Beschluss vom 23.12.2002 -
BVerwG 1 B 42.02ECLI:DE:BVerwG:2002:231202B1B42.02.0

Beschluss

BVerwG 1 B 42.02

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 27.06.2001 - AZ: OVG A 3 S 482/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Dezember 2002
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. Juni 2001 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Beschwerde ist unzulässig. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige R e c h t s frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Die Beschwerde wirft die Fragen als grundsätzlich bedeutsam auf,
"ob es sich bei der Gruppe der Yeziden im syrischen Distrikt Hassake mit einer angenommenen Personenzahl von 3000 im Juni 2001 bei starker Abnahme der Zahl der Gruppenmitglieder um eine 'äußerst kleine Gruppe' im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 22. Mai 1996 - BVerwG 9 B 136.96 -) handelt mit der Folge, dass die in der Stellungnahme zu der Situation der Yeziden in Nordost-Syrien des Kulturforums der yezidischen Glaubensgemeinschaft vom November 2000 genannten Verfolgungsschläge als 'an der Tagesordnung seiende Übergriffe' anzusehen sind, (und)
ob bei der Gruppe der Yeziden im syrischen Distrikt Hassake angesichts der in der Stellungnahme des yezidischen Kulturforums dargestellten Verfolgungsschläge davon auszugehen ist, dass die dort aufgeführten Tötungen, Entführungen, Körperverletzungen und Landwegnahmen 'an der Tagesordnung' sind mit der Folge, das für diese Gruppe eine Situation der Gruppenverfolgung anzunehmen ist".
Dies sind indes keine Rechtsfragen, die in einem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich beantwortet werden könnten. Die Fragen zielen vielmehr auf die Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland Syrien, die den Tatsacheninstanzen vorbehalten ist. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer - hier allein in Betracht kommenden - mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich geklärt (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 m.w.N.). Dies gilt insbesondere auch für das Erfordernis der Verfolgungsdichte, auf das die Beschwerde abhebt. Die Verfolgungshandlungen müssen danach im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (stRspr, Urteil vom 5. Juli 1994 a.a.O. S. 203). Ob diese Voraussetzungen bei einer Gruppe in einem bestimmten Herkunftsstaat vorliegen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei müssen Anzahl und Intensität der Verfolgungsmaßnahmen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Sowohl bei der von der Beschwerde angesprochenen Frage der Gruppengröße als auch bei der Frage der Quantität und Qualität der Verfolgungsmaßnahmen handelt es sich deshalb um Fragen der Sachverhaltsfeststellung und Würdigung durch die Tatsacheninstanzen im Einzelfall, die einer weitergehenden rechtsgrundsätzlichen Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich sind. Aus den von der Beschwerde in Bezug genommenen Ausführungen in dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 1996 - BVerwG 9 B 136.96 - (insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 186, aber in <juris>) zu der besonders kleinen Gruppe der syrisch-orthodoxen Christen im Tur Abdin ergibt sich im Übrigen nicht - wie die Beschwerde wohl meint - ein abstrakter Rechtssatz; das Bundesverwaltungsgericht hat damit lediglich im konkreten Einzelfall angesichts der dort von den Tatsachengerichten getroffenen übrigen Feststellungen "eine weitere Quantifizierung der Verfolgungsschläge" für entbehrlich gehalten (vgl. Beschluss vom 11. November 1999 - BVerwG 9 B 563.99 - Buchholz 11 Art. 16 a GG Nr. 21). Der abstrakte Maßstab für die erforderliche Verfolgungsdichte ist indes auch bei derartig kleinen Gruppen kein anderer als der oben beschriebene, den auch das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Unabhängig davon würden sich die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen in einem Revisionsverfahren auch nicht stellen, weil das Revisionsgericht an die nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden wäre (§ 137 Abs. 2 VwGO). Danach sind die den Yeziden im Distrikt Hassake drohenden Verfolgungsmaßnahmen selbst bei Zugrundelegung der für den Kläger "günstigen" Zahlen des yezidischen Kulturforums nicht so dicht und eng gestreut, dass für jeden Gruppenangehörigen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, selbst Opfer eines derartigen asylrelevanten Übergriffs zu werden (UA S. 10 ff.)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.