Urteil vom 23.06.2005 -
BVerwG 1 D 6.04ECLI:DE:BVerwG:2005:230605U1D6.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 23.06.2005 - 1 D 6.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:230605U1D6.04.0]

Urteil

BVerwG 1 D 6.04

  • VG Düsseldorf - 21.04.2004 - AZ: VG 37 K 13/04.BDG

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 23. Juni 2005,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H e i t z ,
Amtsinspektor Klaus W u n d e r
und Bundesbahnbetriebsinspektor Eberhard K i r c h h o f f
als ehrenamtliche Richter
sowie
Regierungsdirektor ...
als Vertreter der Einleitungsbehörde,
Rechtsanwalt ... , ...,
als Verteidiger,
und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Bundesbahnhauptsekretärs ... wird das Urteil des Verwaltungsgerichts ... vom 21. April 2004 im Disziplinarmaß aufgehoben.
  2. Der Beamte wird in das Amt eines Bundesbahnobersekretärs versetzt.
  3. Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Beamten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

I


1. Das Verwaltungsgericht ... hat durch Urteil vom 21. April 2004 entschieden, dass der am 30. August 1956 geborene Beamte unter Bewilligung eines sechsmonatigen Unterhaltsbeitrags in Höhe von 75 v.H. seines erdienten Ruhegehalts aus dem Dienst entfernt wird. Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Durch rechtskräftiges Urteils des Landgerichts ... vom 20. Februar 2002 war gegen den Beamten wegen Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) auf eine Geldstrafe von 60 Tagesätzen zu je 75 DM (38,35 €) erkannt worden. Hinsichtlich des der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalts ging das Verwaltungsgericht von folgenden, gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO bindenden tatsächlichen Feststellungen aus:
"II.
Der Angeklagte (das ist der Beamte, erg.) arbeitete Anfang des Jahres 2000 als sog. Erstverkäufer im Reisezentrum der Deutschen Bahn AG im Bahnhof .... In dieser Eigenschaft war er auch u.a. für den monatlichen Kassenabschluss und die Wechselgeldkasse zuständig. Außer dem Angeklagten waren dort noch die Zeugen P., N., B. und I. tätig.
In der Filiale gab es drei Schalter mit den Nummern 61, 62 und 63, die von den Mitarbeitern abwechselnd besetzt wurden. Mit den Tageseinnahmen wurde so verfahren, dass jeder Schalterbeamte nach Ende seiner Schicht am Computer einen Tagesabschluss machte, in dem das Wechselgeld, das eingenommene Bargeld, die unbaren Einnahmen und zum Beispiel fehlgedruckte Fahrausweise, Fahrgelderstattungen und Ähnliches erfasst wurden. Dieser Tagesabschluss wurde in einem Schalterablieferungsbuch eingetragen. Das eingenommene Bargeld wurde in einen Safebag, eine kleine Plastiktüte, gesteckt und der Safebag mit dem Namen des Schalterbeamten, dem Datum und dem eingenommenen Bargeldbetrag versehen. Sodann wurde die Nummer des Safebags und der Bargeldbetrag in eine nach den drei Schalternummern unterteilte Ablieferungsliste Safebags eingetragen und der Safebag in den Tresor gelegt. Am Morgen eines jeden Tages wurde von dem jeweiligen Frühdienst ein Kassenabschluss gemacht, in dem die Summe der Tageseinnahmen der einzelnen Schalter erfasst wurde. Am Monatsende wurde dann eine Monatskassenabrechnung gemacht, die zu den Aufgaben des Angeklagten gehörte. Jeweils montags und donnerstags wurden die Safebags vom Cash-Center aus W. abgeholt. Die Übergabe der Safebags gehörte ebenfalls zu den Aufgaben des Angeklagten. Die Ablieferungsliste Safebags und die täglichen am Computer gefertigten Schalterabschlüsse gingen dann an den Kassenverwalter der Deutschen Bahn AG in D., den Zeugen K.
Am Donnerstag, dem 02.03.2000, an dem die Zeugen B., P. und N. Dienst hatten, legte der Zeuge P., der am Schalter 63 gearbeitet hatte, einen Safebag mit 7.600,15 DM in den Tresor und trug ihn ordnungsgemäß in die Ablieferungsliste Safebags ein. Am Freitag, dem 03.03.2000, an dem die Zeugen B., P., N. und der Angeklagte Dienst hatten, hatte die Zeugin B. Frühschicht und machte den Kassenabschluss. Sie nahm dazu jeden einzelnen Safebag aus dem Tresor und verglich die Nummer des Safebags und den eingetragenen Betrag mit den Angaben auf der Safebagliste. Zu dieser Zeit war der Safebag des Zeugen P. im Tresor und die Safebagliste mit der Eintragung des Zeugen P. vorhanden. Letzteres war, wie der Angeklagte einräumt, auch am Abend des Tages noch der Fall. Am Samstag, dem 04.03.2000 hatte die Zeugin N. zusammen mit dem Angeklagten Dienst, und zwar kam die Zeugin N. vor dem Angeklagten und ging auch vor ihm. Am Sonntag hatte allein der Angeklagte Dienst. Er trug weder am Samstag noch am Sonntag seine Safebags in der Ablieferungsliste Safebags ein, noch machte er am Sonntagmorgen einen Kassenabschluss. Als Grund dafür hat der Angeklagte angegeben, dass er unter Zeitdruck gestanden habe und diese Eintragungen am Montag, dem 06.03.2000, an dem er zunächst wieder allein Frühdienst hatte, habe nachholen wollen. In der Zeit vom 03.03.2000 bis zur Abholung der Safebags am 06.03.2000 nahm der Angeklagte den am 02.03.2000 von dem Zeugen P. in den Tresor gelegten Safebag mit 7.600,15 DM widerrechtlich an sich, um ihn für sich zu behalten. Er entfernte dabei die Ablieferungsliste Safebags und fertigte zur Verschleierung seines Tuns eine neue Ablieferungsliste, in der der entnommene Safebag fehlte. In die neue Liste nahm er chronologisch geordnet lediglich neun statt 10 Safebags auf, und zwar fünf vom Schalter Nr. 61 und vier vom Schalter Nr. 62. Diese neun Safebags händigte der Angeklagte sodann an den Cash-Dienst aus.
Als die Abrechnungsunterlagen bei dem Zeugen K. in D. eintrafen, stellte dieser am 13.03.2000 das Fehlen des Safebags des Zeugen P. vom 02.03.2000 fest.
Er teilte dies telefonisch der Filiale in ... mit. Daraufhin fanden mehrfach Gespräche zwischen dem Angeklagten und den übrigen Mitarbeitern des Reisezentrums über die Gründe für die Neuerstellung der Liste statt.
Wie schon vorher vereinbart, übergab der Angeklagte am 13.03.2000 seinen Aufgabenbereich an seinen Nachfolger, den Zeugen R. Der Angeklagte arbeitet seitdem im Reisezentrum D.
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit ihr gefolgt werden konnte und den ausweislich des Sitzungsprotokolls herangezogenen Beweismitteln.

III


Der Angeklagte bestreitet unter Einräumung des übrigen festgestellten Sachverhaltes, den fehlenden Safebag an sich genommen zu haben. Er hat sich dahin eingelassen, die Ablieferungsliste Safebags habe am Montag, dem 06.03.2000, gefehlt. Möglicherweise habe er sie beim Entsorgen von Altpapier am Tag zuvor versehentlich weggeworfen. Er habe die Liste deshalb neu geschrieben. Die vorhandenen Safebags habe er anhand der eingesehenen Schalterablieferungsbücher 61 und 62 diesen beiden Schaltern zugeordnet. Der Angeklagte weist des Weiteren darauf hin, dass außer ihm auch die Zeugin N. in der fraglichen Zeit allein Dienst getan habe und ebenso Gelegenheit gehabt habe, den Safebag zu entfernen.
Diese Einlassung ist, soweit sie dem festgestellten Sachverhalt widerspricht, durch das Ergebnis der Beweisausnahme widerlegt ..."
Nach den weiteren Feststellungen der Vorinstanz hat sich der Beamte, der sein Fehlverhalten in der Hauptverhandlung erstmals eingeräumt hat, dahin eingelassen, er habe im Strafverfahren die Tat geleugnet, weil er die ganze Geschichte ebenso wie seinen Alkoholismus nicht habe wahrhaben wollen. Er habe früher einen hohen Alkoholkonsum gehabt und zwar eine Flasche Wodka pro Tag. Im Dienst habe er aber keinen Alkohol getrunken. Dieser Alkoholkonsum habe etwa fünf bis sechs Jahre gedauert. Im November 1999 sei seinem Chef bei einer Betriebsversammlung aufgefallen, dass er Alkohol zu sich genommen hatte. In der Folgezeit habe dann ein Gespräch über sein Alkoholproblem stattgefunden und er habe von seiner Dienststelle eine schriftliche Abmahnung erhalten. Daraufhin habe er sich wegen seines Alkoholismus in privatärztliche Behandlung begeben und dort entgiften lassen. Einen stationären Aufenthalt zum Zwecke der Entgiftung habe er nicht durchgeführt und auch keine Entziehungskur gemacht. Er habe sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen und in bahnärztliche Untersuchung begeben, wobei der Bahnarzt auch einen Psychologen zu Rate gezogen habe. Mittlerweile sei er trocken. Im Strafverfahren habe er den Alkoholismus nicht geltend gemacht, weil er damals geglaubt habe, dass es für ihn dann schlimmer werden würde; auch sein Anwalt habe ihm zu einem solchen Verhalten geraten.
Zu der Zeit, als er den Safebag an sich genommen habe, sei er nicht "klamm" gewesen. Das ganze sei vielmehr durch einen Rückfall geschehen. Sein Konto sei gedeckt gewesen. Er habe allerdings keine Geldkarte gehabt und deshalb außerhalb der Kassenstunden nicht an Bargeld gelangen können. Da er habe "trinken gehen" wollen, habe er den Safebag an sich genommen, einen Teil des Geldes herausgenommen und damit Alkohol gekauft. Einzelheiten wisse er nicht mehr, ihm fehlten etliche Stunden. Als er am nächsten Morgen wieder wach geworden sei, sei der Safebag nicht mehr da gewesen. Er wisse nicht, wo dieser geblieben sei. Er habe damals geglaubt, dass er schon ausreichend therapiert gewesen sei, um mit Alkohol umgehen zu können. Insoweit habe er sich verschätzt. Er habe über Karneval einen regelrechten Rückfall gehabt. Anschließend habe er sich wieder in ärztliche Behandlung begeben mit der Folge, dass er seit März 2000 trocken sei.
Das Verwaltungsgericht hat, ohne sich von den bindenden Tatsachenfeststellungen des Landgerichts zu lösen, das vorsätzlich schuldhafte Fehlverhalten des Beamten als so schwerwiegendes Dienstvergehen gewertet, dass dieser aus dem Dienst entfernt werden müsse. Nach den maßgeblichen disziplinarrechtlichen Grundsätzen mache es für den Verlust des berufsnotwendigen Vertrauens oder Ansehens letztlich keinen Unterschied, ob sich ein Beamter - etwa im Schalter- oder Kassendienst - durch unmittelbaren Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder unrechtmäßig bereichere oder ob er sich unter missbräuchlicher Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung Zugang zu dienstlich aufbewahrten Geldern verschaffe, auf diese zugreife und für private Zwecke verwende. Auch in einem solchen Fall habe er sich unredlich erwiesen und im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt. Ein Zugriffsdelikt führe regelmäßig zum Ausspruch der disziplinarischen Höchstmaßnahme. Anerkannte Milderungsgründe lägen nicht vor. Vielmehr ergäben sich aus dem Gesamtverhalten des Beamten anlässlich der Tat sowie im anschließenden Straf- und Disziplinarverfahren noch zusätzlich belastende Umstände. So habe er von Anfang an durch geschickte Verschleierung seines Tuns und hartnäckiges Leugnen bedenkenlos alle Mitarbeiter des Reisezentrums in Tatverdacht gebracht und dieses Verhalten während des gesamten Verfahrens über Jahre fortgesetzt, bis er dann erstmals in der Hauptverhandlung vor der Disziplinarkammer seine Tat eingeräumt habe. Darüber hinaus belaste ihn nachhaltig, dass er von sich aus eine Kollegin als mögliche Täterin bezeichnet habe. Schließlich zeige auch die Art und Weise seines gesamten Vorgehens eine bedenkenlose Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung zum Zwecke privater Geldbeschaffung.
2. Hiergegen hat der Beamte durch seinen Verteidiger rechtzeitig Berufung eingelegt mit dem Antrag, unter Aufhebung des Urteils und unter Zurückverweisung der Sache eine mildere Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Zur Begründung macht der Verteidiger im Wesentlichen geltend:
Gerügt werde zunächst eine nicht hinreichende Sachaufklärung. Das Vor- und Nachtatverhalten des Beamten sei ebenso zu berücksichtigen wie besondere persönliche Umstände bei Tatbegehung. So habe sich der Beamte in der Hauptverhandlung geständig gezeigt, die Tat bereut und auch erstmals deren Hintergrund (Alkoholkrankheit) geschildert. Angesichts dessen bestünden erhebliche Zweifel an der von den Strafgerichten festgestellten Schuld des Beamten. Obwohl er, der Verteidiger, rechtzeitig auf die Problematik der Alkoholabhängigkeit des Beamten hingewiesen habe - er selbst habe mangels Ladung an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen, Terminsverlegungsanträge seien zu Unrecht abgelehnt worden -, habe sich das Verwaltungsgericht nicht von den strafgerichtlichen Feststellungen zur Schuldfähigkeit gelöst und diesbezüglich - zu Unrecht - keine weiteren Ermittlungen angestellt. Die Vorinstanz habe verkannt, dass in Wahrheit ein Rückfall in die Alkoholsucht vorgelegen und der hohe Leidensdruck des Beamten gerade kein planvoll kontrolliertes und zielgerichtetes Vorgehen zugelassen habe. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte eine erhebliche Einschränkung der Schuld des Beamten zur Tatzeit ergeben. Der Ausspruch der disziplinarischen Höchstmaßnahme sei schließlich auch unverhältnismäßig, was sich insbesondere an der milden Kriminalstrafe zeige.
Ferner werde im Hinblick auf die unterbliebene Terminsladung und die verweigerte Terminsverlegung eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung gerügt. Hätte er, der Verteidiger, an der Hauptverhandlung teilgenommen, so hätte er sicher einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Minderung der Schuldfähigkeit des Beamten gestellt.

II


Die Berufung hat Erfolg und führt zur Versetzung des Beamten in das Amt eines Bundesbahnobersekretärs (Besoldungsgruppe A 7 BBesG).
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515). Allerdings finden auf so genannte Altfälle - wie hier - ausnahmsweise auch Vorschriften des Bundesdisziplinargesetzes Anwendung, wenn und soweit diese den beschuldigten Beamten materiellrechtlich besser stellen (vgl. Urteil vom 17. März 2004 - BVerwG 1 D 23.03 - BVerwGE 120, 218 <222> = Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 6).
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Nach Erörterung des Berufungsbegehrens in der Hauptverhandlung hat der Verteidiger seine Verfahrensrügen nicht mehr aufrechterhalten und klargestellt, dass das Rechtsmittel als maßnahmebeschränkt eingelegt worden sei. Dies entspricht dem schriftsätzlich angekündigten und in der Hauptverhandlung gestellten Antrag, eine mildere Maßnahme zu verhängen und insbesondere auch dem Inhalt der Berufungsbegründung, mit der im Wesentlichen nur Umstände vorgebracht werden, die die Bemessung der Disziplinarmaßnahme betreffen. Auch die Geltendmachung verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) ist nach ständiger Senatsrechtsprechung (z.B. Urteil vom 26. Juni 2001 - BVerwG 1 D 44.00 -; speziell zur alkoholbedingt verminderten Schuldfähigkeit: Urteil vom 19. Februar 2002 - BVerwG 1 D 10.01 - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 27) allein maßnahmerelevant. Der Senat hat daher nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
1. Das Verwaltungsgericht hat das vorsätzlich begangene eigennützige Fehlverhalten des Beamten zu Recht als ein schwerwiegendes Dienstvergehen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG) im Kernbereich seiner Dienstpflichten gewertet; über seine Pflichten als Kassenbeamter war er wiederholt belehrt worden. Ein solches Dienstvergehen legt wegen seines Gewichts grundsätzlich die Entfernung aus dem Dienst nahe. Der Beamte kann sich jedoch mit Erfolg auf den Milderungsgrund des Handelns in einer besonderen Versuchungssituation berufen. Dies führt hier gemäß § 10 BDO zur Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats kann bei einer Aneignung dienstlich anvertrauter Gelder oder Gegenstände von einer Entfernung aus dem Dienst unter anderem dann abgesehen werden, wenn der Beamte im Zuge einer plötzlich entstandenen besonderen Versuchungssituation einmalig und persönlichkeitsfremd versagt hat. Das die besondere Versuchungssituation verursachende Ereignis muss geeignet sein, bei dem Betroffenen ein gewisses Maß an Spontaneität, Kopflosigkeit und Unüberlegtheit auszulösen. Dabei steht es der Annahme der Spontaneität des Tatentschlusses nicht entgegen, dass dieser konsequent, überlegt und planvoll ausgeführt worden ist (z.B. Urteil vom 15. September 1999 - BVerwG 1 D 38.98 m.w.N. - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 20). Die Voraussetzungen des Milderungsgrundes müssen nicht positiv festgestellt werden. Es genügt vielmehr, wenn für den Milderungsgrund hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, so dass sich sein Vorliegen nicht ausschließen lässt und deshalb im Zweifel zugunsten des Beamten zu entscheiden ist (Urteil vom 30. September 1992 - BVerwG 1 D 32.91 - BVerwGE 93, 294 <297>; Urteil vom 15. September 1999 a.a.O.). Nach diesen Maßstäben ist hier vom Vorliegen der Voraussetzungen des Milderungsgrundes auszugehen.
Eine besondere Versuchungssituation kann allerdings nicht schon aufgrund der äußeren Tatumstände angenommen werden. Als Erstverkäufer im Reisezentrum gehörte es zu den gewohnten dienstlichen Verrichtungen des Beamten, ihm anvertrautes Kassengeld ordnungsgemäß abzurechnen und die entsprechenden Safebags abzuliefern. Der Umgang mit höheren Geldbeträgen allein war daher nicht geeignet, die Annahme einer besonderen Versuchungssituation zu rechtfertigen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beamte unter dem Einfluss eines von außen auf seine Willensbildung einwirkenden Ereignisses in Versuchung geraten war, etwa durch plötzlich eintretenden Geldbedarf oder unter Einfluss von Drohungen (vgl. z.B. Urteil vom 15. September 1999 a.a.O. m.w.N.).
Der Milderungsgrund ist aber nicht auf das Vorliegen solcher äußerer Umstände beschränkt. Wie der Senat in seinem Urteil vom 15. September 1999 a.a.O. ausgeführt hat, können die Voraussetzungen des Milderungsgrundes im Einzelfall z.B. auch dann angenommen werden, wenn sich eine psychische Vorbelastung eines Beamten zum Zeitpunkt des Dienstvergehens zu einer seelischen Zwangslage verdichtet, die vor dem Hintergrund der obwaltenden äußeren Umstände eine besondere Versuchungssituation begründet und in der spontan ausgeführten Tat ihren Ausdruck findet. Für das Vorliegen einer dem vergleichbaren Fallkonstellation gibt es hier hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte.
Bei dem alkoholkranken Beamten hatte sich in der Karnevalszeit des Jahres 2000, d.h. schon vor dem Tattag, dem 6. März 2000 (Rosenmontag) nach eigenen unwiderlegbaren Angaben in der Hauptverhandlung vor dem Senat ein ständig wachsendes Verlangen nach alkoholischen Getränken aufgebaut. Dieses äußerte sich insbesondere durch körperliches Zittern. Der Drang nach Alkohol wurde schließlich für den Beamten am Rosenmontag, an dem er Frühschicht hatte, unwiderstehlich. Als er sich entschlossen hatte, an diesem Tag Trinken zu gehen, lief bei ihm alles ab "wie in einem Film". Da er seine Geldkarte vergessen hatte, griff er sich spontan den Safebag von Schalter 63 und die Ablieferungsliste. Diese lagen gerade zur Abholung durch den Cash-Dienst bereit. Abholungen erfolgten jeweils montags und donnerstags; für die Übergabe der Safebags war der Beamte zuständig. Das vertrunkene Geld wollte er später wieder dem Geldbeutel hinzufügen und ihn dann wieder in den Dienst einschleusen. Bei der Zechtour geriet der Beamte außer Kontrolle, verlor den Geldbeutel und konnte ihn trotz angestrengter Suche nicht wieder finden. Nach Auffassung des Senats kann dem Beamten nicht widerlegt werden, dass er in dieser für ihn "besonderen Versuchungssituation", die das Rosenmontagsgeschehen für ihn aufgrund seiner Alkoholerkrankung bedeutete, und des sich heftig steigernden Verlangens nach Alkohol sowie des daraus wiederum resultierenden "plötzlich auftretenden Geldbedarfs" nicht mehr kontrolliert und abwägend handeln konnte und insoweit situationsbedingt versagt hat. Der nachfolgende Rückfall in das unkontrollierte Suchtverhalten bestätigt dies. Dabei kann offen bleiben, ob dem Beamten in diesem Zusammenhang auch erheblich verminderte Schuldfähigkeit zugebilligt werden kann, wie der Verteidiger meint. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB kommt es im Rahmen des Milderungsgrundes der Gelegenheitstat nicht an.
Das anschließende Anfertigen einer neuen - inhaltlich unrichtigen - Ablieferungsliste für den Abholdienst des Cash-Centers ist nicht geeignet, der vorangegangenen Handlung den Charakter der Spontaneität und Unüberlegtheit wieder zu nehmen. Es handelte sich insoweit um ein notwendiges Begleitdelikt, das unmittelbar mit der Veruntreuungshandlung verbunden war und der Verschleierung der Tat diente. Da auch die übrigen Voraussetzungen des Milderungsgrundes gegeben sind - einmalige, persönlichkeitsfremde Tat eines nicht vorbelasteten und inzwischen "trockenen" Beamten im Sinne einer einmaligen suchtbedingten Entgleisung, die nicht auf Wiederholung des Unrechts angelegt war (vgl. dazu auch die Urteile des Senats vom 22. Oktober 2002 - BVerwG 1 D 6.02 - und vom 23. Oktober 2002 - BVerwG 1 D 5.02 -) -, ist von der Entfernung aus dem Dienst abzusehen und eine Dienstgradherabsetzung auszusprechen.
b) Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer durchgreifender, d.h. gemessen am Gewicht des Dienstvergehens hinreichend gewichtiger Milderungsgründe sind - auch nach Auffassung des Beamten und seines Verteidigers - nicht gegeben.
Ohne Erfolg beruft sich der Verteidiger auch auf die im Strafverfahren ausgesprochene relativ milde Kriminalstrafe. Dies kann den Beamten disziplinarrechtlich nicht zusätzlich entlasten. Strafrecht und Disziplinarrecht unterscheiden sich nach Rechtsgrund und Zweckbestimmung grundsätzlich, wie der Senat immer wieder hervorgehoben hat (vgl. zuletzt Urteil vom 8. März 2005 - BVerwG 1 D 15.04 - m.w.N.; vgl. ferner auch BVerfGE 32, 40 <48 f.>). Das Strafrecht ist unter anderem vom Vergeltungsprinzip mit dem Ziel der individuellen Sühne durch ein Unwerturteil über ein gemeinschaftswidriges Verhalten und strafrechtliche Sanktionen geprägt. Demgegenüber ist es ausschließlicher Zweck des Disziplinarrechts, das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Beamten und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu sichern. Deshalb ist die Höhe der Kriminalstrafe für die Gewichtung des Dienstvergehens grundsätzlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung, da die Vertrauensbeeinträchtigung in erster Linie von der Straftat selbst und ihren dienstbezogenen Umständen abhängt.
2. Einer Dienstgradherabsetzung des Beamten steht § 14 BDG nicht entgegen. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 BDG, der wegen materiellrechtlicher Besserstellung der angeschuldigten Beamten auch in Altverfahren nach der Bundesdisziplinarordnung zur Anwendung kommt (Urteil vom 23. Februar 2005 - BVerwG 1 D 13.04 -, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen), dürfen bei unanfechtbar verhängter Strafe wegen desselben Sachverhalts eine Kürzung der Dienstbezüge oder eine Zurückstufung - diese entspricht gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 2 BDG einer Maßnahme nach § 10 BDO - nur ausgesprochen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten.
Zur Pflichtenmahnung ist die Verhängung einer zusätzlichen Disziplinarmaßnahme auch nach neuem Recht, wie der Senat in seinem Urteil vom 23. Februar 2005 a.a.O. näher ausgeführt hat, nur nach individueller Prüfung des Einzelfalles beim Vorliegen konkreter Umstände für eine Wiederholungsgefahr zulässig, wenn also konkret zu befürchten ist, der Beamte werde trotz der ihm wegen desselben Sachverhalts bereits auferlegten Kriminalstrafe erneut eine Dienstpflichtverletzung begehen. Eine solche Prognose macht eine Beurteilung der Person des Beamten, seines bisherigen Werdeganges und seines dabei gezeigten Verhaltens im Beamtenverhältnis erforderlich.
Mangels einschlägiger Vorbelastungen des Beamten besteht zwar insoweit keine konkrete Wiederholungsgefahr. In einem solchen Fall hat der Senat gleichwohl die Notwendigkeit einer zusätzlichen Pflichtenmahnung auch dann bejaht, wenn sich aus dem Vorhandensein anderer Anhaltspunkte, z.B. bei in hohem Maße gezeigter Uneinsichtigkeit im Verfahren (vgl. zu § 14 BDO z.B. Urteil vom 24. Februar 1999 - BVerwG 1 D 31.98 - m.w.N.), ein Bedürfnis nach individueller disziplinarischer Einwirkung ergibt. Ein solches zusätzliches Pflichtenmahnungsbedürfnis liegt auch hier vor.
Maßgebend dafür ist zum einen die fortbestehende Alkohollabilität des Beamten, zum anderen sein Verhalten nach Entdeckung der Tat. Dieser war bereits am 27. November 1999 wegen übermäßigen Alkoholgenusses im Dienst aufgefallen und daraufhin am 15. Dezember 1999 über die Folgen des Alkoholmissbrauchs belehrt worden. Zwar hatte er sich anschließend um eine Überwindung seiner Sucht bemüht, bisher jedoch ohne stationäre Alkoholentziehungstherapie. Im Karneval des Jahres 2000 kam es dann zum Rückfall mit dem hier zu beurteilenden schweren Dienstvergehen. Die dienstliche Abmahnung hatte nicht ausgereicht, den Beamten in nachhaltiger Weise zu verantwortlichem Umgang mit alkoholischen Getränken, insbesondere im Zusammenhang mit dienstlicher Tätigkeit zu veranlassen. Diese bisher offensichtlich nicht ausreichende "Sensibilisierung" des Beamten wird auch an dem Umstand deutlich, dass dieser sich im anschließenden Straf- und Disziplinarverfahren lange Zeit uneinsichtig gezeigt hatte. Zwar war der Beamte berechtigt, seine Tat zu leugnen, um sich nicht selbst zu belasten; ein solches Verhalten wird noch von seinem Aussageverweigerungsrecht (Schweigerecht) zur Sache (vgl. dazu § 26 Abs. 2 Satz 3 und § 25 BDO i.V.m. § 136 Abs. 1, § 163 a Abs. 3 und 4, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO; jetzt § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG) gedeckt (vgl. dazu auch BVerfGE 56, 37 <43 f.>). Das Leugnen der Tat berechtigt aber nicht, wider besseren Wissens zur Verdächtigung von Kollegen, wie dies der Beamte in Bezug auf die Zeugin N. getan hat. Gerade dieser Umstand, der den Beamten zusätzlich erheblich belastet hat, belegt, dass dieser lange Zeit eher bereit war, Kollegen dem Tatverdacht auszusetzen, als sich selbst mit seinem Suchtverhalten kritisch auseinander zu setzen und sich seiner Verfehlung bewusst zu werden (vgl. dazu auch Urteil vom 24. Februar 1999 a.a.O.). Auch wenn der alkoholkranke Beamte inzwischen in höherem Maße als zuvor hinsichtlich seiner dienstlichen Pflichten "sensibilisiert" sein dürfte, wie seine erstmalige geständige Einlassung in der Hauptverhandlung vor dem Verwaltungsgericht zeigt, hält der Senat dennoch den Ausspruch einer über die strafrechtliche Verurteilung hinausgehenden Pflichtenmahnung für erforderlich. Maßgebend dafür ist insbesondere auch der Umstand, dass der Beamte seit Oktober 2002 im Bahnbetriebsdienst als Fahrdienstleiter/Weichenwärter eingesetzt ist. Gerade in diesem Dienstbereich ist es von größter Bedeutung, dass der Beamte als "trockener Alkoholiker" möglichst keinen Alkohol zu sich nimmt (vgl. auch § 14 ADAzB).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.