Verfahrensinformation

Die Beteiligten streiten um die Feststellung der Berechtigtenstellung im Hinblick auf den früheren Anteil des Harry M. an der OHG "Optische und Feinmechanische Werke Hugo M. und Co". Das Unternehmen wurde nach dem Ende des 2. Weltkrieges zunächst unter Zwangsverwaltung gestellt und dann enteignet. Der Anteilseigner Harry M. war nach dem 2. Weltkrieg verschleppt und später für tot erklärt worden. Mit Bescheid vom 19. Februar 2004 gab das Sächsische Landesamt zu Regelung offener Vermögensfragen dem Antrag des Rechtsnachfolgers von Harry M. auf Feststellung seiner Berechtigung statt. Die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben hat hiergegen Klage erhoben. Mit Urteil vom 31. Mai 2006 hat das VG Dresden die Klage abgewiesen. Harry M. sei der Anteil an dem Unternehmen unmittelbar durch das Sowjetische Militärtribunalurteil entzogen worden. Er sei nachträglich rehabilitiert worden. Deshalb sei er Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision wegen Abweichung der Entscheidung von einer Entscheidung des 7.Senats zugelassen.


Urteil vom 22.08.2007 -
BVerwG 8 C 3.07ECLI:DE:BVerwG:2007:220807U8C3.07.0

Leitsatz:

Ein in der Sowjetunion ausgesprochenes vermögensentziehendes Strafurteil hat nicht unmittelbar die in der sowjetischen Besatzungszone Deutschland belegenen Vermögenswerte erfasst.

Urteil

BVerwG 8 C 3.07

  • VG Dresden - 31.05.2006 - AZ: VG 12 K 669/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 31. Mai 2006 und der Bescheid des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 19. Februar 2004 werden aufgehoben.
  2. Der Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 19. Februar 2004, mit dem die Berechtigung des Beigeladenen nach dem Vermögensgesetz wegen der Schädigung des Anteils seines verstorbenen Vaters, Harry M., an dem Unternehmen Optische und Feinmechanische Werke Hugo M. & Co. OHG in G. festgestellt wird. Die Firma hatte 1927 ihren Geschäftsbetrieb aufgenommen. Gesellschafter waren Hugo, Erich und Harry M. sowie Elsa Sch. geborene M.

2 Harry M. wurde in der Ukraine am 4. August 1945 vom Militärtribunal der 52. sowjetischen Armee nach Art. 58 - 6 Teil 1 des Russischen Strafgesetzbuchs zu 25 Jahren Freiheitsentzug mit „Konfiszierung“ seines Eigentums verurteilt. Zum 31. Dezember 1945 wurde er für tot erklärt und von seiner Ehefrau zu einem Viertel und von seinem Sohn, dem Beigeladenen, zu Dreiviertel beerbt. Die Ehefrau starb am 8. Januar 1989 und wurde von dem Beigeladenen allein beerbt.

3 Das Unternehmen Optische und Feinmechanische Werke Hugo M. & Co. OHG wurde später auf der Grundlage der Befehle Nr. 124 und Nr. 64 der sowjetischen Militäradministration (SMAD) enteignet (Schreiben der Landesregierung Sachsen vom 1. Juli 1948). Die Firma wurde am 7. Oktober 1948 im Handelsregister gelöscht. Für den Grundbesitz der Firma wurde am 25. Januar 1949 Eigentum des Volkes eingetragen. Rechtsträger war zunächst die Vereinigung volkseigener Betriebe für feinmechanische und optische Geräte in J., später dann der VEB Pentacon. 1990 wurde die Feinoptisches Werk G. GmbH laut Umwandlungserklärung vom 29. Juni 1990 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

4 Mit Gesellschafterbeschluss vom 23. Mai 1991 - alleinige Gesellschafterin war die Treuhandanstalt - wurde die Auflösung der Gesellschaft beschlossen und ein Liquidator bestellt.

5 Mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. Januar 1998 wurde ein Antrag von Claus M. als Erbe nach Erich, Elisabeth und Dieter M., von Udo M. und von Günter Sch. auf Restitution abgelehnt, weil das Unternehmen in G. auf besatzungsrechtlicher Grundlage enteignet worden und damit eine Restitution ausgeschlossen sei.

6 Ein Antrag des Beigeladenen vom 9. Februar 2001 auf Erlösauskehr gemäß seinem Firmenanteil mit den dazugehörigen Grundstücken wurde mit Bescheid vom 26. März 2002 abgelehnt. Es lägen keine Wiederaufnahmegründe vor. Rehabilitierungen nach dem Gesetz der Russischen Föderation eröffneten den Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes nur, wenn es sich um eine Enteignung oder Vermögensentziehung handele, die durch Gerichte, Verwaltungsbehörden oder sonstige staatlichen Stellen der Sowjetunion selbst verfügt worden seien. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass der Gesellschaftsanteil von Harry M. an der OHG bereits unmittelbar durch das Urteil des sowjetischen Militärtribunals erfasst worden sei.

7 Mit Schreiben vom 28. März 2003 beantragte der Beigeladene festzustellen, dass er wegen der früheren Beteiligung seines Vaters Harry M. an der OHG einschließlich der in G. belegenen Grundstücke Berechtigter nach dem Vermögensgesetz sei. Die deutsche Botschaft in Kiew habe mit Schreiben vom 24. Februar 2003 einen Rehabilitierungsbescheid in ukrainischer Sprache vom 19. April 2001 sowie eine ergänzende Rehabilitierungsbescheinigung vom selben Tage übersandt.

8 Mit Bescheid vom 19. Februar 2004 wurde die Berechtigung des Beigeladenen bezüglich des früheren Anteils des Harry M. an der OHG festgestellt. Dem Rechtsvorgänger des Antragstellers sei sein gesamtes Vermögen unmittelbar durch das sowjetische Militärtribunalurteil entzogen worden. Durch die ukrainische Rehabilitierungsentscheidung sei die 1945 erfolgte Enteignung aufgehoben worden und damit sei das Vermögensgesetz anwendbar.

9 Gegen den Bescheid vom 19. Februar 2004 hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid aufzuheben. Die Beschlagnahme und Enteignung des früheren Unternehmens sei allein aufgrund der Befehle Nr. 124 und Nr. 64 der sowjetischen Militäradministration erfolgt. Es fehle an Hinweisen, dass die Beschlagnahme und Enteignung des Unternehmens kausale Folge der im Militärtribunalurteil angeordneten Beschlagnahme des persönlichen Vermögens von Harry M. gewesen sei. Die Altunterlagen belegten, dass die im Militärtribunalurteil ausgesprochene Beschlagnahme in Wirklichkeit nicht umgesetzt worden sei. In Sachsen sei nach Erlass eines Tribunalurteils ein formalisiertes Verfahren üblich gewesen. Das einzuziehende Vermögen sei dabei genau erfasst worden. Daran fehle es hier. Es sei auch unklar, ob überhaupt eine wirksame Rehabilitierung vorliege.

10 Der Beklagte und der Beigeladene haben vor dem Verwaltungsgericht beantragt, die Klage abzuweisen.

11 Mit Urteil vom 31. Mai 2006 hat das Verwaltungsgericht Dresden die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Berechtigung des Beigeladenen ergebe sich aus § 1 Abs. 7 VermG. Der Anspruch sei fristgerecht geltend gemacht worden. Der Anteil von Harry M. an der OHG sei unmittelbar durch das Militärtribunalurteil entzogen worden. An dieser Einschätzung ändere auch die Tatsache nichts, dass der gerichtliche Entzug in Deutschland nicht umgesetzt worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe entschieden, dass Enteignungen durch ein Militärtribunalurteil unmittelbar konstitutiv wirkten. Der Eigentumswechsel trete unmittelbar durch die Rechtskraft des strafrechtlichen Urteils des Standgerichts ein. Auf die faktische Umsetzung der durch das Urteil bewirkten Entziehung nach außen komme es nicht an. Die Vermögensentziehung sei „nach anderen Vorschriften“ - nämlich dem auf deutsche Staatsangehörige anwendbaren Gesetz der Ukraine über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repressalien in der Ukraine - aufgehoben worden. Die Rehabilitierung sei wirksam und echt. Die Rehabilitierung umfasse auch die Vermögensentziehung.

12 Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 31. Mai 2006 und den Bescheid des Beklagten vom 19. Februar 2004 aufzuheben.

13 Das Urteil verletze Bundesrecht. Das Urteil des sowjetischen Militärtribunals in der Ukraine sei nicht Grundlage der Enteignung gewesen. Die Rehabilitierung durch die Militärstaatsanwaltschaft der Ukraine habe daher auch nicht die Grundlage für die Enteignung entfallen lassen.

14 Der Beigeladene beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil.

15 Der Beklagte stellt keinen Antrag.

II

16 Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (1.). Da die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts für eine abschließende Entscheidung über die Klage ausreichen, kann der Senat in der Sache abschließend entscheiden (2).

17 1. Der Beigeladene ist nicht Berechtigter im Sinne von § 2 Abs. 1 VermG.

18 Berechtigte sind danach natürliche und juristische Personen sowie Personenhandelsgesellschaften, deren Vermögenswerte von Maßnahmen gemäß § 1 VermG betroffen sind sowie ihre Rechtsnachfolger. Das Verwaltungsgericht hat unzutreffend den geltend gemachten vermögensrechtlichen Anspruch in Übereinstimmung mit dem Beklagten unter Hinweis auf § 1 Abs. 7 VermG für begründet gehalten. Die streitigen Anteile des Harry M. an dem Unternehmen in G. sind von der Landesregierung Sachsen nach Maßgabe der SMAD-Befehle Nr. 124 und Nr. 64 und damit auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden. Das Vermögensgesetz findet daher gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a Halbs. 1 VermG keine Anwendung.

19 a) Der Beigeladene kann sein Begehren nicht auf die Vorschrift des § 1 Abs. 7, Abs. 8 Buchst. a Halbs. 2 VermG stützen. Gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a Halbs. 2 VermG bleiben Ansprüche nach den Absätzen 6 und 7 „unberührt“. Diese durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 (BGBl I S. 1257) eingefügte Vorschrift stellt zunächst klar, dass derjenige, der von einer im Sinne des § 1 Abs. 7 VermG rechtsstaatswidrigen, später aufgehobenen Maßnahme getroffen worden war, die Rückgabe der entzogenen Vermögensgegenstände unabhängig davon beanspruchen kann, ob diese Gegenstände zeitgleich oder später auch auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (erneut) entzogen wurden (Urteile vom 28. September 1995 - BVerwG 7 C 28.94 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 54; vom 25. Februar 1999 - BVerwG 7 C 9.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 1). Für den Fall des § 1 Abs. 7 VermG gewinnt § 1 Abs. 8 Buchst. a Halbs. 2 VermG praktische Bedeutung insbesondere bei Sachverhalten, bei denen Vermögenswerte durch eine - später durch Rehabilitierungsentscheidung aufgehobene - strafrechtliche Verurteilung eines sowjetischen Militärtribunals eingezogen wurden und der Eigentümer danach einem (erneuten) Vermögensverlust im Zuge der auf die SMAD-Befehle Nr. 124 und Nr. 64 zurückzuführenden Enteignungsmaßnahmen deutscher Stellen unterlag.

20 Nach § 1 Abs. 7 VermG gilt das Vermögensgesetz entsprechend für die Rückgabe von Vermögenswerten, die im Zusammenhang mit der nach anderen Vorschriften erfolgten Aufhebung rechtsstaatswidriger straf-, ordnungsstraf- oder verwaltungsrechtlicher Entscheidungen steht. Bei § 1 Abs. 7 VermG handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung (Beschluss vom 9. Juni 1994 - BVerwG 7 B 145.93 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 23; Urteil vom 26. September 1996 - BVerwG 7 C 61.94 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 89). Der Gesetzgeber geht für den Fall, dass rechtsstaatswidrige straf-, ordnungsstraf- oder verwaltungsrechtliche Vermögensentziehungen auf der Grundlage von anderen Wiedergutmachungs- oder Rehabilitierungsregelungen aufgehoben werden, von der grundsätzlichen Pflicht zur Rückgabe des entzogenen Vermögenswertes aus und unterwirft diese Rückgabe den Vorschriften des Vermögensgesetzes. § 1 Abs. 7 VermG schafft keinen selbständigen Restitutionstatbestand, sondern ist anspruchsbegrenzender Natur (Urteil vom 25. Februar 1999 - BVerwG 7 C 9.98 - a.a.O.). Dementsprechend geht § 1 Abs. 7 VermG von einem zweistufigen Verfahrensablauf aus (Beschluss vom 9. Juni 1994 - BVerwG 7 B 145.93 - a.a.O.; Urteil vom 26. September 1996 - BVerwG 7 C 61.94 - a.a.O.). Auf der ersten Stufe hebt die dafür nach den „anderen Vorschriften“ zuständige Stelle die durch eine rechtsstaatswidrige straf-, ordnungsstraf- oder verwaltungsrechtliche Entscheidung herbeigeführte Vermögensentziehung auf oder trifft eine der Aufhebung entsprechende Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit. Damit steht die Rückgabeberechtigung des früheren Rechtsinhabers dem Grunde nach fest, vergleichbar mit der Berechtigtenfeststellung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG. Die rechtsgrundlos gewordene Vermögensverschiebung wird sodann auf der zweiten Stufe von den an die Aufhebungsentscheidung gebundenen Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen nach Maßgabe des Vermögensgesetzes rückabgewickelt. Dass § 1 Abs. 7 VermG auch die Aufhebung rechtsstaatswidriger Entscheidungen nach ausländischen Vorschriften einbeziehen will, hat der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 1 Abs. 1a Satz 2 AusglLeistG vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) klargestellt. Danach besteht unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Ausgleichsleistung auch im Fall der Einziehung von im Beitrittsgebiet belegenen Vermögenswerten durch Entscheidung eines ausländischen Gerichts. Diese Aufhebung muss aber entsprechend einer Rehabilitierung nach deutschen „anderen“ Vorschriften im Sinne des § 1 Abs. 7 VermG immer auch wegen der Einziehung von Vermögensgegenständen oder des Vermögens insgesamt erfolgen.

21 b) Gemessen an diesen Grundsätzen lässt sich der Anspruch des Beigeladenen nicht auf § 1 Abs. 7 VermG stützen. Das Verwaltungsgericht ist zwar davon ausgegangen, dass das Gesetz der Ukraine „über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repressalien in der Ukraine“ vom 17. April 1991 mit der Anlage Nr. 1 zum Beschluss des Ministerkabinetts der Ukraine vom 18. Februar 1993 Nr. 112 und dem Beschluss der Obersten Rada der Ukraine vom 24. Dezember 1993 auch ausländische - deutsche - Staatsangehörige einbezieht. An diese die Auslegung ausländischen Rechts betreffende Feststellung ist der Senat mangels durchgreifender Verfahrensrügen gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat jedoch verkannt, dass der Anwendungsbereich von § 1 Abs. 7 VermG bei Vermögenseinziehungen, die ein Gericht im Ausland ausgesprochen hat, erst eröffnet ist, wenn zumindest eine auf die Umsetzung der Vermögenseinziehung zielende Willensbetätigung der sowjetischen Besatzungsmacht erkennbar war. In der Rechtsprechung des 8. Senats des Bundesverwaltungsgerichts ist zwar anerkannt, dass eine Vermögensentziehung durch sowjetische Militärtribunalurteile nach dem damals geltenden sowjetischen Recht unmittelbar mit deren Rechtskraft wirksam werden und den Eigentumsübergang auf die UdSSR herbeiführen kann, im Grundsatz also eine der Einziehung nach § 74a Abs. 1 StGB entsprechende Wirkung hat (Urteil vom 25. September 2002 - BVerwG 8 C 41.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 11; anders Urteil des 7. Senats vom 29. Juni 2006 - BVerwG 7 C 18.05 - Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 17, das für die Wirksamkeit der Vermögenseinziehung einen tatsächlichen Zugriff verlangt). Dieser Rechtsprechung lag jedoch ein anderer Sachverhalt zugrunde. Die Verurteilungen und Vermögenseinziehungen erfolgten jeweils auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland.

22 Der vorliegende Sachverhalt weist die Besonderheit auf, dass der Vater des Beigeladenen auf dem Territorium der Sowjetunion und zwar ihres Mitgliedslandes Ukraine am 4. August 1945 zu 25 Jahren Freiheitsstrafe und der „Konfiszierung“ seines Vermögens verurteilt worden war. Dem sowjetischen Militärtribunalurteil kommt mit der Rechtskraft der vermögensentziehenden Maßnahme nicht die unmittelbare Enteignungswirkung zu, wie einem ebensolchen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands durch die Besatzungsmacht auf der Grundlage von Besatzungsrecht gefällten Urteils. Voraussetzung dafür, dass ein in der ehemaligen Sowjetunion gefällter Richterspruch unmittelbare Enteignungswirkung im sowjetisch besetzten Deutschland entwickeln konnte, war zumindest eine Willensbetätigung durch die Besatzungsmacht, die Wirkungen des Urteils in der sowjetisch besetzten Zone umzusetzen. Sowohl im Völkerrecht wie im internationalen Privat- und Verwaltungsrecht gilt der Grundsatz, dass die Wirkung von Staatshoheitsakten an den Gebietsgrenzen der tätig werdenden Staatsgewalt endet (Territorialitätsprinzip). Enteignungsmaßnahmen eines Staates erfassen daher nur dasjenige Vermögen, das der Gebietshoheit des Landes unterliegt und greifen nicht über dessen Grenzen hinaus (BGH, Urteil vom 11. Juli 1957 - 2 ZR 318/55 - BGHZ 25, 134 <143>). Das Territorialitätsprinzip entfaltet damit in der Regel zugleich eine Schutzwirkung für das in einem anderen Staat belegene Vermögen, indem es die Wirkung der fremden Hoheitsmaßnahme für dieses Vermögen von der Anerkennung oder einer auf die Umsetzung zielenden Willensbetätigung durch den betroffenen Staat oder in einem besetzten Land durch den tatsächlichen Inhaber der Hoheitsgewalt abhängig macht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 1957 - 2 ZR 318/55 - BGHZ 25, 134 <140>). Dieses Prinzip blieb nach dem Krieg in Geltung, da keine Annexion stattgefunden hat und der deutsche Staat weder mit der Kapitulation der Streitkräfte noch durch die Inanspruchnahme der „obersten Gewalt in Bezug auf Deutschland“, einschließlich aller Befugnisse der deutschen Staatsgewalt, durch die vier Hauptsiegermächte am 5. Juni 1945 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1 S. 7 ff.) völkerrechtlich untergegangen ist (BVerfG, Beschluss vom 21. Oktober 1987 - 2 BvR 373/83 - BVerfGE 77, 137<154 ff.>). Insofern kann bezogen auf die Herrschaftsgewalt nicht davon gesprochen werden, dass die sowjetische Besatzungszone - gleichsam funktionell - Teil der Sowjetunion war (zur rechtlichen Qualifizierung der Besatzungsmacht als Ausübung völkerrechtlicher Befugnisse und treuhänderische Wahrnehmung deutscher Staatsgewalt vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1969 - 1 BvR 624/56 - BVerfGE 27, 253 <273>; Beschluss vom 13. Januar 1976 - 1 BvR 631/69 - BVerfGE 41, 126 <159>; auch Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, II. Band: Kriegsrecht, 2. Aufl. 1969, 129: „Der Okkupant überträgt ... nicht seine eigene Herrschaftsgewalt ins besetzte Gebiet“). Auch das Besatzungsstatut hat an der eingeschränkten Wirkung in der Sowjetunion erlassener Einziehungsakte nichts geändert. Dies gilt insbesondere für den Zeitraum (August 1945), in dem das Urteil ergangen ist. Für diesen Zeitraum kann aufgrund der Erklärung vom 5. Juni 1945 (noch) von einer gemeinsamen Besatzungshoheit der vier Hauptsiegermächte ausgegangen werden, die von den jeweiligen Oberbefehlshabern in ihrer Besatzungszone ausgeübt wurde (Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 1948, 24 f., 31 ff., 62; Stödter, Deutschlands Rechtslage, 1948, 201). Die gemeinsame Besatzungshoheit kam beispielsweise darin zum Ausdruck, dass der Alliierte Kontrollrat unter Beteiligung des Marschalls Schukov mit dem Gesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 3 vom 31. Januar 1945, S. 50) in Art. II Abs. 3 Satz 3 Regelungen über die Verwendung gerichtlich konfiszierten Vermögens getroffen hat (vgl. Hilger, ZOV 2002, 81).

23 In der sowjetischen Besatzungszone setzte die SMAD - neben den Entscheidungen des Alliierten Kontrollrats - die Exekutivakte der Sowjetunion in Form besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Anordnungen und Befehle um. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), wurde der gerichtliche Entzug der Gesellschaftsanteile wie des übrigen Eigentums in Deutschland nicht umgesetzt. Nach den Darlegungen des Verwaltungsgerichts spricht alles dafür, dass die Verurteilung und Vermögenseinziehung in Deutschland weder der Familie noch den Behörden oder sonstigen Stellen überhaupt nur bekannt wurde. Dass das Unternehmen zunächst als herrenlos angesehen und deshalb vorübergehend auf der Liste C vermerkt wurde, belegt den Anteilsverlust nicht. Damit ist eine Willensbetätigung der Besatzungsmacht, die auf eine Umsetzung der Wirkungen des vermögensentziehenden Urteils in Deutschland zielte, nicht feststellbar.

24 2. Da die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts für eine abschließende Entscheidung über die Klage ausreichen, muss der Rechtsstreit nicht an das Verwaltungsgericht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zurückverwiesen werden. Entgegen der Auffassung des Beigeladenen kommt es bei der Anwendung des § 1 Abs. 7 VermG nicht darauf an, ob der Vater des Beigeladenen aus der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland verschleppt oder erst in der Ukraine verhaftet worden ist. Entscheidungserheblich ist, dass der Vater des Beigeladenen auf dem Gebiet der Sowjetunion strafrechtlich abgeurteilt worden war. Von diesem Sachverhalt ist das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung ausgegangen. Dagegen wurden keine revisionsrechtlich beachtlichen Verfahrensrügen erhoben.

25 Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.