzahl von dem Fall des Klägers vergleichbaren Fällen nach dieser Rechtslage zu entscheiden wäre (vgl. Beschluss vom 19. April 1991 - BVerwG 5 CB 2.91 - in juris m.w.N.). Doch das Beschwerdevorbringen zeigt nicht auf, dass eine solche Sachlage gegeben sein könnte. Vielmehr spricht hier viel dafür, dass die Rechtssache eine Einzelfallsituation zum Gegenstand hat; denn nach den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichts (UA S. 25) gab es in der DDR keine Verwaltungspraxis des Inhalts, dass ohne vertragliche oder gesetzliche Grundlage Gebäudeeigentum allein durch Anlegung eines Gebäudegrundbuchblatts und Verleihung eines dinglichen Nutzungsrechts begründet wurde.
d) Die sodann aufgeworfene Rechtsfrage,
ob die Verleihung eines dinglichen Nutzungsrechts eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Erwerb von Eigentum an einem zuvor auf einem privaten Grundstück errichteten Eigenheim sein kann,
lässt sich bereits auf der Grundlage des einschlägigen Rechts der DDR ohne weiteres im verneinenden Sinne beantworten. Nach § 4 Abs. 4 des Gesetzes über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken vom 14. Dezember 1970 (GBl 1970 Nr. 24 S. 372) sind nur die auf dem zur Nutzung überlassenen volkseigenen Grundstück errichteten bzw. erworbenen Gebäude Eigentum des Nutzungsberechtigten gewesen. In der Verleihung eines Nutzungsrechts lag auch keine eigentumsvermittelnde staatliche Entscheidung im Sinne von §§ 25, 29 ZGB. Die staatlichen Organe, die nach diesen Bestimmungen zur Übertragung von Eigentum befugt waren, mussten sich aus Rechtsvorschriften ergeben, welche die Begründung, Veränderung oder den Entzug des Eigentums regelten (Kommentar zum ZGB der DDR, 1985, § 29 S. 62). Grundlage einer entsprechenden Entscheidung war das Gesetz über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken nicht. Vielmehr heißt es in der Urkunde über die Verleihung des Nutzungsrechts, dass dieses "zur Nutzung des vorhandenen Eigenheims" berechtige; der Formulierung hätte es bei Begründung von Eigentum nicht bedurft. Vor diesem bereits vom Verwaltungsgericht herausgearbeiteten Hintergrund wäre ein vertiefendes Durchdringen des Rechtsstoffs durch die Beschwerde geboten gewesen, um trotz klarer Rechtslage eine Zulassung der Revision erreichen zu können.
e) Die Beschwerdeführer halten schließlich die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
ob sich der redliche Erwerb auf das Gesamtgrundstück erstreckt, wenn ein dingliches Nutzungsrecht nur für die Gebäudegrundbuchfläche verliehen wurde.
Doch eine Klärung der Frage liegt bereits vor; denn wenn das entzogene Grundstück von dem den redlichen Erwerb vermittelnden dinglichen Nutzungsrecht nur teilweise erfasst wird, kann es grundsätzlich im Übrigen an den Alteigentümer herausgegeben werden (Beschlüsse vom 22. September 1997 - BVerwG 7 B 157.97 - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 47 und vom 11. Dezember 1998 - BVerwG 7 B 231.98 - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 62).
2. Die Divergenzrügen sind unbegründet. Sie ergeben keine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
a) Den im Senatsurteil vom 5. April 2000 - BVerwG 8 C 9.99 - (Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 3) bekräftigen Rechtssatz, dass nicht jede aus einem Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR resultierende Fehlerhaftigkeit des Erwerbsgeschäfts den Tatbestand von § 4 Abs. 2 VermG erfüllt, sondern die Abweichung die Absicht erkennen lassen muss, den Erwerbsvorgang gezielt zu beeinflussen, hat die Vorinstanz ihrer Urteilsfindung zugrunde gelegt und ihn auf den von ihr ermittelten Sachverhalt angewandt (UA S. 26 f.). Falls ihr dabei Fehler unterlaufen sein sollten, folgt daraus keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Beschwerde übersieht dabei, dass bei der Fallgruppe von § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG, um den es im Streitfall geht, der Erwerber nicht aktiv an der Manipulation mitgewirkt haben muss. Es reicht aus, dass er diese kannte oder hätte kennen müssen (Urteil vom 5. April 2000 - BVerwG 8 C 9.99 - a.a.O. m.w.N.).
3. Das angefochtene Urteil leidet schließlich nicht an den geltend gemachten Verfahrensfehlern im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
a) Den Besetzungsrügen ist das Verwaltungsgericht mit eingehenden Ausführungen im Beschluss vom 20. September 2002 und anhand von Haupt- und Hilfslisten, in die die Beschwerdeführer Einsicht genommen haben, entgegengetreten. Hierzu hat sich die Beschwerde nicht verhalten. Der Senat sieht daher keinen Anlass, an den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu zweifeln.
b) Die Aufklärungsrüge mit dem Inhalt, das Verwaltungsgericht habe den in der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2002 gestellten Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt, ist unbegründet. Zum einen enthält der Beweisantrag kein Beweisthema, ist allerdings vom Verwaltungsgericht zutreffend dahingehend verstanden worden, dass bewiesen werden soll, ein Bauantrag habe kausal zu der Enteignungsmaßnahme geführt. Dem Beweisantrag brauchte das Verwaltungsgericht nicht nachzugehen, weil es die Behauptung so behandelt hat, als wäre sie wahr (vgl. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung den Beweisantrag abgelehnt und die Wahrunterstellung seinem Urteil zugrunde gelegt (UA S. 13).
Die Angriffe gegen die Beweiswürdigung weisen auf keinen Verfahrensfehler, zumal Mängel - sollten sie vorliegen - regelmäßig dem sachlichen, nicht dem Verfahrensrecht zugeordnet werden.
d) Der Aufklärungsmangel, den die Beschwerde darin sieht, dass das Verwaltungsgericht nicht Ermittlungen hinsichtlich der Verleihung weiterer Nutzungsrechte im näheren Umkreis des streitgegenständlichen Grundstücks angestellt hat, wird nicht mit Substanz vorgebracht. Das Beweisthema bleibt unklar, und der Beschwerde geht es insoweit um Ausforschung der Sachlage, um auf diese Weise Anhaltspunkte für einen neuen Sachvortrag zu gewinnen. Ein Beweisermittlungsantrag findet im Prozessrecht keine Stütze.
c) Soweit die Beschwerde vorbringt, das Verwaltungsgericht habe den Ausschlussgrund von § 5 VermG nicht geprüft, macht sie keinen Verfahrensfehler geltend.
d) Die abschließend gerügte Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 VwGO) liegt nicht vor, weil die tatsächliche Überzeugungsbildung nicht an inneren Widersprüchen leidet (vgl. Beschluss vom 13. Februar 2001 - BVerwG 8 B 241.00 - Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 9). Der Vorhalt des Verwaltungsgerichts ist nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführer um die Fehlerhaftigkeit bei der Verleihung des Nutzungsrechts und der Anlegung eines Gebäudegrundbuchblatts hätten wissen müssen. Zwar ist nicht von Tatsachen die Annahme des Gerichts getragen, Zweifel hätten kommen müssen, weil die einschlägigen Gesetze in den Gesetzesblättern der DDR veröffentlicht gewesen seien. Aber entscheidend hat die Vorinstanz auch auf den Überlassungsvertrag abgehoben, der mit seinem Inhalt Anhaltspunkte dafür geboten hat, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu wecken. Einen weiteren Grund zum Misstrauen hat das Verwaltungsgericht darin gesehen, dass die Beschwerdeführer das Nutzungsrecht ohne eigenes Zutun erhalten hatten. Seine Folgerung ist denkgesetzlich möglich, dass solch staatliches Verhalten bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Erwerbs Anlass gegeben habe.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 13, 14 GKG.